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“1 Oer modisch elegante

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Auch wir suchten mit brennendem Herzen die blaue Blume. Und sie wird auch heute noch — gegen alle landläufigen Behauptungen — gesucht. Und in Sonnenstunden steht in mir auch heute noch die feine Scheu auf, die mar damals aufgegangen war, als einer unserer Führer (das Wort hatte damals noch nicht seinen üblen Beigeschmack) von der Ehrfurcht vor der unberührten Natur sprach, von unseren plumpen Füßen, die in das Wunder einer frühlingsfrdschen Wiese tappen. Auch wir hatten die gleichen Lehrer, vielleicht sogar die gleichen Eltern. Auch ich trage einen Namen, der aus der Völkerwiege Mitteleuropas her kommt — genauso wie Dr. Massiczek.

Doch trafen die Entscheidungen wir selbst. Ich schämte mich nicht meines Namens. Wir wählten eben die anderen Lehrer zu unseren Vorbildern. Wir liebten neben unseren wilden Bubenspielen wirklich diie Stille und die Berge nicht wegen des „freien“ Hüttenlebens. Für uns war die äußere Tünche urwüchsigen Landsknechtlebens nicht alles.

Mit dem Merkstift in der Hand, und mit den Quellen und Kommentaren daneben, studierte ich den „Kampf“ und den „Mythos des 20. Jahrhunderts“ und verglich die Parteiprogramme. Wir verglichen die Zeit der Feste und Fanfaren mit der Realität der politischen und sozialen Taten.

Ich möchte die Bekenntnisse und Erkenntnisse Dr. Massiczeks, die augenscheinlich aus ehrlichem Herzen kommen, nicht einfach abtun; im Gegenteil! Es scheint mir jedoch ungesund zu sein, in Österreich alles nur aus dem Blickwinkel der „Ehemaligen“ anzusehen; so ähnlich wie die letzte Regierungsbildung nur aus dem der Habsburgerfrage. Es gibt und gab auch andere Menschen in Österreich, und ich halte diese anderen- mit gutem Grund für den Normalfall.

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Es ist interessant, von vielerlei Seiten, ja sogar von Juden her, Schuldbekenntnisse zu vernehmen. Auch wir sind — zumindest im nachhinein, in geistesverwandtem Kreis beisammensitzend und in der eigenen Brust — zur Erkenntnis gekommen: „...hätten wir doch damals entschiedener dagegen Stellung genommen ... hätten wir doch ... dann wäre es vielleicht doch nicht dazu gekommen...!“ Es war also zumindest zum Teil auch mit unsere Schuld.

Von Seiten der „Völkischen“, der „Nationalen“ usw., der Rebellen gegen Österreich also, oder gar von Nationalsozialisten oder ehemaligen Mitgliedern der NSDAP habe ich nie derartiges gehört. Auch die Artikelserie Dr. Massiczeks ist bei aller Ehrlichkeit seinerseits, bei allem menschlichen Verstehen unsererseits wiederum nur ein Versuch, die Schuld weiterzuschieben, auf „Lehrer“, Vorbilder und Umwelt. Allerdings ist auch das schon In dieser Umgebung ein Fortschritt.

Nicht, daß man es noch heute wäre! Diese gerissenen Spürhunde der Konjunktur wissen genau, daß das alles nicht mehr up to date ist. Sie haben sich längst wieder eingeordnet in meine Partei, denn „mein Nazi ist kein Nazi“. Aber sie kochen ihr oft sehr ertragreiches Süppchen auf der Treuementalität unzähliger damaliger Mitläufer und heutiger guter Staatsbürger. Das ist man doch! Selbstverständlich!

O wie einfach ist das! Auch das, daß einige Auchösterreicher in Ägypten ihr hier schon etwas ramponiertes Ansehen durch „technische Arbeit“ oder mehr noch durch gute Geschäfte wiederherstellen wollen. Es gelingt so gut. Auch ansonst renommierte Zeitungen geben unkontrolliert euphemistische Meldungen weiter und buchen es als österreichischen Erfolg, auch wenn es genugsam politische Komplikationen gebracht hat. Wollen wir hoffen, daß die Reise unse-

Meist fühlten sich diese Staats-bürger wider Willen nur von der Übermacht eingekreist, von der „Gefolgschaft“ verlassen. Man könnte das an Hand eines großen Kreises von gut verdienenden „Bürgern“ der Stadt demonstrieren. Die halten auch jetzt noch zusammen, das heißt, „man kauft doch bei mir ein, wenn man Ehemaliger ist“, „du mußt mir doch den Weg ebnen zur Erlangung der Konzession für...!“, „die harten Behörden haben ja an uns so viel Unrecht getan, mich all die Jahre benachteiligt“.

Ja, das vorgeblich erlittene Unrecht (sie verdienen aber dabei heute viel mehr als damals als NS-Größen; ja, sie würden heute nie so viel verdienen können, wenn ihnen nicht die damalige NS-Position Verbindung und — auch jetzt noch — ausnutzbare Gefolgschaft von Gutgläubigen verschafft hätte) rangiert auf allen Treffen (da gibt es viele harmlos klingende Umschreibungen) Ehemaliger und auch in deren privaten Gesprächen ganz vorne. Sie wissen gut, was ihnen von Nutzen ist. Das Einsehen oder gar das Bekennen, zumindest vom „Nichtbegriffenhaben“, habe ich noch nicht gehört.

res Außenministers dorthin nicht auch zur Festigung dieser Positionen beigetragen hat. Gerade dies wäre zu tragikomisch.

Wie kam es zu solchen Verhältnissen in Österreich? Wie kann es sein, daß in der Wirtschaft, in der Industrie, speziell bei manchen Technikern das Hinüberschielen über die Grenzen auch jetzt noch — oder wieder? — zum guten Ton gehört? Es kann doch nicht nur die höhere Bezahlung dort sein.

Es beginnt bei unverfänglichen Kleinigkeiten. Man macht sich lustig über die ÖNORM, die österreichischen Normen, ohne so viel Einsicht zu haben, daß diese für einzelne unserer Industriezweige oft lebensnotwendig sind. Man bewundert dafür lauthals die DIN (Deutsche Industrienorm), die auch in vielen anderen Ländern bekannt, geschätzt und verwendet wird. Ein klar anerkanntes Ergebnis des großen industriellen Exportes der BDR und seiner in puncto Organisation sosehr begabten Bürger.

Natürlich ist man nicht hinterwäldlerisch und ist nicht für das kleine Deutschland, sondern für das große Europa. Wie weit zurückgeblieben sind da die, die das winzige Österreich für wert halten, geliebt zu werden! Meinen diie, die da Europa sagen, wirklich die Sehnsucht vieler Ausländer, oder sind derer nicht auch sehr viele, die Europa sagen und „das Reich“ meinen?

Woher das? Speziell im Bereich der Technik? Es ist das das Vorbild und das automatische oder opportunistische Angleichen an etliche Führer in den Betrieben. Wie kamen diese in maßgebende Stellungen? Teils als wirkliche Fachleute, deshalb im Krieg für diesen Dienst freigestellt. Teils freigestellt wegen ihrer Zuverlässigkeit dem NS-Regime gegenüber. Nur in der Industrie war die Zahl solcher kriegsbedingt nennenswert groß. Bisher verständlich.

Nicht mehr verständlich: Nach dem Krieg hielten die ihre Posten. Sie waren ja die in ihrem Betrieb Erfahrenen. Die anderen lagen in der Zeit auf den Schlachtfeldern. Die Heimkehrer mußten mit dem vorliebnehmen, was übrig blieb. Wen verwundert es, wenn die gleichen und ihr Anhang jetzt noch in großen Bereichen der Industrie das Heft in Händen halten, wenn auch unter der hochgehaltenen Fahne einer der beiden jetzigen Regierungsparteien? Die Charaktere jedoch blieben gleich.

Die Parteien selbst aber verwenden mehr Druckerschwärze und Energien zur Köderung der Ehemaligen oder der noch Ehemaligen, verschämt „Randschichten“ genannt, als für den Aufbau der eigenen Grundlagen. Sie müssen es anscheinend, um die Machtergreifung durch die jeweils andere Reichshälfte zu verhindern. Man schätzt also allgemein den wahren Wert unserer demokratischen Gesinnung gering ein.

Die SPÖ sucht Intellektuelle; sie hat sie nötig für Führungsaufgaben in Staat und besonders in der Wirtschaft: mit Erfolg, denn sie kann dort Positionen bieten. Sie zieht damit auch deren Gefolgsleute mit zu sich herüber. Kein Wunder, daß die mittleren Führungsstellen der SPÖ bis weit hinauf unterwandert sind. Daher auch die Wandlung der Partei vom Marxismus zu Kleinbürgeridealen.

Die Volkspartei versucht es mit weniger Erfolg, sie bietet ja auch weniger, sie besticht ja nicht, sie hat kein Vakuum aufzufüllen. Doch drängen auch da die in den NS-Stellen erprobten Ellenbogentechniker zur Krippe; und auch sie verliert an Substanz und stößt damit Kerngruppen vor den Kopf. Die Wahlresultate zeigen es deutlich.

Wir sehen, in welcher Weise die Vergangenheit bewältigt wurde. Die Vergangenheit währt heute noch. Wenn es eines Beweises bedarf, bitte — hier ist er:

Ein Schulleiter in Graz verwahrt sich temperamentvoll gegen die zudringliche Einladung eines Vereines „Deutsches Kulturwerk europäischen Geistes“. Es kommt zur Ansage einer kleinen Demonstration und zur Absage eines Vortrages, „Sind wir Österreicher Deutsche?“. Der Schulmann, dessen österreichische Gesinnung außer jedem Zweifel steht, der sich auch außerhalb seiner Schulmauern fast täglich für seine erprobte Gesinnung einsetzt, wird öffentlich in der Presse gerügt. Dreimal dürfen Sie raten, von wem?

Von einer Nochnaziclique? Nein! Vom SPÖ-Bürgermeister der Landeshauptstadt? Nein! Vom Landesrat der ÖVP? Ja! Von einem Mann also, dessen persönliche Integrität leuchtendes Vorbild ist. Von einem Politiker, dessen lautere Gesinnung ohne Zweifel seinesgleichen sucht. Von einem Katholiken, der seinen Glauben lebt. Warum also? Die Landtagswahlen sind nicht mehr fern (fast noch ein Jahr bis dahin!).

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