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MEIN FREUND BERNANOS

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Wenn,es mir in Zukunft nicht mehr erlaubt wäre, in meiner Heimat zu schreiben, was ich mir denke, dann würde ich sie wiederum verlassen und einen noch entlegeneren Winkel dieser Welt aufsuchen, um an neuen Büchern zu arbeiten, in der Hoffnung, sie könnten eines Tages, und wäre es lange nach meinem Tod, der Sache dienen, der ich mein Leben geweiht habe.“ Diese Worte, die Georges Bernanos ein paar Monate vor seiner Heimkehr nach Frankreich 1945 in Rio de Janeiro als Schlußsatz einer autobiographischen Notiz niederschrieb, zeigen, wie gering die Hoffnungen waren, mit denen er sein brasilianisches Asyl und Exil zu verlassen sich anschickte. Es ist bekannt, daß auch diese schwachen Erwartungen noch enttäuscht wurdei und daß er sich wirklich bald in die Wüsten von Tunesien zurückzog, „um an neuen Büchern zu arbeiten“. Die einzige Frucht freilich, die dort noch reifte, waren „Die Gespräche der Karmelitinnen“, die als Bühnenwerk unter dem deutschen Titel „Die begnadete Angst“ in Wahrheit auch in unseren Landen noch lange nach seinem Tod der Sache dienen sollten, der er sein Leben geweiht hatte.

Diese „Sache“ aber war alles andere als eine Sache — es war der freie Mensch, den er von allen Seiten her bedroht und wie einen Laokoon umklammert sah. Und mit diesem freien Menschen schien ihm zugleich dasjenige auf den Tod bedroht, was er mit hochgemuter Naivität „die allgemeine Christenheit“ zu nennen pflegte, die ihm nicht etwa ein historisches Requisit war, sondern vielmehr das Leitbild für eine zukünftige Gemeinschaft freier Menschen und freier Völker. Diejenigen, die sich die Mühe machen, in Georges Bernanos nicht nur den großen, fast bereits klasr sisch gewordenen Romandichter zu sehen (wobei „klassisch“ sowohl sagen will „als Pflichtlektüre gelesen“ wie „oft nachgeahmt“ ...), sondern auch sein polemisch-politisches Werk ihrer Aufmerksamkeit zu würdigen, entdecken mehr und mehr, daß hier das gleiche Klima herrscht, die gleichen Mächte wirken und die religiösen Dimensionen der Höhe und Tiefe nicht minder gegenwärtig sind wie in den eigentlichen Dichtungen. „Der Grad der Einbürgerung des Dichters in die Nation ist sehr verschieden diesseits und jenseits des Rheins“, schreibt Robert Minder im ersten seiner „Fünf Essays über Kultur und Literatur in Deutschland und Frankreich“ (Insel-Bücherei), wenngleich wir vielleicht mit einem Seitenblick auf Thomas Mann sagen können, daß die Exilsituation solche Gegensätze mildert; denn auch der spröde und berührungsscheue Deutsche hat gerade in den Kriegsjahren vom Ausland her als „Ausgebürgerter“ sich durch sein mahnendes und forderndes Wort einen ungewöhnlich hohen Grad der Einbürgerung erworben. Dennoch ist es wahr, daß Bernanos sich während dieser Zeit in ganz besonderer Weise „mobilisiert“ fühlte und Frankreich zwar nicht seinen alt und brüchig gewordenen Leib, wohl aber seine Bücher als Wehr und Waffen anbot, geschriebene und ungeschriebene.

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Als ich den Fünfundfünf zig jährigen in Brasilien kennenlernte, im Februar 1943, war dieses Opfer schon gebracht, wenn er auch nicht ahnte, daß es endgültig wäre. Immerhin umkreisten schon damals seine Gedanken nur noch den höchsten Gegenstand dichterischer Gestaltung: die Person Jesu Christi, ganz und gar nicht als Objekt theologischer Spekulation, die ihm eher als durchaus unangemessen vorkam, sondern als der Idealfall und Hochgipfel dessen, wozu manche seiner Romanflguren als Vorstudien und Einübungen gelten mochten und was ihm eben dann doch nur verfremdet und verkürzt in irdisch-geschichtlicher Brechung in den „Gesprächen der Karmelitinnen“ gelingen sollte — sie sind sein ..Leben Jesu“ im Puppenstand. In den Jahren unserer freundschaftlichen Nähe und Verbundenheit aber

war Kampf und Kleinkrieg des Alltags. Nicht nur mußte das tägliche Brot für die vielköpfige Familie im fremden Land mühsam verdient werden; schon das war aufreibend genug. Hinzu kam die Sorge um Erziehung und Ausbildung der Kinder, ein Problem, das eigentlich unbewältigt blieb und gerade dadurch um so schwerer lastete. Am unnachgiebigsten aber war der Stachel des Gewissens, der Drang zur Aussage, die Verpflichtung zum Zeugnis für die Wahrheit. Das machte ihm viele Feinde und wenige Freunde. So hatte ein mutiges Kirchenblatt in der Nachbardiözese seines Wohnsitzes im April 1944 einen Aufsatz von ihm mit dem Titel „Eine Stimme tsgen die katholischen Faschisten“ abzudrucken gewagt. Die Folge war ein strenger Tadelsbrief des Apostolischen Nuntius in Rio an den Bischof mit dem Auftrag, den Schriftleiter des Blattes scharf zurechtzuweisen. Nicht genug damit', die Bischöfe ringsum begannen sich ebenfalls zu rühren. Einer teilte seinem Amtsbruder mit, „der Artikel des verdächtigen Bernanos habe in katholischen Kreisen großes Unbehagen hervorgerufen“.

*

Es war eine Zeit aufgeregter Leidenschaften, und man muß es im Grund bedauern, daß diese ehrlich besorgten, wenn auch unerleuchteten Seelenhirten nicht jenen Bernanos kennenlernten, der seinen Freunden Haus und Herz öffnete und sie an der innigen Wärme seiner schlichten, aufrichtigen und kindlichen Frömmigkeit teilnehmen ließ. Wenn doch alle diese hätten erleben können, was mir unvergeßlich in Erinnerung bleiben wird: Am Tag nach der Erstkommunion seines kleinen Jean-Loup war ich wieder einmal in seinem Haus in Barbacena und feierte die heilige Messe. Nachher sah ich ihn im Hintergrund der großen Halle sitzen, den Knaben zwischen den Knien, und für ihn und mit ihm die Danksagung halten in Worten, die ich nicht verstand, die aber unmittelbar den Weg zum Herzen des himmlischen Vaters gefunden haben mögen. Der Glaube war ihm eine wirkliche Kraft, ein Ergriffensein vom Geist Christi. Und er hat oft als persönliche Erfahrung ausgesprochen, was das Herrenwort besagt: „Ohne Mich könnt ihr nichts tun.“ Immer ging es ihm um den Menschen, der ihm heilig galt, weil Christus Mensch geworden war. Das unübersetzbare Wort „charnel“ hatte darum für Bernanos wie für seinen innig geliebten Peguy einen sakramentalen Sinn, und er sah den Menschen in allen seinen Ordnungen sowohl als Erlösten wie auch als Miterlösenden an. Als Erlöser aber wie als Erlöster muß der Mensch frei sein können. Und darum wurde Bernanos zu einem leidenschaftlichen Verteidiger der Freiheit, im Wissen um ihren christlichen Sinn. Diese Leidenschaft aber war es eben, die ihm Leiden schuf; um ihn breitete sich Einsamkeit, Unverständnis und Mißtrauen. Mit wem hielt er es eigentlich? Man hat ihm Treulosigkeit vorgeworfen, weil er, der von ganz „rechts“ herkam, plötzlich ganz „links“ zu stehen schien. Aber der Schein trog. Mir war, als ich Georges Bernanos in Freundschaft begegnen durfte, der Mann und sein Werk noch nicht so überschaubar, wie es jetzt, bald sechzehn Jahre nach seinem Tod. der Fall ist. Aber es ging von ihm eine so überzeugende Kraft, die hinreißende Mächtigkeit eines großen und ungebrochenen Charakters, der männliche Mut eines ebenso zarten wie flammenden Herzens aus, daß dem liebenden Umgang mit ihm auch damals schon der deutende Blick gelang. Vierzehn Tage nach unserem ersten Zusammensein mit ihm in seinem Haus schrieb ich ihm in einem Brief ein paar Zeilen, die ihn zutiefst bewegten, wie er mir selbst gestand, und ich weiß auch von gemeinsamen Freunden, daß sie ihn ergriffen in diesem Bild wiedererkannten:

„7cfi glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich Ihnen gestehe, daß ich durch Ihre leidenschaftlichen Blitze und rollenden Donner eine väterliche Zärtlichkeit, eine tiefe Demut, eine grenzenlose Traurigkeit, aber auch einen Trost ohne Bitterkeit gefühlt habe: eine völlige Aufrichtigkeit, die aus den Tiefen einer bewußt bis zu den letzten Folgerungen gelebten christlichen Existenz hervorströmt. Und das alles ist mir mit einer solchen Herzenswärme entgegengekommen, daß ich nicht verstehe, wie so etwas möglich war, und daß ich nicht weiß, wie darauf erwidern, es sei denn durch, die Liebe meines Herzens, die ich Ihnen als Mönch und Priester der Liebe entgegentrage. Bevor ich Sie kennenlernte, fühlte ich eine Art heiligen Schreckens und schwankte zwischen der Anziehungskraft, die von Ihren Werken und von Ihren Leiden ausging, und der Furcht, Ihnen lächerlich vorzukommen. Und nun haben Sie mir Ihr Haus und Ihr Herz aufgetan mit einer Innigkeit ohnegleichen. Wäre ich ein Preuße im sprichwörtlichen Sinn, so wäre ich heimgekommen im stolzen Bewußtsein, beim ersten Ansturm die schönste Provinz Frankreichs erobert zu haben: dos Herz von Georges Bernanos.“

Ich hatte mich nicht getäuscht; sein nächstes Schreiben an mich schloß mit den ergreifenden Worten:

„Ich. denke voll Trauer an Ihre Einsamkeit, an Ihre doppelte und dreifache Einsamkeit in diesem Land. Sagen Sie sich stets, daß ich Ihnen mein Herz und mein Haus aufgetan habe, und daß Sie es für Sie niemals mehr geschlossen finden werden. Gott behüte Sie. G. Bernanos.“

*

Sein Herz und sein Haus sollten mir auch in Frankreich offenstehen; aber leider kam es nicht mehr dazu. Ich konnte nach Kriegsende meine Zelte nicht so schnell abbrechen; wir vermißten einander gegenseitig. Um die Jahreswende 1945/46 schrieb er mir aus Bandol (VAR):

„Drei Wochen nach meiner Ankunft, das heißt nach einem kurzen Aufenthalt in Paris, wußte ich, woran ich ivar. Ich gehe allzu vielen Leuten auf die Nerven... Es wäre mir so wichtig. Sie hier zu haben!... Die Atmosphäre hier fördert alles, was falsch und faul ist. Man fragt sich, wie viele Gewissen aus dieser Art geistiger Pest, die tausendmal schlimmer ist als die großen Epidemien der Geschichte, unangefochten hervorgehen können. Ach. lieber Freund, versuchen Sie doch, zurückzukommen. Bemühen Sie sich nach Kräften. Ich habe alles abgelehnt, was man mir angetragen hat. Ich bin jetzt mehr und mehr froh über die Verzögerung (der Heimkehr aus Brasilien), die unfreiwillig und darum wenig verdienstvoll war; denn sonst hätte ich mich zum

Eintritt in eine Gruppe nötigen lassen, die von vornherein zum Scheitern verurteilt war...“ (Gemeint ist das Angebot, als Kultusminister in der provisorischen Regierung de Gaul-les zu wirken.)

Dann schilderte er sehr drastisch seinen vorhergehenden Aufenthalt, von wo ihm mein Brief gefolgt war:

„Es war ein altes Haus, nicht ohne Anmut, aber zwischen Bergen verloren und auf unmöglichen Wegen zu erreichen. Dort mußten wir bei Kerzenschein und Petroleumlampen leben, es gab keine Elektrizität, Wasser übrigens auch nicht außer einer Zisterne voll Kaulquappen, ohne Bad natürlich, aber auch ohne WC, statt dessen eine Kiste mit einem Loch in der Nähe des Hauses. Dazu fehlten viele Fensterscheiben, und seit ÖfUober starben wir beinahe vor Kälte... Ihre Bilder sind immer in meinem (Meß-)Buch... und der Gedanke an Sie ist mir teuer. Ich habe noch einen anderen Trost: wunderbare und ergreifende Briefe, die ich aus allen Gegenden Frankreichs erhalte ...“

Ein paar Monate später schickte er mir durch seinen Sohn Michel einen Brief nach Rio de Janeiro:

„Mein lieber Pater, ist es denn möglich, daß Sie immer noch in Rio sind? Man sagt mir, es sei alles Notwendige bereits geschehen, um Ihre Rückkehr zu ermöglichen. Jedenfalls hat man mir das versprochen ... Ich vermisse Sie mehr und mehr. Vielleicht gehe ich im Frühjahr nach Deutschland. Ich hätte Ihre Gegenwart so sehr nötig! Beten Sie wenigstens für mich ... Wenn wir einander doch nur wiedersehen könnten! Schreiben Sie mir!“

*

Sein letzter Brief an mich kommt bereits aus jenem ent-legendsten Winkel der Welt, wohin er sich angewidert zurückgezogen hatte. Wie ein verwundetes Tier verbirgt er sich in der Oase von Gabes in Tunesien, krank und in Erwartung einer Operation, von der er sich allerdings nicht mehr viel verspricht:

„Was tut's. Sie wissen, daß ich viel weniger unter wirklichen Krankheiten leide als unter eingebildeten. Gott sei gepriesen für alles. Ich arbeite immerhin mehrere Stunden am Tag. Aber die Artikel, die ich schreibe, um leben zu können, nehmen mir meine ganze Zeit. Ach, kommen Sie doch! Gott möge es fügen, daß ich Sie bald wiedersehe. Vielleicht fehlen nur Sie mir!... Kommen Sie. Sagen Sie dem hochwürdigsten Vater Abt, welche Erinnerung ich an das Kloster bewahre und an alle, die dorin wohnen. Ich schließe die Augen, ich sehe den stillen Hof, die steinerne Bank, und der Friede senkt sich über mich. Ich liebe Sie sehr innig, Sie wissen es. Wenn Gott mich noch am Leben erhält, dann wollen wir noch vieles gemeinsam tun! G. Bernanos.“

Das sind schon die Töne der „Gespräche der Karmelitinnen“, Todesschatten scharf über dem Sand der Wüste, die aber das Licht nur heller leuchten lassen. Weil er sich von der Liebe Gottes getragen wußte und von der Liebe derer, die ihn in Gott liebten, wurde ihm der Abschied leichter, die Agonie erträglicher. Zwar gab es noch bis in seine letzten Tage, wie die Zeugen berichten, Ausbrüche seiner Leidenschaft, Anfälle von Wut und Empörung, aber von innen her wuchs in ihm die Stille und die große Bereitschaft. Wie er es vorhergesagt und vorausgewünscht hatte, ging der Knabe, der er einst gewesen, an der Spitze des Zuges seines ganzen Lebens und betrat als erster das Himmelreich mit der kühnen Herausforderung: „Ä nous deux.“ Immer hatte er in Partnerschaft gestanden, stets im Gespräch, im Kampf, in der Liebe. Wir dürfen glauben, daß sein letztes Wort, das den Menschen vernehmbar war, zugleich das erste war. das Gott von seinen Lippen annahm. „Die Kindheit habe ich verloren“, so hatte er mir einst geschrieben, „und ich werde sie nicht zurückerobern können, es sei denn durch Heiligkeit... Ach, beten Sie für mich, denn wenn ich die Reinheit der Kindheit verloren habe, so scheint es mir. daß ich ihr dennoch nahe bin durch gewisse natürliche Einfalt.“ Im Tod war er ganz zu sich selbst gekommen. Seine Bücher aber wirken, wie er es vorhergesagt hatte, fort. Es sind auch heute noch die Werke eines Lebenden, weil es die Werke eines Liebenden sind.

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