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Leutnant Friedrich

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Sein Vater war ein Selfmademan, der seinen Weg mit Beharrlichkeit, Energie und Rücksichtslosigkeit gegangen war und es zu etwas gebracht hatte. Ein großgewachsener, derber Mann, der es verstand, seine Fabriken zu einem Zeitpunkt zu verkaufen, da es am günstigsten war und sie ihm am meisten einbrachten. Da zog er sich auf sein Waldgut an einem Bergsee zurück und führte ein Landleben mit Jagd, Fischerei und einiger Geselligkeit. Dem Wein war er nicht abgeneigt. Die Frau, blaß und still, starb früh. Sie entstammte einer edlen, verarmten Familie mit dünnem Blut. Nur ein Kind hatten die beiden, das war Friedrich.

Er entbehrte mütterlicher Fürsorglichkeit und Liebe. Unter der Obhut seines rauhbeinigen, lebensfreudigen Vaters wuchs er auf, genoß alle Freiheiten und führte ein wildes Bubenleben zwischen Bergen, See und Feldern. Er fing Tiere und manchmal quälte er sie auch, aber im ganzen geriet er nicht übel. Mitunter zeigte er Herz und Mitgefühl, auch Sinn für Gerechtigkeit. Er war verträumt und neigte zu Jähzorn.

In die Stadt entsandt, im Internat, wo er sich „bilden“ sollte, gedieh er zum Schrecken seiner ihm körperlich unterlegenen Mitschüler und seiner Lehrer, die mit dem hochfahrenden, ungezügelten, wenngleich schlau-intelligenten Jüngling ihre Not hatten. Dabei erwies er sich als begabt, er lernte leicht, doch nichts gewann bei ihm Bestand und für nichts interessierte er sich mehr als flüchtig. Mit schlechten Zeugnissen und frühreifer Durchtriebenheit sowie einer guten Portion eilig erworbener Menschenverachtung kehrte Friedrich zum Vater an den See in den Bergen zurück.

Dort führte er sich wild und zügellos auf. Er jagte, fischte und trank. Einige Zeit erfreute den rauhen Vater des Sohnes „jugendlicher Ueberschwang und Ungestüm“. Bald aber wurde er dessen überdrüssig. Der immer neu einlaufenden Klagen über des Sohnes ungebärdiges Wesen, der in fremden Revieren jagte und Bauern traktierte, überdrüssig, erzwang er Aussprachen und drang darauf, daß Friedrich in sich gehen, einen vernünftigen Wandel beginnen und einen Beruf ergreifen sollte. Der stritt dagegen, sie brüllten miteinander, daß es im Herrenhause gellte, und Friedrich, türenschlagend, verließ das Haus und schlug sich ins Gebirge.

Nach sieben Wochen kehrte er zurück, abgerissen, zerlumpt, mager, mit dem wilden und flüchtenden Blick eines Tieres. Sein Vater schwieg, glücklich, daß der Einzige heimgekehrt war, den er schon hatte suchen lassen. Friedrich setzte sein altes Leben fort.

Da brach der Krieg aus und er rückte ein. Vielleicht erwies der Krieg sich als eine gute Schule für diesen heftigen, im Grunde gutartigen Menschen, dessen Leben der rechten Steuerung ermangelte, dachten viele. Er machte Frontdienst, kämpfte in Wolhynien und Galizien und in den Schlachten am Isonzo. Er wurde Offizier, ausgezeichnet, verwundet, beurlaubt. Daheim erschien er verändert, ernster, weniger ungebärdig, aber gleichzeitig erschien sein Wesen jetzt verschlossener. Er konnte manche Menschen mit einem kalten Blick ansehen, daß ihnen graute. Ein wenig hinkte er auch. Sein Vater lud Nachbarn und Freunde ein, aber der Sohn schien wenig Gefallen an der Gesellschaft zu finden. Er sah gut aus, doch seine neue abweisend-spöttische Art schreckte die meisten zurück. Er isolierte sich bewußt. Oder hatte er mit den Daheimgebliebenen zuwenig Gemeinsamkeit, er, der so früh und eindringlich das Dunkle und Furchtbare des Menschendaseins sah? Man verstand ihn nicht. Vielen blieb er ein Rätsel.

Bald war er wieder im Gefecht. Er tat sich hervor, hohe Auszeichnungen wurden ihm verliehen. Bei Kriegsende galt er als vermißt. Sein Vater, alt und verdrossen geworden, sehnte sich nach ihm und verweifelte daran, den einzigen Sohn und Erben noch jemals wiederzusehen. Da kam er, ausgemergelt, grauhaarig und hinkend, bei Nacht und durch den Wald, die offenen Straßen meidend, aus der Gefangenschaft ins väterliche Haus zurück. Aber ein Holzknechr, der ihn im Walde sah und kaum erkannte,meldete im Dorfe, daß Leutnant Friedrich zurückgekommen sei.

Nun blieb er bei seinem Vater und erholte sich von den Strapazen und Wunden des Krieges. Ein wenig ging er dem Alten an die Hand bei der Bewirtschaftung des Gutes. Die Zeiten waren schlecht. Der Besitz stand ungünstig. Inflation und schlechte Ernten hatten einen guten Teil des ehemaligen Wohlstandes vernichtet. Es wurde knapp im Hause. Da fand der Alte, Friedrich müsse sich nun verheiraten. Er meinte, der Sohn solle eine „gute Partie machen“. Friedrich aber antwortete nur mit bitter-spöttischem Lachen auf solchen Ratschlag und ging auf die Jagd.

Sein neuer Sport war das Segeln. Dabei behinderte ihn sein Gebrechen nicht. Er war bei jedem Wind und auch bei Sturm auf dem See zu finden, er wurde ein meisterlicher Segler, und hier und da nahm er auch an Konkurrenzen teil und siegte oder unterlag, je nach dem Glück des Tages. Sein Vater fand, er hätte sich nützlicheren und einträglicheren Beschäftigungen widmen können, aber im geheimen war er doch stolz auf seinen eigenartigen Sohn, der nicht wie andere war und eigene Wege ging.

Als Leutnant Friedrich gerade bei einer Segelmeisterschaft auswärts war, starb der Vater ganz plötzlich, und der Sohn, heimkehrend, fand ihn als Toten vor. Da war kein Wort mehr zwischen ihnen, keine versäumte Freundlichkeit, kein Abschied, keine Erklärung. Bei dem Begräbnis ging Leutnant Friedrich, hager, lang und leicht das eine Bein nachziehend, in Uniform hinter dem Sarge her, unbewegten Gesichtes, und hinter ihm zog sich das trauernde Gefolge als schwarze Schlange durch den grünen Tag.

Dann schloß er sich ins Arbeitszimmer ein und studierte mit Fleiß die Bücher. Er ließ den Notar kommen und verkaufte vier Fünftel seines Besitzes; Wälder, Felder, Aecker, Vieh, Gerät. Die alten Knechte und den Verwalter entlohnte er großzügig und bedachte sie mit Häusern und Gründen für ihren Alterssitz. Nur das Herrenhaus und den Garten behielt er sich und Geld aus den Verkäufen, genug, um Jahre sorglos leben zu können. Er begann ein spartanisches, knausriges Leben. Er schränkte sich ein. Einen Teil des Hauses vermietete er. Noch immer fuhr er fort, bei stürmischem Wetter mit seinem Rennboot über die hellen Wogenkämme zu jagen, abei Konkurrenzen bestritt er keine mehr. Zur Winterszeit, wenn es sehr still und einsam im Bergland wurde, schrieb er Artikel und Romane, die vom Krieg handelten. Mitunter druckte man die eine oder andere Arbeit von Leutnant Friedrich. ,

Er hatte nun viel Zeit. So widmete er sich der Zucht edler Hunderassen. Hinter dem Herrenhause hatte er einen Zwinger und ein Trainierfeld eingerichtet. Er liebte seine Hunde sehr und verwendete viel Mühe, Zeit und Geld für sie. Auch reiste er zu Ausstellungen und Prämiierungen mit seinen Tieren und sie brachten ihm mitunter den einen oder anderen Preis ein. Doch seine Mittel nahmen ab, er geriet in Schulden.

Eine Seuche raffte alle seine Hunde dahin. Das traf ihn hart, wenngleich er sich's nicht anmerken ließ. Er wurde schwierig zu behandeln, er konnte keine Magd mehr finden, die bei ihm blieb, die Nachbarn mieden ihn. Er war sehr einsam, nur ein letzter Hund, ein alter, roter Schäferhund, war ihm geblieben, ein gewöhnliches Tier, das nicht aus seiner Zucht stammte und die Seuche überstanden hatte. Mit diesem wanderte Leutnant Friedrich in den Bergen umher, oder er saß nächtelang wach daheim und schrieb an seinen Werken. Aber es wollte nicht recht vorangehen damit, er hatte wenig Erfolg.

An einem späten Herbstabend, als ihn ein Unwetter überraschte ihm hohen Gebirge, erkältete er sich. Eine Lungenentzündung warf den einsamen Hartnäckigen nieder. Der Dorfarzt behandelte ihn. Langsam überwand seine starke, zähe Natur die Krise. Er genas allmählich. In dieser Zeit, während er fiebernd lag. strich der Hund hungrig und wildernd im Walde umher und wurde von einem jungen Förster niedergeschossen.

Wieder gesund, erfuhr Leutnant Friedrich von dem Geschehenen. Er nahm es tragisch auf. Der Hund war freilich der letzte Gefährte seines verfehlten, einsamen, verrieselnden Lebens gewesen. Er ging zur Försterei und trat vor den Förster und fragte ihn dreimal, ob er seinen Hund erschossen hätte und ob dies notwendig gewesen wäre. Der junge Mann bejahte dreimal. Da sprang Leutnant Friedrich vor und schlug ihm kreuz und quer mit der Hundepeitsche ins Gesicht. Als der heulende Mann um die Flinte rannte, um den Beleidiger niederzuschießen wie seinen Hund, war Leutnant Friedrich schon verschwunden.

Er erhielt eine Vorladung, vor Gericht zu erscheinen. Er tat es nicht. Er wurde verurteilt, Buße zu zahlen, er reagierte nicht. Er wurde zu Haft verurteilt und man holte ihn ab; er ließ es unbewegten Gesiahts geschehen. Sofort trat er in Hungerstreik. Nach siebzehn Tagen war er mager und apathisch. Verwandte setzten sich für ihn ein, er wurde aus der Haft entlassen. Den Entkräfteten mußte man in sein Herrenhaus fahren.

Dort blieb er allein, Besucher wies er ab. Eine Zeitlang bediente ihn eine alte Magd. Der Winter kam. Man sah ihn nie. Man glaubte, er habe den Verstand verloren, man drang am Ende gewaltsam bei ihm ein.

Da lag er tot im Bett. In Liniform. Er mußte vor wenigen Stunden verschieden sein. Die Augen waren geschlossen. Das Antlitz zeigte den alten, bekannten, in sich gekehrten, der Welt abgewandten Ausdruck. Seine Kriegsauszeichnungen und Sportpreise und all die Diplome und Preise, die seine Hunde gewannen, hatte er um sich versammelt. Zu seinen Häupten hing ei Kruzifix, zu seinen Füßen lag ein alter, rostigjer, schartiger Säbel.

Die Leute aus dem Dorfe standen da und iahen ihn an und begriffen nichts und ahnten doch vieles. Und obgleich keiner von ihnen ihn Je geliebt, lag doch etwas von Scheu und beinahe Ehrfurcht in diesen Blicken, mit denen sie Leutnant .Friedrich betrachteten, als ahnten die

Einfachen, daß hier ein Leben zu Ende gegangen, das seiner Bestimmung entglitten war, durch eigene Schuld, durch Macht des Geschicks, durch den Einfluß unkontrollierbarer Gewalten, die der Menschen Leben leiten; und als man ihn zu Grabe trug, ging fast das ganze Dorf mit dem Sarge und gab dem Toten ein schweigendes Geleit.

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