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Peter Anich, der STERNSUCHER

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32. Fortsetzung

Auch der Vater habe nicht den ganzen Tag gedrechselt, sondern am Feierabend und zumeist im Winter. Und seien nicht die Sterne im Winter am reinsten zu betrachten? Von der Leni und von der Kathi erzählte er, von seinem Sdiwager und von der Marie, mehr aber von der Leni, von der Kleinen, die nun auch schon ins zwanzigste Jahr ging und um einen Kopf größer sei als er selbst. Doch als der Pater dann noch um dies und jenes fragte, ob die Leni nicht schon einen Verlobten habe, wie er sich mit dem Schwager vertrage und ob dann die Marie, wenn sie in Hötting ohnedies ein jammervolles Leben führe, nicht in der Wirtschaft helfen könne, da erschrak Peter ganz tief, so fremd kam ihm plötzlich alles vor, so unmöglich fern sah er selbst die Mutter, so, als habe er nicht bloß einen Tag, sondern schon Wochen fern von ihnen gelebt; nur in das eigene vergraben, nur auf seine Bücher bedacht, selbst wenn er neben ihnen auf das Feld ging oder bei Tische das Tägliche mit ihnen beredete.

„Ein leichtes Leben hast du dir bei Gott nicht ausgesucht“, sagte der Pater, „ich mein aber, es ist besser, wenn es nicht so ganz ohne Hindernisse abgeht. Was mir im Leben allzuleidit gefallen ist, hat auch nie vorgehalten, oder es hat sich als das nicht ganz Richtige erwiesen. Auch in der Mathematik geht es einem so. Ansonsten stell ich mir die Bauernarbeit nicht so schlimm vor. Der Bauer hat seine Sorgen, aber die schickt ihm offensichtlich der Herrgott, Wind, Wetter, Krankheit, Tod, Viehsterben, auch einmal eine Brunst oder einen Haufen plündernde Soldaten. Ein Bauer lebt auch nicht ohne Feinde, wer in der Welt könnte das und dürft es sich auch nur wünschen; sie neiden ihm das bessere Traid, eine schmucke Dirn, oder sonst was Greifbares. Der Bauer hat auch seine Müh und Plag, doch er schwitzt für sein eigen Gut, wenigstens bei uns in Tirol, sein Leben ist eine Gleichung mit einer Unbekannten, dem vom Herrgott ihm auferlegten Schicksal. Wer hingegen in die große Welt hineintritt, gar einer, der sich der Gelehrsamkeit verschreibt, der kann sich nicht zum Feierabend auf die Hausbank setzen und sagen: Ich hab mein Tagwerk getan, denn er weiß nicht, wo sein Tagwerk anhebt und endet, er kennt die Grenzen seiner Arbeit nicht und nicht die Fülle ihres Segens. Und wenn er die Ernte heimbringt, dann blickt er sie zumeist doch recht fragwürdig an. Er weiß nicht: ist die Sache reif, ist sie es nicht, und kann man die kleinwinzige Frucht, die einem da in Händen bleibt, überhaupt eine Ernte nennen? Schon hungert ihn nach neuen Feldern, nach der noch größeren Welt, nach dem nun wirklich letzten Geheimnis. Und ohne diesen Hunger ist er kein Gelehrter. Kennt er erst die hellleuchtenden Sterne, dann verlocken ihn auch die sanfteren, hat er auch die mit seiner Sehröhre herangeholt, riecht er dahinter, dort, wo der Himmel nur mehr schwarz ist, noch viel winzigere oder entferntere, wer weiß das. Vielleicht liegt das Geheimnis erst weit hinter diesen ihm noch unsichtbaren Sternen. Wer diese Ungeduld nicht kennt, und am Feierabend zufrieden seinen Bart streicht, der ist kein gelehrter Mann, mag er auch von jedem Sternchen das Geburtsjahr und die Halsweiten hersagen.“

„Es könnt einen beinah, wenn er dir zuhört, die Lust angehn, auch ein kleiner Gelehrter zu werden, die Lust und der Schrecken. So viel schöne Eigenschaften muß so ein gelehrter Mann besitzen, von

denen ich noch niemals gehört hab, die man gewiß auch nicht aus einem Büchel lernen kann.“

„Die auch mein Peter bereits ausreichend besitzt, sonst hätt ich sie gar nicht beredet.“

Doch Peter schüttelte heftig den Kopf: „Ich will ein Bauer bleiben, ich bin einer, das weißt du doch, ich will auch kein Sterngucker werden und kein Kalendermacher; mich freuen nur die Sterne, auch das Messen freut mich und das Berechnen. Deshalb bin ich zu dir kommen. Nicht, daß du was anderes von mir erwartest und mir dann bös bist, wenn es nicht sein kann.“

Herr von Weinhart aber sah ein, daß er von seinen heimlichen Plänen nun doch nicht reden durfte. Er habe das alles nur so nebenhin gesagt, rief er rasch, nicht etwa um ihn abzuschütteln oder ihm das Studium zu stören, er wolle ihn bloß warnen, daß er von den Büchern und all der menschlichen Weisheit nicht irgendwelche Glückseligkeit erwarte. Einem Bauern sei gemeinhin von der Vorsehung mehr Glück zugeteilt als einem Gelehrten, auch wenn die Bauern, wie er wohl wisse, sich unter einem solchen einen Menschen vorstellten, der genug Geld und Muße und Freiheit besitze und auch an Wochentagen Braten speise. Freilich dürfe so ein Bäuer-lein dann nicht nach den Sternen aus sein, höchstens, soweit es zum Wetterschaun oder für bestimmte häusliche Verrichtungen gut sei, auch noch zum Lobpreis des Schöpfers. Wer sich aber in die große Welt hineinwage, der heimse nur allenthalben Ärger ein und dies um so mehr, als er im Wissen und Streben fortschreite.

„Und wenn ich ein Bauer bleib?“ fragte Peter, „ich denk, mein Türken wird doch nicht weniger reich ansetzen, bald ich mich audi um die Sterne bekümmere, und das Gered der Nachbarn tut mir wenig, bald mein Türken sdiön gedeiht.“

„Hätt nur jeder von uns so einen Hof daheim“, sagte der Professor rasch.

Auf dem Heimweg aber besprachen sie, wie sie das Studium nun doch erleichtern konnten. Eine kleine Nebenbeschäftigung werde Peter wohl später einmal annehmen, sagte Herr von Weinhart, auch wenn er nicht nach Innsbruck gehe. Man werde dann audi daheim ihn leichter gewähren lassen und sein Studium achten. In der Welt drücke sich nun alles einmal in Geld aus, zuvörderst für den Bauern.

Am Gewährcnlassen fehle es ja nicht, entgegnete Peter nach einigem Nachdenken, wohl aber an der nötigen Zeit. Wenn die Mutter endlich gesund wäre und die Marie aus Hötting heimkam, dann ginge alles schon viel leichter. „Ich mag aber nicht mehr davon zu ihr reden“, setzte er hinzu, „sie meint dann, wir gebrauchen sie, und geht erst recht nicht heim. Wenn sie irgendwelche Nachricht über ihren Mann hätt, war das schon leichter. Aber wie soll ich eine solche beschaffen? Vielleicht zeigst du mir einmal den rechten Weg zum Gubernium.“

„Darüber will ich gern nachdenken“, sagte der Pater.

Er bat aber Peter, daß er ihn bis ins Kolleg begleite, und hieß ihn dort im Pfortenzimmer warten, er habe ihm noch etwas mitzugeben, ein kleines, aber sehr nützliches Büchlein. Als er nach geraumer Weile aber zurückkam, zog er eine Flasche Wein aus der Kutte und eine blanke messingene Dose, auf deren eine Seite ein bunter Türke aufgemalt war. „Der Wein mag deiner Frau Mutter das Blut erneuern“, sagte er, „er ist vom besten, den wir haben, der Kaffee aber, vorsichtig genossen, weckt wieder ihre Lebensgeister. Ich laß ihr gute Gesundheit wünschen und sagen: sie wird noch erleben, wie ihr Bub ein großer Mann wird. Sag ihr das genau so, sonst geb ich es nächstens schriftlich.“

Peter hielt noch immer seine Hand umklammert.

Die Sache deiner Schwester werde ich überdies selber in die Hand nehmen. Rasch werden solche Nachfragen ja nicht erledigt, gar heute in Kriegszeiten nicht, wo leicht

ein Mensch verschwindet; aber ein Glücksfall beschleunigt uns auch, selbst wenn wir ihn erst erwarten, mehr, als wenn er bereits eingetreten ist.“

Dann zog der Pater aus seiner unergründlichen Soutane ein winziges Büchlein. Es war neben der dicken Meßkunst wie ein Säugling anzusehen, so schmal lag es einem in der hohlen Hand. /

„Ein Mitbruder von uns hat das Büchlein schon vor hundert Jahren drucken lassen“, sagte er, „doch wenn die Rechenbücher leicht in zehn Jahren veraltern, solche Bücher dauern, und wenn du von der Trutznachtigall des Herrn von Spce noch nichts gehört hast, so wirst du das Vöglein bald um so lieber haben. Ist ein rechtes Trostbüchlein, schön nach Jahreszeiten eingeteilt, so recht für einen Bauern, der sein Herz nicht an die Erde verloren hat, sondern gar nach den Sternen greift.“

Peter aber blätterte eine Weile in dem Büchlein, klappte es andächtig zu und steckte es in die Rocktasche. Die Flasche und die Dose verstaute er neben den Büchern. Er brachte kaum ein Wort des Dankes heraus, nur seine Augen glänzten.

12. Kapitel

„Für den Anichbauern hat die Woche zwei Feiertage, den Samstag und den Sonntag.“ Die Oberperfußer redeten das, obgleich sie den Peter jeden Samstag um die fünfte Stunde auf dem Weg gegen Kematen sahen, audi in den mondlosen Winternächten, auch wenn der Eissturm den Schnee klaftiertief in. den Hohlweg warf, ja selbst zur Anbauzeit und im August, wenn der Kornschnitt Greise und Kinder auf den Acker trieb. Ein wohl sehr zeitiger und sehr regelmäßiger Gang in die Stadt schien den Bauern ebensowenig eine Arbeit zu sein wie das Spintisieren und Sinnieren hinter dicken Büchern, derweilen sie im Wirtshaus saßen oder mit ihren Mädchen nächtlicherweile über die Wiesen spazierten. In einem hatten die Oberperfußer freilich recht: Der Samstag war und blieb für Peter ein höchst feierlicher Tag, selbst als diese Gänge nach Innsbruck schon zu seinem Tagewerk zählten wie das Stall misten und Futtereinführen oder irgendwelche bäuerlidie Verrichtung. Nur daß der immerhin hohe Herr, der auch im oberen Inntal und im Mittelgebirg aus manchem Gesdiichtchen bekannte Herr von Weinhart, sich einen so kleinen und in seiner Art unhandlichen Bauern als Gesellschafter ausgesucht hatte, das begriffen sie nicht.

Eine Weile ging denn auch das Gered um, der Peter renommiere bloß mit dem Professor, er besuche nur die Marie in Hötting, denn die Anidileute wollten das ungeratene Frauenzimmer gern daheim haben; und auch an diesem sehr dummen Gered war ein schönes Stück Wahrheit. Jeden Samstag war sein erster Weg nach Hötting hinüber, und erst um viertel vor neun sah man ihn das Häusel der Schwester verlassen. Diese Wartezeit war das Geheimnis seiner Pünktlichkeit. Er brauchte nicht im Regen oder mitten unter den Studenten warten, bis das Tor der Hohen Schule aufgeschlossen ward. Er kam aber nicht leer zur Schwester. Brot und Mehl, Schmalz, Speck und Eier lagen jedesmal in seinem Körbchen, genug für eine Person für die Woche und noch etwas darüber für Wochen, da er etwa abgehalten sein konnte oder die Hennen ihre schlechten Zeiten hatten. Er hoffte dabei, daß ihm einmal doch die rechte Frage gelinge. Doch sobald er dann die unfreundliche Stube der Schwester betrat, verlor er allen Mut. Er stellte die guten Sachen auf den Tisch, richtete den Gruß von daheim aus und wartete am Fenster auf die Uhrzeit. Anders ertrug er diese Stube nicht. Die Marie lud ihn aber auch niemals zum Niedersitzen ein. Seine Gaben nahm sie ohne Dank entgegen wie einen Tribut, und wenn sie etwas herbrummte, verstand keiner, ob es etwa ein Dankeswort war oder eine neue Unfreundlichkeit. Nicht einmal, daß der Professor beim Hohen Gubemium wegen ihres ver-

schollenen Mannes abgefragt hatte, verriet Peter, und erst, wenn er sie dann wiederum verlassen hatte, stritt er in Gedanken heftig mit ihr. Er gab aber seine Besuche nicht auf, ja er entledigte sich ihrer wie einer nicht angenehmen, dodi unabänderlichen Pflicht. Der Mutter gegenüber erfand er dieses und jenes freundliche Wort, doch auch sie fragte bald nicht mehr danach. Nur die Leni ahnte, wie es in Wahrheit um die Schwester stand, sie jedoch wußte auch um das Glück jener Samstage und daß auch die bitteren Stunden in Hötting darin nicht allzu schwer wogen.

Freilich, so wie in den Tagen ihrer Kindheit, als sie noch nebeneinander auf dem Birnbaum gesessen und in die Sterne geblickt hatten, konnte Peter jetzt audi mit der Leni nicht reden. Damals war etwas erst so recht sein Besitz gewesen, sobald auch die Schwester es begriffen hatte. Jetzt scherzte sie wohl einmal über die dicken Büdier oder schlug die Hände zusammen, wenn die Ziffern in seinem Heft allzu kraus durcheinander tanzten. Noch öfter aber hörte er sie nebenan in der Küdie tief seufzen, und wenn er ihr einmal zu später Stunde von all den neuen, den ungeheuerlichen Dingen berichten wollte, fielen ihr nach den ersten Sätzen über dem Strickzeug die Augen zu.

Die Anichmutter konnte wohl das Bett verlassen und in der Küdie ein wenig wirtschaften, dodi selbst zum Kodien oder auch nur zum Erdäpfelschälen war sie zu schwach, ja sie ward, schien Peter, mit jeder Woche schwächer. So erwies sich auch dieser Ausweg, sosehr sie über die günstige Wirkung des Kaffees sich gefreut hatten, bald als trügerisch. Dienstboten waren kaum im Lande aufzutreiben und schon gar nicht mitten in der Anbauzeit, die Kramerischen in Zirl aber hatten nun zum Flachshandel sechs Webstühle aufgestellt und eine kleine Garnspinnerei eingerichtet, die Kathi erwartete das zweite Kind, die alte Bötin, die noch ab und zu ausgeholfen hatte, lag selber mit gichtischen Beinen im Bett. Peter fand keinen Ausweg, sosehr er sidi auch abkümmerte und oft über eine besondere trigonometrische Formel hinweg in die schlaflose Nadit hineindadite. Dabei schien ihm aber mit den Wochen, die Leni leide nicht sosehr an der Überfülle von Plag und Ärger, eher tat ihr das allzu einschichtige Leben nicht gut, dieses stundenlange Alleinherumwirtschaften, dieser Mangel an jeglicher Ansprache, auch wenn sie eine Stunde übrig hatte. Und da er seine freien Stunden nicht opfern konnte, das stand für ihn fest, so hoffte er noch immer, daß er sie an seiner Arbeit wenigstens so nebenbei beteiligen könnte. Nidit daß sie mit ihm die nun schon sehr hartnäckigen Aufgaben löste, daß sie aber doch wenigstens begriff, was er tat und trieb, und einen Sinn für seine eigene Arbeit sich erwarb, aber dabei auch ein bißchen von seiner eigenen Glückseligkeit abbekam.

Am Christihimmelfahrtstage wagte er denn auch den Versuch. Er holte die Rechenkunst aus der Kammer, richtete Papier und Bleifeder und las ihr die ersten Ge-sätze vor. Sie kamen aber nidit einmal bis zur Subtraktion. Vielleicht begriff sie das Rechnen wirklich schlecht, oder er war allzu schulmeisterlich vorgegangen und die hochtönenden Worte des Buches hatten sie erschreckt. Er hatte sie freilich audi schon lange nicht so herzlich ladien gehört.

Schließlidi schob sie das gelehrte Zeug von sich weg. „Schad um das schöne Papier“, sagte sie, „ich bin ja kein Kind mehr.“

Er starrte sie erschrocken an: „Willst sagen, ich bin noch eins. Deine wahre Mei-' nung ist das und du bist nur zu gut mit mir, als daß du es offen sagst.“

„Bei dir ist das was anderes“, sie strich ihm dabei übers Haar.

(Fortsetzung folgt.)

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