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Gisevius Fine Gestalt vom Nürnberger Prozeß

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„Da steckt's: Irgend etwas, das jenseits der .natürlichen Dinge' liegt, muß an die Stelle des Diesseitigen treten, eirl in Licht gebornes Geistiges an die Stelle des Erdgeistes oder gar des Geistes der Finsternis. Noch einmal: Das Ideale Ist es, was not tut. Und wenn alles, was die kommenden Jahre brächten, nur Pflicht, Gehorsam, Demut hieße, wenn es statt der Flamme, die heiligt, nur eben ihr Widerschein wäre, der bloß irdisch verklärt, wenn nichts erreicht würde als das Bekenntnis des Unrechts und der Sünde, so hätte die Wiedergeburt begonnen1.“

Fontane

Durch die Veröffentlichung einer Reihe von bisher unbekannten Hintergrundgeschichten aus dem engsten Kreise der verflossenen Machthaber des Dritten Reiches in der Schweizer Presse ist der breiteren Öffentlichkeit der Name Gisevius zuerst vorgestellt worden. Obwohl dieser Name bis vor kurzem nur ganz wenigen Zeugen der Katastrophe, die wir miterleben, etwas zu sagen gehabt hätte, vermochte sein nunmehriges bedrohliches Aufklingen im Gerichtsisaal von Nürnberg immerhin einen Mann mit den Nerven Görings soweit zu elektrisieren, daß er durch seinen Anwalt gegen gewisse von ihm befürchtete Aussagen dieses unbequemen Zeugen sozusagen Repressalien ankündigen ließ. Gleichzeitig sah sich der amerikanische Hauptankläger Jakson zu der ungewöhnlichen Mitteilung an da; Gericht veranlaßt, der vorläufig als Entlastungszeuge für Frick aufgerufene Doktor Hans Bernd Gisevius sei im Gerichtsgebäude Bedrohungen ausgesetzt gewesen. Im ganzen ein Auftritt, der nicht des Sensationellen entbehrt.

Gisevius stammt aus einer Welt, die inzwischen der Vernichtung anheim gefallen ist. Seine Großväter waren Pastoren in den preußischen Ostprovinzen und die Familie seiner Mutter kam aus dem grundbesitzenden Adel Schlesiens. Sein Vater, ein Mann von kindlicher Frömmigkeit, verkörperte als Präsident eines Oberlandesgerichtes die unbedingte Reinheit und Unbestechlichkeit des richterlichen Beamten, der bis in das höchste Alter in der sozialen Arbeit kirchlicher Organisationen tätig war. Zweifellos war auch für den Sohn die Laufbahn des höheren Beamten geradezu vorgezeichnet und noch während der Studienjahre in Marburg an der Lahn schien ein solcher Weg ohne große Ereignisse gesichert. Indes schien es für die Generation, der das Verhängnis von 1918 bereitet worden war, unmöglich zu sein der Politik auszuweichen. In der Studentenschaft begannen die Auseinandersetzungen um brennende Fragen der zukünftigen Volks- und Staatsordnung, die sehr bald Gisevius in die Rolle eines mit neugierigem Mißtrauen betrachteten Einzelgängers drängten, der seine gefürchtete Dialektik und die polemische Schärfe keiner Gruppe zur Verfügung zu stellen bereit war. Die Ausbreitung des kulturellen Sumpfes und die bedauerliche Tatsache, daß den deutschen Linksorganisationen von damals jener Patriotismus abging, der in allen anderen Ländern von jeher als selbstverständ-

lich galt, stießen auch ihn mit einem großen Teil der akademischen Jugend in die Nähe der Rechtsparteien, die sich aber als unfähig erweisen sollten, die später ausgelöste Dynamik in sichere Bahnen zu lenken. Es gab eine Zeit, da man von Gisevius als dem „jungen Mann“ des Geheimrates H u g e n-b e r g von der Deutschnationalen Partei sprach, eine Vorstellung, die insoferne nicht ganz abwegig schien, als der neugebackene Referendar wirklich Aussicht gehabt hätte, der jüngste Abgeordnete des Reichstages zu werden, wenn ihn nicht schon damals Temperament und Gewissen getrieben hätten unermüdlich zu kritisieren, aufzudecken und, um das Entscheidende zu sagen, das erbärmliche Treiben eines kurzlebigen politischen Alltags an den ehernen Maßstäben einer höchstgespannten Ethik zu messen. Im

Büro der nordwestlichen Gruppe der deutschen Stahlindustrie hatte der jugendliche Idealist dann Gelegenheit, die kühlen Rechner unter den Syndici, die keineswegs dem Unternehmertum des Pionier-Zeitalters, sondern der ehrgeizigen Schicht kleinbürgerlicher Industriebeamter entstammten, bei der Handhabung jenes sinnreichen Schlüssels der deutschen Innenpolitik zu beobachten, nach dem die großen Industrieverbände ihre monatlichen Zuwendungen an die politischen Parteien und halbmilitärischen Organisationen vom „Stahlhel m“ bis zum „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ verteilten, bis sich das Zahlungsverhältnis schließlich so weit zugunsten der NSDAP „verschoben“ hatte, daß die demokratische Fehlzündung vom September 1932 unvermeidlich geworden war. Gisevius hat sicher schon damals die Qualen eines Menschen durchlitten, der klar das Geschehen um sich her

durchschaut und die Folgen voraussieht. Seit seinem Eintritt in das preußische und 1932 in das Reichsinnenministerium hatte er, wie kaum einer, Gelegenheit seiner Leidenschaft des Beobachtens zu folgen, und wenn ihn auch das, was er nicht verhindern konnte, zu Ausbrüchen äußersten Zornes reizte, so ergab er sich doch niemals jener dumpfen Verzweiflung, die so viele seiner Kameraden schließlich jeder gesunden Reaktionsfähigkeit beraubte.

Seit dem Sommer 1934, nachdem die „Liquidierung“ Röhms die Praxis des damals noch jungen Regimes deutlich genug angekündigt hatte, wurde Gisevius immer bewußter die treibende Kraft hinter den wiederholten Versuchen die Machtübernahme durch den Nazismus nachträglich doch npch zu korrigieren und durch den Zusammenschluß aller Gegenkräfte die nationalsozialistische Führerclique zur Anerkennung demokratischer Spielregeln zu zwingen und die Machtansammlung in der Fland weniger Gewaltmenschen zu verhindern. Nach den bösen Erfahrungen mit Industriekapitänen und Parteipolitikern warf er die Hoffnung auf eine andere Schicht der zerrütteten Gesellschaft: Er glaubte im Offizierskorps den Eckstein gefunden zu haben, an dem man die Machenschaften entfesselter Emporkömmlinge ohne Moral und ohne Gewissen scheitern lassen konnte. Und es wurde möglich, daß erfahrene Truppenführer, verschlossene Generale, undurchdringlich als Menschen, von der Leidenschaft eines jungen, beinahe unbekannten Beamten von zweifelhafter Stellung im Regime überzeugt, jä hingerissen wurden, so daß sie sich schließlich bereit fanden, um den Preis ihres Lebens das Risiko auf sich zu nehmen, das ein von Gisevius schließlich als einziges Heilmittel verlangter Mordanschlag gegen das Leben Hitlers in sich schließen mußte. In der Tat war er die Seele all dieser geheimen Ansätze und Versuche seit 193 4, wie er auch allein imstande war, durch seine nie versiegende Energie im Kampfe gegen Ermüdung -und Zweifel, gegen Eifersucht und berechnende Klugheit die Verbindung zwischen den einzelnen Gruppen des Widerstandes von Admiral C a n a r i s bis Pastor N i e m ö 11 e r und von Doktor Gör-deler bis zu den Generalen einzelner Wehrkreiskommandos persönlich aufrecht zu erhalten.

Gisevius, der Regierungsrat war und nicht Beamter des Geheimdienstes, war nur im Amt geblieben, weil er geglaubt hatte, Dr. Frick, als dessen politischer Referent er sich anfänglich zu behaupten wußte, zu einer Tat aufrütteln zu können. Er wurde enttäuscht, wie vorher durch den Kotau Seldtes und Hugenbergs vor Hitler in Harzburg und später durch Papens Schweigen zu den Röhm-Morden. Auch diesmal stieß er auf eine Kette von Versagern. So ging Gisevius in die Schweiz und schrieb sein Buch „Bis zum bitteren Ende“. Von dort kam er nach Nürnberg, um glaubhaft zu machen, welche Erlebnisse und Erfah-

rungen einen Mann wie Schacht zu einem Feinde Hitlers werden ließen.

Alles, was Gisevius erkannt und gewollt hat, konnte zu nicht mehr dienen als dazu, etwas Licht in einige sehr dunkle Kapitel der jüngsten Geschichte zu bringen. Sicher werden die Dokumente, die er in dem Safe .einer Schweizer Bank durch Jahre angesammelt hat, seinen Büchern, die zu schreiben ihm seine einzigartige Kenntnis gewisser Vorgänge erleichtert, das Gewicht stichhaltiger Darstellungen verleihen. Vielleicht ist es keine Übertreibung zu behaupten, erseiderbesteKennerder GeheimgescKichte des Dritten Reiches zwischen 1934 und dem Angriff auf Rußland. Aber schließlich ändert dies alles nichts an der furchtbaren Tatsache, daß er heute in Nürnberg als Ankläger für eine ganze geopferte Generation steht, die, ohne eigentlich zur Besinnung genommen zu sein, aus der ersten Phase eines Weltzusammenbrudies in seine zweite gestürzt wurde.

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