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Tragisches Ende

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Daß Hugo Wolf am 20. September (1897) wegen plötzlich ausgebrochener geistiger Störung in eine Heilanstalt gebracht werden mußte, habe ich Ihnen gleich mitgeteilt. Nun berichte ich, wie es zu diesem unvorhergesehenen bitteren Ende gekommen ist.

Wie Sie wissen, arbeitete. er seit Anfang August etwa am „Manuel Venegas“, der seine zweite Oper werden sollte. Trotz der Glut-und Bruthitze, die über der Stadt lag, war er nicht zu bewegen, sie zu verlassen und irgendwohin aufs Land zu gehen. Er blieb in der Stadtwohnung und arbeitete. Arbeitete wie ein Rasender vom frühen Morgen bis in die späte Nacht, und war für niemanden zu sprechen.

Seine Besuche in Perchtoldsdorf, wo wir auf Sommerfrische weilten, wurden immer seltener, zeitweise hörten sie ganz auf. Das war um so verwunderlicher, als außer uns auch Hoernes, der Dichter des „Manuel“, heraußen wohnte, und Haberlandt ebenso, an den sich Wolf in der letzten Zeit mit besonderer Innigkeit angeschlossen hatte. Am ehesten war er noch auf einen Sonntag herauszubekommen; und ein Sonntag war es auch, für den er eben durch Haberlandt „alle Getreuen unter die Fahnen rufen“ ließ. „Ich werde aus der neuen Oper vorspielen“, fügte er hinzu. Aber nicht in Perchtoldsdorf, sondern im nahen Mödling, bei Bokmayer, den Sie ja auch als Wolf-Sänger und Wolf-Gönner kennen, sollten wir uns zusammenfinden.

Ich hatte gerade am Vortag zufällig in der Stadt zu tun, und als ich, schon auf dem Wege zum Bahnhof, am „Braunen Hirschen“, eben Wolfs nächstem Gasthäuse, vorüberkam, fiel es mir unterm Mittagläuten von der Karlskirche her glücklicher- oder unglücklicherweise ein, Wolf dort zu erwarten und mit ihm zu speisen, wie ich es früher schon ein und das andere Mal getan. Kaum hatte es ausgeläutet, trat er auch schon in den Gastgarten und an meinen Tisch.

Er war unruhig und zerstreut, schien sich tber zu freuen, mich vorzufinden, begrüßte mich herzlich, und war, von eben der Unrast, die ich, da er ja von der Arbeit kam, fehne weiteres begreiflich fand, abgesehen, ganz wie sonst. Zankte mit dem Kellner, der ihm wieder einmal nicht schnell genug war, und machte sich über sein Essen her, als es ihm dieser gebracht hatte. Tat es sogar mit einem bei ihm ungewohnten Heißhunger und, wie ich sagen muß, auf eine recht unangenehme Art. Aber ich sollte mich noch mehr über ihn verwundern und entsetzen; denn kaum war er fertig, so neigte er sich näher zu mir, und leise und wichtigtuend sagte er: „Ich bin Direktor von der Hofoper geworden; wissen Sie es schon?“ Dabei sah er mich scharf und fast drohend an.

Sie als Arzt hätten natürlich gleich gewußt, was die Glocke geschlagen; ich — verfiel auf alles andere eher als auf die Wahrheit. Vielleicht, sagte ich mir, ist es doch nur ein Scherz, oder — und dabei blieb ich zuletzt — er hat ein Gerücht vernommen, wonach Mahler nicht „definitiv“ würde, und sieht sich schon an seiner Stelle, zu der ihm Jemand — freilich töricht genug — Lust und Hoffnung gemacht hat.

Auffällig und unheimlich blieb' mir nur, daß Wolf so ausschließlich von der Vorstellung beherrscht und gar nicht von ihr abzubringen war, so oft ich es auch versuchte. Ohne sich in. eine Begründung oder Erläuterung einzulassen, stellte er sie immer wieder als Tatsache hin. Auch als ein Dritter, Professor Ferdinand Foll von der Hofoper, an unseren Tisch trat und, von Wolf hiezu aufgefordert, bei uns Platz nahm, änderte sich daran nichts. Auch ihm teilte er nur die Neuigkeit mit, ohne auch nur anzudeuten, woher er sie habe, wie es dazu gekommen sei. Aber er spann den Gedanken wenigstens fort und drehte sich nicht mehr wie bisher im Kreise um ihn herum. Er entwickelte seine künstlerischen Pläne, die er nun verwirklichen könne, und kam dabei wie von selbst auf seine Arbeit und Oper zu reden.

Als wir aufbrachen, bat er uns beide, ihn zu begleiten, mit ihm in seine Wohnung hinaufzukommen, er werde uns aus dem „Manuel“ vorspielen, was er davon fertig habe. Das tat er denn auch, hinreißend wie immer, wenn er seine eigenen Werke auslegte und ausdeutete. Er war selbst tief bewegt. Als er sich vom Klavier erhob, umarmte er uns beide herzlich und bot uns das Du-Wort an.

Alle Zurückhaltung, die er doch in allem, [was persönlich ist und heißt, geübt hatte, gab er auf. Denn jetzt redete er — und es war ein Schwall von Worten, der ihm von den Lippen stürzte — nicht mehr von seinem neuen Amt und den neuen Aufgaben, vor die er sich gestellt sah, sondern von Menschen und Dingen, über die er sonst um keinen Preis geredet hätte: von der Mutter und den Geschwistern, von seiner traurigen Armut.

Anderntags — es war, wie gesagt, ein Sonntag — erschien er schon in aller Frühe in Perchtoldsdorf. Unser Landhaus liegt gerade dem Bahnhof gegenüber; Wolf hatte es nie zuvor betreten. Nun hörte ich ihn zu meiner Ueberraschung unten im Garten mit meiner Mutter reden, und eine trübe Ahnung beschlich mich. Rasch eilte ich hinab. Ich fand die beiden beieinander stehen, Wolf eifrig redend, meine Mutter ihm gerührt die Hände drückend, als beglückwünschte sie ihn. Und so war es auch; denn sie glaubte an die Wahrheit der unseligen Neuigkeit, die er auch ihr sogleich mitgeteilt hatte. Ich aber wußte mit einem Male die wirkliche Wahrheit; wie Schuppen fiel es mir von den Augen: Hugo Wolf war ja — wahnsinnig.

Mit heftigen Worten trieb er mich an, gleich von der Stelle mit ihm nach Mauer zu gehen. Dort hatte der Sänger Winkelmann seine Villa, der, wie Wolf befehlshaberisch erklärte, abends den „Manuel“ singen müsse. Kaum ließ er mir Zeit, meinen Hut zu holen, geschweige denn eine Ueber-legung anzustellen, irgendeinen Ausweg zu finden. So ließ ich mich denn von ihm mitnehmen, ohne Widerstand, ohne Widerspruch.

Das einzige Zugeständnis, das er machte, war, daß wir durch den Ort und nicht gleich über die Felder den Weg nahmen. So durfte ich hoffen, auf Beistand und Hilfe zu stoßen. Und wenigstens darin hatte ich Glück an diesem Unglücksmorgen: auf dem Marktplatz, in der Nähe seines Hauses, trat uns Freund Haberlandt entgegen. Er übersah mit einem Blick die triflM tage und traf, gefaßter als ich, alsbald seine Entschließungen. „Tcb will nur sagen, daß ich mit euch gehe, und bin gleich wieder zurück.“ Den so gewonnenen Augenblick nützte er aufs beste. Ver-anlaßte Bokmayers Verständigung und bestellte einen Arzt für Nachmittag nach Möd-ling; dann kam er wieder, bereit, mit uns. zu gehen.

Was soll ich Ihnen von dem Empfang und Besuch bei dem Sänger sagen? Keiner von uns kannte Winkelmann außer von der Bühne; und fielen ihm doch, drei Mann hoch, ins Haus und brachten ihm eine Kunde, die er zu glauben und zu bestreiten sich gleicherweise nicht getraute. Hatte die Oper und er mit ihr wirklich über Nacht einen neuen Herrn erhalten? Ratlos wie ein Kind, mit großen Augen vernahm er es: und verstand, ahnungslos und überrascht, wie er war, keinen Wink, den wir ihm gaben. Endlich gelang es uns mit Hilfe eines zufällig anwesenden Freundes des Hauses, ihn von Wolf abzusondern und zu befreien: Winkelmann wurde „telephonisch abberufen“ und kam nicht wieder. Wolf fand sich zu unserer Ueberraschung sofort darein; wider Erwarten gefügig, trat er sofort mit uns den Heimweg an.

Nach dem Mittagessen, das er bei Haber-landts einnahm, verfiel der Unglückliche, der, wie sich nachher ergab, vierundzwanzig Stunden nichts gegessen und nicht geschlafen hatte, vor Erschöpfung in einen tiefen Schlaf, eine Erholungspause auch für die andern. Werden Sie es glauben, daß wir uns der Hoffnung hingaben, es werde nach diesem langen Schlaf, den er tat, noch alles gut werden?

Indes kam es natürlich anders. Spät erwacht, erinnerte er sich sogleich seines Vorhabens, und bestand darauf, es unverzüglich, auszuführen. Und doch hatte ihn der Schlaf verändert und gewandelt. Denn nun war er, wie ihn die meisten Lichtbilder zeigen. Alles Gestraffte und Gespannte an ihm war gelöst und hingeschmolzen in Weichheit, er selbst nicht herrisch, zänkisch und gefährlich, wie er es den Tag über gewesen, vielmehr rührsam und rührend in seinem unseligen Wahn. Und doch wieder nicht wie auf den Bildern feierlich-schwermütig, sondern selig und glücklich; und je glücklicher er sich fühlte, desto unglücklicher erschien er uns.

Bis an die Schwelle des Bokmayerschen Hauses, das ihn festlich geschmückt erwartete, sprach er von seinem Glück, vom Glück, das er nun; .wie er es immer vorgehabt, seiner alten Mutter, seinen Schwestern bereiten würde.

Von dem „Festabend“ selbst möchte ich am liebsten ganz schweigen; es geht in jedem Sinne des Wortes über meine Kraft, ihn zu beschreiben, ihn zu schildern. Wie durch wallende Schleier sehe ich Hugo Wolf, aufgeräumt und gesprächig, strahlenden Antlitzes an der Tafel sitzen; er ist der einzige, der lebhaft und sozusagen lebendig ist unter den Gästen, die vor Entsetzen wie erstarrt sind und sich gegen ihn wie Puppen und Masken ausnehmen. Wie aus einer Versenkung höre ich seine erhobene Stimme und sein Lachen. Jetzt ernennt er, er, der Direktor, einen Freund zum Kapellmeister, andern verleiht er andere Aemter und Würden; denn er will, daß alle, alle belohnt werden für ihre Treue und teilhaben an seinem großen Glück. Und spielen höre ich ihn: das Meistersingervorspiel, das er aus dem Gedächtnis vorträgt, und immer wieder den „Manuel“, sein Schwanenlied.

Erst am anderen Morgen konnte Hugo ▼off einer Heilanstalt übergeben werden. Der Treueste der Treuen übernahm es, ihn dorthin zu bringen. Eine Vorstellung bei dem Obersthofmeister, einem Prinzen Liechtenstein, sei unerläßlich — das ließ sich der Mißtrauische weismachen. Im Festkleid, das er angelegt, fuhr Hugo Wolf zum Empfang bei dem Prinzen. In Wahrheit waren es die Mauern des Irrenhauses, hinter denen er verschwand.

Edmund von Hellmer: Aus einer Hugo-Wolf-Monographie

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