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Um das Wesen des "deutschen Widerstandes“

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Der Beitrag gewährt Einblick in die innere Auseinandersetzung, die dem deutschen Volke einen Abschluß der schweren Vergangenheit und eine Grundlage künftiger Zusammenarbeit bringen möge. Vielleicht werden andere von ihrem Standpunkte aus zu dem Thema das Wort ergreifen. „Die Furche"

Nun endlich werden langsam die Fragen gestellt, um die es bei der „Entbräunung" Deutschlands von allem Anfang hätte gehen müssen. Daß eine Revolution, die 1945 ausgeblieben ist und angesichts der bedingungslosen Kapitulation und der totalen Besetzung ausbleiben mußte, nicht nachgeholt werden kann, weiß man heute; es gibt eigentlich niemanden, der noch behaupten würde, die Entnazifizierung habe ihr Ziel erreicht; strittig ist höchstens, wieweit sie das Gegenteil des angestrebten Zieles bewirkt habe. Man hätte vor allem darüber einig sein müssen, wer ein Nazi und wer kein Nazi war (jenseits formaler Zugehörigkeit zu irgendeiner Organisation) und wer Widerstand geleistet hat, worin Widerstand überhaupt bestehen und wie man ihn leisten konnte.

Der Prozeß, an dem diese Grundfragen deutlich werden, ist das Verfahren gegen den Staatssekretär und nachmaligen letzten Botschafter am Vatikan, von Weizsäcker. Verteidigung und Anklage, gleich erbittert um ihre These ringend, haben sehr scharf formuliert, worum es geht. Wer Widerstand leisten und Böses verhüten wollte, der mußw sich, sagt der Verteidiger, vor dam System verbeugen, sich ihm äußer lich angleichen. Es komme also, erwidert der Ankläger Kempner, demnach nur darauf an, wieviel Morde einer begehen durfte, um einen verhindern zu können. Kein Zweifel, daß eine überwältigende Mehrheit des deutschen Volkes, daß vor allem die große Mehrheit der Nazigegner die Auffassung des Verteidigers teilt und die Fragestellung der Anklage als schief empfindet. Wieviel Morde mußte einer begehen, billigen gutheißen, um einen verhindern zu können? War es so? Bei Weizsäcker, bei den vielen anderen, die in gleicher Lage waren, bei dem Großteil der Widerstandsbewegung um den 20. Juli 1944? Nein, so war es nicht. Kempner sieht falsch und formuliert falsch. Die Morde, die Weizsäcker „duldete“ oder „mitmachte" — der richtige Ausdruck wäre: von denen er Kenntnis erhielt, ohne zu protestieren —, wären ohne ihn, gegen seinen Protest, trotz solchem Protest, auch begangen worden. Die Widerstandskämpfer waren nicht imstande, sie zu verhindern; in vielen Fällen hätte ein Protest nur noch weitere Morde hervorgerufen. Und das einzige, das der von den Emigranten geforderte „Widerstand", die strenge Noncooperation, erreichen konnte, war — die Ausschaltung jedes noch irgendwie und irgendwo wirksamen Widerstandes.

Der Verteidiger sagt: Wenn Weizsäcker es mit seinem Gewissen nicht vereinbar gefunden hätte, zu verbrecherischen Aktionen zu schweigen, so wäre er außerstande gewesen, in vielen Fällen, wo er es tat, Verbrechen zu verhindern. Und wenn er es mch ertragen hätte, einem zum Kriege treibenden Regime als Diplomat zu dienen, hätte er nichts tun können, den drohenden Krieg hinauszuschieben. Der Ankläger repliziert: Wo sei denn der Erfolg dieser diplomatischen Gegenaktionen, die Weizsäcker aus schriftlichen Aufzeichnungen inzwischen verstorbener Diplomaten (wie Henderson und Attolico) bezeugt werden? Die deutsche Presse antwortet fast einstimmig: Der Erfolg war 1938 und noch 1939 da, solange das Ausland mitspielte; er wäre auch während des Krieges nicht ausgeblieben, hätte maßloses Unheil verhütet, Millionen Menschenleben, kostbare Güter, hätte Europa gerettet —, wenn nicht die Kapitulationsformel von Casablanca dem deutschen Widerstand den Dolchstoß versetzt hätte. Hier spielt die moralische und die Rechtsfrage ins Politische hinüber. Als politische Frage wird sie wohl auch durch die Jahrhunderte wandeln.

Die deutsche Öffentlichkeit hat sich längst ihre sehr bestimmte Meinung über den „Widerstand" gebildet. Sie ist, mit Ausnahme der Emigranten, einhellig der Ansicht, daß die bequemste Form des Widerstandes die Emigration gewesen sei. Das mag ein Unrecht gegen die Emigranten sein, von denetj es die meisten schwer, viele furchtbar schwer hatten, von denen viele die Rettung vor Himmler mit dem Hungertod bezahlt, von denen viele weit mehr als Heimat, Brot und Familie geopfert, seelisch unsagbar gelitten haben. Dennoch sieht man Emigranten als Revenants, Ratgeber, gar als Ankläger ungern, ja man steht ihnen meist ablehnend gegenüber.

Widerstand der Illegalen? Auch die Opfer der KZ erfreuen sich aus mannigfachen Gründen weder besonderen Ansehens, noch gar besonderer Beliebtheit. Den Nazis ist es gelungen, über den Bestand des tausendjährigen Reiches hinaus die Fälschung aufrechtzuerhalten, die meisten „KZler" seien „Kriminelle“ und „Asoziale“ gewesen. Die Überlebenden der Todesmühlen haben diese Gefahr vielleicht nicht gleich erkannt, jedenfalls sich nicht sofort mit der gebotenen Energie gegen das Auftreten der krimi- nelllen und asozialen Häftlinge gewehrt, die gewiß einen nicht jeringen Teil der Lagerinsassen gebildet haben und immer in scharfem Gegensatz zu den „Politischen“ gestanden sind. Ein weiterer Grund’ liegt darin, daß im Dritten Reich ja keineswegs aktiver Widerstand nötig war, um ins KZ zu kommen. Die Gestapo arbeitete doch nach dem Grundsatz, daß es besser sei, tausend „Unschuldige“ einzusperren, als einen Verdächtigen laufen zu lassen. Manche deutsche Antinazis und vor allem die Nazis kamen ins KZ, nicht weil sie bewußt gegen das System kämpften, sondern weil sie unvorsichtig, leichtsinnig, albern waren und ihr Mundwerk nicht im Zaum hielten.

Karl Kraus — der als einer der ersten den Funktionswandel des heroischen und des möglichen Widerstandes unter der totalen Diktatur erkannt hatte und deshalb von Einfaltspinseln noch heute wegen seiner „Lauheit“ gerügt wird — sagte mir im Jahre 1933 in einem Gespräch über Sinn und Nutzen des Bleibens oder Emigrierens: Wer unter fallenden Dachziegeln spazierengeht, ist kein Held, sondern ein Narr. Das können Demokraten und Liberale aus dem Westen nicht verstehen. Sie sehen auch heute noch das Problem des politischen Kampfes unter den Aspekten des 19. Jahrhunderts, da ein einzelner in der Lage war, einem ganzen Staatsapparat zu trotzen und durch ein Beispiel zu wirken. Bei den Nazis verschwanden Hunderttausende spurlos, Prozesse fanden unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt, Prozeßberichte erschienen gefälscht, und der Heroismus des Angeklagten verwandelte sich in Presse und Funk in Lächerlichkeit.

Die Haft im KZ mag also nicht ein Beweis sinnvollen Widerstandes sein. Heute wird nicht einmal mehr hoch gewertet, wenn jemand illegale Flugblätter verteilt und sich damit ans Messer geliefert hat, weil kein Ergebnis des Kampfes sichtbar geworden sei. Was wird nun als Widerstand gewertet? Im weitesten Sinne und von der Masse der „Mitläufer" würde darauf wohl so geantwortet werden, wie in der bekannten Anekdote der Franzose antwortete, den nach 1815 ein anderer fragte, was er während der 25 Jahre der Revolution getan habe: „Ich habe sie überlebt." Auch ein tschechischer Publizist schrieb 1945 in einer ähnlichen Diskussion: „Wir waren alle im Maul des Tigers.“

Wenn man aber von aktivemWider- Stand oder Antinazismus spricht, meint man die zähe und gefährliche Arbeit der vielen Zehntausende von Männern, die an verantwortlichen großen und kleinen Posten aushielten und zu helfen, zu retten, zu warnen, zu bremsen und zu sabotieren versuchten. Wer die Mechanik, die ungeschriebenen Gesetze und Kampf regeln, die Sprache der Camouflage und die selbstverständliche Nötigung zur Tarnung in diesem zähen Ringen nicht kennt, dem bestreitet man das Recht, in der Frage des Widerstandes mitzureden. Darum hat man hierzulande wenig Sinn für eine Entnazifizierung, die es gerade manchen kühnen Gegnern des Nazismus oft schwer macht, ihre „Entlastung“ durchzusetzen, während sie hundertprozentige Gesinnungsgenossen Streichers als „Mitläufer“ entschlüpfen läßt.

Einer der besten Männer aus dem Kreise um Weizsäcker, der Geograph und Diplomat Albrecht Haushofer, dessen „Moabiter Sonette“ zu dem wenigen dichterischen Gut der Zeit gehören, das übrigbleiben wird, hat dieses Ende vorausgesehen, und was ihn bedrückte, war nicht die Aussicht des dro henden Todes, sondern das Bewußtsein, daß er und seine Generation nichts mehr zu sagen haben würden, denn die Sieger, äußerte er schon 1943 zu einem Freunde, brauchten immer ihre sechs bis sieben Jahre, ehe sie merkten, daß sie mit der dritten Garnitur schlecht fahren.

Ein wohl zufälliges, jedoch günstiges Zusammentreffen ist es, daß zur selben Zeit, da in Nürnberg am Fall Weizsäcker Grundsätzliches geklärt wird, über zahlreiche deutsche Bühnen Zuckmayers Drama „D e s Teufels Genera 1“ läuft, das einzige von einem Emigranten geschriebene Stück, von dem Publikum und Kritik der Ansicht sind, es gebe die Probleme des inneren Kampfes, die Atmosphäre und das Kräfte- spiel der Nazizeit einigermaßen richtig wieder. Gewiß, auch hier bleibt manches Literatur und Theater. Die Offiziere sprechen sehr oft nicht wie deutsche Offiziere der Hitlerzeit, sondern wie Literaten der Ära Stresemann. Die Kernfrage aber ist an der richtigen Stelle angeschnitten worden. Waren auch nicht alle Udets des Teufels

Generale und nur wenige Oderbruchs aktive Saboteure, so waren die meisten doch des Teufels Soldaten und des Teufels Arbeiter, mußten es sein und durchlebten die gleichen Leiden, Zweifel und Entscheidungen. Es gibt aber ein noch älteres, kürzeres und im Grunde sehr prägnantes literarisches Gleichnis dessen, was deutscher Widerstand war. Wir finden es, vor mehr als hundert Jahren geschrieben, in James Fennymore Coopers „Lederstrumpfgeschichten“. Da treibt ein Kanoe im Strom. Der eine Indianer will e seinen Kriegern retten, der andere es ihm wegnehmen. Im Dunkel stellt er sich, als sei er gut Freund und wolle dem ändern helfen. So zerren sie an verschiedenen Enden nach verschiedenen Richtungen — bis einer den Irrtum merkt und der andere blitzschnell mit dem Tomahawk den Fall entscheidet. Genau so war es. Das Schiff trieb im Strom, wer seinen Kurs ändern wollte, mußte sich mit anhängen und zunächst so tun, als sei er gut Freund. Manche schwammen in sicherem Abstand, andere sahen vom Ufer zu; war das noch Kampf?

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