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Peter Anich, der STERNSUCHER

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18. Fortsetzung

„Ich meine, es gibt doch nichts Schöneres auf der Welt als die Rechenkunst.“

„So, glaubt Er?“

„Die Sterne sind freilich noch schöner.“

Der andere lachte hell auf und schlug nach einem überhängenden Kirschenzweig, daß die weißen Blüten auf den Weg hinschneiten. Dann schwiegen sie wieder.

Das Glück in Peter aber war zu mächtig, als daß er es schweigend tragen konnte. „Ist es nicht seltsam, daß ich dich angetroffen habe?“ sagte er nach einer Weile. „Wenn du gestern diesen Weg gegangen wärst, wüßte ich jetzt nichts von dir, auch wenn die Mutter heut früh nicht über die Zeit verschlafen hätt. Ich müßte dann ohne die heilige Pi und ohne das Geheimnis des Herrn Pythagoras vor die hohen Herrn in Innsbruck treten, wie einer, der eine Truhe voll von Fragen und Erfahrungen mit sich schleppt und den Schlüssel daheim vergessen hat. Ich hätte dich aber auch nicht angetroffen, wäre es dem Herrn Kurfürsten in München nicht eingefallen, daß er einen tüchtigen Meister für seine Kanonen braucht, und am End ist das alles nur so gekommen, weil du damals hast von der Hohen Schule müssen. Sonst säßest du heut in Wien als ein gelehrter Herr, und ich war dir niemals über den Weg gelaufen.“

„Donner und Gloria, Türken und Tataren“, rief der Soldat, „und wenn meine Mutter nicht meinen Vater geehlicht hätt und dein Vater nicht deine Mutter, und dein Urgroßvater nicht deinen Großvater gezeugt und mein Urgroßvater nicht der Sohn meiner Ururgroßmutter gewesen war —, beim Heiligen Römischen Reich, die Herrn Jesuwiter werden an dir ihre Freude erleben und ich gab mein halbes Leben, wenn ich auch nur eine Woche in Innsbruck mit dabei sein dürfte.“

„Es ist doch so“, sagte Peter, „mir scheint das alles nicht gar so arg zum Lachen.“

„Weil Er das heimliche Gesetz nicht kennt.“

„Was für ein Gesetz?“

„Das erfährt nur einer, der viel in der Welt herumkommt und mancherlei Menschen begegnet. Es läßt sich auch nicht einfachhin beweisen wie ein Rechenexempel, aber wahr ist es. Jeder Mensch findet, was er wahrhaftig und ernstlich sucht, aber nur, wenn er einen Genius mit sich trägt. Er hat einen solchen Genius — bild Er sich nur nichts darauf ein — aber Er hat einen, sonst hätt Er heut einen Sauschneider oder Weinhändler angetroffen und nicht einen Philosophen und Mathematikus von Profession. Da gibt es kein Wenn und Aber und weiter auch kein Wunder, der Genius fügt es so od~r er fügt es nicht Ein anderer merkt jedes Fischlein in den Bächen, weil er eben auf Forellen aus ist, und wieder einer sieht auf dieser Straße eine Menge Hasen, an denen wir beide vorbeilaufen, weil wir nicht hinter Hasen her sind. Und wieder ein anderer trifft bald eine Menge feiner Weiber und schäkert ungestraft mit einer, die dem Herrn Dummerjan als ein Muster aller Züchtigkeit erscheinen mag. Auch gibt es Leute, die es auf die ganz Dummen abgesehen haben, denn es läßt sich von solchen Strohköpfen leicht und gut leben, und seltsam, d'ese Leute treffen auf Schritt und Tritt solch ein Kamel oder auch nur ein Schaf, das sich mit Vergnügen scheren läßt und sich dabei weiß Gott wie weise dünkt. Gar so verwunderlich ist also unser gesegnetes Zusammentreffen nicht.“

Knapp vor dem Wirtshaus begann der Fremde indes plötzlich erbärmlich zu hinken. Er seufzte, der Weg falle ihm jetzt über die Maßen schwer und er habe im Eifer des Gesprächs sein krankes Bein mehr strapaziert, als ihm dienlich sei, auch tat ihm ein frischer Trunk not. Das sei er aus dem Welschland so gewöhnt wie die Sonne und den ewig blauen Himmel und das Meer Er trat auch sogleich in die Wirtsstube und ließ sich einen Maßkrug weißen Terlaner vorstellen, merkte aber, als er bereits zum Trunk ansetzte, daß Peter noch immer unschlüssig in der Tür stand. „Warum trinkt Er nicht?“ schrie er ihn an, „ist Ihm der Wein zu gut, oder macht Ihn die heilige Pi allein schon besoffen?“

„Ich hab bloß einen Gulden bei mir“, sagte Peter, „den aber brauch ich für die Salbe.“ „Mach Er keine blöden Witze!“ „Du weißt doch, daß ich nicht mehr Geld bei mir hab.“ Peter löste den Gulden umständlich aus dem Säckelchen: „Da ist meine Geldkatze.“

Der Soldat wandte sich lachend ab und trank. Im Augenblick aber spie er den Wein auf die Diele, stieß den Krug weit von sich, daß die Tropfen über den Tisch rollten, und hieb, da jetzt auch der Wirt herbeieilte, mit dem Degen in den Tisch. „Was erlaubt Er sich einem kurfürstlichen Artilleriemeister und Philosophen für ein Gesöff vorzusetzen?“ brüllte er. „Ich habe acht Tage in Terlan selber gesoffen und weiß, was das für ein Wein ist. Den Dreck sauf er selbst und danke Gott, dem Gott der Beutelschneider und Wucherer, daß ich heut mildtätig gestimmt bin.“

Der Wirt kannte wohl seinen Kunden. Er sagte vorerst, da ihm wohl der Degen doch zu blank funkelte, nichts, wischte den Tisch ab und blickte zu Peter hinüber. Peter aber stand schreckhaft verlegen in der Tür und rührte sich nicht. Er stammelte eine Entschuldigung, aber so, daß er sie selber kaum hören konnte. Dann hielt er dem Wirt den Gulden hin.

Draußen aber kam im gleichen Augenblick ein Wagen aus der Richtung von Innsbruck her angefahren. Darauf saßen zwei blutjunge Dirnen, mit weißen Gesichtern und schwarzen lebhaften Augen, und vorn auf dem Kutschbock ein alter grämlicher Mann. Ob sie auf dem rechten Weg nach Telfs seien, rief das jüngere von den Mädchen. Sie seien es, sagte Peter, sie brauchten nur immerzu der Straße nadi fahren über Kematen und dann im Tal nach Zirl hinüber. Der Soldat aber schob ihn jetzt beiseite, sprang an den Wagen heran und zog den Hut. „Was weiß denn der dumme Bauer“, rief er, „so einfach ist der Weg nicht zu finden. Da braucht es schon einen Führer, der die Straßen kennt. Danket Gott, daß ich in der gleichen Richtung reise und noch ein schönes Stück über Telfs hinaus. Und wenn euch ein verwundeter Feldhauptmann keine allzuschledite Gesellschaft dünkt, bring ich euch gern und sicher und auf dem nächsten Weg nach Telfs.“ Der Alte brummte etwas, die beiden Frauenzimmer aber tauschten verschämte und doch willige Blicke. Der Soldat aber hob sich mit mächtigem Schwung auf den Wagen, auch sein krankes Bein behinderte ihn nidit, und ehe sie noch um die Ecke waren, saß er auch bereits zwischen den beiden hellauflachenden Mädchen.

„Behalt nur deinen Gulden“, sagte der Wirt, „daß ich dich von diesem gefährlichen Schnapphahn befreit hab, kannst du mir ja doch nicht bezahlen.“

„Ein Schnapphahn mag er wohl sein“, sagte Peter und steckte den Gulden wieder umständlich in sein Beutelchen, „ob er auch ein Schwindler ist, wird ja bald die Pi erweisen.“

Der Wirt starrte ihn an und beutelte mitleidig den Kopf. Peter aber rannte jetzt aus dem Dorf.

Außerhalb des Ortes ließ er sich neben einem Zaune nieder, riß sein Büchlein aus der Tasche, schlug eine leere Seite auf und schrieb nieder, was er noch im Kopf hatte, die Zahl Pi und den Lehrsatz des Pythagoras. Aber auch später, da er die Türme der Stadt schon vor sich hatte, hielt er immer wieder im Eilen inne und überdachte die beiden köstlichen Dinge. Die Pi stimmte, des war er gewiß, sie war allzu ähnlich der von ihm selbstgefundenen Drei, und als er nach einigen Versuchen ein Dreieck mit den Seitenlängen von drei und vier und fünf Fuß berechnete, da sah er, daß er ohne Zweifel auch den richtigen Sdilüssel zum Triangel besaß. Er redete aber auch den geretteten Gulden an: „Hättest du ein paar Brüder bei dir gehabt, war der Kerl doch vielleicht eher mit mir gelaufen als mit den Frauenzimmern.“ Und er strich zärtlich über das blanke Silberstück, ehe er es wieder in dem Beutelchen verschloß. Soviel er aber über den Fremden noch herumdachte, und ob ihm seine Reden bald höhnisch, bald tröstlich und wahrhaftig klangen, jetzt, da er auf das Stadttor zuschritt, erschien ihm jener Invalid,

oder wer immer er war, doch mehr und mehr

als ein gottgesandter Engel, freilich als ein sehr seltsam gestalteter, aber wer mochte auch mit dem Flerrgott rechten, welcher Engel er sich bediene ...

8. Kapitel

In Innsbruck läuteten, als Peter an das

Stadttor kam, die Glocken zu Mittag. Dies dünkte ihn ein gar festlicher Empfang. Er braudite aber, und auch das dünkte ihn eine willkommene Fügung, nicht sogleich nach der Hohen Schule und die gelehrten Herren fragen, denn sie saßen um diese Stunde sicher bereits bei Tische. Auch entdeckte er weit und breit keinen Menschen, den er leichten Herzens um eine solche Auskunft angegangen hätte. Der Torwart, auf den er so sehr gehofft hatte, stritt soeben mit einem .Weinfuhrmann. Eine Menge Leute lärmten und sdirien darein, so als schlügen sie im nächsten Augenblick einander tot, und Peter drückte sich rasch an den Haufen vorbei. Aber auch die Krämer und Marktleute in den lauten Gassen sahen ihm just nicht her, daß sie sich um gelehrte Dinge sonderlich bekümmerten, die Bauern vor den Wirtshäusern noch weniger, und den geputzten Stadtherren wich er lieber aus, so hochmütig blickten sie über das einschichtige Bäuerlein mit seinem Buckelkorb hinweg.

Den Weg nach Hötting hatte ihm indes die Kathi genau beschrieben. So schritt er denn ruhig durch das Gebraus und Gesums auf die Berge los, die so mächtig über den Dächern aufgebaut waren, viel, viel steiler und näher als die Hohe Munde daheim oder die Kalkkögeln, leuchtender selbst als die Martinswand daheim vor dem Stubenfenster. Er prüfte aber im Vorübergehen alle Häuser und Schilder und Tore, ob er nicht zufällig und so wohlgeleitet wie auf dem Herwege die Hohe Schule fände, gar in der breiten, prächtigen Straße, die geradewegs auf die Nordwand zulief, besah er genau jedes Haus. Diese Straße dünkte ihn vor allen anderen durch Reichtum und Prunk, aber auch durch feine Leute ausgezeichnet, so recht demnach dazu bestimmt, daß sich unter den Herrenhäusern und Kirchen und Palästen die Burg des Geistes und des Wissens einfüge. Er fand sie aber auch hier nicht, und er ward auch nicht ungeduldig, daß er sie nicht fand, denn sein Schädel brummte und summte wie ein Bienenstock, und sein Herz schlug inmitten der fremden Stadt recht verzagt. Daß er eine Schwester in dieser Stadt wußte, eine sehr fremde wohl und eine, die man kaum mehr als ein Geschwister bezeichnen durfte, ward ihm jetzt der einzige Trost.

Als er aber das Inntor hinter sich hatte und die Brücke, in Hötting drüben dann unter den geringeren Häusern den kleinen Kirchberg hinanschritt, fühlte er sich sogleich wieder heimischer. Er traf auch Leute, die er mutig um seiner Schwester Wohnstatt fragte. Sie antworteten freundlich, sie wüßten es nicht, oder sie wüßten es, aber er möge nun nach rechts und dann nach links abbiegen und dann bei einem Brunnen hinter der Kirche noch einmal fragen. Nur blickten ihn jene, die ihm den Weg beschrieben, seltsam fragend an. Peter aber war es genug, daß ein fremder Mensch ihm Rede und Antwort stand, ja er nahm diese Begegnungen als eine Vorübung für jene weit schwierigeren Fragen, die ihm für den Nachmittag bevorstanden.

Später, da er der Schwester gegenübersaß, war freilich alles, was er den Weg über und die Tage vorher bei sich bedacht hatte, wie von einer herzlosen Hand fortgewischt, so erbärmlich war ihre Stube, so eigensinnig und zänkisch, kaum mehr das Abbild eines richtigen Menschen war die Frau. Böse blik-kende Katzen schlichen umher, dennoch roch es scharf nach Mäusen. Die Schwester aber saß kaum gekämmt und in zerfetzten Kleidern vor ihm und lauerte auf jede seiner Fragen und höhnte mit jedem Wort, als sei er ein wildfremder Mensch, ein gefährlicher Eindringling, sicherlich jedoch kein Anich. Dabei glich sie doch zeitweise und gar von der Seite her der Mutter, aber nur, wenn er sich die Gute verdrossen oder, was selten vorkam, strittig vorstellte, und wenn die Schwester einmal im Hören die Augen niederschlug, so merkte er erst recht, wie tief

hier ein Mensch seines eigenen Blutes gesunken war und noch vor ihm sank, und dies bestürzte ihn mehr als alles andere.

Ob er nun auch von daheim ausgerissen sei, dies waren ihre ersten Fragen, endlich auch, dies gehöre ja zu einem rechten Anich und Erben eines Vaters, der in seinem Leben allerlei und nichts Rechtes gewesen sei, ein rechthaberischer und harter Mann am unrechten Fleck. Er möge nur in der Stadt recht glücklich werden, höhnte sie in einem, so glücklich wie sie selbst. Es sei ja für einen Anichbauern der rechte Boden, gleißend und verlockend zu Beginn, die Hölle gleich nachher. Oh, sie habe längst unter fremden hartherzigen Leuten ihre Sünden gebüßt, so arg, daß es keinen Gott geben könne, denn ein richtiger Gott, wie er in den Büchern stehe, müßte sich doch ihrer längst erbarmt haben. Sie aber büße weiter bis an das Ende ihrer Tage. Nur dieses Ende mehr wünsche sie jetzt herbei, es sei auch sdion nah, denn sie sei vergiftet bis ins Herz hinein.

Er sei nicht davongelaufen und denke auch garnicht daran, sagte Peter dagegen, bloß der Mutter halber sei er nach Innsbruck gelaufen, um die rechte heilsame Salbe für ihre offenen Füße, aber auch ihrethalber, um sie von der Mutter zu grüßen. Die liege daheim krank und gräme sich um ihre Tochter, diese aber lebe hier allein und gräme sich um ihren Mann und wohl auch mehr um die Mutter, als sie zugebe. Wenn sich ihr Mann nun einmal verzoger, habe und nicht mehr wiederkommen werde, sie wisse ja, daß es so sei, sei es doch, genau besehen, unklug, hier zu verkommen und zu vegrämen, statt einfach nach Oberperfuß zu gehen und dort ein angenehmes, wenn auch kein städtisches oder bequemes Leben zu führen. Jetzt, wo die Mutter krank liege, die Kathi aber verheiratet sei, fehle es ohnedies an den nötigen Händen. ,

Es gereute ihn, daß er so offen geredet hatte. Die Schwester aber fuhr ihn erst richtig an. Ja, so seien die Aniche, das wisse sie längst; solang es ihnen gut ergangen sei, hätten sie sich um die Marie nicht bekümmert, jetzt brauche man eine Magd im Haus, eine billige Magd, nur daß sie wieder ein paar Gulden dazu ersparten für ihre Marotten. Dazu aber sei sie sich in all ihrem Elend denn doch zu gut.

Fortsetzung folgt

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