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Bekenntnis zum Leben

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DAS WIEDERGEFUNDENE LICHT. Von Jacques Lusseyrant. Aus dem Französischen übersetzt von Uta Schmalzried t. Erns t Klett-Verlag, Stuttgart. 386 Selten. S 186.50.

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DAS WIEDERGEFUNDENE LICHT. Von Jacques Lusseyrant. Aus dem Französischen übersetzt von Uta Schmalzried t. Erns t Klett-Verlag, Stuttgart. 386 Selten. S 186.50.

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„Die Freude kommt nicht von außen, sie ist in uns, was immer uns geschieht, es ist in uns, selbst wenn wir keine Augen haben.“ Mit diesen Worten beschließt der Franzose Lusseyrant den bewegenden Bericht über die ersten zwanzig Jahre seines Lebens. Es ist, wie der Verlag zu Recht sagt, „ein ungewöhnliches Buch“, ergreifend in der Lebensbejahung und der Kraft des Bestehens eines schweren Schicksals, das durch die absolute Annahme sich in Segen wandelt. Lusseyrant wurde mit acht Jahren blind. Seine ganz und gar glückliche Kindheit, Verständnis- und liebevolle Eltern, aber auch seine Lehrer und Freunde halfen ihm, zu seinem harten Los von Anbeginn „ja“ sagen zu können, es als Gegebenheit hinzunehmen und etwas Großes und Wunderbares — im wahrsten Sinn des Wortes — aus der Beschränkung zu machen.

„Jeden Tag danke ich dem Himmel dafür, daß er mich schon als Kind, im Alter von noch nicht ganz acht Jahren, blind werden ließ... Ich danke dem Schicksal zunächst aus äußeren, materiellen Gründen. Ein Meiner Mann von acht Jahren hat noch keine Gewohnheiten, weder geistige noch körperliche... er ist bereit, das Leben anzunehmen, so wie es ist, zu ihm ja zu sagen. Und aus diesem Ja können große physische Wunder erwachsen...

Um dem Schicksal zu danken, habe ich jedoch auch andere, immaterielle Gründe. Die großen Leute vergessen stets, daß Kinder sich niemals gegen die Gegebenheiten auflehnen, es sei denn, die Erwachsenen selbst waren so töricht, es ihnen beizubringen. Für einen Achtjährigen ,ist‘ das, was ist. immer das Beste. Er kennt keine Bitterkeit und keinen Groll... Ich weiß von diesen einfachen Dingen und weiß, daß ich seit dem Tag, an dem ich blind wurde, niemals unglücklich gewesen bin. Auch den Mut, von dem die Erwachsenen soviel Aufhebens machen, sieht das Kind anders als wir. Für ein Kind ist Mut die natürlichste Sache der Welt, eine Sache, die man zeigen muß, und das zu jeder Minute des Lebens. Ein Kind denkt nicht an die Zukunft, und so wird es vor tausend Torheiten und vor fast aller Unruhe bewahrt. Es vertraut sich dem Strom der Dinge an, und dieser Strom trägt ihm in jedem Augenblick Glück zu...“

Das sind keine Phrasen. Lusseyrant erweist in all den Details, die er aus seiner Kindheit erzählt, daß für ihn seine Blindheit der Ausgangspunkt einer inneren Hellsichtigkeit und Sensibilität wurde, die ihn tiefer und beständiger an die Quellen des Lebens führte, als das uns Sehenden gewöhnlich beschie- den ist. Er verschweigt nicht die Gefahren, die auf ein blindes Kind warten: vor allem die Isolierung in sich selbst, die Abhängigkeit von den Mitmenschen, und ein gestörtes Verhältnis zur Wirklichkeit. Lusseyrant blieben die negativen Auswirkungen dieser Möglichkeiten erspart. Die Isolierung, die auch er kennenlernte, überwand er; die Abhängigkeit von anderen Menschen empfand er nicht als Mißgeschick: „Im ganzen muß ich der Blindheit danken, daß sie mich zu innigem Kontakt mit meinen Mitmenschen gezwungen hat und ihn weit öfter zu einem Austausch von Kraft und Freude als zu einer Qual werden ließ ...“

Diese Einstellung wendet für den Autor alles zum Guten, befähigt ihn, weit mehr zu geben als zu nehmen von denen, die mit glücklicheren Voraussetzungen ihr Leben begannen. Nicht nur, daß er mehr „sah“ als wir Sehenden; er entwickelte frühzeitig eine fruchtbare Aktivität, mit der sich nur wenige messen können. Als Fünfzehnjähriger gründete Lusseyrant nach der Besetzung Frankreichs durch die Nationalsozialisten die erste Widerstandsgruppe von Mittelschülern (Volontaires de la Libertė), deren wichtigste Aufgabe zunächst die Herausgabe eines zuverlässigen Nachrichtenblattes war, das die Hoffnungslosigkeit des geschlagenen Frankreich zu bekämpfen versuchte. Diese „Freiwilligen der Freiheit“ leisteten hervorragende Arbeit, beflügelt von einem Idealismus, der nicht töten und verwunden, sondern aufbauen wollte. Lusseyrant entschied über die Aufnahme von Mitgliedern, der untrügliche innere Sinn des Blinden war eine Gabe, mit der seine sehenden Kameraden nicht konkurrieren konnten; sie verließen sich auf ihn und fuhren gut dabei. Nur einmal verließ Lusseyrant sein sonst so sicheres Gefühl: „Meine innere Nadel schlug nach allen Richtungen aus und kam weder auf ,ja‘ noch auf .nein zur Ruhe“; er nahm trotz innerer Bedenken Elio, einen Pariser Studenten, in seine Widerstandsgruppe auf, die sich inzwischen der größeren Bewegung „Defense de la France“ angeschlossen hatte. Der junge Mann entpuppte sich als Verräter, und nun begann der Leidensweg der Gruppe. Alle ihre Führer wurden verhaftet und kamen schließlich, nach einer schrecklichen Übergangszeit in französischen Gefängnissen in die noch furchtbareren deutschen Konzentrationslager. Lusseyrant landete mit 2000 in Buchenwald; nur 30 von ihnen überlebten den Terror. In Buchenwald geschah wieder das schier Unglaubliche: Lusseyrant, der durch seine Blindheit weniger Chancen hatte, überlebte nicht nur, er wurde zum Helfer und Tröster seiner Kameraden. Nach einer schweren Krankheit, in der er fast zum Aufgeben bereit war, stellt er fest:

„Die Krankheit hatte mich von der Angst befreit. Sie hat mich selbst vom Tod gerettet. Ich möchte sagen, ohne sie wäre ich nicht am Leben geblieben... Das Leben war eine Substanz in mir geworden. Sie drang mit einer Kraft, die tausendmal stärker war als ich, in meinen Käfig ein... Sie kam wie eine hell schimmernde Welle, wie eine Liebkosung von Licht, auf mich zu... Aus der Tiefe meines Erstaunens sammelte ich Namen, oder nein, ich sprach sie sicher nicht aus, sie erklangen von selbst: .Vorsehung, Schutzengel, Jesus Christus, Gott.

Ich versuchte nicht nachzudenken ... Ich sog an der Quelle ...

Aber es gab da etwas, das an mir lag: die Hilfe des Herrn nicht zurückzuweisen. Diesen Hauch, mit dem Er mich übergoß. Es war der einzige Kampf, den ich zu führen hatte — ein schwerer und wunderbarer Kampf zugleich: ich durfte nicht zulassen, daß die Angst meinen Körper überfiel. Denn Angst tötet, Freude aber schenkt Leben...“

Dies wohl ist das Entscheidende: Lusseyrant hat sich niemals gewehrt gegen das Leid, das schon so früh auf ihn zukam; und aus dieser Bejahung erwuchs ihm jene wunderbare Kraft nicht nur des Bestehens — alles verwandelte sich ihm in Heil und Segen.

Das Buch esweist beglückend, wie ein Schicksalsschlag, der die gesamte Existenz in Frage stellt, durch Liebe, Freundschaft und Selbstlosigkeit zum Guten sich wenden läßt, für den Betroffenen und seine Mitmenschen.

Lusseyrant ist heute Professor für französische Literatur an der Sorbonne und Gastprofessor an einigen amerikanischen Universitäten. Verheiratet und Vater einer Familie nennt er sich selbst einen der glücklichsten Menschen unserer Welt Dank sei ihm, daß er uns an seiner Freude teilnehmen läßt und schlicht und selbstverständlich dokumentiert, wozu ein Mensch auch heute noch fähig ist, wenn er vertrauensvoll sein Schicksal anndmmt.

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