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Peter Anich, der STERNSUCHER

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12. For-tSet-zung

Die Mutter griff nach seiner Hand. „Die Vroni kann doch nichts dafür, daß das Unglück so jäh über uns gekommen ist. Es ist auch keine Sünd, wenn der Herrgott uns in so bitteren Tagen ein Lichtlein ins Herz stellt. Das war wirklich keine Sünde, Peter, auch keine Schande vor deinem Vater. Soweit ich es weiß und mit ihm darüber zu reden war, war ihm unter allen Mädchen die Vroni die liebste gewesen.“

„Er ist deshalb auch mit mir nach Gries gegangen“, sagte Peter nach einer Weile. „Doch bloß auf dem Hinweg hat er über die Vroni geredet, auf dem Heimweg nicht mehr. Was aber die künftige Anichbäuerin betrifft, so hat er mir am Abend vor seinem Sterben freie Hand gegeben. Nur dies war sein Wunsch: ich soll nur' eine zum Weib nehmen, nach der ich einen Engel bilden könnt.“

Da wischte sich die Mutter mit der Schürze über die Augen. „Der Vroni kann kein Mersch ein böses Wort nachsagen. Sie war auch nicht bös auf dich.“

„Es hat auch zu deiner Zeit viele Mädchen gegeben, Mutter, und doch hat der Vater nur dich als einen Engel gebildet.“

Nun ward das Weib des Schluchzens nicht länger Herr, denn sie sah ihr ganzes Leben auf getan und schmerzlich beschlossen. Sie drückte den Buben an ihre Brust, und beide schwieger lange in der Dunkelheit.

Am nächsten Abend aber wartete die Mutter wiederum, bis die Schwestern schliefen, dann legte sie fünfzig Gulden auf den Tisch. „Das hat mir der Vater vor einer Woche für dich geben“, sagte sie, „er hat es für den Weg nach Innsbruck und für die Bücher und für die Herrn Lehrer gespart. Nimm es, Peter!“

Er aber schob das Geld zurück. „Wir Wollen das Ersparte lieber für die Unkosten aufwenden“, sagte er, „es wird in der nächsten Zeit wenig Geld ins Haus kommen.“

Die Mutter blickte ihn lange und schweigend an: „Es tat den Vater bitter kränken“, sagte sie nach einer Weile, fcwenn du jetzt auf das verzichtest, was dir das liebste auf der Welt ist.“

„Der Vater hat mir auch darin völlig freie Hand gelassen.“ Er trat rasch unter die Tür. „Was soll ich auch mit solchen Gedanken, wo er nicht mehr ist und mir keiner mehr raten und helfen kann, kein Mensch auPder Welt. Nein, ich will nur mehr Bauer sein und für euch arbeiten. Ich glaube auch . nicht, daß ihn das kränkt, wenn er jetzt auf uns herniederblickt.“

Die Mutter nahm das Geld wieder an ich, und es war von der Stunde ab von diesen Dingen unter ihnen nicht mehr die Rede.

Auch im Dorf war es um Peter bald still. Die gemeint hatten — es waren dies die mehreren —, Peter werde nun gleich nach Innsbruck laufen oder noch mehr seinen Eigenheiten nachhängen, die sahen ihn jetzt nur noch fleißiger auf den Äckern und bei allen Verrichtungen so ernsthaft, wie es einem Bauern ziemt. Das er sich nach der Sonntagsmesse nicht unter die Menschen mengte uhd dem Wirtshaus fernblieb, verwunderte sie weiter nicht. Auch der alte Anichvater hatte es anfangs nicht anders gehalten. Nicht Wenige baten Peter jetzt auch heimlich ab, was sie noch am Begräbnistag über ihn geredet hatten, und etliche sagten gar, für den Buben sei der jähe Tod des Vaters ein wahrer Segen gewesen, ja der Alte habe, was ihm bei Lebzeiten nie gelungen sei, im Sterben einen Spintisierer und Irrgeher zu einem rechtschaffenen und, Wenn der Schein nicht trog, durchaus vernünftigen Menschen gemacht. Es kam nach einem gesegneten Herbst ein böser Winter ins Land mit harten Frösten und schneefreien Saaten, mit meterhohem Schnee im Januar und unzeitigen warmen Winden. Selbst an Hängen, die bisher als sidier gegolten hatten, gingen sdiwere Lawinen ab. In den Wäldern erfror das Wild, Ställe zerbrachen unter der Schneelast, und was die Bauern im Herbst auf den Kematener Feldern gesät hatten, war längst verloren. Ein unguter Sommer folgte jenem Winter, ein Sommer ohne Kirschen, ein kalter windiger Sommer, der den Türken kaum recht ansetzen ließ und das Grummet verdarb. Es kamen aber dann wieder gesegnete Jahre, und die Anichleute hatten ihr Leben. Dennoch schien ihnen mählich, daß der Hof seit Vaters Tod geringer trage. Jetzt erst merkten sie, wieviel Geld der alte Bauer durch seine emsige Arbeit an der Drehbank ins Haus gebracht hatte. Peter aber schickte jede neue Kundschaft fort. Es kamen auch bald nur mehr fremde Leute, die um den Tod des Vaters noch nicht wußten. Er hatte auch die Bank in die Bodenkammer geschafft und das Werkzeug dazu. Er sagte nicht, weshalb, und die andern fragten ihn auch nicht.

Die Leute_im Dorf aber sagten: Der Peter sperrt sich ein und: er ist zu nichts anderm zu gebrauchen als zu der Feldarbeit. Ihre Meinung ward auch bald nachher durch ein Vorkommnis bestätigt. Als nämlich des Kaisers Tochter, Maria Therese, mit ihrem jung angetrauten Gemahl, dem Lothringer, vom Brenner her durch Innsbruck kam, wurden auch die Schützen aus Oberperfuß zum feierlichen Empfang der künftigen Kaiserin aufgeboten. Drei Tage vor dem Abmarsch ließ nun der Kurat den jungen Anichbauer zu,sich rufen. Auch der neue Schützenhauptmann war bei jener Unterredung zugegen. Peter sei wohl kein Schützen-hauptmann, sagte der Kurat, und auch sonst vielleicht in der Meßkunst erfahrener denn in der Schießkunst, doch wenn der Anichvater noch am Leben war, täte er die Kompanie anführen, und um seines Vaters Verdienste willen sei man übereingekommen, den Sohn als Schützen diesmal und ausnahmsweise mitzunehmen. Es sei dies eine große Ehre und für ihn, den Peter, sicherlich auch eine gute Gelegenheit, einmal nach Innsbruck zu kommen.

„Ich will Euch immerdar danken“, sagte Peter darauf, „daß meines Vaters Andenken so sehr in Ehren gehalten wird. Ich kann aber das Angebot nicht annehmen, denn ich allein weiß, was jetzt sein darf und nicht sein darf. Und nach Innsbruck hinunter darf ich nicht, vielleicht mein ganzes Leben lang nicht.“

Er habe doch stets nach der Stadt gedrängt und dadurch dem seligen Anichbauer manche schwere Stunde bereitet, entgegnete der Kurat, auch kämen bei einem so festlichen Anlaß dort die gelehrten Herrn aus dem ganzen Land Tirol zusammen. Und die Stadt Innsbruck sehe er wohl sein Lebtag nie wieder so festlich geschmückt.

„Das ist sicherlich riditig“, sa%te Peter darauf. „Doch wenn die Sünde in einem steckt, soll man die Gelegenheit zur Sünde meiden. Es ist freilich keine Sünde, die ich meiden will, wenigstens keine, die der Herr Kurat unter die Sünden rechnen kann. Ich aber weiß, weshalb ich so rede.“

Der Kurat schüttelte unwillig den Kopf und zog einen dicken Strich durch den Namen Anich. Der Schützenhauptmann aber erzählte jene Unterredung allen, die sie erfahren wollten. Der Peter schämt sich jetzt, weil er als Bub zu hoch hinaus hat wollen, sagten die Leute, und einige: er will das Ganze oder nichts. Das Ganze aber kann ein Mensch niemals erreichen. Der Peter ist doch ein spinnender Bursch und ein armer Narr dazu.

Knapp ein halbes Jahr später, als der alte Kaiser Karl verstarb, zogen nicht bloß die Schützen nach Innsbruck hinunter. Auch alle andern, sofern sie gesunde Beine hatten, ließen das Dreschen und Türkerirebeln und bestaunten das hundert Schuh hochgebaute Castrum doloris in der Jesuitenkirche, das für den hohen Toten aufgerichtet war, und die tausend Kerzen, die Tag und Nacht rundum brannten. Diesmal wäre auch die Leni um ihr Leben gern dabei gewesen. Doch da Peter nicht mitlaufen wollte, blieb auch sie daheim. Die Kathi ging mit dem jungen Kramer in die Stadt. Sie besuchten dabei auch die Marie in Hötting, traf sie aber nidit an. Was sie von der Nachbarin über die Schwester erfuhr, war traurig genug. Drei Jahre war ihr Mann nicht heimgekommen, sie aber weinte noch hmner um ihn, obgleich doch da ungetreue Mannsbild. Tränen nicht verdiente. Es sei aber audi kein Wunder, daß der Mann nicht mehr heimkäme, fügten die Nachbarinnen hinzu, die Marie sei doch längst eis verdrossenes Weib geworden, alt and unsauber dazu.

Diese Nachrede ging Peter sehr nahe. Da verstößt man einen Menschen und peinigt ihn, dachte er bei sich, und wenn er vor Pein und Einsamkeit verkommt, heißt man ihn einen unmöglichen Menschen. Es überkam ihn bei solchen Gedanken ein Ahnen, daß auf die Gerechtigkeit der Leute rundum nicht zu bauen sei, daß jeder das Seine tun und verteidigen müsse. Aber ganz sicher war er auch darin nicht.

Audi das dritte Schauspiel, das die Stadt Innsbruck in jenen Jahren versprach, Verlockte ihn nicht. Es ward diesmal der Scharfrichter der Stadt um eines Mordes willen geköpft. Gut halb Oberperfuß war zugegen Die Leute sagten, Totenmesse für verstorbene Kaiser werde es noch öVters geben, einen Scharfrichter unter dem nämlichen Beil, das er selbst über hundert Hälsen geschwungen, sehe man nicht alle Tage.

Diesmal fragte aber kein Mensch mehr, ob auch der Peter dabei war. Sir -ahen ihn seine tägliche Arbeit verrichten, merkten auch, daß seine Wirtschaft nidit verkam, und als unter der neuen Regentschaft die Bauern aufgefordert Wurden, mehr Flachs zu baun, war er unter den ersten, die dem Geheiß folgten. Er konnte auch innerhalb der nächsten beiden Jahre mit dem höheren Ertrag, den der Flachs nunmehr abwarf, einen dritten Ochsen einstellen, ein breites festes Tier, wie es sich der Vater in seinen letzten Jahren heiß gewünscht hatte.

Ins Gered kam der Anichhof erst wieder, als die Kathi den jungen Kramer zum Manne nahm. Ihr Verlobter hatte sich von seinem Vater getrennt und in Zirl als Flachshändler . niedergelassen. Dort hausten nun auch die jungen Eheleute in einer alten Hütte. Doch entstand daneben ein Haus, geplant in der neuen Art, mit allerlei Schnörkeln und steinernen Blumen daran, wie es einem vermögenden Manne zustand. In der ersten Zeit kamen die Kramerischen oft ins Anjchhaus, oder die Anichleute gingen an einem Sonntagnachmittag nach Zirl hinüber. Die Kathi half auch dem Peter noch bei der Mahd. Doch das verlor sich, als sie einen Buben daheim hatte. Der Schwager erwies sich auch weiterhin als ein umgänglicher Mann, Peter gegenüber rückte er jetzt mit neuen Plänen, herauf, und er hatte eine Art zu reden, daß man ihn mit Lust anhören und ihm, solange er redete, auch kaum widersprechen konnte. Dem Flachshandel, dies war seine ständige Rede, gehöre unter dem neuen, auf das Wohl des Volkes bedachten Regiment der s jungen Kaiserin die Zukunft. Die Bäuerei in der herkömmlichen Art werde von Jahr zu Jahr geringere Erträge abwerfen und, wenn auch nicht verschwinden, doch zu einer minder geachteten und kaum mehr erfreulidien Beschäftigung herabsinken. Die Anichleute sollten also lieber alle Felder mit Flachs bebaun, noch besser den alten Hof verkaufen und den Erlös in den gemeinsamen Handel* einbringen. Das vernünftigste aber sei, Peter mache selbst auswärts, am besten in der Telfser Gegend, einen Flachshandel auf. Die Mutter könne ja vorderhand in das geräumige Zirler Haus gehn, die Leni aber heiraten oder beim Bruder verbleiben, so wie es ihr beliebe.

Die Leni war auch sogleich dafür. Mit dem Heiraten habe sie noch Zeit, meinte sie, aber der Bruder möge nur zugreifen. Die Mutter hatte nichts dagegen. Peter habe vom Vater alle Freiheit empfangen, und wie der sich einst aus geringerem Stande heraufgearbeitet habe und nicht immer ein Bauer gewesen sei, so könne der Selige auch nichts dagegen einwenden, wenn seine Nachfahren ihr Hab und Gut mehrten und sich mit den Jahren ein leichteres Leben schafften. Auch könne Peter wohl als Händler leichter seinen eigenen Gedanken nachhängen denn als Bauer.

„Ich Habe fernen anoeren Wunsch ontf keinen besseren Gedanken als den Hof“, sagte Peter darauf, „auch ist es aieht das gleiche, ob man einen Hof erwirbt oder verkauft, das weiß auch die Mutter, redet sie mir, wie ihr ums Herz ist.“

So blieb alles wieder beim alten, and sie sprachen weiter nicht darüber. Doch daß die Mutter zum erstenmal seit langen Jahren von seinen eigenen Gedanken gesprochen hatte, das ging Peter viele Tage lang nach und wärmte ihn wie ein mildes kleines Feuer, wenn es ihn jetzt an selbst heißen Tagen manchmal seltsam fröstelte.

Der junge Kramer war aber keineswegs um neue Pläne verlegen. Sie möchten nun den Hof behalten, sagte er nach Wochen zu Peter, und alles beim alten lassen, solange die Mutter lebe. Nachher gehe die alte Wirtschaft ja doch nicht weiter. Entweder müsse dann Peter eine Bäuerin ins Haus bringen oder, die Leni auf den Hof heiraten. Nur werde' es dann wohl bereits aa allen größeren Orten Flachshändler geben und kaum irgendwo im Lande ein neues erträgliches Geschäft.

Diesmal schalt Peter der jüngeren Schwester gegenüber den Schwager als einen unguten Kerl, der auch mit seinen Anverwandten umgehe, als seien es *or Flachsbündel und Marktpreise, Die kleine., Leni aber widersprach ihm. Das Leben sei nun einmal nicht, anders, und wenn der Schwager also . rede, wünsche er doch deshalb der Mutter kein früheres Absterben Seine Fürsicht sei immerhin klüger und menschenfreundlicher als blind in den Tag hineinzuleben und sich auch um das Eigen nicht mehr zu bekümmern. „Dich versteh ich ja schon lang nidit mehr“, rief sie, „alles, was dir einmal lieb war, was der Vater an dir gern gehabt hat, tust du auf einmal ab, alles. Das hat kein Mensch von dir verlangt, und ich ertrag es auch nicht länger.“

„Daß auch du mich nicht verstehst“, sagte Peter darauf, „das weiß ich. Ich habe auch nichts dazu getan, und ich will dich deshalb auch nicht weniger liebhaben, Leni. Doch wenn du mich liebhast wie ehedem, dann rede auch du nicht mehr über diese Sachen, darum bitte ich dich.“

So redeten auch die Geschwister nicht mehr über das, was sie sein Eigenes nannten.

Fortsetzung folgt

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