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Wieland Schmied stammt väterlicherseits aus dem Waldviertel und aus Böhmen, mütterlicherseits aus dem Baltikum. Geboren am 5. Februar 1929 in Frankfurt am Main, ist er aufgewachsen in Mödling bei Wien, wo er 1948 maturierte. Es folgten die Jahre des Studiums an der Universität Wien, zuerst Jus, daneben Völkerkunde, zwei Semester Kunstgeschichte, Promotion an seinem 25. Geburtstag, 1954.

Wieland Schmied ist seit Mai 1952 Mitarbeiter der „Furche“, zunächst vertrat er Dr. Jörg Mauthe in der Kunstberichterstattung. Anfang 1953, nach dem Weggang Dr. Mauthes, wurde er ständiger Kunstreferent unseres Blattes. Das blieb so bis 1959, mit einer Unterbrechung (1956), als er eine längere Griechenlandreise unternahm. Die Zeit als freier Schriftsteller, die sich. 1959 an die ständige Mitarbeit als Kunstkritiker anschloß, ursprünglich herbeigesehnt, blieb nur ein kurzes Zwischenspiel. Ende 1960 folgte Wieland Schmied einem Ruf des gerade übersiedelten Insel-Verlages nach Frankfurt am Main, wo er bis Ende 1962 als Lektor arbeitete. In dieser Zėit brachte er unter anderem „Frost“, den ersten Roman von Thomas Bernhard, Gedichte von Max Hölzer sowie Erzählungen von Albert Paris Gütersloh heraus und gewann H. C. Artmann und Werner Riemerschmied als Übersetzer für den Verlag. Daneben setzte er seine Tätigkeit als Kunstkritiker fort, jetzt als Mitarbeiter der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Seit 1. Jänner 1963 ist Dr. Wieland Schmied Direktor der Kestner-Gesellschaft in Hannover, für die er internationale Ausstellungen moderner Kunst organisiert, die in vielen Städten Europas gezeigt werden und von denen vor allem die Ausstellungen der Werke von Hundertwasser, Richard Oelze, Alfred Kubin, Die Wiener Schule, Victor Brauner und Horst Janssen nachhaltigen Erfolg zu verzeichnen hatten. Aus dieser Beschäftigung mit Bildern erwuchsen aber nicht nur Kunstbücher („Lyonei Feininger", „Hundertwasser“, „Die Wiener Schule“, „Richard Oelze“, „Mark Tobey“ und in Vorbereitung: „Alfred Kubin“), sie wirkte auch befruchtend auf seine dichterische Arbeit. Zwei Publikationen geben davon vor allem Zeugnis, die beiden Liebhaberausgaben: „Wein von den Gräbern“, zu dem Hap Grieshaber Holzschnitte schuf („Ihre Gedichte erinnern mich“, schrieb er an Wieland Schmied, „an meine Zeit auf den griechischen Inseln und haben mich glücklich gestimmt“), und „Seefahrerwind“, einen „Monolog“ — oder auch ein „Gespräch mit den Enkeln“ —, dessen zwei Teile („Aus der Chronik eines alten Seefahrers“ und „Die Masken des alten Seefahrers“) vielfach an die Welt des Kolumbus, an alte Mythen, an die Cantos Ezra Pounds und an altjapanische No-Spiele anknüpfen (von denen Wieland Schmied einige in der Nachdichtung Pounds übersetzte). Zum „Seefahrerwind“ schuf Hans Arp Holzschnitte. Beide Liebhaberausgaben wurden typographisch gestaltet und verlegt von Horst Heiderhoff in Frankfurt am Main, der auch Gedichte von Christine Lavant und Ingeborg Bachmann in bibliophiler Aufmachung herausbrachte, und beide Bände waren rasch vergriffen. Diesen beiden Büchern folgte ein schmales rotes Heft mit zehn Gedichten in der von Horst Heiderhoff und Dieter Leisegang begründeten Reihe „Das neueste Gedicht“, J.-G.-Bläschke-Verlag, Darmstadt, wo es neben den neuesten Gedichten von Karl Krolow, Wilhelm Klemm und W. H. Auden als einziger Band eines Österreichers steht. Ein Band neuer Gedichte, der sämtliche und an verschiedenen Stellen publizierte Gedichte sammeln soll, wird unter dem Titel „Schauplätze“ vorbereitet. Unvergessen sind aber auch zwei frühe Publikationen von 1957, die die charakteristische Doppelbegabung des Autors bezeugen: „Landkarte des Windes“ (Gedichte) und die Notizen zur Malerei „Von den Chinesen zu den Kindern“.

Österreich spielt in den Gedichten Wieland Schmieds der letzten Jahre eine immer größere Rolle; aber es ist nicht unbedingt ein Österreich, wie es hier und jetzt ist, sondern wie es sein könnte, wie es aus Kindheitserinnerungen und Träumen wiederaufersteht, ein traumhaftes, ein geistiges Österreich. Sein Österreichzyklus, von dem einige Gedichte in „Wort in der Zeit“ erschienen, umfaßt bisher neun Gedichte.

Der „Furche“ fühlt sich Wieland Schmied nach wie vor freundschaftlich verbunden, wo er für die neue Kunst mit Charme und Überzeugung eingetreten ist und wo er einige militante Beiträge über Architekturschäden veröffentlichte. Während der letzten Jahre kam er nur selten dazu, für die „Furche“ zu schreiben. Aber wir hoffen, daß sich das in den kommenden Monaten ändern wird. .

Jähr später seinen Namen vergessen. Vom Österreicher indes wird alles, nur eines nicht zu verlangen sein: Ein definitives, abschließendes Urteil zu einer Sache. Er lebt von Provisorien. Er wird so lange bei seiner spontan geäußerten Meinung bleiben, bis es ihm richtig erscheint, sie zu ändern, vielleicht einen Tag lang, vielleicht ein ganzes Leben. Und auch im letzteren Falle wird er der eigenen Ansicht gegenüber genügend skeptische Distanz halten, als daß er sie für endgültig und unumstößlich nehmen würde.

Ich brauche wohl nicht zu betonen, daß jede dieser Arten, spontan oder langsam und überlegt über Kunst zu urteilen, ihre Vorzüge und ihre Schattenseiten hat, daß jede an sich gerade so gut das Richtige treffen kann, wie sie vor Irrtümern nicht gefeit ist.

Der Österreicher folgt bei jedem Urteil, das er abgibt, seinem eigenen Empfinden, er ist Individualist und stets zu Widerspruch aufgelegt. Man möchte eine andere Meinung haben als der Nachbar, möchte sich von ihm unterscheiden, freilich indem man ihn auf die toleranteste Art gelten läßt. Ohne von der eigenen Ansicht wesentlich abzurücken, wird man zu dem, was der Nachbar oder Gesprächspartner im Cafė vorträgt, und sei es dem eigenen auch noch so konträr oder gar kontradiktorisch, wenn auch nur ein bißchen etwas dran sein könnte, nach etlichem Hin und Her schließlich generös sagen: Is auch wahr — die österreichische Formel für das Paradoxon, daß bei einander ausschließenden Sätzen die Wahrheit in der Mitte liegen dürfte.

Österreich ist ein Land für Außenseiter, und darum gibt es dort so wenige, die in Erscheinung treten. Hier dagegen wird man um den Außenseiter lieber einen kleinen Bogen machen, er gilt in der Gesellschaft nicht viel, ist ein wenig verdächtig und wird mehr am Rande geduldet. Bei jedem Urteil, nicht nur in Kunstdingen, folgt man am liebsten einer Kapazität, ist autoritätsgläubig, möchte mit der eigenen Ansicht mit möglichst vielen übereinstimmen, möchte sich bestätigt finden und nicht auffallen. Die lokale Zeitung und, ihr übergeordnet, die überregionale Zeitung, sind solche Instanzen, der Rundfunk, das Fernsehen. Die Institutionen der öffentlichen Meinungsbildung tragen ihren Namen zu Recht, ihr Einfluß ist nicht abzusehen; indes sie in Österreich ihre primäre Funktion stets nur rudimentär zu erfüllen vermögen; der Rundfunk ist hier viel eher bloßer „Lautsprecher“ als Autorität. Der Gemeinschaftsinn, der Bürgersinn, im Norden Deutschlands so überaus stark entwickelt, mangelt dem Österreicher fast vollständig. Der einzelne fühlt sich unmündig, der Staat — früher der Monarch — hat ihm, so meint er, alles an Verpflichtung der Öffentlichkeit gegenüber abzunehmen und nur fallweise einzeln und ausdrücklich zu delegieren, er hat wie ein Vater zu sorgen und alles zu bedenken, als einzelner ist man ein zwar nörgelnder und kritischer, sich aber doch fügender Untertan.

Der Staat wird im Österreichischen seit je stärker als guter Vater denn als gestrenge Obrigkeit empfunden; so ist es zu verstehen, daß sich so viele Österreicher zum Staatsdienst drängen. Auch wenn sie als Beamte getreulich ihren Dienst erfüllen, bleiben sie primär doch immer Privatperson; und es ist die selbstverständlichste Sache der Welt, daß nicht nur Hofräte, Sektionsräte und Ministerialräte ihre Tischzeit um eine Cafėhausstunde zu verlängern pflegen, in der sie, wenn es ihnen Spaß macht, auch Akten bearbeiten und Vorsprachen empfangen.

Man Wird im atemlosen Tempo des Lebens unserer Tage mit all den unbarmherzigen Anforderungen, die hier wie anderswo an den einzelnen gestellt werden, der mit seiner Zeit Schritt halten will, nicht immer Verständnis aufbringen können für eine Lebensweise, die wie die österreichische in vielen Traditionen wurzelt, auf einem geschichtsreichen Boden, der allem jetzt gelebten Dasein eine Tiefe gibt, die, so müßte man sagen, unbeschreiblich ist, hätten Stifter, Lenau, Musil, Broch, Rilke, Gütersloh, Doderer sie nicht beschrieben. Man wird nicht ohne weiteres verstehen, warum in Wien jedermann Zeit hat, Zeit, Wein oder Kaffee zu trinken, Spaziergänge zu machen und mit Freunden zu sprechen; nicht aus Langeweile oder mangels an Beschäftigung, sondern aus einer vielleicht einmaligen Bereitschaft zur Kommunikation, zur Kommunikation mit anderen Menschen, anderen Bereichen, anderen Zeitläufen, einer Bereitschaft viel mehr zur Einfühlung in alles, was war, als zur Abstraktion des Gedankens, die mir weit eher eine Stärke des Niedersachsen zu sein scheint. Man gewinnt in Österreich die Welt aus der Resignation, aus dem Verzicht, und es ist die scheinbar vergeudete Zeit, der übermächtige Untergrund allen Daseins, all das, woran man scheitert, woraus dann die kostbarsten Blüten erwachsen. Man wird im Hannoverschen nicht leicht das Maß verstehen, in dem der Wiener, der Österreicher mit seiner Vergangenheit beschäftigt ist. Man blick hier zurück, um vorauszuschauen. Man glaubt: Bewältigung der eigenen Zeit ist nicht möglich ohne eine Bewältigung der Vergangenheit Vielleicht wird nirgendwo die Vergangenheit, die Last der Väter, das Erbe der vorausgegangenen Geschlechter so schwer empfunden und so ernst genommen wie in Österreich.

Barock, das ist in Wien nicht nur Architektur und Museum, das ist da natürliches Lebensgefühl bis in den Prater hin, und es ist jedermanns Sache, sich wie in Raimunds Zaubermärchen aus einem Alltag wegzuträumen, der einem nicht be- hagt. Österreichs Jahreszeit ist der „Nachsommer“, der das Licht eines nicht stattgefundenen Frühsommers rein verklärt.

Ich habe lange überlegt, welche Jahreszeit wohl die des Niedersachsen genannt werden könnte: Ich dachte an den Juni, wenn zur Sonnenwende am Steinhuder Meer Hammel gebraten und Aale gegessen werden und die letzten Spuren der Hannover-Messe von neuen Kongressen zugedeckt sind, an den August, wenn in der Düneburger Heide das Heidekraut blüht und in den Herrenhäuser-Gärten Shakespeare und Händel gespielt wird, an den Oktober, wenn Jagdherren und Forstmeister in den Wäldern um Springe zum großen Halali blasen oder man sich daheim • zu den ersten Hauskonzerten versammelt, an den Dezember, wenn die Autos, Skier auf dem Dach oder Schlitten im Gepäckraum, in Kolonnen in den Harz einziehen und an den Wegen in den stillen, Park gewordenen Friedhöfen der Stadt, dem Nicolai-Friedhof, dem Garten-Friedhof, Tafeln aufgestellt werden: Betreten auf eigene Gefahr Aber das alles ist noch nicht das ganze Hannover. Ich glaube, die eigenste Jahreszeit ist hier das Frühjahr, wenn sich vieles vorbereitet, das erst kaum oder noch gar nicht sichtbar ist; die unscheinbarste, die am wenigsten prunkende Jahreszeit entspricht dem Hannoveraner am meisten. So wie man in Wien vom Großvater, von der Großmutter spricht, so spricht man hier von den Enkeln, und man lebt auf sie hin. Man schaut voraus, um zurückzuschauen. Man denkt an die Enkel, um sich der Ahnen würdig zu erweisen. Man lebt für die Zukunft, um den Vorfahren nicht untreu zu werden.

Von hier aus ist auch der hochentwickelte Bürgersinn des Niedersachsen und des Hanseaten zu verstehen. Der Bürger fühlt sich verantwortlich für das Gemeinwohl, für das, was in seinem Gemeinwesen geschieht, er ist stets bereit, Fehler, Mängel, Nachteile, die er einmal erkannt hat, abzustellen, auszugleichen, zu beheben. In Österreich werden Fehler nicht behoben, sie pflanzen sich fort, sie breiten sich aus, sie bestehen ewig. Aber es dürfte an der milden Luft Österreichs liegen, daß sie erträglich werden, daß man sich an sie gewöhnt und mit ihnen zu leben lernt, daß man sie hinnimmt und überspielt.

Dem zur Reflexion und Resignation neigenden Österreicher ist der Niedersachse als Bürger, als zoon politicon, weit überlegen. Dieser ist fähig zum Wagnis, bereit sich einzusetzen, für etwas zu kämpfen. Nur hier im Norden Deutschlands hat so etwas entstehen können wie die Kestner-Gesellschaft, getragen von der Bereitschaft des Bürgertums, das sich verantwortlich fühlt für das geistige Gesicht der Stadt, in der man lebt, für das Bild der Gesellschaft, der man angehört, verantwortlich auch, etwas zu tun für die Kunst, die Ausdruck ist der eigenen Zeit.

Diesem Bürgersinn, diesem Leben für die Gemeinschaft steht aber oft eine gewisse Kargheit des Gesprächs, eine Scheu vor Kontakten, eine Abgeschlossenheit im Kreise der eigenen Familie, des eigenen Heims gegenüber. Der Österreicher dagegen lebt für das Gespräch, und sei es ein „Gespräch der Feinde“, und sei es um den Preis, daß sich vieles im Gespräch erschöpft, daß vieles immer nur Wille und Vorstellung bleibt und niemals Realität wird. Der Feststellung nötiger Veränderungen: „Da muß was geschehen!“ folgt stets das bedauernde: „Da kann man halt nix machen!“ und schließlich das tröstliche: „Es wird scho net so schlimm werden!“ — drei Sätze, die immer zusammen auf treten und einander aufheben.

Das politische Interesse, das politische Engagement des Österreichers ist gering. Er glaubt nicht an eine veränderbare Welt, und wenn er an sie glaubte, hielte er sie für ein Unglück. Die österreichischen Zeitungen sind ein gutes Beispiel dieser Geisteshaltung. Der allgemeine politische Teil verliert sich schon auf der zweiten Seite, und dann folgt groß und reich bebildert das Lokale. Ihm sind täglich drei bis vier Seiten gewidmet. Die Kultur, schmächtig eingepreßt zwischen Radio-, Film- und Fernsehprogrammen, beschränkt sich auf Berichte aus Burg und Oper oder genauer, auf Geschichten über Schauspieler, Sänger und ihre weiblichen Pendants, die Wirtschaft ist kümmerlich geraten, und hinter den kleinen privaten Anzeigen feiern nur noch der Fußball und das Skiläufen Triumphe. Aber auch der Sport kann mit dem Lokalen nicht konkurrieren; hier sind die Akzente so gesetzt, daß all dem, was dem Menschen wiederfahren kann, was er erleidet, zehnmal soviel Platz eingeräumt wird, wie dem, was der Mensch geleistet hat, was er tut. Unglücksfälle und Verbrechen, in der Neuen Zürcher Zeitung ein paar Absätze, in der Hannoverschen Allgemeinen vielleicht ein Zweispalter, den täglichen Gerichtssaalreport nicht gerechnet, werden in den Wiener Mittagblättern in einer genießerischdetaillierten Breite dargeboten, die die Konsumtion des Schrecklichen zum Genußmittel, wenn nicht zur Droge werden läßt. Der Österreicher ist in seinem Element, wenn er nachmittags im Cafe bei einem gestreckten Mokka Flugzeugabsturz, Fabrikbrand oder den Mord an der Hausmeisterin Schluck für Schluck zu sich nehmen kann.

All das andere, wo der Mensch nicht die Rolle des wehrlosen Opfers des Schicksals einnnimt, sondern aktiv in Erscheinung tritt, also die Vielfalt urbaner Leistungen und Planungen, wird in wenigen Zeilen abgetan, soweit nicht die Parteipresse sich verpflichtet fühlt, die Tätigkeit ihrer Mandatare hervorzuheben. — Ich brauche das Gegenbeispiel der Hannoverschen Zeitungen, mit ihren ausführlichen Abschnitten über Politk, über kommunale Belange, über Wirtschaft und ihre umfangreichen Feuilletons, nicht zu erläutern, es ist uns aus der täglichen Lektüre vertraut. Es mag dies der masochistische Zug des Österreichers sein, daß er in den Zeitungen eher nach Unglücksfällen und Verbrechen sucht als nach einer Darstellung dessen, was er geleistet, was er aus eigener Kraft hervorgebracht hat. Denn das ist einiges, nicht nur auf kulturellem Gebiet. Der Österreicher arbeitet viel, auch wenn er es nicht zugibt. Er schämt sich seines Fleißes. Daß er viel arbeiten muß, um zurechtzukommen, hält er für eine Schande, die er peinlicher verbirgt als die etwaige uneheliche Abkunft. Er möchte, daß ihm alles leicht von der Hand geht und keine Anstrengung kostet. Er zweifelt an seinen Fähigkeiten, wenn er etwas nicht im Handumdrehen zuwege bringt. Er möchte alles spielend und nicht „mit Gewalt“ schaffen. Er wird stets leugnen, daß ihm irgend etwas Mühe gemacht hat und behaupten, das habe er gerade so zwischen Mittagessen und Jausenbrot erledigt, so wie man wohl voll Stolz feststellen mag, daß eine Sache ein gutes Stück Arbeit gekostet hat. Und wie der Beamte, wenn sein Vorgesetzter kommt oder ein Besucher eintritt oder ein Kollege eine Frage an ihn richtet, das private Telefongespräch abbricht, das Frühstück wegsteckt und die Zeitung schleunigst in der Schublade verschwinden läßt, so wird der gleiche Beamte in Österreich sich bei seinem Telefonpartner lang und breit entschuldigen, daß er nun aufhören und wieder arbeiten müsse, da einige Kunden warten, er wird, wenn er gerade über einem Akt saß, diesen beiseiteschieben und die griffbereit liegende Zeitung heranziehen, um sich als Müßiggänger zu tarnen und nicht etwa als Streber zu erscheinen, oder der Sekretärin vorschlagen, eine Kaffeepause ein. zulegen. Ja, es kann sein, daß er weit über seine Dienstzeit hinaus tätig bleibt, nur um tags die Fiktion aufrechtzuerhalten, er habe wenig zu tun, werde spielend mit allem fertig und fühle sich im Büro wie zu Hause.

Vielleicht darf man sagen: Der Niedersachse — wenn auch keineswegs von schwäbischer Tüchtigkeit — liebt die Arbeit, ist stolz auf sie, fühlt sich in ihr zu Hause. Deshalb arbeitet er, um glücklich zu sein. Der Österreicher liebt das Zuhause, deshalb tut er während der Arbeit so, als wäre er daheim, richtet seinen Arbeitsplatz so gemütlich wie möglich her. Er versucht, aus der Arbeit ein Spiel oder, wie man in Wien sagen würde, einen Sport zu machen, um glücklich zu sein. Im Endergebnis ist beides vielleicht gar nicht so weit voneinander entfernt

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