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Judas, Pilatus oder … ?

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Der überraschende und etwas zweideutige Aufenthalt des stellvertretenden Ministerpräsidenten der DDR und Vorsitzenden der Ost-CDU, Otto N u s c h k e, in Wien rückt diese für den Nichtkenner der ostdeutschen Verhältnisse nicht ganz durchschaubare Gestalt der sowjetzonalen Politik in das Blickfeld des österreichischen Interesses. Aus persönlicher Erfahrung und aus verläßlichen und vertraulichen Augenzeugenberichten soll die nachfolgende Momentaufnahme sine ira et studio etwas von dieser Problematik verständlich werden lassen.

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Der überraschende und etwas zweideutige Aufenthalt des stellvertretenden Ministerpräsidenten der DDR und Vorsitzenden der Ost-CDU, Otto N u s c h k e, in Wien rückt diese für den Nichtkenner der ostdeutschen Verhältnisse nicht ganz durchschaubare Gestalt der sowjetzonalen Politik in das Blickfeld des österreichischen Interesses. Aus persönlicher Erfahrung und aus verläßlichen und vertraulichen Augenzeugenberichten soll die nachfolgende Momentaufnahme sine ira et studio etwas von dieser Problematik verständlich werden lassen.

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I.

Eines steht fest: Mit den eindeutigen Agentenfiguren und Judasgestalten des Christentums hinter dem Eisernen Vorhang mit oder ohne Soutane hat dieser aus den Tagen der Weimarer Republik stammende deutsche Politiker im Letzten zu tun. Es wird bei seiner ausgesprochen seriös und lehrerhaft wirkenden Erscheinung, dem von Natur aus schlichten und eher kleinbürgerlich wirkenden Auftreten des solid Gebildeten schwer fallen, ihm die geringste Ähnlichkeit mit jenen trunksüchtigen Desperados vom Schlage Pater Plojhars oder den aalglatten, korrekt-brutalen Managern der Art des Außenministers Dertinger nachzuweisen. Otto Nuschke entstammt einer anderen Generation, einer anderen Welt. Wenn man ihn in einem geistigen Herkunftsklima ansiedeln will, so ist es das linke Zentrum der zwanziger Jahre, die Atmosphäre der Erzberger, Müller und Wirth, jener parlamentarisch-korrekten, sachlich- leidenschaftlichen Endglieder der großen, heute in deutschen Landen fast ausgestorbenen Generation des christlichen Debattenparlamentarismus, deren allerfrüheste Ahnen einst Görres und Windthorst hießen. Bei Nuschke, dem frommen Protestanten, war der Trennungsstrich zum wilhelminischen Staatskirchentum ein vielleicht noch stärkerer persönlicher Gewissensakt als bei den in der süd- und westdeutschen Zentrumsopposition aufgewachsenen Gesinnungs- (nicht immer Partei-) Freunden. Im Rotwelsch des alten Weimarer Parlaments nannte man den gewiegten und ausdauernden Debattenredner und seine nicht eben zahlreichen Parteigänger einst die „Nusch- kitos“. Die Gegebenheiten der damaligen Politik hatten zu jener prägnanten Formel geführt, die als letzter der spanische Demokrat Azana verwendet hatte: „Der Feind steht rechts.“

II

Jahre, „tausend Jahre“ und noch einige doppelt wiegende Nachkriegsjahre sind seitdem über Deutschland hinweggezogen, j Nuschke gehörte und gehört wahrscheinlich noch zu denen, für die diese damals durchaus berechtigte Formel den Charakter eines Dogmas, vielleicht sogar eines’ Mythos angenommen hat. Aus dieser einen Wurzel des echten und konse-, quenten Antifaschismus erklärt sich vieles. Nuschke pilgerte dieser Parole nach, der Gassen nicht achtend, während sich unter seinen Füßen die Erde drehte. Er folgte ihm selbst über jenen Nadirpunkt hinaus, in dem sich die Begriffe: zu verwechseln begannen und an dem das verruchte Taschenspielerstück der Hegel - Marxistischen Dialektik ihm Schwarz für Weiß und Weiß für Schwarz erklärte. Und er folgte ihm auch dann noch, als er, glaubwürdigen und schlüssigen Zeugnissen nach, erkannte, was gespielt wurde. Der fixierte Punkt vom rechtsstehenden Feind war diesem Protestanten ein Glaubensbekenntnis geworden. Der fixierte Punkt war geblieben, obwohl sich das Koordinatensystem von einst völlig gewandelt hatte. Der Politiker Nuschke ist zu alt und zu erfahren mit der Eitelkeit der öffentlichen Posten,’ als daß ihn hemmüngsloser Ehrgeiz wie Herrn Dertinger, seinen Ministerkollegen’ in der Ostregierung, ‘getrieben haben könnte, er ist zu klug und gewitzigt, um mit der Naivität Pastor Niemöllers an die Ehrlichkeit des Urchristentums im Sowjetstaat glauben zu können, er ist erhaben über die primitiven Konjunktur» ritter seiner Umgebung, wie den sächsischen Drogisten Dedek, der als Landes» Vorsitzender der Christlich - Demokrati- ‘r sehen Union ein häufiger Gast im käpita- i listischen Sündenbabel West-Berlins “ist, die zweideutigen Glücksritter und eindee» tigen Sowjetagenten. Aber es stėht außer Zweifel: er deckt mit seinem politischen Namen letztverantwortlich die Rolle der ostdeutschen Christlich-Demokratischen Union, die heute, jedes eigenständigen Einflusses beraubt, zur Statistenrolle in der Nationalen Front gezwungen ist, deren Führungsstäbe bis in die höchsten Ränge hinauf mit kommunistischen Ver» trąųensleuten durchsetzt sind und die ihre Weiterexis tenz lediglich ihrer Aufgabe als Stichwortbringer Moskauer Regie verdankt. Wenn somit die politische Existenz des nach dem Kriege aus einer echten evangelischen Substanz (das katholische Element ist dort zahlenmäßig irrelevant) aufbrechenden Christentums - in den mitteldeutschen Gebieten bei lebendigem Leibe vernichtet, Curare-ver- giftet ist, dann hat Otto Nuschke dieses organisierte Selbstmordurteil genau so zu verantworten wie Pilatus sein „So nehmt, ihn denn hin…“ Und dabei ist er nicht einmal ein liberaler Heide wie weiland der Landpfleger von Judäa. Er kann und darf heute weniger denn je fragen: „Was ist Wahrheit?“ Denn er müßte es wissen. Und er weiß es. Man kann sein Mittun, sein williges Auftreten nach kommunistischer Rqgie- anweisung bei den diversesten Schaustellungen nur aus jener innersten Fehl» haltung erklären, die neben dem „Feind- steht-rechts“-Mythos sein und seiner Generation religiös-ethisches Denken beherrscht: jene „Menschlichkeit“, die vor dem Schwert zurückschreckt, das zuweilen das Band zu Vater, Mutter, Bruder und Schwester zerhauen muß, selbst wenn dadurch „Schlimmeres nicht ver» hütet wird“. Er glaubt, durch sein In-die- Bresche-Springen Leben und bescheidenste Atemmöglichkeit seiner christlichen Gesinnungsfreunde erhalten zu können, und übersieht, daß ein solchermaßen erkauftes Leben am Ende den um so sichereren und schmachvolleren Tod nach sich zieht. Er glaubt vielleicht in die Bresche zu springen, während er freiwillig-un» freiwillig blind denen die Leiter hält, die in sein eigenes Haus einsteigen.

III.

Wir haben die ganze persönliche Tragik dieses Mannes und seiner Stellung in jenen Jännertagen 1950 zu Dresden erlebt, als die Großoffensive auf die letz»; ten selbständigen Bastionen des Christentums im öffentlichen Leben begann. Schon zwei Jahre zuvor hatte ihn der Eingriff der sowjetischen Besatzungsmacht, die die gewählten Führer der ostdeutschen CDU Jakob Kaiser und Ernst Lemmef wegen ihrer Weigerung, den rein sowjetischen Kurs mit ihrem Namen zu decken, vom leitenden Sitz gestoßen und in die westliche Exilhaltung hineingezwungen hatte, aus seiner korrekten „Zweitenrolle“ auf die Kommandobrücke des auf offener See treibenden Schiffes gestellt, während der wendige Kollege Dertinger längst das Steuerrad in der Hand hielt. Nun sollte nach einer gewissen taktischen Pause das große Scheibenschießen in den einzelnen deutschen festdemonstration zur Erhöhung der Hungerrationen, wurden auf Lastautos in die Dresdner Tiergartenallee gefahren, in deren parkgeschützter Villeneinsamkeit das Parteigebäude der CDU liegt. Jugendliche schwenkten Transparente und Figuren mit der Aufschrift: „Hick- mann an den Galgen!“ Einige „Aktivisten“ drangen in das Parteigebäude ein, traten vor den Schreibtisch des würdevoll Gefaßten und verlangten seinen sofortigen Rücktritt als Parteiobmann. Der durch die kluge Regie der bereits auf den Posten lauernden innerparteilichen Intriunter Umständen verstanden, wenn ihn technische Gründe von einer rechtzeitigen Rückkehr abgehalten hätten und somit seine Funktion an seinen Stellvertreter Dertinger gefallen wäre. Wider alles Erwarten aber kehrte Otto Nuschke überraschend heim. Zwei Tage später und einen Tag vor der entscheidenden Berliner Sitzung, der letzten Chance der CDU, wenigstens ehrenvoll zugrunde zu gehen und mit einem demonstrativen „Ja“ zu Hickmann ein hörbares „Nein“ zur unverhohlenen Diktatur zu sprechen, fand in Chemnitz das Begräbnis eines sehr populären Pfarrers und aufrechten katholischen Politikers statt. An der Spitze des zu einer Demonstration werdenden Leichenzuges schritten Hickmann und Nuschke in schweigender Erschütterung und stummem Verstehen vor allem Volk nebeneinander.

Am nächsten Morgen präsidierte Nuschke in Berlin bei der geheimen Vorstandssitzung. Er ließ Hickmann fallen. „Das letzte Opfer, das allerletzte, das Wir um des Friedens willen bringen“, sagte er laut und vernehmlich vor allen seinen erschütterten Freunden und seinen auf das kommende Erbe lauernden Feinden in der Partei.

Es ist nicht das letzte geblieben. Es war nur der Anfang.

IV.

Otto Nusdike hat nicht die dreißig Silberlinge des Judas e’mpfangen, er hat sich nicht in arroganter Distanz die Hände in Unschuld gewaschen wie Pilatus … Hört er vielleicht doch zuweilen den Hahn des Petrus krähen? Kann man ihm etwas Besseres wünschen?

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