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AUS DER NACHT ZUM MORGEN

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Zum ersten Todestag von August Maria Knoll am 24. Dezember 1964. Tagebuchblätter

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Zum ersten Todestag von August Maria Knoll am 24. Dezember 1964. Tagebuchblätter

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Das Tagebuch meines Vaters, aus dem hier einige Seiten mit Aufzeichnungen über die große Wende 1944/45 abgedruckt sind, ist ein Dokument zu Österreichs Geschichte einerseits und über das Leben eines Menschen anderseits, der sein Schicksal so innig mit dem Los dieses Landes verbunden hatte. Seit 1914 trug mein Vater täglich seine Erlebnisse ein, die seine tiefe Religiosität und sein klares Bekenntnis zu Österreich widerspiegeln. Die Form des Tagebuches kennzeichnet vor allem den Versuch, das Leben eines aufrechten Christen zu führen, der, dem Geschehen des politischen Alltags — besonders in Österreichs Krisenzeiten — ausgesetzt, dieses als Mensch zu bewältigen trachtet. Jedes Jahr wird im Namen Gottes begonnen, im Anschluß daran folgt die Bitte um Vollendung der eigenen Person; jeder Monat wird einem Heiligen aufgeopfert, der für den Autor bestimmtes Symbol und Leitbild in je einem kurzen Lebensabschnitt gewesen war. Die kampfreichen wie die freudvollen Stunden des Tages waren dessen Patron geweiht und die Novenen vermerkt. So wurden die Ereignisse, die teils schon Bestandteil der Zeitgeschichte, teils uns noch lebhaft in der Erinnerung verhaftet sind, in den Teppich des täglichen Gebetes hineingewoben und ließen es niemals zu, daß sich. August M. Knoll in die Widersprüchlichkeiten des jeweiligen politischen oder beruflichen Alltags verfing, sondern daß alles zusammen ein Bestandteil eines großen Händefaltens wurde. „Christus und Österreich“ war für sein Leben die Losung, ein unerschütterlicher Glaube an Gott in einer Zeit, in der viele verzagten, eine immerwährende Liebe für sein Land, auch dann, wenn es viele für tot glaubten. Dieser Richtschnur ordnete er sein Handeln und Denken zu, dies war für ihn als ringender und vor allem gläubiger Mensch Halt und Auftrag, wovon das Tagebuch ein klares Zeugnis abzugeben vermag.

REINHOLD KNOLL

Vierter Adventssonntag und Heiliger Abend 1944

Nun ist der ersehnte Abend wieder gekommen. Was habe ich seit Monaten um einen ruhigen, schönen Heiligen Abend gebeten. Mein Gebet ist erhört! Deo gratias! Wir haben uns alle und in diesem Jahr ganz besonders tief, auf den Heiligen Abend vorbereitet. So konnten wir frohen und befreiten Herzens der Weihnachtszeit entgegengehen, die mit der gestrigen Vigil anbrach.

Stephanitag 1944

Vormittags stundenlanger Fliegerarlarm. Am Randgebiet der Stadt fielen Bomben. Die Masse der Verbände flog aber Schlesien an. Heute schrieb ich viele Weihnachtsbriefe. In den meisten schrieb ich von dem Engel, der die heilige Familie sicher nach Ägypten brachte, und zu dem auch der Briefempfänger bitten soll.

Silvester 1944

In drei Stunden geht das Jähr zu Ende! Mit tiefem Weh blicke ich auf dasselbe zurück. Aus allen Monaten, vom Jänner bis Dezember, blicken mich liebe Menschen an, die ich verlor. Was ging noch alles verloren?! Gericht und Schwert Gottes, Sichel Gottes, Ernte Gottes… In diesen Bildern liegen die Schlüssel zum geheimen Geschehen. Aber auch voll Dankbarkeit blicke ich auf das ausgehende Jahrzurück. Mir blieben meine Lieben, mein Haus, Dach und Brot, Beruf und Sendung. Tedeum laudamus. Wir durften es singen! Wir durften Gott danken. Leib und Seele sollen die Schale dieses Dankes sein. Noch so vieles möchte ich sagen, doch ich kann es nicht. Mögen die Psalmen für mich sprechen, die ich täglich bete, ich vermag nur zu lallen. Ps. 150: Alleluja.

1. Jänner 1945

Im Namen Gottes, des Vaters, beginne ich das neue Jahr des Heiles! Es wird das Jahr der Entscheidung und der Bewährung unseres Glaubens und Vertrauens sein. Ja, ich fange dieses Jahr gelassen an. Ich bin gepanzert mit dem Helm des Vertrauens, mit dem Schild der Zuversicht, mit dem Schwert des Glaubens. Mein Streitroß ist das weiße der Apokalypse. Ich bin vorbereitet und sehe den Dingen, den Stürmen und Schrecken entgegen. Ein tiefes, sicheres Gefühl sagt mir, daß wir an einer Katastrophe vorbeigehen. Zur Seite rufe ich wieder den großen Engel herbei, der die Heilige Familie aus den Klauen des Herodes befreite und sie sicher nach Ägypten brachte. Tedeum — laudamus.

20. Februar 1945

Heute begann ich ein Gebet zum heiligen Gabriel von der schmerzhaften Jungfrau; er möge mein Haus bis zum Ende des Monats beschützen. Fast täglich haben wir schwere und schwerste Luftangriffe auf Wien. Diese Angriffe sind eine qualvolle Belastung für Herz und Nerven. Auch heute sind viele Bomben, besonders in der Nähe des Wohnortes meines Bruders, gefallen. Unsere Stadt blutet bereits aus vielen Wunden. Doch ich denke — Idibus Martii… ! Ich harre des Herrn. Wir kommen gewiß trockenen Fußes durch das Meer.

Quatember-Mittwoch, 21. Februar

Mit meiner Frau sah ich die Verwüstungen des Angriffs. Mit lähmendem Entsetzen gewahrte ich die brennende Uni- verstität. Auch beim Schottentor fand ich schauerliche Verwüstung vor. Trümmer, rauchende Balken — entsetzte, verstörte Menschen, wohin ich schaue. Armes, armes Wien. Schwer zahlst du für deinen Jubel am 13, März 1938. Ich traf auf meinen Weg auch einen mir gut bekannten Pastor. Er blieb stehen, wir tauschten einige Worte. Er bat mich um ein Gebet für sich und die Wiedervereinigung der christlichen Kirchen. — Angriff auf Angriff folgte.

22. Februar 1945, Thronfest Petri

Angriff auf Angriff! Das Niederfallen der Bomben ist wie das Rauschen der Sturzbäche — kurze Stille — danfi folgt das dumpfe Getöse der berstenden Objekte. Wir stehen mitten im Kriegsgeschehen. Der Jammer, die Verzweiflung ist groß. Noch steht der Dom, unser Wahrzeichen, noch stehen alle Kirchen der inneren Stadt, doch dazwischen gähnt das Grauen der Zerstörung.

Die arme Bevölkerung! Zu tausenden ziehen sie in den Morgenstunden mit ihrer kleinen Habe in die Katakomben der Inneren Stadt. Das Bild dieser Wanderung ist ergreifend. Sie schleppen oder fahren in Kinderwagen ihre Kleinsten, die größeren Geschwister sind bereits mit Habseligkeiten vollbepackt! Dann heulen plötzlich die Sirenen. Die Menschen eilen, hasten, laufen. Die große Stadt schweigt und harrt wehrlos, ergeben der Greuel der Bomben. Und diese zerstören was uns lieb und teuer ist. Sie zerstören und töten. Manchmal will man die betenden Hände ruhen lassen. Viele tun es bereits. Doch ich will sie in die Höhe heben und um Hilfe und Erlösung flehen. Noch ist nicht alles zerstört, noch besteht ein wenig Hoffnung. Es donnert der Morgen

— der Morgen der Freiheit bereits —, wenngleich wir noch in der Nacht der Verzweiflung liegen.

Oft sind wir ohne Licht, Gas und Wasser. Man ist gezwungen die Gaststätten aufzusuchen — und die Grobheiten dort einzustecken. Beispielloser Menschenhaß erfüllt viele. Es gibt keine Liebe, keine Milde, kein Mitleid. Das Antlitz der Menschen hat sich verhärtet und ist zur mitleidlosen Fratze geworden. Doch ich will an eine Rettung glauben, voll Hoffnung gegen alle Hoffnung.

12. März 1945

Alle meine Ängste vereinigte ich beim Angriff mit den heiligen Ängsten des Herrn am Ölberg, und opferte sie dem himmlischen Vater auf. — Ps. 119, 17: Gewähre Deinem Knechte, daß ich lebe! Und der Psalm schließt: So will ich Deinem Worte folgen! Das war heute für mich — wie vor sieben Jahren — ein schwerer Tag. Nach der Entwarnung eilte ich in die Stadt. Die Oper stand in Flammen — nebst vielen, vielen Häusern.

Karfreitag, 30. März 1945

Uns war allen sehr elend. Ich las in der Heiligen Schrift: Und ich sah den Himmel offen und siehe da, ein weißes Roß, und der darauf saß, heißt Treu und Wahrhaftig, und er richtet und streitet mit Gerechtigkeit. Seine Augen aber waren wie Feuerflammen und auf seinem Haupte waren viele Kronen .ßj Er war angetan rillt einem blutgetränkten Kleid und sein Name heißt: Das Wort Gottes. Und die Heerscharen des Himmels folgten ihm … Und aus seinem Munde geht ein scharfes, zweischneidiges Schwert hervor, um mit ihm die Völker zu schlagen (Offbg. 19, 11—15). Das Ende der Schrecken naht. Es ist ein trauriger, gottverlassener Karfreitag in Wien. Das Standrecht ist verhängt. Gekreuzigter Herr verlasse uns nicht! Ich vertraue auf Dich! Ps. 146: Der Herr macht die Gefangenen frei!

April 1945

Abgrundtief sind wohl die Sorgen und Kümmernisse, doch mein Vertrauen ist stark. Schwer wird dieser Monat

— der vielleicht der letzte Kriegsmonat ist — sein. Wir gehen nicht weg. Wir wollen hier bleiben, mögen die anderen die Stadt verlassen.

2. April 1945

Gebet zu den Erzvätern Noe und Lot. Eben teilte man mir vertraulich mit, daß Wien nicht verteidigt werde. Ich erkundigte mich bei verschiedenen Stellen, doch wußte man noch nichts Genaues.

Osterdienstag, 3. April 1945

Tage der Entscheidung. Die große Stunde schlägt. Flammenrot umwetterte schon gestern den Abendhimmel. Heute morgen fielen vereinzelt Bomben russischer Flieger auf Wien. Nun wußte ich, daß die Stunde der Befreiung bevorstand. Österreich! Heiliger Name, Land meiner Väter, gekreuzigt, totgesagt, totgeglaubt… Ostern ist es geworden. Wir sind der festen Überzeugung, Wien wird nicht nur befreit, sondern auch gerettet. Ich bete zu den Erzvätern Noe und Lot, die uns an der Katastrophe Vorbeigehen lassen mögen. Vormittags bei Seiner Eminenz! Er gab mir den bischöflichen Segen! Herzlich und heiter verabschiedeten wir uns. Beim Heimweg herrschte unheimliche Ruhe — Ruhe vor dem Sturm. Ps. 6: Mein Beten hat der Herr vernommen, der Herr hat meine Bitten angenommen. Zuschanden werden alle meine Feinde.

Ostermittwoch, 4. April 1945

Nun wird es auch Ostern im Vaterlande. Österreich steht auf! Wir begaben uns zu Major Nusko und Biedermann, von hier wurden wir zu Major Szokoll geschickt. Dort wurden wir von dessen rechter Hand, Oberleutnant Raschke, freundlich aufgenommen. Überall blendende Stimmung. Frühling in Österreich. Möge kein Reif die ersten Blüten zerstören.

5. April 1945

Wie immer in der heiligen Messe und beim Tisch des Herrn. Gleich darauf in das Militärquartier der österreichischen Widerstandsbewegung. Im Hause meines Bruders wurde ein Geheimsender aufgebaut, um mit den Russen in Verbindung zu kommen. Ich lernte Oberfeldwebel Käs kennen, der bereits mit dem russischen Marschall Verbindungen aufgenommen hatte — ein fabelhafter Mann. 5. Tag meiner Novene zu den Erzvätern Noe und Lot.

Osterfreitag, 6. April 1945

Vormittags brachte ich in Erfahrung, daß Major Biedermann, eine der militärischen Säulen des Aufstandes, verhaftet ist. Verzweifelte Lage. Mit Bordwaffen beschossen worden. Vor meinem Haus schlug eine Granate ein. Da die Möglichkeit einer Verhaftung meinerseits bestand, weile ich nicht daheim.

Weißer Sonntag, 1945, %10 Uhr vormittags

Die ersten Russen in unserem Haus vor zwei Stunden herzlichst begrüßt. Deo gratias.

Ps. 18: Ich will Dich lieben, Herr, Du meine Stärke. Mein Herz, mein Schild, Du meine Burg! Den Herrn, den Hochgelobten rief ich an und ward befreit von meinen Feinden. Die grauenhafte Herrschaft Hitlers, unter der ich sieben Jahre litt, wurde zerbrochen! Österreich, das Hitler kreuzigte, ist auferstanden.

Dienstag, 10. April 1945

Ich begab mich in das Hauptquartier der österreichischen Widerstands- und Freiheitsbewegung. Ich erhielt eine rotweiß-rote Binde. Tränen kamen mir in die Augen. Das Hauptquartier befindet sich im Palais Auersperg. Beim Hin- und Zurückgehen kam ich in deutsches Artilleriefeuer. Im Hauptquartier erhielt ich die traurige Nachricht, daß Major Biedermann und Oberleutnant Raschke von den Nazis gehängt wurden.

Ewiges Gedenken und Danken diesen beiden Freunden!

11. April 1945

Ich bin wieder im Hauptquartier der Widerstandsbewegung. Im Augenblick ist die Situation kritisch, weil die Nationalsozialisten einen Gegenstoß aus der Leopoldstadt versuchen. Wir blieben im Hauptquartier, um, sollten die Nationalsozialisten versuchen, vorübergehend vorzudringen, mit den Russen Schulter an Schulter zu kämpfen. Am Abend Aufklärung der Situation.

12. April 1945

Auf der Schweglerbrücke viele Heldengräber. Auch liegen auf beiden Seiten der Eisenbahngeleise Deutsche und Russen — was mich sehr erschütterte. Der Stephansdom brennt! Deutsche Artillerie schoß Phosphorgranaten in die Stadt. Nun steht der Dom in Flammen. Als ich in die Westbahnstraße kam, ertönten gellende Hilfeschreie. Da ich eine Armbinde trug, bestürmte mich die Menge. Ich holte auch einen Russen herbei, um Frauen von den betrunkenen Soldaten zu befreien. Gleichzeitig kamen aber auch zwei Kommissare, die die betrunkenen Russen abführten.

13. April 1945

Bilder des Grauens bietet unsere arme, schwergeprüfte Stadt. Man plündert Wohnungen, schändet Frauen und Mädchen. Ich helfe, wo ich kann. Eben komme ich von Major Szokoll vom Rathaus, wo der neue Bürgermeister, General Körner, ernannt worden war. Nun weht die Flagge Österreichs auf dem Rathaus.

17. April 1945

Ps. 30: Du hast meine Klage in Reigentanz verwandelt. Heute vormittags befand ich mich bei einer Sitzung auf der Universität. Voll Empörung sah ich reichlich viel nationalsozialistische Professoren. Im allgemeinen herrscht hier ein wüstes Durcheinander.

18. April 1945

8. Tag meiner Novene zum heiligen Johannes Baptist Vianney.

Heute begab ich mich in die Herrengasse Nr. 13, wo sich derzeit alles befindet, was im Augenblick versucht, Österreich aufzubauen. Hier sprach ich mit vielen die Hochschulfrage durch. Man bat mich im Namen der Widerstandsbewegung, den Professoren und Dozenten, von denen sich ein Teil in der Universität, wie gestern ausgemacht, befindet, zu sagen, diese mögen einen Dreiervorschlag einreichen, betreffend eines Herren, der die Agenden eines Rektors führen soll. Ich brachte dieses Ersuchen in der Sitzung vor. Vorschlag: Prof. Adamovich, Prof. Meister und Prof. Arzt. Erster Vizebürgermeister von Wien ist Leopold Kunschak, der alte gute Freund. Eine lange Aussprache hatte ich auch mit dem Generaldirektor der Katholischen Aktion, Msgr. Jakob Fried. Ich legte ihm folgende, mir wichtig erscheinende Punkte vor: 1. Kein Priester soll in die Politik, 2. die Kirche soll sich mit keiner Partei identifizieren, denn 3. soll die Kirche zu allen Parteien Beziehungen unterhalten. Ob man sich danach halten wird?

27. April 1945, Fest des heiligen Petrus Canisius

Heute war die Regierungsbildung und Proklamation des wiedererstandenen Vaterlandes Österreich. Ich freute mich aus ganzem Herzen. Ich bin von einer tiefen Dankbarkeit erfüllt. Mein Vaterland ist wiedererstanden. Noch trägt es Wunden, noch geistern Schrecken durch Straßen, doch Österreich wird gesunden. Heftiges Gespräch bei der Katholischen Aktion, da man sich dort für Anti-Österreicher einsetzte, die sich Beistand und Stellung holen wollten. Ich will keine Rache üben. Doch schon wieder diese Tätigkeit zu protegieren geht zu weit.

Mai 1945

Wieder ist es Mai geworden! Der schöne, liebe Monat. Diesmal darf man schon freier atmen die würzige Luft dieses Monats. Deo et omnibus Angelis et Sanctis gratias!

Erst jetzt erfuhr ich, daß doch, knapp vor der Befreiung Österreichs, mein lieber Freund, der hochwürdige Kooperator Dr. Heinrich Maier am 22. März 1945 hingerichtet wurde. Er starb mit dem Ausruf: „Für Christus und Österreich!“ Das ist für mich Losung und letzter Wille meines Freundes! Damit trete ich in diesen Monat ein, den ich unter den Schutz der heiligen Theresia vom Kinde Jesu stelle.

Dienstag, 1. Mai 1945

Heute begann ich eine Novene zu den Heiligen Florian und Monica. Mögen beide mein Haupt und Haus beschirmen. Um 10 Uhr war ich bei der Maikundgebung unseres Bezirkes. Die drei Staatsparteien: Die österreichische Volkspartei, die kommunistische und die sozialistische Partei trugen gemeinsam die Feier, auf der gute Reden gehalten wurden. Alle verbindet jetzt ein absolut österreichischer Patriotismus, der seit Jahrzehnten in diesem Land seinesgleichen sucht. Dasselbe war auch nachmittags bei der Maifeier an der Universität, woran ich teilnahm. Sehr gut, ja, formvollendet, sprach der neue Rektor, mein edler Freund: Univ.-Prof. Adamovich.

Bittmontag, 7. Mai 1945

Heute ging der wahnsinnige, von Hitler entfesselte Krieg zu Ende. Morgen erfolgt von den Vereinten Nationen die diesbezügliche Proklamation. Was ich sagte, der Krieg werde sieben bis acht Jahre dauern und Deutschland verlieren, ist Wahrheit geworden.

Ps. 68: Zerstreue, Herr, die Völker, die den Krieg sich wünschen!

14. Juni 1917 Sehr verehrter lieber Freund!

In der großen Freude über Ihre Rede, die auch in den offenbar nachlässigen, vielleicht absichtlich zerstückten Auszügen, die die Zeitungen davon bringen (ich will gleich morgen für alle Mal auf das Stenographische Protokoll abonnieren, da die Parteilichkeit der sämtlichen einander an Niederträchtigkeit werten Journals zu jämmerlich ist und ich gerade jetzt doch ein halbwegs zutreffendes Bild der Verhandlungen haben möchte), noch so stark, so groß, in ihrem einfachen Ernste so mächtig mahnend wirkt, daß mir, beim bloßen Lesen schon, ganz frei ums Herz wurde und ich zum erstenmal seit Ihr wieder „Sagt“ („machet“, sollte man eher sagen, denn rabenschwarz siehts aus!) wieder auf atmete, froh, endlich statt all des Bubenschwatzes endlich eines Mannes Rede zu vernehmen, und so stolz, daß gerade Sie es sind, der in diesem „neu orientierten“ (o Jekus!) Österreich das erste vernünftige Wort gesprochen hat! Aber wer sonst auch wäre

Die bekannte — und gefürchtete — Fliegenschrift Hermann Bahrs. Brief vom 22. Juli 1917

da, der es könnte? Alle politische Vernunft scheint in unserem armen Vaterland ausgestorben und wirklich nur dieses einzige Exemplar Josef Redlich noch davon übrig zu sein! Wie wenn in einem gröhlenden Haufen von Betrunkenen oder Besessenen plötzlich ein ruhig denkender Mensch das Wort nimmt, so hat Ihre Rede auf mich gewirkt nach all dem entsetzlichen Zeug der letzten vierzehn Tage! Ich denke mir, das ganze Tollhaus muß förmlich erschrocken sein, als es vernahm, daß noch ein vernünftiger unter ihnen geblieben ist…

Nun habe ich mir zwar längst abgewöhnt, in Österreich zu meinen, daß nirgends etwas Wirkung und (wie Goethe gern sagt) „Folge“ haben könnte, aber diesmal müßte doch der Teufel selbst in Person eingreifen, um zu verhindern, daß der wunderbar reine Klang einer so ruhigen, ernsten, festen Stimme nicht überall gehört wird und nicht endlich Widerhall findet. In diesem furchtbaren Augenblick, wo Österreich, wenn es ihn benützt, zu seiner ganzen alten geschichtlichen Größe zurücklehren kann, aber wenn es ihn versäumt, zerfallen muß, scheinen Sie mir der wahrhaft providentielle Mann, denn nur Sie allein haben noch, was allen fehlt und was wir brauchen: Vernunft, Willen und die Liebe zu diesem geheimnisvollen Staat, der nur als Liebe überhaupt denkbar ist.

Verzeihen Sie diesen Erguß — Ihre Rede hat mich so beglückt, erfrischt, ermutigt, erneut und mit stiller Hoffnunggesegnet, daß ich Ihnen danken mußte! Und sprechen Sie bald wieder! Und vergessen Sie nicht, daß es jetzt Ihre verfluchte Pflicht und Schuldigkeit ist, sich allenfalls auch mit Gewalt auf den Platz vorzudrängen, wo der Mann nötig ist, der nur Sie sind!

Herzlichst

Ihr getreuer Hermann

5. 7. 1917 Lieber Freund!

Als ich vorgestern früh in unserem Salzburger Druckmorgenblatt den Amnestieerlaß des Kaisers las, hätt’ iah am liebsten laut herausgeweint vor unbändiger Seligkeit, daß mich Gott noch diesen Geburtstag meines Österreichs erleben ließ; jetzt wiill ich gern dahin fahren. Und dann könnt ich mir nicht anders helfen, ich bin in die Franziskanerkirche gegangen und kniete hin und seit meiner ersten Kindheit hab ich vielleicht nicht einfältiger rein gebetet als gestern für diesen jungen Kaiser, der ein wahrhafter Mensch ist. Und seit gestern Mittag steht auf meinem Schreibtisch ein Bild des Kaisers. Halb spöttisch, halb gerührt schrieb meine Frau, verwundert Zeugin der Glückseligkeit, in der ich schwamm, rückwärts auf das Bild: „Das österreichische Wunder!“ Sie hat recht: Denn wer mir das unter Franz Joseph prophezeit hätte, daß es mir jemals ein Bedürfnis sein könnte, einen Habsburger auf meinem Schreibtisch zu haben! Aber denken Sie: Was ich seit dreißig Jahren sinnlos, doch mit übermächtiger innerer Gewalt hoffnungslos gewiß mir ersehnt habe, steht in diesem einfachen, heiteren, reinen Jüngling erfüllt vor mir! Und meine einzige Sorge, die, zuweilen zu einer wahren Todesangst erwächst, ist, aus dieser rührenden Gestalt könnte durch die verbrecherische Dummheit einer noch immer franciscojoseflnischen Bevölkerung eine tragische Figur werden! Und vor einer Stunde las ich im Journal von Ihrer Audienz, mir pochte das Herz, mir hämmerten die Schläfen. Wenn er spürt, mit dem Ahnungsvermögen, das ich einem solchen schwarzgelb platonischen Jüngling wohl zutrauen könnte, spürt, was Sie ihm werden könnten, daß ihm vielleicht in Ihnen die Vorsehung den ihm zur Erfüllung seiner Mission vorbestimmten Mann schickt, wenn er den schicksalschweren Ernst dieses vielleicht Österreichs und seiner ganzen Zukunft entscheidenden Augenblick spürte —!!

Und eine halbe Stunde später kam Ihr lieber Brief, der auch von einer Ihnen selbst kaum bewußten Erregung zitterte und noch in der tiefsten Ergriffenheit, in einem unnennbaren Zustand, wo das Schweigen der Seele plötzlich laut zu reden scheint, schreibe ich diese Zeilen, die Ihnen vielleicht komisch klingen: Sie sind’s vielleicht auch, aber nur im Ausdruck, denn kein Wort langt für die Fülle innerer Gewißheiten, die ich mit den Augen des Geistes sehe, sehe, sehe!

Kommen Sie bald, bald, bald, lieber Freund! (Nur am 12., 13., 14. und 15. d. bin ich, zum 80. Geburtstag meiner Schwiegermutter, in Klagenfurt, vom 23. d. ab ein paar Tage in Berchtesgaden.)

Sehr merkwürdig ist das Horoskop des Kaisers! (Glauben Sie doch aber um Gotteswillen nicht, ich sei nun gar noch „astrologisch“ worden!)

Herzlichst Ihr getreuer Hermann Bahr

6. 7. 1917 Lieber Freund!

Lassen Sie mich heute noch einmal mit dieser einfachen Aufschrift, der ich doch, wenn ich sie an Sie richte, das ganze Gewicht und die ganze Fülle gebe, die ein deutsches Herz mit dem Worte „Freund“ verbindet, beginnen, ich werde mich erst langsam daran gewöhnen müssen, künftig zu schreiben und zu sagen: „Euer Exzellenz!“ Aber wie herzlich ich mich darüber freue, daß es endlich, endlich so weit ist, viel mehr noch für mein Vaterland und für mich, der so hoffen darf am Abend seines Lebens noch den Inhalt dieses ganzen Lebens erfüllt, bewährt, verwirklicht zu sehen, darüber freue als für Sie selbst, das ja dadurch nur nach außen hin, nicht aber innerlich und nicht für die Wissenden mehr wird als es seit gut zehn Jahren schon ist, wie närrisch ich mich dennoch darüber freute, als mir Lammasch heute erzählte, daß in dem „großen“ Ministerium, das er für die nächste Woche schon prophezeit, Sie Minister des Inneren werden, die Reform der Verwaltung beginnt und ich noch mein Österreich erleben soll, das kann ich Ihnen nicht sagen. Die deutschen Professoren schwelgen in den „Ideen von 1914“ noch immer jenen großen August preisend, für mich ist das schon seit der Amnestie „mein großer Juli“ und nun soll mir dieser geheimnisvolle Monat auch noch den Beginn unsererösterreichischen „Ideen von 1917“ bringen, durch die vielleicht der deutsche Geist (der ja nur noch an vier oder fünf — es dürften nur drei sein — Österreichern zu finden ist) gerettet werden kann. Das wäre viel mehr Glück für mich, als ich verdiene und wird mir das zu Teil, so will ich mein Lebtag nicht mehr aufhören, Gott dafür zu danken, und wenn er dafür verlangt, daß ich Taubheit oder Blindheit tragen lerne, ich bin gern dazu bereit.

Lieber Freund, wir wollen nun aber unser persönliches Verhältnis für die kommende Zeit fixieren. Wie der Kur- wenal zum Tristan stehe ich für Sie, dies auch, wenn es sich begeben sollte, daß ich Sie nicht mehr begreifen könnte. Auch dann bleib ich Ihnen treu. Mein Gefühl für Sie kann nur wachsen, niemals aber geschwächt oder bedenklich gemacht, geschweige denn irre an Ihnen werden. Wenn Sie jemals denken sollten, mich zu etwas brauchen zu können, so haben Sie das, was es auch sei, nur von mir zu verlangen und es geschieht, nein es ist geschehen. Daß ich weder für mich noch andere Wünsche stellen noch auch nur haben werde, so weit kennen Sie mich, daß ich das nicht erst zu versichern brauche. Doch daß ich begreife, wie die Forderungen Ihrer neuen Tätigkeit Ihnen weder Zeit noch Lust lassen werden, unser Verhältnis in der Intensität fortzusetzen, die in den letzten Jahren mir so viel reines geistiges Glück bereitet hat, daß mir das selbstverständlich ist und daß ich bereit bin, jetzt einige Zeit lieber abseits von Ihrem äußeren Leben zu stehen, mich damit begnügend, daß ich innerlich ganz in derselben beglückenden Nähe bleibe, das ausdrücklich zu sagen ist mir ein Bedürfnis.

Und nun: Setzen Sie Österreich in den Sattel!

Herzlichst Ihr Hermann Bahr

Ich bin am 11. und 12. in Villach, T~'tel Moser, am

13. wahrscheinlich im Kloster Seckau, vom 14. ab wieder daheim.

11. 7. 1917

Lieber Freund!

Unsere Briefe haben sich wieder gekreuzt, Ihrem entnahm ich übrigens, daß mein vorletzter drei volle Tage unterwegs verbracht hat (ich schrieb ihn Dienstag voriger Woche abends, Sie erhielten ihn Samstag früh!) und wenn Sie erst ahnten, in welchen astronomischen Zeitläufen sich Drucksachen, Korrekturen usw. bewegen, würden Sie doch nächstens eine Anfrage an den Handelsminister richten, ob es zu seinen Intentionen gehört, daß man einen Brief, damit er sicher in zwei Tagen von hier nach Wien kommt, express aufgeben, damit er aber dort auch wirklich ankommt, rekommandieren muß! Dieses alte Österreich wird fürcht ich allen Erneuerungen widerstehen, die Beamtenschlamperei ist das Bleibende im Wechsel!

Ihr letzter Brief hat meine Spannung, meine Erwartung noch erregt, meine Hoffnung nicht vermindert… Lammasch könnt ich Ihren Brief nicht mehr zeigen, er war eben unerwartet wieder nach Wien abgereist — ein gutes Omen, denke ich.

Natürlich bin ich todstumm, selbst gegen meine Frau; Thides (?) war ich nie, Merlin bin ich längst.

Nur eines noch: Trachten Sie Hohenlohe viel zu sehen, nicht an ihm irre zu werden und ihm nicht aus den Augen zu kommen, sein einziger Fehler ist sein schlechtes Gedächtnis: was er nicht sinnlich vor sich hat, kommt ihm leicht abhanden — er schätzt Sie sehr, aber wenn er Sie einige Zeit nicht sieht, ist er imstande es zu vergessen. Ferner: Trachten Sie mit Jaroslav Thun in Verbindung zu bleiben. Endlich: Suchen Sie, eventuell mit Berufung auf mich, eine Näherung an den Cardinal. Denn wenn es dann erst so weit sein wird, will ich versuchen, den Grund zu einer katholischen (von allen „Christlichsozialen“ gereinigten) Partei zu legen, die mit Ihnen arbeitet.

Herzlichst immer Ihr Hermann Bahr

15. 7. 1917 Ich hoffe Freitag abend wieder hier zu sein!

Nach Seckau geh ich nicht, weil der Abt verreist ist.

Immer in Erwartung und voll Zuversicht treulichst

Merlin im leuchtenden Grabe.

Wer ist dieser Abgeordnete Lodgemann? Er könnte mich fast interessieren.

17. 7. 1917 Lieber Freund!

Lammasch, eben aus Wien zurück, erzählt mir, daß Sie vorigen Montag einige Stunden Ministerpräsident — waren und hofft es sei nur vorläufig aufgehoben. Von Pergers Verstand hält er viel, auch von seiner Anständigkeit, weniger scheints von seiner Zuverlässigkeit, er sei leicht bestimmbar, höre nach überall hin und verliere dann wohl den Kurs. Des Kaisers Einsicht und richtiges Urteil, fürs Innere und fürs Äußere, preist er und beklagt nur allerhand in seiner Umgebung anonym wirkende Mächte. Sehr gereizt sprach er über Fürstenberg; unverständlich sind auch ihm die Christlichsozialen. Von Ihrer Teilnahme an der Sylva Tarouca Versammlung heute, wo Sie ja auch den trefflichen Foerster kennen lernen werden, verspricht er sich viel.

Rat: Suchen Sie die Beziehung zu P. Augustin Galen, den ich herzlich von mir zu grüßen bitte, wieder aufzunehmen, zu befestigen und fortzuspinnen. Ich habe Grund anzunehmen, daß er, sehr hoch oben, weit mehr Einfluß hat, als er sich den Anschein gibt. Und: laden Sie Hohenlohe bald und immer wieder in Ihren Garten zu sich, der jetzt, im vollen Blühen, wunderschön sein muß — wie gerne wär ich einmal dabei!

Bitte: Kann ich das 1905 beschlossene Schulgesetz von Ihnen bekommen, das vorbildlich für jeden Nationalitätenausgleich sein soll.

Noch etwas: Professor Laun, eben aus Christiana zurück, wo er starken Erfolg gehabt hat, scheint durch diesen Einfluß nicht bloß bei Czernin bekommen zu haben, sondern auch bei „Ihm“. Es könnte sein, daß man ihn unter die „kommenden Männer“ zu rechnen hat.

In Eile, viel arbeitend, doch in anhaltendem inneren Verkehr mit Ihnen, herzlichst verehrter Freund,

Ihr getreuer Hermann Bahr

22. 7. 1917

Recht gehetzt, nur vor Ihrer Abreise noch die herzlichsten Wünsche für die Berliner Fahrt! Grüßen Sie Wolfgang Heine herzlichst und lassen Sie sich von ihm auch Sudekum vorführen, der viel ernster ist als er sich gibt und machen Sie beiden ein bißchen mehr Mut zu der — Ungesetzlichkeit, die sich in großen Augenblicken der Geschichte nun einmal nicht ganz vermeiden läßt, Cromwell war nicht dozil. Versäumen Sie die deutsche Gesellschaft 1914 in der Wilhelm- straße nicht, hören Sie Rathenau (dem Sie von mir irgend etwas Schmeichelhaftes über sein letztes Buch sagen müssen, schon weil sein Pfauenrad wirklich sehenswert ist, er es aber nur bei großen Dosen von Schmeichelei schlägt) geduldig an, er ist ein heute nur noch in der Mark so rein gedeihendes Exemplar des Affen mit Genie (Ahnherr Lassalle, den Sie aber deswegen nicht nach diesem Deszendenten beurteilen müssen). Und keineswegs dürfen Sie Berlin verlassen, ohne Theodor Wolff gesprochen zu haben, den klügsten, besonnensten, freiesten, zukünftigsten, menschlichsten Politiker, der sich im Raume des heutigen Reiches bewegt, wenn er auch durch meinen Katholizismus so geschreckt worden zu sein scheint, daß er nicht mehr viel von mir wissen will, was Sie aber nicht hindern soll, ihn erst recht von mir herzlichst zu grüßen, ja ihm ausdrücklich zu sagen, daß mein (obiges) Urteil über ihn, meine Freude an seiner gelassenen und verstandesklaren Mannhaftigkeit, meine Freundschaft für ihn, auch wenn er vergißt, was wir uns seit fast dreißig Jahren waren, auch dann noch ganz unverändert dieselbe bleibt!

Sonst noch? Ritzier (Rudorffer, der das bekannte Buch geschrieben) wird sehr gelobt, besonders von Hofmannsthal, ich kenne ihn nicht und habe ein grundloses Mißtrauen gegen ihn, das ich gegen Juden niemals habe, stets aber gegen das Hineinheiraten in große Mischpochen.

Und der gute brave Jastow würde sich sehr freuen, Sie zu sehen! Allerdings noch bei weitem nicht so wie der er- gebenst Unterfertigte, der den für den 5. August verheißenen Besuch schon wirklich gar nicht mehr erwarten kann und fast imstande wäre, Ihnen nach Aussee entgegenzukommen.

Herzlichst immer Ihr Hermann Bahr Lieber Freund!

29. 7. 1917

Ich hoffe Sie glücklich von Berlin wieder heimgekehrt, beladen mit Neuigkeiten,, worunter leider kaum gute sein werden (Poldi Andrian, der einen Tag hier war, hat mir erzählt, wie die scheints unheilbaren Deutschen die res Colonial so gründlich verfahren haben — und wir die Rechnung zu zahlen haben werden, da Burian alle warnenden Alarme in den Wind schlug), bin nun voll Neugier, mehr aber noch eines echten Herzenswunsches Sie wiederzusehen voll und rechne fest, es bleibt dabei, daß wir Sie nächsten Sonntag hier haben, noch herrlicher wäre freilich, Sie könnten sich entschließen, schon Freitag, womöglich schon Donnerstag zu kommen, wir könnten dann Samstag oder Sonntag wirklich auf den Untersberg, um uns einmal gründlichst gegenseitig auszuschütten, denn Montag, den 6., kommt dann nämlich Richard Strauss, und zwar mit Ihr, mit Paulin- chen, die dann mit ihrer Suada alle Umgebung so zu verschütten pflegt, daß man seine vierundzwanzig Stunden braucht, sich wieder so weit zu erholen, daß man auch nur Mau sagen kann!

Also bitte: Kommen Sie so bald als möglich, bleiben Sie so lang als möglich und telegraphieren mir, wenn möglich gleich nach Erhalt dieser Zeilen, Tag und Stunde wann Sie kommen, worauf sich närrisch freut

Ihr getreuer Hermann

Auch meine Frau, die sich gleichfalls herzlichst auf Sie freut, läßt allerschönstens grüßen.

1. 8. 1917 Lieber Freimd!

Ich dachte mir das eigentlich gestern schon, daß sie wol leider diese Woche nicht würden kommen können, da ja gerade jetzt wol die Entscheidung fallen muß und da, so leid es mir tut, meine Ungeduld nach Ihnen noch etwas zügeln zu müssen, da dürfen Sie nicht fehlen, so gering auch die Hoffnung sein mag, in letzter Stunde doch Schlimmstes noch zu verhindern — denn Dilettantismus ist gerade jetzt wirklich das Allerschlimmste. Ist’s denn nicht möglich, daß Sie doch noch einmal zu „Ihm“ können oder vielleicht Hohenlohe habhaft würden, auf den ich noch immer das stärkste Vertrauen hätte, wofern Sie ihn behutsam zu lenken wüßten. Und trachten Sie doch in diesen Tagen P. Augustin Galen zu sehen — glauben Sie mir! — Da Dienstag Strauss hier ein Konzert hat, von dem ich mich leider nicht absentieren kann (Paulinchen, die auch mitkommt, würde mir’s nie verzeihen), wäre mir, der eifersüchtig darauf ist, möglichst viel von Ihnen zu haben, eigentlich lieber, wenn Sie erst Mittwoch kämen. Und nochmals: so groß meine Sehnsucht ist, große Dinge gehen vor und ich will gern, so schwer mir’s wird, noch eine Woche warten oder auch zwei.

Herzlichst Ihr alter H.

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