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Peter Anich, der STERNSUCHER

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51. Fortsetzung

„Ich weiß nicht, wie das alles gemeint war“, sagte Peter, „aber ich glaub dir schon, und das eine weiß ich auch, daß du mich wieder gesund gepflegt hast und daß es ein großes Glück ist, wenn man in einem fremden Lande von daheim reden kann, gar wenn mao krank ist. Ich bin auch froher und frischer, als du dir denken kannst, und wenn wir dann im Fasching alle beisammen sind, wird es ganz schön sein.“ Dann saß er den ganzen Abend wieder über seinen Zeichnungen. Zwei grof-.- Blätter entwarf er, und als das neue Papier die Sepiafarbe leicht annahm und sauber behielt, wußte er, daß nun auch die übrige Arbeit gut vonstatten gehen werde.

Die Seiden jungen Helfer m Klausen ließen sich wohl ein wenig bitten, aber Peter merkte sogleich, daß sie ihn bereits mit Ungeduld erwartet hatten. Solange das ungewöhnlich warme Wetter anhalte, täten sie noch mit, sagten sie dann, aber nach der Meinung der alten Leute halte es ja wohl auch bis gegen Weihnachten an.

Der nämliche Weinfuhrmann brachte sie bis Bozen.

Der Kaiserliche Rat, für den ihm der Freiherr einen Empfehlungsbrief mitgegeben hatte, ein freundlicher stämmiger Herr, las den Brief, blickte den Bauern an und wieder in das Papier und nickte. Das sei freilich bitter, wenn man den Freiherrn nun nadi Wien abberuf?, und er sehe schon ein, daß man die Karte nicht ohne das schönste Stück, das Herzstück, das Bozener Land, lassen wolle. Der Freiherr habe sidi freilich klugerweise einen Bauern als Gehilfen gewählt, einen, der auch schon ein wenig Sturm und Schnee vertrage. Eine ungünstigere Jahreszeit , habe sidi ja, freilich von Wien gezwungen, der Freiherr nicht aussuchen können. Im Sarntal und gaf am Talferbach sei längst Schnee gefallen, vielleicht sei es auch wieder aper, dafür aber aiufs höchste unwegsam, das EtscHtal bis Merar aber könne man der aus-. gedehnten-Si'nnpfc wegen überhaupt höchstens im August oder September vermessen. Eih rechter Meßk'i stier müsse ja jeden Fleck abschreiten und nicht bloß die gebahnten und instand gehaltenen Wege, und wenn diese Jahreszeit vor dem Sommer einen Vorzug habe, dann höchstens, den, daß keine giftigen Dünste aus den Sümpfen aufstiegen, Dünste, die schon manchem Bauern oder Wanderer das Leben gekostet hätten. Nach all seiner Erfahrung und kraft seines Amtes müsse er daher von der Arbeit abraten, selbst wenn er selber als Amtmann der Provinz an der Vollendung des großen Werkes zuvörderst interessiert sei.

„Und wenn wir jetzt sogleich das Talfertal vornehmen, von oben her nach unten messen, denk ich“ sagte Peter, „ehe der starke Frost im Gebirge einfällt, und dann nach Terla auf die dort mittlerweile gleichfalls gefrorenen Sümpfe gehn?“

„Das wäre ein Glücksfall“, entgegnete der Rat, „doch auf solche Glücksfälle darf einer nicht baun.“

„Worauf sonst?“ der Bauer starrte ihn an. „Wenn ich in Innsbruck nicht Herrn von Weinhart angetroffen hatte, sondern einen anderen Professor, der allein an seine Gelehrsamkeit denkt, könnte ich heute nicht das Bozener Land vermessen. Also war es ein Glücksfall, und wenn ich meine Begleiter ' zurück hätte lassen müssen, was ja bei diesem Wetter und zu Anfang Dezember verständlidi wäre, müßte ich mir neue Burschen abrichten und brauchte sicherlich die doppelte Zeit, also nenn ich auch ihr Dasein und Mittun o:nen Glücksfall, und auch daß meine Schwester nach Brixen geheiratet hat, ist einer, sonst hätt ich das Fieber nicht sr rasch losgebracht.“

Das nenne man freilich einen Stern haben,sagte der Rat, schier an Hochmut grenze ein solches Vertrauen.

Im Gegenteil, rief Peter, und so leicht war ihm das Reden einem Fremden gegenüber noch nie gefallen, er habe ein ausgezeichnetes Gefühl, daß das Werk gelinge und in kürzerer Frist, als man es in Innsbruck erwarte, und dieses Gefühl habe ihn noch nie betrogen. Die Karte gelinge so sicher, als er im Feber heiraten -erde.

„Dann wollen wir auf die Braut ein Glas Terlaner trinken!“ Sie saßen dann noch bis in den frühen Abend hinein beisammen und tranken und schmausten, und der Rat nannte ihm noch eine Menge Leute, an die Peter sich halten mochte, sobald er Hilfe bedürfe. Er erwies sich auch als ein Liebhaber der Sterne und ließ sich die Sternkugel beschreiben und die neue Erdkugel, und als Peter dann zu den beiden Gehilfen ging, hatte er noch nie einen so fröhlichen Nachmittag verlebt.

Seine Heite keit hielt auch die nächsten Wochen vor. In Sarnthein fanden sie die Nordhänge bis tief in die Wälder verschneit. ' Als sie das Talfertal auf dem Papier hatten, s-hneite es drei Tage lang, und Peter konnte sogleich- die Karte skizzieren und ergänzen, wie er sie im Gedächtnis hätte. Ein Bauer brachte sie dann im Schlitten zu Tal. Auch in Bozen lag noch über eine Spanne hpch Schnee. Gleich oberhalb der Stade aber war die Gegend wiederum aper, doch bereit-so fest gefroren, daß sie Vorsichtig auf den Sümpfen einllerschreiten konnten und immerhin doch dabei merkten, wohin sie traten. Nur mit der windstillen trockenen Kälte war es vorbei, und der Student lag in Terlan selbst eine Woche fiebernd, Peter einen Tag. Die Sorge um den kranken Gehilfen erwies ■sich diesmal als stärker denn seine eigene Krankheit. Bloß ein Sausen und Kollern verblieb ihm in den Ohren, und er taumelte oft, als habe er das Gleichgewicht eingebüßt, Sie kamen aber in dem Weitläufigen und ebenen Tale rasdi voran, und als der Student wieder helfen konnte, hatten sie nur mehr einige Meilen rund um die Stadt Meran zu vermessen. Als sie dann wieder fröhlidi im Wagen saßen, fiel auch im Etschtal der erste Schnee.

Am frühen Nachmittag des Thomastages kam Peter nach Innsbruck. Er fand das \rmarium physikum verschlossen. Es war der erste Tag der weihnachtlichen Ferien. Auch im Collegium in der Silbergasse 'traf er Herrn von Weinhart nicht am Sie wußten auch nicht, wohin der Professor gegangen sei. Peter ließ die Instrumente und Zeichnungen zurück und lief über eine Stunde durch die verschneiten Straßen. Das Laufen tat gut nach der langen Schlittenfahrt über den Brenner. Er hätte jetzt aber auch das Warten nicht ertragen.

Als er in das Collegium zurückkehrte, fand er Herrn von Weinhart über den ausgebreiteten Blättern sitzen. Auch etliche Planquadrate des Freiherrn lägen daneben. Der Professor nickte bloß und lud Peter zuir Sitzen ein. Dann maß er noch eine Weile mit- dem Zirkel in den Plänen herum, betrachtete auch das eine und andere Stück mit der Lupe und fügte die Blätter wieder sauber aneinander. Dann lehnte er sich zurück und ergriff die Hand des Bauern. „Du darfst nicht, erschreckt , Peter“, sein Gesidit war auch nicht danach, aber deine Aufnahmen nehmen sich neben den alten aus wie deine Himmelskuje1 neben den nürnbergischen. Dabei hast du dich wohl noch allzusehr an die Arbeit des Freiherrn gehalten.“

Das habe er als seinen Auftrag angesehn sagte Peter, und das Herz schlug ihm K:' zum Halse.

„Es kömmt auch nicht darauf an, daß zwei Kartenzeichner nun ,an einem Stück ihre Künste zeigen, sondern daß aus beider Vorarbeiten eine Einheit werde. Ich wollte ursprünglich alle Blätter dem Freiherrn nadi Wien nachsenden und ihn dort das Ganze zusammenstimmen und für den Stecher vorbereiten lassen. Es ist aber besser, du übernimmst diese Arbeit. Es sind schon mehr kostbare Schriftstücke auf dem Weg nach Wien verlorengegangen. Man soll aber auch die letzte Hand an einem Werk stets dem Meister lassen.“

„Und bis wann soll diese Arbeit getan werden?“ Den Professor verwunderte es nicht, daß der Bauer bei solch feierlichem Lobe rot und blaß wari.

„Die Wiener Regierung hat die Karte bis zum Frühjahr terminiert. Sie haben dann wieder eine Crenzkommission in Aussicht.“ Der Professor stockte: „Es ist wegen deiner Schwester, was?“

..Nicht bloß wegen der Schwester.“

Den Pater riß es herum. Aber Peter sdiwieg. Nach einer Weile aber redete er deutlich und hell: „Ich hab das Vermessen übernommen und die Sepiaskizzen. Mehr habe ich nicht übernommen. Ich habe es auf Treu und Glauben übernommen.“

, „Es i-t besser, wir sprechen uns aus“, sagte der Pater un-' legte die Blätter sauber aufeinander, „ansonsten gibt es bei jeder neuen Sache die gleiche Geschidite, und wir wollen doch Freunde bleiben. Wie lang bist du jetzt mein Schüler? Fünf oder sechs Jahre müssen es sein Ich hab sie nidit gezählt, nicht jeden Samstas; in meiner Kalender vermerkt. Nein, kein Wort von Dankbarkeit. Meine Herren Kollegen haben nie begriffen, daß ich meine Freien Samstage der eigenen Bildung entzog. Der Peter aber, dadite ich, wird dich begreifen. Was heißt begreifen? Nach meinem Tod wird man eine bessere Luftpumpe erfinden, und ein neuer Herr wird dieses . Vmarium durcheinanderbringen mid die obere Physik wahrscheinlich noch leichter absolvieren. Ich habe mich auch niemals sonderlich um meinen Nachruhm bekümmert. =vber wenn unsere Nachfahren den Anich Peter preisen werden, dann werden sie dabei Wohl auch seinen Lehrer nicht vergessen. Alse kein Wort von Dankbarkeit, wenn 'ner dankbar sein muß, dann bin ich es.“ Herr von Weinhart hatte den Peter noch nie hilfloser vor sich gesehn. „Das begreift Er nicht“, setzte er hinzu, „und es ist auch -esser, Er begreift noch nicht. Ich lieb ihn ja larum.“ Er hatte die aufeinandergeschichteten Blätter zusammengestoßen und in eine Mappe ;etan. . )as andere aber wird r--W

begreifen: Er ist ein Bauer und will ein Bauer bleiben. Als Bauer hat Er seine Pflichten: seinem Acker, seinem Hofe, den Seinen, dem Stande gegenüber War Er ein schlechter Bauer, hätt idt ihm längst geraten: Leg leinen Rode ab und hause fürder in der Stadt. Wir heben aber im Lande vielleicht zwanzigtausend Bauern oder sind es nur fünfzehntausend, das tut nidits zur Sache, abe- wir haben nur einen Anich Peter. Was ist nun wichtiger: ob Er ein paar M“tzen Türken mehr erntet oder ob Er uns eine Karte schafft, wie kein anderer im Land sie schaffen kann, ob Er mit seinem Fleiß drei oder vier Leuten dient oder dem ganzen Lande Tirol, dem ganzen Kaisertum?“

j,Es geht doch nicht um den Türken.“

„Wem eine solche Gabe geschenkt ist, der hat auch die Pflicht, sie zu nutzen. Und was ich vorhin andeuten wollte: Das Land, aus dem du geworden bist und das dich herausgehoben hat aus der fünfzehntausend anderen dauern, das Land hat ein heiliges Anrecht auf deine Gaben. Und wenn du selber eine Rraut hättest; aber du hast ja keine.“

„Woher weißt du das?“

„Ein Mensch, der auf seine Arbeit so versessen ist, heiratet besser nicht, schon gar nicht eine Bäuerin. Er tat sie audi unglücklidi machen.“ Das Gesicht des Bauern ward jetzt weiß wie die Mauer. „Das kann man freilich auch bloß hypothetisch behaupten“, sagte Herr von Weinhart rasch. „Das Leben ist allezeit eine Gleichung mit sehr vielen Unbekannten. Eine Pflicht schließt auch die andere nicht aus, und wenn der Herrgott dich liebt, schenkt er dir auch ein zwiefaches Glück. Es kop-rrit nur selten vor in der Welt.“ Er streckte ihm die Fi Ind entgegen.

Peter schlug ein! „Ich will meine Pflicht tun.“

Der Professor aber sprang auf, als fürchte er noch ein“ weitere Rede, und eilte ihm voran auf den Gang. „Der Schlitten wartet bereits auf dich. Vor einer Woche war dein künftiger Schwager hier. Deiner ' “ ist es wieder schlechter ergangen. Nichts F'itthftf-tes, bestimmt nicht. Sonst wäre der Nadibar wiederge' ni und ich hätte dir 'nen Boten nach schit“

„Ja“, sagte Peter, „das hättest du sicher getan. Es wird doch auch nicht alles auf einmal über mich kommen “

Die Mutter lag freilich nicht kränker als j-den Winter um diese Zeit, nur sehr abgemagert fand er sie und deshalb gealtert. Aber auch die eigene Stube erschien ihm eng neben den weiten Täfelstuben der Burg-gräfler. Und als er dann mit der Leni und dem Nachbarn bei Tisch saß und sich erzählen 'ieß und selber warm wurde beim Erzählen, überkam ihn eine wohltuende Mattigkeit wie nach einer überstandenen Gefahr. Nur fremd fühlte er sich noch immer daheim, und dies Fremdsein kam nicht allein daher, daß er noch nicht alles berichtet hatte.

Als sie dann endlich allein waren, erzählte er der Schwester, was sich wenige Stunden vorher bei seiner Rückkehr in Innsbruck zugetragen '“~tte. Sie hörte ihn schweigend bis zum Ende an: Völlig ruhig saß Sie neben ihm auf der Bank. Dann legte sie die Hand auf seine Schulter. Der Professor habe re it gesprochen, sagte sie, und sie selbst habe ja längst geahnt, daß es So kommen werde. Ob er es denn selber anders erwartet habe? Ob er denn glaube, daß man auf seine Arbeit noch verzichten werde?

„Ach Gott“, sagte Peter, „wenn ich dem Professor -/irklich alles erzählt hätte, er hätte auch meine Lage eingesehn. Ich hätt ihm sagen müssen, er soll mich weiter die Sterne studieren lassen. Dann könnt ich daheim bleiben und doch für ihn etwas leisten. Mehr vielleicht als mit den Landkarten. Es wäre mein eigenes und alles war leichter.“ (Fortsetzung folgt)

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