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Der alt’ Herrgott

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Als ein Vorhaben unserer Urlaubstage galt auch ein Besuch bei unserem jungen Malerfreunde. Der Tag, den wir dazu erwählten, beglückte uns mit den zarten Farbtönen des frühen Frühlings. Die Erstarrung des Winters war gewichen, warm legte sich die Sonne auf die Hänge, die Wasser erglänzten silberhell, die Vögel sangen ihr Lied und die Kinder standen barhaupt in den warmen Nischen der Höfe. Die Heimat nahm uns beide, die wir so lang von ihr hatten fern sein müssen, wie eine junge Geliebte an ihr Herz.

So stiegen wir zu dem Hause unseres Freundes, das fernab der Stadt auf einer beherrschenden Kuppe liegt, hinauf, kamen endlich mit jener wachen Bereitschaft in sein Arbeitszimmer, die nur der haben kann, der aus weiter Landschaft in. ein Haust tritt und dort — mit einem Schritt — der Kunst begegnet. Wie beglückend ist es dann, die Kräfte des Landes, die einen noch ganz erfüllen, nun in den Werken des Freundes verdichtet und zu dem Bild der Heimat geklärt zu finden. Wie freuten wir uns seines „Hirtenbuben“, seiner „Spielenden Kinder“ zwischen dem Ku deikraut und der großen Landschaft, die voll stiller österlichkeit erglänzte.

Wir besprachen die Bilder und suchten ihnen in ihrer Art gerecht zu werden. Endlich schauten wir nicht nur mehr auf sie allein, sondern begannen, noch vor ihnen sitzend, von der Welt zu sprechen, aus der sie wuchsen, kamen so auf Fragen des Bauerntums, der Verstädterung. Da war es, daß der Maler leidenschaftlich in das Gespräch eingriff und nicht genug harte Worte über seine Nachbarn Vorbringen konnte, die er, wie er sagte, lang genug zu studieren Zeit gehabt hätte. Kleine beruhigende Einwürfe, die wir wagten, steigerten ihn nur noch mehr in seine einseitige Betrachtung. Erregt ging er zwischen uns und den aufgestellten Bildern hin und her und schleuderte uns endlich in bitterem Ausbruch die Worte hin: „Nein, nein, nichts als Ichsucht, nichts als Neid! — Ach, es ist nur zu traurig!“

Da ergriff mit Bestimmtheit mein Freund das Wort. Er sprach zuerst von der Zeit, in der er das erlebt hatte, was er erzählen wollte. Von den Jahren nach dem großen Kriege, die uns nur allzusehr zu Mißtrauen und zu Verdacht erzogen hatten und deren Entsetzlichkeit oder wohl richtiger Gesetzlosigkeit nur durch einzelne menschenwürdige Beispiele junger Gläubigkeit erhellt worden seien. Und wie ihm dieses Erlebnis mit dem bäuerlichen Manne, weil er es nicht mehr zu hoffen gewagt und für möglich gehalten hatte, um so tiefer erfreut und beeindruckt hätte.

Auf die Sache selbst eingehend, fuhr er fort: „Ich arbeitete, wie du weißt, an einem Buch über diesen Teil des Landes. Um alte Eindrücke neuerlich zu überprüfen und neue zu sammeln, benutzte ich jede Gelegenheit, die sich mir bot, um im Lande herumzukommen. Bei solch einer Fahrt an einem sonnigen Wintertage war es nun, daß wir schon auf dem Heimweg, zufrieden mit der Ausbeute des Tages, eigentlich aidu mehr gewärtig, noch etwas zu finden, all einem Bauernhause vorbeikamen, das unter seinem gewalmten Strohdache ein hölzernes Kruzifix trug, das ich sehen wollte. Ich bat meinen Freund, seinen Wagen anzuhalten. Halb unter dem Dache, halb versteckt unter dem besigen Geäst eines Zwetschkenbaumes, der nähe der Mauer wuchs, hing ein bäuerlicher Kruzifixus. Konnte ich auch nicht alles genau erkennen, so war er doch schon in der Buntheit seiner Bemalung sehr eindrucksvoll. Die Türe des Wagens stand offen, mein Freund stieg nicht aus, mahnend klopfte der Motor, ich konnte nicht länger warten Lassen und beschloß, bei anderer Gelegenheit vorbeizukommen, das Kreuz dann von der Wand zu nehmen und eine Aufnahme zu versuchen, die jetzt doch nicht zu machen war.

Daheim erzählte ich meiner Frau von meiner Entdeckung und hängte das Kunstwerk schon im Geiste an meine Zimmerwand, die mir den richtigen Raum zu geben schien.

Monate vergingen. Meine Arbeit war abgeschlossen. Ein paar Bilder fehlten mir noch, die wollte ich nun einholen. Diesmal nahm midi ein Maler auf seinem Motorrad mit. Wir kamen glücklich zu dem Bauernhof, wo er beim Bauern die Erlaubnis erbat, das Kreuz herabnehmen zu dürfen, während ich eine Leiter suchen ging. Mit vereinten Kräften nahmen wir es vorsichtig von der Wand und lehnten es an das graugebleichte Scheunentor. Nun sahen wir erst, wie schön der Christus war. Wir zupften die Spinnweben von seinem Gesicht, vom Lendentuch und seinem hageren Körper. Unsere Finger tasteten der Schnitzerei nach, wir sahen, wie meisterhaft dies Werk getan war. Wir arbeiteten mit unseren Kameras, schämten uns zuletzt vor seinem stillen Angesicht. Standen endlich schweigend vor dieser Größe und schüttelten wie vor Unfaßbarem den Kopf. Wir versuchten nicht mehr seine Entstehungszeit festzustellen, schauten nur diesen buntbemalten Christus an, der schweigend und doch unsagbar redend am schwarzen Kreuze hing.

„Du fragst dich, warum ich das alles so genau erzähle“, wandte sich mein Freund an den Maler, der nun schon ruhiger geworden war, „aber vielleicht könnt ihr euch den Mühlviertler Bauernchristus, wie er dann im Buche beschriftet wurde, nun schon ein Wenig vorstellen.“

Endlich mußten wir uns trennen. Wir häng ten das schwere Kreuz wieder an den Haken an der Hauswand. Dann gingen wir.

Um nur ja keine Käufer durch die Abbildung im Buche aufmerksam zu machen, verschwieg ich die genaue Ortsangabe. Nichts hätte mich mehr verdrießen können, als am Ende erfahren zu müssen, ich hätte den Anlaß gegeben, daß etwa ein Kunsthändler das Schnitzwerk verschleppt hätte. So könnt ihr euch denken, wie hart mich die Bitte meines Bruders traf, den Christus tür seine damals sdiwerkranke Frau, der er mit seiner Plastik eine Freude zu machen hoffte, zu erstehen. Doch überwand ich mein Widerstreben und machte mich, diesmal mit der Bahn, zum dritten Male auf.

Meine Frau und ich hatten, die Sache hinausschiebend, einen weiten Marsch über das herbstliche Land gemacht, aus dessen warmem Braun die Bauernhöfe warm auf- leuditeten. Als wir endlich zu dem Hof kamen, war der Bauer nicht daheim.

Wir nahmen dies als ein gutes Zeichen, Um leichter ins Gespräch zu kommen, machte ich von der Bäuerin mit dem kleinen Buben am Arm ein Bild. Doch zog sich das Gerede lang und schleppend hin. Wenn sie sich auch nicht aussprach, vielleicht auch nur, um mehr herauszudrücken, das eine war jedenfalls klar zu sehen, sie hätte sich gegen gebührende Bezahlung von dem Kruzifix nicht allzu schwer getrennt.

„Siehst du!“ unterbrach ihn knurrend der Maler, „da hast du es! Ich age es ja, sie hängen nicht an ihrem Besitz, lieben ihn nicht, sind nüchterne Farmer, keine Bauern mehr! Selbst ihren Herrgott verkaufen sie! Aber fahr’, bitte, fort.“

Nach längeren Hin und Her waren wir soweit übereingekommen, daß wir den Bauern bei seiner Rückkehr bei der Bahnhaltestelle abfangen wollten, ich aber, da es sich doch nur mehr um ein letztes Ja von ihm handeln konnte, den Christus bereits mitnehmen durfte.

Erleichtert und froh trat ich aus der Stube. Sorgsam hüllte ich mein Werk in ein Tuch ein und hob es freudig auf meine Schulter. Dann gingen wir lange über die hohe Straße. Die seltsame Last war nicht leicht. Noch nie war ich so unter einem Kreuze gegangen.

Wir warteten lange auf den Zug und saßen gähnend im Wartestübchen. Draußen kg der Nebel und die frühe Nacht. Das Licht der Petroleumlaterne, unter die ich das Kreuz gestellt hatte, war vom feuchten Grau fast ganz verschluckt. Endlich kam der Halterbub, der uns, wie wir ausgemacht hatten, den Bauern zeigen mußte. Dann kamen andere Leute — und schließlich hörten wir den Zug heranrollen. Nun ging alles sehr schnell. Der Bub fand seinen Bauern, der mit seiner Freundschaft gekommen war und noch mit ihnen allen in das Wirtshaus neben der Haltestelle gehen wollte. Der Bub mußte ihm schon das Nötigste gesagt haben, denn als ich auf den etwa dreißigjährigen Mann zutrat und ihm mein Anliegen vorbrachte, nicht ohne die kranke Schwägerin zu erwähnen und gleichauch die Summe zu nennen, die ich als das Äußerste wagen wollte, sagte er nur ruhig und fest: „Der alt’ Herrgott bleibt am Hof.“

Was wir jetzt noch stammelten, war ein Nichte neben seiner Bestimmtheit. Der kranker. Schwägerin halber verlegten wir uns aufs Bitten, meine Frau griff ein, es war umsonst.

Das Kreuz stand verlassen unter dem roten Flämmchen der Petroleumlampe. Ich gestand dem Bauern, daß ich den Herrgott schon hier hätte. Ohne ein Zeichen der Erregung über unsere Unverschämtheit redete er ruhig zu uns weiter, als hätte er sich zu entschuldigen. „Der Herrgott war schon beim Urahn auf dem Hof, kann sein noch länger, wer mag das sagen? Aber das weiß ich bestimmt: dreimal ist der Hof abbrennt, der Herrgott aber is’ blieben. Drum is er net feil, Herr. Mag sein, daß er einmal zerfällt, wie sie meinen, aber dann kann mir net wer sagen, ich hätt’ ihn verkauft.“

Darauf wußten wir nichts zu antworten. Zögernd begann ich das Tuch von dem Kreuze zu lösen. Während ich damit beschäftigt war, sagte er; „Es freut mich sogar, daß’s Stadtleut gibt, die auf so was noch was halten. Und die Frau in Wien, die kranke“, setzte er in einem uns überraschend warmen Ton dazu, „die wird er derretten, auch wenn er beim Hof bleibt —“

Nun stand „der alt’ Herrgott“ enthüllt unter dem matten Lichtllin. Zeitlos, dachte ich bei mir und nahm Abschied von ihm. Er reckte seine schmalen Arme wie bittend in die dunkle Nacht. Fragend sahen wir auf den Bauern. „I bin euch net bös“, sagte er, „mag ihn der Bua hoamtragn.“ Aber sich besinnend fuhr er entschlosssen fort: „Nein, selber trag ihn Koam!“ Und so geschah es auch. Bald war er mit dem Kreuze auf der Schulter im Nebel der Nacht. Einen Augenblick schien es noch, als schwebe der helle Herrgott allein davon, denn der Bauer in seinem dunklen Gewand war nicht mehr sichtbar. Dann war alles wie eine Erscheinung unseren Augen verschwunden. Wir schauten ihm schweigend nach.

Mit leeren Händen fuhren wir heim, von diesem jungen Bauern ohne sein Wissen tief gedemütigt und doch fast mehr noch beglückt.“

„Ich habe dir dies erzählt“, sagte nach einer kleinen Pause mein Freund zu dem Maler, „weil ich, wie ich glaube, den Grund deiner Verzweiflung verstand. Hoffentlich kannst du jetzt wieder ehrlich deinen ,Hirtenbuben’ weitermalen, und deine lieben Bauernkinder im Kudelkraut?“

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