6532918-1946_01_15.jpg
Digital In Arbeit

Peter Anich, der STERNSUCHER

Werbung
Werbung
Werbung

Peter ließ das nicht gelten, aber was er auch dagegen vorbrachte, es bekümmerte ihn selber höchst wenig, so sehr hatte ihn die Erzählung der Mutter erregt. Es war aber auch ein kühler Wind aufgekommen, wie sie erst jetzt merkten, und er hatte Angst, daß die Mutter sich erkälte. Sie gingen deshalb langsam auf das Haus zu. Es sei ja nun alles Nötige besprochen, sagte die Mutter, sie werde mit dem Vater darüber noch reden, heute wohl nicht mehr, aber sicher in den nächsten Tagen, wenn sein Zorn verflogen sei. Und wenn er in diesem, einen Punkt nicht einen ganz besonderen Plan habe, werde er sich sicherlich mit der Feldmeßkunst befreunden. Es komme nun freilich darauf an, daß auch er, Peter, die Lehre aus dem bösen Vorfall ziehe und auch dem Vater in seinen Wünschen entgegenkomme und — so gelange er am ehesten dazu — das Nützliche und für einen Bauernbuben Erreichbare in seinen Wünschen voranstelle.

„Glaubt die Mutter nur nicht, daß ich das jetzt nicht einsähe“, sagte Peter leise neben ihr her. „Aber wenn einer immer nur täte, was den Leuten einleuchtet und als nützlich erscheint, dann hätte der Vater damals auch nicht mit seinen zehn Gulden und deinen sieben dazu den Hof kaufen dürfen. Das war doch für die eingesessenen Bauern rundum keine wohlberechnete Tat, und sie glauben es ja auch heute nicht, wo er sich längst als der Klügere, als der bessere Rechner erwiesen 'hat. Genau so hätte ich das von der Feldmeßkunst heute mit der Mutter nicht bereden können, wäre ich nicht die ganze Nacht auf dem Kirchturm gesessen.“

Die Mutter schlug lachend nach dem Buben. „Du drehst alles gleich nach deinem Willen, darin bist du schon ein Meister.“

„Ich denke nur zu Ende, was zu Ende gedacht sein will“, entgegnete Peter ernsthaft. j,Den Vater hätte ich nicht in Zorn gebrächt, das weiß ich, ich hätte aber auch mit der Mutter nicht so viel und so schön alles bereden dürfen. Ich wüßte auch nicht“, fügte er leise hinzu, denn sie waren bereits an der offenen Haustür angelangt, „daß der Vater vor Jahren einen Engel geschnitzt und wem er das Antlitz für diesen Engel abgenommen hat.“

„Daß der Peter sich nur nicht täuscht!“ Es war ihm aber, als die Mutter nun im Hausflur verschwand, er habe sie nie so herzhaft lachen gehört und so jung, beinah wie eine ältere Schwester.

Er trat noch einmal allein in den Garten zurück. Die alten Bäume rauschten im Naehtwind, ihre Blätter bedeckten die Sterne und gaben sie wieder frei, so, als bewege sich der ganze weite Himmel. Da ertrug er das Spiel des Lockens und Sichversteckens nicht länger und stieg auf seinen Birnbaum. Doch obgleich er die Tritte sicher nahm und jeden Ast wie im Traume wandelnd ergriff, schwankte der mächtige Baum unter ihm. Und als er bei seiner Sitzbank angelangt war, schien es ihm, als stiege er immer noch weiter und höher und als wüchse der Baum mit ihm wie ein Märchenbaum über alle Bäume und Berge und Felsen hinaus, bis er ihn allein den Sternen entgegenhielt. Und wieder wähnte er in einer kaum mehr erträglichen Glückseligkeit, die Gestirne neigten sic*h zu ihm nieder, ja sie suchten ihn, wie Freunde den verirrten Freund suchen und ihn nun jubelnd umtanzen, da er wieder unter ihnen weilt. Er wußte aber, da er nun aufrech? zwischen Himmel und Erde stand, er allein in dieser ungeheuren Nacht, daß sie, die Herrlichen, ihm zugehörten wie kein anderes Ding unter dem Firmament und daß er nun seinen Weg gehen würde, so untrüglich und von der Kraft des Himmels bestimmt, wie sie, die Unwandelbaren selber. Es litt ihn nur nicht, daß er sein Glück jetzt allein trüge, und er glitt mehr als er stieg vom Baume und eilte mit schweren Beinen gegen, das Haus. Er verhoffte, daß er die Mutter noch in der Küche vorfinde und ihr nun all das sagen könne, was vorhin zwischen ihnen noch urgesagt geblieben war. Er wußte ja kaum, wie lange er auf dem Baume gestanden hatte.

In der schon finsteren Küche trat Ihm 'eüoch der Vater entgegen.

Es sei nun Zeit, daß er zu Bette gehe, mahnte der Vater. Morgen früh müßten sie doch zeitig wieder nach Keniaten hinunter, und es werde noch heißer sein oder ein Gewitter herkommen.

„Ich habe nur die Mutter gesucht“, sagte Peter. Er konnte den Vater noch immer nicht ausnehmen, ins Dunkel hinein sagte er das, und seine Stimme zitterte ein wenig vor Scheu und Glückseligkeit.

„Die Mutter ist schon zu Bette gegangen“, sagte die Stimme vor ihm, „aber sie hat mit mir gesprochen, und ich will dir die Feldmeßkunst nicht verbieten. Sie ist eine angesehene und nahrhafte Kunst und für einen Bauernbuben nicht übel. Doch wir wollen erst einmal hören, was die Herren in Innsbruck dazu sagen. Ob sie dich auch für geeignet halten. Im Herbst fahren wir beide dann hinunter. Jetzt ist die Ernte wichtiger als alles andere.“

Peter nickte. Dann entsann er sich, daß der Vater dies ja nicht sehen könnte, und sagte rasch: „Es ist, wie der Vater sagt, und ich will es dankbar hinnehmen, wie der Vater es haben will.“ Mehr sagte er nicht darauf, doch als er dann allein die Stiege zur Schlafkammer hinanstieg, nahm er die Stufen ganz langsam, so müde war er jetzt von seinem jähen Glück.

Als Peter am Abend des nächstnächsten Tages, da sie mit dem Kornschnitt in Kematen zu Ende waren, die Ochsen zum Petrusbrunnen trieb, klopfte der alte Kurat im Anichhause an. Er habe die kranke Erhardtin besucht, sagte er, und da er schon einmal in der Nachbarschaft sei und sein schlechtes Gehwerk ihn nicht so leicht wieder in die Völsesgasse bringe, nutze er die Gelegenheit, auch, die wackeren Anich-leute noch einmal aufzusuchen. Ein so ehrlicher und arbeitsamer Hof, auf dem alles aufwärtsgehe, einer, der sichtbar den Segen Gottes auf sich habe, sei seinen alten mehr an das Traurige denn an das Erquickende gewohnten Augen stets ein Labsal. Daß er hinter den Fenstern des Erhardt gepaßt hatte, bis der Peter mit den Ochsen den Hof verlassen hatte, das verriet der hochwürdige Herr nicht. Es war ja auch keine Sünde, daß er es nicht verriet. Er sprach vorerst wacker dem Specke und dem Brote zu und trank vom Feiertagswein, den der Bauer letzthin in Zirl gegen ein wohlgeschnitztes Butterfaß eingetauscht . hatte. Dazwischen fragte er, wie das Korn in Kematen gediehen sei und ob der Türken schöne Kolben ansetze und ob der Anich ihm nicht in der Poltenkapelle eine vom Holzwurm zerfressene Säule nachdrechseln, ja vielleicht den bösen Wurm auf irgendwelche Art und auf ewige Zeiten vertilgen könne. Der Altar sei ja gewiß nicht groß und prächtig, aber in seiner Art ein Meisterwerk, ein ganz seltenes, wie man sie nur in größeren Kirchen im Welschlande finde. Er sei der Kunst der Alten abgelauscht und keineswegs so gewunden und närrisch verdreht oder mit allem möglichen Zeug überladen, wie man jetzt allenthalben in den Stiftskirchen und auch schon auf den Dörfern solche Altäre an Stelle der guten alten aufrichte. Da er aber nun so recht mit der Lust eines alten Mannes auf die neuen Zeiten und auf die verrückten Leute rundum schelten durfte, schien ihm auch die beste Gelegenheit zu jeher Frage gegeben, um derentwillen er gekommen war. Die Leute stellten ja rtur verrückte Altäre und Säulen in die Kirchen, weil sie selber allerlei Flausen im Kopf hätten und das einfache, das gottgegebene Leben nicht mehr achteten. Soweit brauche es jedoch nicht zu kommen, wenn jeder in seinem Hause, jeder Vater, jede Mutter das junge Volk recht in Zucht hielte. Im Anichhause sei das ja auch der Fall. Die Kathi sei der fleißigsten und tüchtigsten Töchter eine, die kleine Leni das frömmste und liebste Kind, und der Peter werde doch niemals bei einer Rauferei gesehn oder im Wirtshaus, er steige auch nicht den Dirnen nach.und sei überhaupt selten unter den Halbwüchsigen anzutreffen. Z u selten, scheine ihm bisweilen. Und dies ängstige sein priesterliches Herz, so sehr es ihn auch erfreue. Er treibe das abseitige Wesen für einen jungen Mann manchmal doch zu Veit,und wenn einer sich jederzeit absondere, so werde er leicht auch ein sonderbarer Mensch. Der aber habe es im Leben schwerer als selbst ein Hallodri oder irgendein ungutes Individuum.

„Du meinst die Geschichte mit dem Turm. Sag es nur heraus, Pfarrer.“ Der Anich unterbrach ihn jäh. Er ärgerte sich weniger dabei über die Lektion, die nun zu erwarten stand — die billigte er dem Kuraten durchaus zu ■—■-, als über die Umwege, die jener ging. -

Ja, die Geschichte mit dem Turm, die meine er, sagte der alte Herr und tat einen befreienden Seufzer. Der Mesner habe ihm den Vorfall allsogleich berichtet, aber den Buben nicht zu nennen gewußt. Er habe nun gleich auf den Peter getippt und doch auch wieder gezweifelt. Soviel er wisse, sie sprächen ja nicht das erstemal über den Buben, und seine seltsame Anlage sei doch* die. letzten Monate und Jahre her kaum mehr ein Anlaß zu einer Klage gewesen. Dann aber hätten die Leute freilich reichlich geschwatzt und alle den Peter genannt.

Man brauche nun — der geistliche Herr holte tief Atem und tat einen tüchtigen Schluck —, man brauche deshalb keineswegs Uiber den Peter das Kreuz schlagen. Dazu sei kein Anlaß. Es sei auch gewiß nichts Arges, Allzuarges daran, daß einer sich die Nacht über in den Turm einschließen lasse, um von Wind und Kälte geschützt die Sterne zu betrachten, wenn, ja wenn er das in Innsbruck unten so treibe oder auf einem Turm, der zu solchen Betrachtungen und Messungen eigens erbaut sei. In einem Dorf wie in Oberperfuß und bei den tratschlüsternen Oberperfern aber sei diese ansonsten kaum auffällige und keineswegs lächerliche Tat ein Ärgernis, und nur um -dieses Ärgernis gehe es ihm, dem Kuraten. Für ihn sei es ja nicht gleichgültig, ob die Leut am Sonntag die Messe und Predigt mit Andacht hörten oder alle miteinander immerzu auf einen Menschen hinstarrten und sich über einen solchen Menschen ihre Gedanken machten. Dabei sei es ziemlich gleichgültig, ob dieser Mensch mit einem absonderlichen Kröpfe behaftet sei oder eine Nase im Gesicht trage mit allerhand jungen Nasen daran, oder ob es eine Menschin sei, die vor der Zeit ein Kind erwarte, oder eben ein junger Bursch, der sich die Nacht über in den Turm einschließen lasse. An der störenden Wirkung des Ärgernisses gemessen seien dabei Kropf und Nase noch immer leichter zu ertragen. Beide kämen ja nicht über Nacht, es fehle ihnen also das Faktum der Plötzlichkeit, der Überraschung, sie blieben auch ihren Besitzern lange erhalten, zeitlebens zumeist. Die Leute gewöhnten sich also daran und seien'in ihren frommen Gedanken bald nicht mehr allzu arg behindert. Bei der Dirn mit dem vorzeitigen Kind sei das schon ein wenig schwieriger. Der Fall des jungen Anich aber habe wohl in ganz Tirol nicht seinesgleichen. Dies Ärgernis, und nur dies, wolle daher bedacht und aus der Welt geschafft sein, auch des Buben wegen. , „Ich wüßte nicht, was es da noch zu bereden und aus der Welt zu schaffen gibt“, sagte der Bauer nun hitziger. „Der Bub ist meine Sache.“ Er trank sein Glas auf einen Zug leer. „Meine Sache allein ist der Bub. Der Herr Kurat kann wohl ein Wörtlein mitreden, weil er einmal beim Gericht für die Seele des Buben zur Rechenschaft gezogen wird, wegen der Tratschweiber und Tratschmänner aber rühr ich nicht einmal einen Finger, und wenn sie heut in der Predigt den Peter angrinsen, so werden sie am nächsten Sonntag schon etwas Neues finden. Etwas brauchen ja die Leut zum Bereden. Ich kann mir deshalb nicht einen Kropf wachsen lassen oder ein Schnapsnasen oder ...“

Der Kurat stellte den Weinkrug mit einem leisen Lächeln auf den Tisch zurück. „Mich wundert bloß, daß der Anichvater seinen Buben heut so wild verteidigt. Er hat doch mir gegenüber nicht nur einmal über seine Spintisiererei geklagt. Dabei, das muß doch auch die Mutter zugeben, war doch alles, was der Peter früher getrieben hat, weniger auffällig als jene Nacht auf dem Turm.“

„Wir haben aber auch diesmal alles unter uns genugsam beredet“, sagte Frau Gertrud jetzt, „wjr haben die Sache gründlich ausgetragen. Deshalb braucht es das viele Wasser erst nicht mehr.“ v

„Dann ist es gut“, sagte der Kurat langsam, „wenn nur die. Alten wissen, woran sie sind und was sie zun tun haben. Viel-, leicht habt ihr gar eine Braut für ihn. gefunden?“ \

'Wenn der Kurat jetzt vom Halsgericht . oder von einem Narrenturm geredet hätte, die Anichin hätte ihn nicht. so - sprachlos angestarrt. Er . aber ließ auch . den Vater -nicht erst zu einer Antwort kommen. Das ■ Heiraten sei doch für ejnen nun bald er-. wachsenen Burschen nicht gar so seltsam, . dazu für den einzigen Sohn, den Erben des Hofes. Es brauche deshalb auch nicht schon morgen geheiratet sein. Das gehe auch nicht so schnell, gar bei einem so sinnierenden Mannsbild, wie der Peter eines sei. Aber wenn er zwei, drei Jahre dazu brauchen werde, dann sei er eben im besten Älter, und heilsam sei in einem solchen Falle ja nicht so sehr die Heirat selbst, als was der Heirat vorangehe. Die rechte Weibsperson, das getraue er sich zu prophezeien, wenn er auf sie stoße, werde dem Burschen schon die Flausen tüchtig aus dem Schädel' treiben und dies so sicher, als er jetzt hier sitze Und hoffe, daß stine Einkehr im Anichhause nun nicht ganz umsonst gewesen sei.

„Das ist auch ein Rat, der sich hören läßt“, sagte der Bauer, „ich will es - dir danken, Kurat.“ Er kam aber nicht mehr dazu, daß er seine Zustimmung auch dem noch immer sprachlosen Weibe begründe, denn der Kurat hatte es plötzlich höchst eilig. Er sah nämlich den Peter mit den Ochsen heimkehren, und es gelüstete ihn auch nicht, der nun angebahnten ehelichen Aussprache beizusitzön. Er verließ deshalb das Haus, während er den Burschen noch draußen im Stall beschäftigt, wußte.

... (Fortsetzung folgt.)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung