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KNURRICULUM VITAE

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In Deutschland fingen während der Naziherrschaft alle Selbstbiographien mit dem Satz an: „Ich stamme aus altem Bauerngeschlecht.“ Damit ist es bei mir nichts. Trotz eifrigen Suchens habe ich in keiner meiner Vorfahrenreihen in Jahrhunderten auch nur einen einzigen Bauern entdecken können.

Ein paar für mich wichtige Jahreszahlen stelle ich im folgenden zusammen:

1892 wurde ich geboren, und zwar in Riga, das damals noch zum russischen Kaiserreich gehörte und sich, kleine Friktionen abgerechnet, im allgemeinen wohl dabei befand.

1919 verheiratete ich mich.

1908 sah ich mich zum erstenmal gedruckt — mit Gedichten in einer provinziellen Zeitung, deren Einfluß und Verbreitung ich zu überschätzen geneigt war.

1922 wurde in der „Frankfurter Zeitung“ mein erster Roman veröffentlicht.

1923 erschienen meine beiden ersten Bücher: jener Roman und ein Band Novellen. Beide sind mit Recht vergriffen, verbrannt, vergessen.

1937 wurde ich aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen, „da Sie nicht geeignet sind, durch schriftstellerische Veröffentlichungen am Aufbau der deutschen Kultur mitzuarbeiten“.

1942 wurde mein in der Nähe von München gelegenes Haus zerstört. Darauf siedelte ich nach Tirol über. Von dort gelangte ich vier Jahre später in die Schweiz.

1913 kam ich zum ersten-, glücklicherweise nicht zum einzigenmal in meinem Leben in das Land südlich der Alpen. Ich hoffe, noch oft hinzukommen.

1948 49 lebte ich in Rom, unweit der alten Stadtmauer, in der Gegend zwischen dem Kolosseum und dem Lateran. Über diese Stadt, zu der mich eine nie . zu sättigende Sehnsucht zieht, habe ich ein Buch geschrieben. 1902 bis einstweilen 1952

Gerne lege ich Patiencen. Freilich sehe ich in ihnen kein Orakel, sondern benutze sie als Erholung und Konzentrationsübung zugleich.

Meine Haupt- (nicht Lieblings-) Beschäftigung besteht jedoch darin, die schlechten Gedicht- und die nicht besseren, wohl aber selteneren Prosamanuskripte zu lesen, die mir von Unbekannten ins Haus geschickt werden, und zu erwägen, wie ich antworten könnte, ohne entweder der Wahrhaftigkeit oder der Humanität und Höflichkeit allzu derb ins Gesicht zu schlagen.

Seit einem Jahrzehnt lebe ich ohne Telephon. Ein Versuch, diesen Zustand zu ändern, mußte nach wenigen Monaten aufgegeben werden und hinterließ mich erschöpft. Seit alle mir bekannten Ortschaften dem Weltpostverein, und sei es in noch so lockerer Form, angeschlossen sind, kann, wer mir etwas mitzuteilen wünscht, mich ohne Schwierigkeiten erreichen. Doch verhehle ich nicht, daß ich die Erfindung der Post für verhängnisvoll halte.

Am ersten Weltkrieg nahm ich auf deutscher Seite teil. Nachher gehörte ich Zur Stoßtruppe der Baltischen Landeswehr. Ich war Kornett, denn so hieß bei uns die Offizierscharge vor dem Rittmeister. Heute kennt man diesen Titel nur noch von Rilke her, der über Liebe und Tod des Kornetts Christoph Rilke ein Buch geschrieben hat.

Über Liebe und Tod des Kornetts Werner Bergengruen zu schreiben, wäre verfrüht. Allen, die sich anheischig machten, meine Biographie zusammenzustellen oder meine Autobiographie zu verlegen, habe ich bisher zu anderen Sujets geraten. Memoiren zu verfassen, mag ich mich — als ein mündlicher Mensch — nicht entschließen: Alles, was an meinen Erlebnissen irgendeine Wichtigkeit hatte, steht, wie mir scheint, leserlich, wiewohl transformiert, in meinen Büchern, das rein Private aber bleibe in der Privatschatulle.

Obige Bemerkungen stellen das Maximum dessen dar, was ich mir an Äußerungen über meine persönliche Daseinssphäre entreißen zu lassen beabsichtige.

beweist das nicht nur, daß der Autor nie mit wirklich geöffneten Augen einen Revolver gesehen, sondern daß er auch nie begriffen, ja nie einen Gedankeh darauf verschwendet hat worin das Prinzip des Revolvers, dieser wahrhaft umwälzenden Waffe, im Gegensatz zum Prinzip der ihm vorausgegangenen Pistole alten Stils, eigentlich besteht. Was für ein Monstrum an Umfang, Gewicht, Unhandlichkeit müßte eine sechsläufige Waffe sein, uhd noch dazu eine für die Hosentasche bestimmte! Schon über dem Putzen müßte man den Verstand verlieren können. Diese Schreiber haben das Wort „sechs- schüssig“ gehört und machen ein „sechsläufig" daraus. Das heißt also: sie schrei

ben außerhalb der Anschaüühg, außerhalb der Richtigkeit, außerhalb der Wirklichkeit.

Nun kann allerdings nicht jeder Schreiber oder gar jede Schreiberin über Schußwaffen orientiert sein (obzwar ich an der Meinung festhalte, ein Mensch mit Art- schauungs- und Vorstellungsgabe müßte, auch wenn er hie mit Optik zu tritt, gehabt, doch wissen, daß keine sechsglasigen Brillen hergestellt werden). Abet etwa über Mondphasen, über gesellschaftliche Gepflogenheiten, geschichtliche Hergänge oder über das menschliche Mienenspiel kann sich jeder unterrichten. Ich empfehle meine Gewohnheit, ungewöhnliche Bewegungen des Körpers, Verzerrungen des Mienenspiels vor dem Spiegel zu studieren, bevor ich mich gettaüe, ein Wort über sie niederzuschreiben.

Ich hörte von einer Geschichte sprechen — Titel und Verfasser habe ich vergessen —, in der jemand mit elhem Axthieb ein Spiel Karten halbiert. Die Geschichte mag sonst sein, wie sie will, ich weide an ihr keine Freude haben, weil hier feine Unmöglichkeit behauptet wird. Die tollsten Geistererscheinungen sind möglich, aber mit einer Axt ein Kartenspiel oder mit einem Säbel ein Kissen mitten durchzuschlagen, ist unmöglich, es sei denn, man bediene sich einer Zauberwaffe.

Paul fernst unterschied scharf zwischen dem, was in einer Geschichte wirklich geschah, und dem, wovon der Autor lediglich behauptete, es geschähe. Im zweiten Falle pflegte er geringschätzig zu bemerken: „Das sagt er ja nur!“

Um was es sich hier handelt, das ist nicht jenes Schläfchen, das sich nach dem antiken Wort auch Homer gelegentlich gestattet hat; es ist nicht die Frage, ob einem Autor einmal eine Flüchtigkeit, feine Unaufmerksamkeit unterlaufen ist, wie sie uns allen mitunter zustößt. Nein, fes geht um etwas ganz anderes: um die Demut vor der Objektivität, um die Ehrfurcht vor der Wirklichkeit, um jene Treue im kleinert, die aussagt, schildert, darstellt, aber nicht drumherumredet, jene Treue, für die es nichts Geringfügiges gibt und für die der Fall eines Wassertropfens oder feäümblattes die gleiche Würde des Realen hat wie der Brarid einer Weltstadt. Das ist der Unterschied: bei gewissen modischen Autoren ist nichts richtig, bei Tolstoj oder Gottheit alles. Mir fällt das Wort ein, das Christus zu Nikodemus gesprochen hat: „Wenn ich von irdischen Dingen zu euch rede und ihr mir hicht glaubt, wie werdet ihr dann glauben, wenn ich zu euch von himmlischen rede?" Das heißt, auf unseren Gegenstand abgewandelt: wenn diese kleinen realeh Dinge nicht stiirtttien, wie sollten die dem Geist und der Seele zugehörigen ihre Richtigkeit haben können?

Immer umständlicheres Arbeiten, je älter man wird. Immer wachsende Einsicht in das Wesen der Kunst und ihre Gesetze, immer größeres Mißtrauen gegen die Frische des Einfalls. Was an Erkenntnis gewonnen wird, geht an Kraft verloren. Es kommt nur darauf an, daß der Erkenntnisgewinn dein Kraftverlust gegenüber im Vorrang bleibt. Erst wenn der Kraftverlust den Wettlauf gewinnt, ist das Ende da. Es kann aber das Glück gegeben sein, daß diesein Rennen durch das Eingreifen des Todes der manifeste Austrag versagt bleibt.

Es gibt nichts Dümmeres als die stoffliche Betrachtung von Dichtungen. Da macht jemand angesichts einer Erzählung — und gar noch in der Meinung, etwas besonders Interessantes vofzubringen — die Bemerkung, der Stoff sei ihm bereits begegnet. Stoffe sind frei, Faust-, Lear-, Potiphar-Dichtungen gibt es in Menge, und es werden immer neue geschrieben werden. Das einzige, worauf es ankommt, ist dies: daß der Dichter solchen Stoffen die Merkmale seiner Seele und seines Schicksals aufprägt.

Das Anfällen neuer, mich fesselnder und verlockender Novellenstoffe vollzieht sich bei mir unverhältnismäßig geschwinder als die Ausführung, und so bedingt

dieser embatras de richesse einen ständigen Wettlaüf, in welchem ich nicht hoffen darf, zü gewinnen. Aber das Natürliche für einen Aütor scheint eigentlich der entgegengesetzte Fäll zu sein. Wie verlegen um Stoffe sind die meisten, wie mühselig ist gettteinhih die Suche, und wie groß 1st die Freüde dessen, der ein Sujet gefunden hat oder gefunden zu haben ttieint! Mich bedroht und bedrängt eihe Überfülle ah Stoffen, nicht ein Mangel. Und hier ist ein Mißverhältnis. Nämlich, da ich ja nicht auf eine erzväterhaft lange Lebenszeit rechnen kann, müßte ich, um „fertig" zu werden, die Schaffensleich- tigkeit der alten spanischen Dramatiker öder, um bei der Novelle zu bleiben, des Paul Ernst haben; das würde der Zahllosigkeit meiner Stoffe und Pläne entsprechen. Nun aber bin ich ein langsamer Uhd mühsam schaffender Mensch Und habe mich damit äbzüfirtdert.

Ich sehe mich nicht recht imstande, meine Gedichte zu erklären,- andere können das viel besser. Es ist mir ungemein verdrießlich, wenn ich datum angegangen werde, etwa mit der Frage: „Was wollten Sie mit dem und dem Gedicht sagen?" Da läßt sich doch nur antworten: Nichts anderes, als was darin zu lesen steht. Kann dies nicht verstanden werden, so ist entweder das Gedicht mißglückt oder der Ftager. Was also gibt es zü reden? Ich habe das Gedicht doch gerade gemacht, weil mir das, Was ich ausdrücken wollte, eben auf eihe andere Weise nicht ausdrückbar schien. Und was für einen Sinn hätte denn ein Gedicht, wehn sich das in ihm Gesagte genau so gut ih einigen umschreibenden Prosasätzen mitteilen lifeße?

Kahrt ich es aber gar hicht umgehen, mich kommentierend zu äußern, so tue ich das gern in der Weise, als spräche ich vom Gedicht eines fremden Poeten: vielleicht ist hier darän zu denken möglicherweise könnte diese Stelle aber auch so ausgelegt werden eher scheint mir, das und das Wort sei hier ih dem Und dem Sinne gebraucht

Als ich in jungen Jahren anfing, allerlei Problematiken nachzugehen, fiel es mir auf, daß ich den Gegensatz von Form uhd Inhalt nicht zu begreifen vermochte. Erst spät erkannte ich, daß diese vermeintliche Unfähigkeit meiner Art mich vor einem der verhängnisvollsten aller Irrtümer bewahrt hat.

Das Geheimnis jeder Menschendarstellung in der Dichtung ist der Eingang alles Individuellen in das Typische und die Faßlichmachung alles Typischen im Individuellen.

Hier liegt einer der großen Irrtümer der Moderne: Das individuelle ist das Mittel oder die Vorstufe. Nicht das Individuelle ist am Typischen, sondern das Typische am Individuellen sichtbar zu machen. Das Individuelle 1st von Haus aus gleichgültig, denn es ist zufällig. Es hat seihe Ehre nur daVön, daß es das Typische aufleuchten läßt. Jä, es vollendet sich überhaupt erst im Typischen. Hat es das geleistet, so fälle es in die Anonymität zurück.

Vielleicht das höchste, dem der Erzähler nactittachtfen muß, ist die epische Lauterkeit. Die Klarheit und Prägnanz der Fabel wird ganz von selbst die Klarheit und Prägnanz der Sprache herbeirufen. Es gibt merkwürdigerweise immer noch Leute, die eihe prägnante und lautere Sprache für simpel, eine geschwollene, hochgeschraubte und unechte für dichterisch halten. Es ist mir nie ein besseres Lob gespendet worden als der Tadel eines

Berliner Buthkritikers, der schrieb: „Ber- gengruens Fehler ist, daß er in der Prosa nicht Dichter genug ist.“

Alles Dichten gleicht einem Gespräch, das man in einer fremden und nur höchst notdürftig beherrschten Sprache führt. Man sagt nicht das, was man sagen möchte und müßte, sondern nur das Wenige, das auszudrücken man gerade noch die Fähigkeit hat. Das Eigentliche bleibt ungesagt und geht bis ans Ende mit dem Lebten des Dichters als ein unablässiges Insuf- fizierizbewußtsein mit. Glücklich jener, dessen Empfindungs- und Gedankenschatz so eingeschränkt ist, daß er sich mit seinem bescheidenen Wortvorrat deckt.

Im dichterischen Prozeß werden Dinge ausgesagt, die weit über das geistige, weit über das seelische Vermögen des Aus- sagers hinausgehen können. Dieser ist er selbst, er ist es im allerhöchsten Gräde und ist doch zugleich ein Nichtselbst, ein Sprachrohr, ein Filter. Bilder und Worte machen sich selbständig. Aber ein völliges Sichselbständigmachen der Worte müßte zum Gestammel führen und in die Leere, wie ein völliger Verzicht darauf in die Dürre. Der Dichter soll ja fortgerissen werden durch sich selbst, fortgerissen durch die Worte, die er erschafft und die dennoch aus einem ihm unzugänglichen Abgrunde fließen. Aber wie weit darf er es wagen, sich diesem Strome anzuvertrauen?

Lernbar ist in der Dichtung vieles, lehrbar nichts. Erfahrbar ist in der Dichtung vieles, lernbar nichts.

Das Kriterium eines Gedichtes ist seine Unentbehrlichkeit: es hat etwas zu verkünden, das in Prosa nicht ausgesprochen werden kann.

Zwischen Denken und Dichten findet ein ständiger Prozeß der Anziehung und Abstoßung statt, der Befehdung und der Ergänzung. Nicht daß der Dichter dumm

sein soll — aber an irgendeinem Punkt wird er immer eines intellektuellen Gebrechens bedürfen.

Arbeiterdichter lasse ich so wenig gelten wie Offiziersdichter, Ingenieurdichter, Professorendichter oder Staatsanwaltsdichter. Entweder ist einer ein Dichter, dann ist es mir gleich, ob er sich seinen Lebensunterhalt mit Fabrikarbeit, Börsengeschäften oder Stundengeben verdient hat. Oder er ist keiner, und dann ist auch mit der Berufung auf eine angeblich von ihm repräsentierte Schicht und Welt nichts getan.

Auch das treffendste, das glücklichst gewählte Wort ist nur etwas wie ein Codewort oder ein stenographisches Sigel. Schmerzlich empfindet der Mensch die Ärmlichkeit und Unzureichendheit der Sprache; und sollte doch dankbar sein dafür, daß, was ihm an Empfindungen des Herzens, an Erlebnissen der Sinne und der Seele gewährt wird, allezeit größer ist als seine Fähigkeit, es auszudrücken.

Was unsereinen gegen die Tendenzdichter einnimmt, ist etwas ganz anderes, als was diese Dichter und ihre Schutzredner glauben. Schon gar nicht ist es die Farbe und Richtung der jeweiligen Tendenz, es ist aber auch nicht die überredenwollende Absichtlichkeit ihres Dichtens oder der hier geübte Mißbrauch der Dichtung, sondern etwas viel Allgemeineres. Es ist, daß diese Leute die Welt verbessern wollen, und das soll der Mensch nicht. Wer es will, hat weder Ehrfurcht noch Demut noch Heiterkeit, und gerade diese drei sind uns am nötigsten. Wo sie sind, ist die Welt von selber gebessert.

Aufgabe des Dichters ist das Laut- und Offenbarmachen. Aber ich liebe das Schweigen, die Verborgenheit und den heiligen Johann von Nepomuk.

Aus „Das Geheimnis verbleibt“. Arche-Verlag, Zürich

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