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Das Stille zu bewahren ..

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Im Forsthaus Kleinort im südlichen Ostpreußen wurde Ernst Wiechert am 18. Mai 1887 geboren. In der Einsamkeit der unberührten Natur wuchs er mit seinen zwei Brüdern auf. Der dunkle Wald mit seiner Stille und seinen Tieren prägte ihn. „Er speiste und tränkte mich, er wuchs in mein Blut, wie eine Mutter in das Blut ihres Kindes wächst.“ Wiecherts ganzes Leben war ein Lauschen auf die Natur, die ihm in vielfältiger Art entgegentrat. Auch die Menschen, denen er begegnete, waren für ihn ein Stück dieser Natur.

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Im Forsthaus Kleinort im südlichen Ostpreußen wurde Ernst Wiechert am 18. Mai 1887 geboren. In der Einsamkeit der unberührten Natur wuchs er mit seinen zwei Brüdern auf. Der dunkle Wald mit seiner Stille und seinen Tieren prägte ihn. „Er speiste und tränkte mich, er wuchs in mein Blut, wie eine Mutter in das Blut ihres Kindes wächst.“ Wiecherts ganzes Leben war ein Lauschen auf die Natur, die ihm in vielfältiger Art entgegentrat. Auch die Menschen, denen er begegnete, waren für ihn ein Stück dieser Natur.

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So sehr er die Natur liebte und aus ihr lebte, so fern war ihm die Geschichte. Er hat später nie einen „historischen Roman“ geschrieben, er hat auch nie seiner persönlichen Herkunft, seinen Vorfahren nachgeforscht. Die Ordnung der Natur war ihm die Ordnung des Ewigen. Daneben waren ihm die Ordnungen der Menschen, ob es der Staat, die Gesellschaft oder die Kirche war, nebensächlich und unbedeutend. Sie alle hatten sich messen zu lassen an den Maßstäben des Ewigen.

Die festgefügte Ordnung der frommen Försterfamilie gab ihm in seinen ersten zehn Lebensjahren einen Halt, von dem er ein Leben lang zehrte. Hier begegnete er der Bibel, hier fand er die Ehrfurcht vor dem Leben und den starken Glauben an Gott als den Herrn aller Natur. Sein Vater gab ihm den ersten Unterricht, später kamen Hauslehrer in das abgelegene Forsthaus, bis der Elfjährige 1898 nach Königsberg auf die Oberralschule kam und von jetzt an nur noch seine Ferien in den Wäldern zubringen konnte.

Ostern 1905 bestand er die Reifeprüfung, studierte anschließend Naturwissenschaften, Deutsch und Englisch. Auch jetzt blieb er der Einsame, der er schon in der Schulzeit gewesen war. Stark prägten ihn dafür die Monate, die er als Hauslehrer bei der Familie eines baltischen Barons Grotthuß zubrachte, der 1905 vor der Revolution aus Rußland geflüchtet war. Nun waren ihm selber junge Menschen anvertraut. „Zum ersten Mal begriff ich, daß in einem Unterricht Takt mehr sein konnte als Wissen, daß Schweigen mehr war als Reden und daß es ebenso wichtig war, junge Herzen zu führen als junge Geister. Zum ersten Male auch, daß der Lehrende mehr lernt als der Lernende und daß die Pädagogik nicht eine Wissenschaft ist, sondern eine hohe Kunst und vielleicht die höchste von allen Künsten, weil sie um Menschenherzen geht.“

Dieser hohen Kunst ist Wiechert sein ganzes Leben lang treu geblieben, nicht nur in den Jahren, als er den Lehrerberuf ausübte (1912—1933), sondern auch später, als er nach der Verleihung des Raabe-Preises ein Haus am Starnberger See erwarb und sich nun ganz dem Schreiben seiner Bücher widmen konnte.

Wiechert war tief durchdrungen von dem Auftrag, den er als Dichter empfand: „Das Stille zu bewahren, das Müde zu erneuern, das Große zu verehren, das Leidende zu Heben“. Dieser Auftrag geht durch all seine Bücher, von der vor dem Ersten Weltkrieg geschriebenen „Flucht“ bis zur „Missa sine nomine“, die im Jahre seines Todes erschien. Seine Sprache traf die Menschen seiner Zeit, besonders die Jugend; seine Bücher wurden viel gelesen, es bildete sich um ihn eine Lesergemeinde, die spürte, wie er für ihre Schmerzen, Fragen, Freuden und Versuchungen immer neue Bilder fand. Er fühlte sich als Bruder der Erniedri-ten und Geschlagenen, er wußte, was für Menschen ihn aufsuchten. „Sie kommen nicht, wenn sie das Glück in ihren Händen halten. Sie kommen nur, wenn der Zweifel an ihren Wurzeln frißt, die Enttäuschung sie lähmt, der Schmerz sie schüttelt, die Sehnsucht in ihnen brennt.“

Dabei konnte er sich nicht einfach an den Schreibtisch setzen, er mußte warten, bis es über ihn kam, doch dann schrieb er fast wie im Bausch. Nach der „Flucht“ folgten „Der Wald“ (1922), „Der Totenwolf“ (1924), „Die blauen Schwingen (1925), „Der

Knecht Gottes Andreas Nyland“ (1926), die Novellenbände „Der silberne Wagen“ (1928) und „Die Flöte des Pan“ (1930), „Jedermann“ (1931), „Die Magd des Jürgen Doskocil“ (1932), „Das Spiel vom deutschen Bettelmann“ (1932), „Die Majorin“ (1934), das Schauspiel „Der verlorene Sohn“ (1935), „Der Todeskandidat“ (1934), „Die Hirtennovelle“ (1935), „Wälder und Menschen“ (1936), der Novellenband „Das heilige Jahr“ (1936).

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1933 und 1935 wurde er eingeladen, vor der Studentenschaft der Münchener Universität zu sprechen. In seiner ersten Rede „Der Dichter und die Jugend“ begnügte er sich noch mit Andeutungen: „Meine Freunde, es sei einem Dichter, der heute in das Gesicht der Jugend sieht, erlaubt, es mit Sorgen zu sehen ... Ihr seid die erste Jugend, die, seit ich lebe, etwas empfangen hat, was wir niemals empfingen: Macht. ... Aber, vergessen Sie nicht, es wird auch viel gelitten in einer Zeit, in der die Jugend auf den Stuhl des Richters gesetzt wird und den Stab zu brechen hat über Leben und Werk... Seid demütig, meine Freunde, nicht vor den Menschen, aber vor Gott, denn wem die Macht verliehen wird, hat nicht nur zu beugen, sondern auch aufzurichten.“

Zwei Jahre später, im April 1935, vier Tage vor Hitlers Geburtstag, sprach er wieder vor den Studenten in München, wieder als einer, der sich nicht vor den Menschen fürchtet. Diesmal war seine Rede „Der Dichter und die Zeit“ wie die Schau eines alttestamentlichen Propheten: „Ja, es kann wohl sein, daß ein Volk aufhört, Recht und Unrecht zu unterscheiden und daß jeder Kampf ein .Recht' ist. Aber dieses Volk steht schon auf einer jäh sich neigenden Ebene, und das Gesetz seines Unterganges ist schon geschrieben. Es kann auch sein, daß es sich einen Gladiatorenruhm gewinnt und im Kampf ein Ethos aufrichtet, das wir ein Boxerethos nennen wollen. Aber die Waage ist schon aufgehoben worden über diesem Volk, und an jeder Wand wird die Hand erscheinen, die die Buchstaben mit Feuer schreibt.“ -~

Seine Rede von 1933 konnte noch gedruckt werden, die von 1935 nicht mehr. -Er wurde zu einem Beobachteten. Aber er konnte nicht schweigen: „Sehr früh hat in meiner Seele eine Grundlage meines Wesens sich gezeigt: die Unfähigkeit, einem Unrecht schweigend zuzusehen, wenn die Beugung nicht gleichzeitig die vor dem Recht oder der Größe sein konnte.“ (Wälder und Menschen, 1936). Er setzte sich öffentlich für Eduard Spranger und Martin Niemöller ein. 1937 schrieb er die Erzählung „Der weiße Büffel oder von der großen Gerechtigkeit“, in der er den Weg des Inder jungen Vasudeva beschrieb, der erst den Weg der Rache, der Macht und Gewalt geht, bis ihn seine Mutter zu einem neuen Leben führt, das nun der Gerechtigkeit, der Liebe zu den Armen und dem sich selbst opfernden Dienst an den Entrechteten gehören sollen.

Wiechert reiste 1937/38 durch Deutschland, um öffentlich aus dieser Novelle vorzulesen. Seine Lesungen wurden verboten. Dagegen protestierte er in einem Brief an Goebbels, wofür er noch 1938 ,zur Umerziehung“ in das KZ Buchenwald eingeliefert wurde. Kaum jemand wagte es nach seiner Entlassung, die Verbindung mit ihm. aufrechtzuerhalten. 1939 konnte noch sein Roman „Das einfache Leben“ erscheinen, für die „Jeromin-Kinder“ erhielt er keine Druckerlaubnis mehr. Heimlich schrieb er den Bericht über das Lager Buchenwald („Der Totenwald“), die Blätter vergrub er im Garten.

Nach Kriegsende sprach er nach zehnjähriger Pause wieder vor Studenten in München. Wieder sprach er aus einem unruhigen Herzen, zugleich nannte er als sein Vermächtnis: „Daß es von dieser Stunde an niemals und unter keiner Bedingung einen deutschen Staat zu geben hat, in dem einer oder zwei oder drei das Recht besitzen, ein ganzes Volk auf die Schlachtfelder zu schicken, ohne vorher das ganze Volk zu befragen, Mütter und Söhne zu befragen ... Denn auf den Schlachtfeldern verbluten niemals die zwei oder drei, sondern auf ihm verbluten die Mütter und die Söhne, und wenn uns nichts auf dieser Erde gehört, so doch wenigstens das Blut unserer Herzen, und in unsere Hand muß es gelegt sein, ob sie es an ein blutiges Phantom hingeben oder an die Werke der Liebe und Menschlichkeit. Erkennt bis zu eurem Herzensgrund, was die Gewalt ist, die Lüge, der Haß, das Unrecht, die Phrase. Und wenn ihr es erkannt habt, dann sät es aus in die Herzen des kommenden Geschlechts.“

Wiechert siedelte 1948 in die Schweiz über und schrieb in der Stille auf dem Rüti-Hof: 1949 erschien „Jahre und Zeiten“, 1950 „Missa sine nomine“. Er hatte in den ersten Nachkriegsjahren erlebt, daß „der Prophet in seinem Vaterland nichts gilt“. Dennoch schrieb er kurz vor seinem Tod: „Ich wußte, daß ich bei aller Einsamkeit nie allein sein würde, daß ich niemals ohne Verantwortung sein würde, niemals ohne Trost, niemals ohne Glauben. ... Es war mir, als hätte Gott mir alles vergeben, was ich in Einsamkeit und schmerzlicher Liebe gegen ihn gesprochen und gefehlt hatte.“ Ernst Wiechert starb am 24. August 1950.

HANS CHRISTIAN BRANDENBURG

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