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AGNETE

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2. Fortsetzung

Statt dessen aber riß jener Brief, als ich ihn las, mit einem Schlage den letzten Vorhang vor einem mich tief erregenden Schicksal fort; ich las wie verzaubert Seite für Seite, nicht mehr Leser, Richter oder Berater, sondern nur noch Miterleber, Horcher und Bewunderer.

Ich gebärde mich als schlechter Erzähler, wenn ich Ihnen ' die letzte Ursache der großen Gewalt jenes Briefes schon jetzt verrate, aber ich halte es in diesem Bekenntnis für besser, daß Sie schon vorher wissen, was ich selbst erst später erfuhr: die Schreiberin dieses Briefes war einem baldigen Tode geweiht, aber sie wußte es selbst noch nicht. So wie die Wortflammen dieser einsamen Beichte, so konnte nämlich nur ein Feuer emporschlagen, das zum letzten Male im Leben, ich möchte sagen in unbewußter Verzweiflung sich aufrafft, den ihm noch gebliebenen Brennstoff der Seele in grandiö-' ser Opferlaune vergeudet und so, genährt von der Inbrunst des Unterganges, dem Leben einen letzten feurigen Gruß zuschickt.

Außerdem hatte hier, und das war es wohl vor allem, was mich so mächtig ergriff, die völlig vereinsamte Seele eines noch jungen Weibes das letzte Meisterstück des. geistig Ausgereiften an sich vollbracht: sie hatte über allen Zwiespalt quälenden Menschentums hinweg heimgefunden zu den großen milden Tröstungen der Natur und des Versunkenseins in ihre Offenbarungen. Es focht sie derart kaum noch etwas an, sie fühlte sich losgelöst von all ihren früheren irdischen Armseligkeiten, und das letzte Dornenkleid, das sie nun ablegte von ihrer zur kosmischen Einheit heimkehrenden Seele, das reichte sie mir im Geständnis dieses dreißigseitigen Briefes hin.

Und mir war damit auch klar geworden, wieso diese Unbekannte und Ungeübte den selten wertvollen Aufsatz über Schönbrunn hatte schreiben können. Die tiefste Gewalt des Erkennens, die beste Leuchtkraft des Wortes, sie erwachsen ja doch nur aus der tragischen Ruhe des letzten Verzichts!

Ich erinnere mich, daß ich an jenem Abend nicht fähig war, etwas anderes zu lesen. Ich lag völlig im Bann dieses Briefes, ich las ihn immer und immer wieder und versuchte mir seinen Inhalt einzuprägen. Ich hatte nämlich, müssen Sie wissen, nicht lange Zeit dazu. Es stand am Schlüsse nämlich die Forderung darin, daß ich ihn noch am Tage des Empfanges verbrennen müsse.

Es fiel mir keineswegs leicht, diesem Wunsche nachzukommen. Als ich abends vor dem Ofen kniete und die Streichholzflammen an diese schmalen, einen schwachen Fliederduft ausströmenden Blätter legte, hatte ich die klare Empfindung, der Welt eine wertvolle geistige Blüte für immer zu rauben.

Und nun werden Sie wohl nach dem Inhalt des Briefes fragen und warum er mich sosehr betraf? Es war nicht viel Außergewöhnliches an ihm. Was mich so tief berührte, war eher die Persönlichkeit, die ihn schrieb. Immerhin aber enthielt er in seiner Tragik auch des stofflich Ergreifenden genug.

Agnete, so hieß die Schreiberin des Briefes, hatte sich mit achtzehn Jahren mit einem Wiener Ministerialbeamten vermählt. Es war eine Liebesheirat gewesen. Zwei Jahre lang war sie sehr glücklich, dann erkrankte sie an einem schweren inneren Leiden. Sie mußte sich bei zunehmender Verschlimmerung einer zweimaligen Operation unterziehen und war allen Freuden des Lebens durch Jahre hindurch so gut wie verloren.

Und sie sah, daß auch ihr Gatte schwer darunter litt.

Nach langer schmerzlicher Einkehr und Selbstbeschwörung beschloß sie, ihm in einer offenen kameradschaftlichen Aussprache seine Freiheit in manchem wiederzugeben.

Sie nahm sich dabei in ihrem tapferen Sinne vor, ihm für alle Fälle eine liebende und bedingungslos ergebene Gattin zu bleiben, wie sie das von Anfang an als ihren höchsten Lebenszweck betrachtet hatte.

Kurze Zeit nach jener Aussprache erfuhr sie aber, daß ihr Gatte schon seit Monaten zu einem Kanzleifräulein aus dem Ministerium in einem ziemlich offenkundigen Verhältnis stehe.

Und ehe sie sich über diese bittere Botschaft noch klar geworden, trat ein Ereignis ein, das in seiner grotesken Deutlichkeit jedem sensationellen Bühnenstück zur Ehre gereicht hätte. Eines Tages stürmte nämlich ein junges, ihr völlig unbekanntes Geschöpf mit schwerhysterischen Gebärden in ihr Zimmer und herrschte sie an: Ja, sind Sie denn noch immer am Leben? Richard hat versprochen, mich zu heiraten und mir oft genug von Ihrer rettungslosen Erkrankung erzählt!'

Nach dieser kaum noch glaubhaften Ansprache verfiel die seltsame Besucherin in einen heftigen Weinkrampf, warf sich aufs Sofa und tobte sich dort nach Herzenslust aus.

Es war nun tief ergreifend für mich zu lesen, mit welch wunderlich wehmütigem Humor Agnete das Märtyrertum jener Stunde und ihre eigene Stellungnahme dazu schilderte.

Sie lief vor allem, so schrieb sie, ein Glas Wasser zu holen, bemühte sich redlich um die fast Bewußtlose, brachte sie auch wieder durch gütiges Danebenhinsprechen zur Einsicht ihrer Taktlosigkeit und ließ sie schließlich in aller Form durch das Mädchen wieder hinausführen.

Dann aber brach sie, als sie allein war, völlig zusammen, denn nun hatte sich das Schicksal ihres Gatten in ihrem Herzen für immer entschieden!“

Hier setzte Degenhart in seiner Erzäh-lungs plötzlich ab und ging eine Weile schweigend neben mir hin. Ich hatte aus der Bewegtheit seiner Stimme gemerkt, wie stark seine Seele noch jetzt mit den Ereignissen, die er berichtete, verknüpft sein mußte. Wir hatten uns, im Bogen auf der Matte abwärts wandelnd, den helleuchtenden Fenstern des Hotels auf Hörweite wieder genähert, und eben präludierte Brendelin auf seiner Laute ein neues Lied; wir hörten den kecken Einsatz seines hellen Tenors, der Sinn seiner Worte aber war uns in dieser Entfernung noch nicht verständlich.

„Agnete“, fuhr Degenhart fort und schaute wie forsdiend in die Sterne hinauf, „sah sich von jenem Tage an ganz auf sich allein gestellt. Sie wußte genau, daß keine Macht der Welt ihr den ihrem Herzen verlorenen Gatten wiederbringen könne. Sie wollte zuerst auf Scheidung dringen, stieß aber dabei seinerseits auf einen merkwürdig heftigen Widerstand.

Sie fühlte sich, da sie längst an ihrer Genesung verzweifelte, schon ganz wie außerhalb ihres eigenen Schicksals gestellt, so daß sie, da es ihr Gatte so wünschte, auch weiterhin neben ihm dahinlebte und nur noch auf die große innere Wandlung horchte, die damals bereits in ihr sich zu vollziehen begann.

Unterdessen geschah es aber, daß sie in einer Abendgesellschaft einen jungen Berliner Arzt kennenlernte, den man all Chirurgen nach Wien berufen hatte, wo er in kurzer Zeit ganz staunentwerte Erfolge erzielte. Dieser hörte vom Leiden Agneteni und stellte ihren Fall, wenn auch nicht als gänzlich heilbar, so doch als bedeutend milderungsfähig hin, im Falle sie sich nämlich einer neuerlidien Operation zu unterziehen bereit wäre.

Agnete willigte ein. Die Operation gelang vollständig, und Agnete begann von da an, im Maße, als sie zu gesunden glaubte, neuen Lebensmut und mancherlei neue Freude am Dasein zurückzugewinnen. Das Gebrechen ihrer Ehe allerdings hätte keine chirurgische Kunst zu heilen vermocht. Es wäre jetzt, wie die Dinge standen, vielleicht nur von ihr allein abgehangen, sich mit dem Gatten wieder zusammenzufinden; denn dieser, seit jenem ungeheuerlichen Vorfall von Reue gequält, näherte sich ihr wieder mit der zarten Aufmerksamkeit und Hoffnung eines Werbenden. Agnete aber hätte niemals wieder zu ihm zurückzufinden vermocht, ohne den letzten Rest ihrer Selbstachtung preiszugeben.

Und nun, vernehmen Sie, beginnt jener Mann dort drüben plötzlich njtzuspielen, dessen Stimme eben durch die Nacht zu uns herübertönt. Ich meine Brendelin.

Daß er es war, erfuhr ich erst später durch einen Zufall. Agnete nannte seinen Namen anfangs nicht. Aber sie umschrieb ihn mit ihrem sdiarfen Blick für das Wesentliche so meisterlich, daß ich ihn bei der ersten Begegnung doch gleich erkannt hatte.

Hätte das Schicksal heute Brendelin nicht zu uns heraufgeführt, so wäre es, glaube ich, zu meinem heutigen Bekenntnis kaum gekommen. Er war übrigens auch, wie Sie wissen, heute der Verkünder noch eines anderen Besudies. Und das scheint mit für meine gegenwärtige Lage mehr zu sein, als ich im Augenblick ertragen kann. Das wird Ihnen später alles klar werden. Jedenfalls sehe ich selbst mein Bedürfnis nach einer Aussprache mit Ihnen in allerlei mich dämonisch bedrängenden Zufällen begründet.“

Ich hörte diese tiefernst gesprochenen Worte mit Teilnahme und Bekümmernis für Degenhart. Nun glaubte ich zu verstehen: es mußte in diesem sonst so klaren und harmonisch in sich gefestigten Menschen eine seltsame seelische Verstörung vorgegangen sein, derer er nicht mehr Herr zu werden vermochte. Aber ich wagte es vorläufig nicht, midi ihm mit irgendeinem tröstenden Wort zu nahen, da idi ja den Zusammenhang der Dinge nodi nidn kannte.

Dem Hause näherkommend, gerieten wir nunmehr in den aus dem Fenster dringenden Licht- und Sdiallkreis der Tafelrunde. Und nun verstanden wir Brendelins Stimme Wort für Wort. Er sang ein damals gerade in Schwung gekommenes Kabarettlied von einem verlassenen Mägdlein:

Wo ist denn der Soldat,

Der mich verführet hat?

Ja, er ist ausmarschieret,

Bei 'ner andern einquartieret,

Ja, er ist nicht mehr da!

Ja valleri, ja vallera,

Ja, er ist nicht mehr da! Der Chor wiederholte den dürftigen Kehrreim mit Wohlbehagen. '

Ein ungeheurer Abstand tat sich auf zwischen diesem Gruß der kecken soldatischen Welt und der großen, kühlen Stille, aus der wir kamen.

Wir wandten uns in stummem Einvernehmen und schritten aufs neue den Pfad zurück, in das schweigende Tor der Nacht hinein.

„Vernehmen Sie nun den nächsten Akt aus dem Drama Agnete“, fuhr Degenhart zu berichten fort. „Sie pflegte mit ihrem Gatten und einigen Bekannten zuweilen den Urbanikeller zu besudien. Dort saß an einem bestimmten Tische Abend für Abend im Kreise einiger Kameraden Oberleutnant Brendelin und sang zu seiner Laute.

Warum Agnetens vereinsamtes Herz gerade an diesem kecken Troubadour Gefallen fand, das zu ergründen würde hier zu weit führen. Es war wohl der in dem jungen Weibe nadi seiner vermeintlidien Genesung neu aufflackernde Lebensmut und Ubermut, der sie nicht allein nach inneren Werten fragen ließ. Auch hatte sich um Brendelins Glück bei den Frauen ein förmlicher Legendenkreis gebildet, was bekanntlich auch die Aufmerksamkeit der Besseren erregt. Soviel ich aus Agnetens Aufzeichnungen zu erkennen vermochte, war es Brendclin im Laufe der Zeit gelungen, ihr Interesse zu gewinnen und sich sodann mit Beharrung und einer ihm zweifellos innewohnenden wohlerfahrenen Ritterlidikeit ihrer Neigung und schließlidi auch ihrer Liebe zu versichern.

Aus welchem Grunde dann aber alles bald wieder ein jähes Ende nahm, das versdiwieg mir Agnete. Ob sie selbst es war, die beizeiten aus einem ihrer eigentlich unwürdigen Taumel erwachte, ob Brendclin im Drange nach neuen Abenteuern, unfähig, den Wert seines Besitzes zu erfassen, allzu früh sein eigentliches Wesen bekannte, das ließ sie im Dunkel, und es sdieint mir für das Kommende auch nicht wichtig.

Erwähnen muß ich jedoch, daß diese rückhaltlose Beichte Agnetens auf mich einen seltsamen, mir selbst verwunderlidien Eindruck machte. Ihre geradezu dämonische Kraft, die Seele im Worte zu entschleiern, begann mich plötzlich an ihrem Schicksal mitleiden zu lassen, und zwar nidn nur im tragisdien, sondern audi im leidenschaftlichen Sinne. Ich bekenne Ihnen rückhaltlos: i ch erschrak im Augenblick über mich selbst, da id) plötzlich eine Art seelischer Unzulänglichkeit in mir erkannte, die mir an mir noch neu war, nämlich das Unvermögen, eine im Geiste gesprochene Beichte auch lediglich im Geiste aufzunehmen.

Sie werden vielleicht eine Überempfindlichkeit meines Gewissens darin erblicken. Hören Sie jedoch, was weiterhin im Wesen Agnetens sich vollzog.

Die Enttäuschung durch ihren Gatten und die bittere Schulung durch ihr jahrelanges Siednum einerseits, der Zusammenbruch ihres neuen Vertrauens, ihrer neuen Liebeshoffnung andererseits, ließen Agnete aus einer tiefen inneren Wandlung heraus von allen Abenteuern des Herzens für immer Abschied nehmen.

Nach allem Vorgefallenen und im Ekel davor erschien es ihrem vornehmen Wesen ganz unmöglidi, sich jemals wieder den Launen und Unzulänglichkeiten eines neuen Herzensschicksals auszuliefern. Und da suchte sie in der grenzenlosen Einsamkeit, die sie nun befiel, mit hellseherischer Sicherheit die letzte tröstende Zuflucht in jenem einzig unverlierbaren Glück aller Ausgereiften und zutiefst Erkennenden: sie fand zurück zur inneren Harmonie am Herzen der Natur, sie spiegelte und beruhigte ihr eigenes Wesen in den milden Offenbarungen und Mysterien der allzeit unausschöpfbaren Wunder der Landsdiaft. (Fortsetzung folgt)

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