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Im Blockhaus am See

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Ein noch junger Mann trat mir entgegen, al ich im Begriff stand, die Haustür zu schließen und zog den Hut. Er war mittelgroß, schlank gut gekleidet, hatte ein schmales, etwas blasse Gesicht, als lebte er meistens in geschlossene! Räumen, Augen von intensivem Blau und auf fallend buschige Augenbrauen, außerdem war d; ein etwas trauriger oder leidender Zug in diesem angenehmen Gesicht.

„Verzeihen Sie!" sagte er mit dunkler unt recht melodisch klingender Stimme, „Sie wohnet allein in diesem kleinen Haus am See?“

Ich war erstaunt und sagte:

„Gewiß doch. Das heißt — mit meiner Frau — aber sie ist gerade jetzt verreist. .. kann ich Ihnen irgendwie gefällig sein?"

Er lächelte, errötete ein wenig und trat einer kleinen Schritt zurück. „Sie werden sich vielleicht wundern“, sagte er leise, „aber würdet Sie mir wohl gestatten, ganz kurz in das kleine Haus einzutreten? Gewiß finden Sie das sehr sonderbar. Ich habe hier selber gewohnt, voi Jahren — in einer entscheidenden Phase meines Lebens —, verstehen Sie? Eigentlich war es eine glückliche Zeit, und es hätten andere glückliche Zeiten nachfolgen können, wenn nicht — aber ich will Sie nicht mit meinen Angelegenheiter langweilen!" Er sah mich an.

Ich bat ihn daraufhin, einzutreten.

„Es ist nicht sehr ordentlich, gerade jetzt“, sagte ich und ging voraus, „wie ich schon sagte, meine Frau ist verreist — ich selber bin nicht sehr genau —, es liegt alles ein wenig chaotisch umher... es wird Sie nicht stören, denke ich!" „Keinesfalls“, sagte der Mann und lächelte auf traurige Art, „Sie sollten sich nicht entschuldigen. Es ist eine Zumutung, daß ich Sie überhaupt bat... Sie störte ...“ Er wanderte mit leisen, leichten Schritten im Raume umher, in dem einzigen behaglichen, etwas primitiven Zimmer, aus dem das kleine Haus bestand. Seine Augen zeigten einen erinnerungsschweren und melancholischen Ausdruck. Mit behutsamer Bewegung strich er einige Male über Möbelstücke und Bilderrahmen, auf denen, wie ich mit Unbehagen sah, der Staub lag.

Dann stand er vor dem großen Fenster und sah hinaus.

„Von hier aus erinnert er an einen Fjord in Norwegen1 sagte er damTgedankenvöll', 'trift der zerklüfteten Bergkette dahinter — ich mähe ihn einige Zeit immer wieder von hier aus —, den See. meine ich — aber es gelang mir nicht.“ Er sah mich kurz an, mit seinen traurigen Augen unter den überhängenden Brauen im blassen Gesicht. „Ich bin nämlich Landschaftsmaler, wissen Sie!“ fügte er hinzu.

„Wir kamen damals hierher, sozusagen auf unserer Hochzeitsreise — sie und ich“, erzählte er, und sein Ton gewann eine gewisse Lebhaftigkeit, „aber wir kannten uns auch schon vorher recht lange. Wir liebten einander — doch —, das ist sicher. Wir nahmen vielleicht sogar allzuviel Rücksicht aufeinander. Sie war sehr jung, blond — ihre Art, sich zu bewegen, ist unvergeßlich, und ich habe das bei keinem anderen Menschen gesehen ... ihr Name tut nichts zur Sache. Sie ist vor einigen Wochen gestorben ...“

Er bricht ab. Ich bin betreten, sage: „Oh, das tut mir leid ... das muß arg sein für Sie. Und Sie kamen hierher ...?"

Da wehrte .er ab.

„Wir waren schon lange nicht mehr zusammen", erzählte er, mit traurigem Lächeln, „wir hatten hier einige sehr schöne, unvergeßliche Wochen — dann gingen wir auseinander. Wir glaubten, das müsse so sein. Es war ein Irrtum! Wir machten es falsch!“

Die Sonne stand im Begriff, hinter den Bergen hinabzugleiten und zauberte einen flüchtigen orangefarbenen Glanz auf den nur schwach bewegten Spiegel des Sees.

Der fremde Mann setzte sich rittlings auf einen Stuhl, kreuzte die Arme über der Rückenlehne und sah auf den mit groben Brettern belegten Boden des Blockhauses.

„Es ist sehr still hier“„ sagte er, „sehr einsam. Aber man vergißt es nicht... ich träume noch jetzt, nach Jahren, mitunter davon, wie der Föhn an gewissen Tagen in den Wald einfällt, mit diesem sanften, bedrängenden Sausen, wie er sich in den hohen Fichten hinter dem Hause fängt... Mir geht es jetzt gut, wissen Sie, ich habe, wie man so sagt, Karriere gemacht, mich durchgesetzt... aber es war doch der falsche Weg!“ Er sah mich an und sprach wie zu einem alten Bekannten.

„Damals, als wir hier zusammen lebten, war das anders. Wir hatten es schwer. Namentlich ich . . . oft verzweifelte ich — sah nichts mehr vor mir, wollte den Beruf wechseln. Sie half mir immer. Sie war nicht reich, aber sie half mir

; stets. Dann sagten gewisse Leute, ich führte ein

■ zu behagliches, ereignisloses Leben — kein

■ ,Künstlerleben‘ —, ich hätte mich in Bequem- i lichkeit eingehüllt, vergessen, mich den Wechsel- i fällen des Lebens auszusetzen — ich hätte zu früh geheiratet, mich gebunden —, das war alles Unsinn! In Wahrheit war ich wohl nur. faul. Aber die Leute redeten es uns ein, und sie, namentlich, glaubte das wohl..." Er richtete seinen blauen Blick durch das Fenster auf die Bergkette jenseits des Sees. ' ’

„Die Lage ist wundervoll“, sagte er, „aber halten Sie das aus? Ich sehe ja, Sie schreiben — aber dennoch: Ist es Ihnen nicht zu einsam? Verzeihung — ich vergaß ja — Ihre Frau ist verreist, Sie sagten es schon ... hoffentlich kommt sie bald zurück.“ Er hatte einen forschenden durchdringenden Blick, als er das sagte.

„Sie ist bei Verwandten, ich weiß nicht genau, wann sie wieder zurückkommt“, sagte ich, „aber ich schlage mich auch allein recht gut durch.“

„Ja, das kenne ich!“ sagte er mit einer abwehrenden Handbewegung, „aber es hat keinen Zweck, lange Zeit allein zu sein, in solch einer Einsamkeit! Man erträgt das nicht. Wir redeten damals viel, ganze Nächte gingen darüber hin — sie bemerkte wohl, daß ich mich quälte, daß mir nichts Rechtes gelang, und sie liebte mich so sehr und glaubte, mir auf ihre Weise helfen zu müssen. Ich hatte nie gesagt, daß sie mein Leben etwa eng machte, meine Freiheit behinderte... ich erinnere mich nicht. Oder doch? Eines Tages verließ sie mich — ohne Abschied. Ich sah sie nie wieder. Ich hörte später, daß sie in einer großen Stadt ein seltsames Leben führte — sie hatte sich sehr geändert. Und sie tat es, weil sie glaubte, mir wäre damit geholfen, wenn ich wieder frei wäre... jemand hatte ihr eingeredet, ein Mensch wie ich müßte auf das naheliegende Glück verzichten, um das große, ferne, ungewisse Ziel suchen zu können — Gerede natürlich! Nein — sie hätte es nicht tun dürfen!“

Er stand auf und ging wieder zum Fenster, lehnte sich an die Wand und sah hinaus.

„Wir haben es dumm gemacht“, sagte er leise, „dumm und verantwortungslos. Wir vergeudeten unsere Chance, die das Leben uns nur einmal bot, wir waren berechnend, wir verloren das Beste, weil/wir 'Alas Bessere erštrebtete Ge-

wiß, ich hatte dann bald Erfolg, in der Stadt, in die ich ging, mit allem zerfallen, hatte ich merkwürdigerweise Glück. Man sagte, ich hätte mich verbessert, meine Bilder wurden gern gekauft. . . ich habe heute keine Sorgen mehr, es geht mir gut. Aber es hat doch keinen Sinn mehr — sie ist ja tot. Wir liebten einander und waren füreinander bestimmt. Wir hätten das nicht tun dürfen!“

„Sie starb jung", sagte ich und schämte mich meiner nüchternen Stimme, „wie kam es, daß sie so jung starb?“ Er lachte kurz auf.

„Merkwürdig, ja!“ sagte er, „man nannte verschiedene Krankheiten .. . eigentlich fehlte ihr nichts, denke ich. Man hätte in alter Zeit gesagt, sie starb an gebrochenem Herzen. Heute hat man dafür andere . Definitionen ... aber es ist doch nur anders ausgedrückt. Sie glaubte, daß sie unser Glück meiner Zukunft und meinem Erfolg opfern müßte — es war ein Irrtum. Ich habe jetzt Erfolg, das ist richtig — aber sie ist gestorben, und ich gehe zwar, umher, aber innerlich bin ich tot. .. ganz tot.“

Es war still. Es rauschte ein wenig im Wald.

„Hören Sie“, sagte er und horchte auf, „der Föhn fällt ein! Die Fichten.hinter dem Hause ...“ Wir lauschten.

Dann kam er zu mir und reichte mir die Hand.

„Ich bin ein aufdringlicher und zerfahrener Mensch", sagte er, „komme hierher und erzähle Ihnen eine belanglose und unerfreuliche Geschichte ... entschuldigen Sie! Ich hoffe nur, daß Ihre Frau bald zurück sein wird und Sie nicht mehr allein sein müssen. Es ist oft so quälend und hoffnungslos, allein zu sein — besonders in einer großen Stadt —, hier hat man doch den Wind, der weht und in den Fichten rauscht. .. ich muß jetzt gehen! Sie waren sehr liebenswürdig. Sie ließen mich in das Haus und haben mir geduldig zugehört! Ich danke Ihnen. Das Leben ist sonderbar. Wir hatten hier eine glückliche Zeit — und wir machten es leider falsch. Ich wünsche Ihnen, daß Sie es besser machen!“

Ich murmelte, daß ich gern mehr für ihn getan hätte, und begleitete ihn hinaus. Ich hätte ihm gern geholfen, aber niemand konnte ihm helfen. Er winkte mir zu und war bald in der Abenddämmerung verschwunden — eine schmale, verlorene, einsame Menschensilhouette, die hinter den Uferfelsen am See verschwand.

In der Nacht nahm der Föhn an Heftigkeit zu, und ich lag lange wach und hörte, wie der wäbme ’Wind ih1 den Fichttfn' Hinter dem kleinen Blockhaus rausbhtė undf anį!. (1BW ffS-teb stiüM

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