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Peter Anich, der STERNSUCHER

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4B. Foi tsetzong

„Jetzt müßt ich aber doch zur Vorsicht noch fragen, wo da ein Platzerl für die Vroni bleibt?“

„Man kann doch nur gleichartige Zahlen miteinander vergleichen“, sagte er und lachte und dann rasch: „ich denk, auch zwischen den Sternen wäre noch genug Platz und hinter ihnen, dort, wo es noch für uns ganz dunkel ist, und zwischen der Erde und dem Himmel und überall.“

Da war sie mit einem Sprung bei ihm und nahm sein noch schmales Gesicht in ihre Hände und küßte ihn auf den Mund. Ein einziges Mal. Er kam erst gar nicht dazu, daß er sie festhielt, so seltsam geschah ihm.

Als die Leni dann später in die Stube kam, fragte sie vorsichtig, ob sie denn wieder miteinander gestritten hätten. Die Vroni hätte sich gar so rasch empfohlen. „Nicht einmal die Uhr hat sie mitgenommen. Man hätt ihr doch den Blasius zum Tragen mitgeben können.“

Peter machte ein ernstes Gesicht. „Die Uhr wird ja nicht besser von der vielen Herumtragerei. Auch zahlt es sich ja nicht aus, daß man sie jetzt hinaufträgt und dann im Februar wieder die drei Stunden herunter.“

Als die Leni begriff, stürzte sie auf ihn und lief zur Tür und wieder zu ihm zurück und preßte seine Hände. „O Gott“, rief sie, „o himmlischer Vater und Herr! An meinem eigenen Verlöbnistag hab ich mich nicht aufrichtiger gefreut.“ Dann rief sie die Mutter herein, und der Erhardt kam, und sie hatten alle feuchte Augen, auch der Franz. Die Mutter aber hatte das Glück ja kommen sehn, seit er so still und ergeben geworden war, seit der Nachricht von der Marie.

Als ihm die Leni später das Essen brachte, fragte sie ihn aber: „Ihr habt euch doch hoffentlich recht ausgeredet, daß sie dich dann nicht wie damals an deinen Arbeiten behindern wird? Es war nur schrecklich, wenn sie dich nicht ganz begreifen tat.“

„So gut wie du begreift mich auch keine mehr.“

Die Schwester sagte etwas von einer Schmeichelkatz und war auch schon wieder draußen.

Nach dem Essen ließ Peter sich 'zum erstenmal wieder seine Bücher bringen. Er blätterte auch ein wenig darin, legte sie aber eines nach dem andern wieder fort. Er dachte zu viel oder auch zu wenig, wie ihm schien, seine Gedanken gingen völlig durcheinander. Auch das Durcheinander war schön. Nur die „Trutznachtigall“ behielt er auch jetzt, und später las er den Friuen den „Jubel nach überwundener trawrigkeit“ vor.

O wie scheinbar trost von oben

Endlich durch die Wolcken bricht!

Nie noch keine Stralen gaben /

Noch Crystall so reines Licht;

O wie wol wird meinem hertzen!

O wie klar mein angesicht!

Weichet / weichet angst und schmertzen /

Darff nun ewer weiter nicht.

Euch hinaus nun trollt mit hauffen / Fliehet hin zur Finstern nacht: Lauter frewde kommen lauffen / Lufft und wetter wider lacht. Kalt und winter ist gebrochen Trübsam ist nun sauber hin / Trawrigkeit ist gar erstochen / Frölichkeit ist mein gewinn . . .

Peter klappte das Büchlein zu. „Morgen geh ich mit euch wieder auf den Acker.“

Die Leni lachte hell: „Was der Peter nicht für eine Geschwindigkeit entwickelt! Aber draußen sitzen kannst du morgen, wenn das Wetter schön ist unter Mittag. Und die Drehbank stellen wir auch wieder in die Stube.“

Es fiel aber auch der nächste Tag heiß •und wolkenlos wie die anderen vor ihm die ganze Woche lang, und Peter saß schon zeitig draußen. Im Windschatten der Scheuer saß er, ein Tischchen vor sich, die Bücher,

Zirkel und Papier. Nur über der Stadt lag schwerer Dunst, nach Norden zu aber standen die Berge klar wie im Herbst vor ihm, auch noch der Wetterstein. Sobald er sich unbeachtet wußte, stand er auf und ging langsam zu den Hölzern hinüber, rastete auch ein wenig dazwischen und prüfte dann die alten Blöcke. Es war weitaus genug Holz da für eine mächtige Erdkugel, und er konnte auch, wenn er noch einige Tage daheim blieb, leicht die Kugel fertig bauen, ehe der Pater heimkam. Für die Zeichnung und die hugenische Uhr rechnete er gut vier Monate. Und wenn es fünf wurden, die Erde war groß und vielgestaltig. Er brachte die Kugel leicht fertig bis zur Hochzeit und vielleicht noch den Tubus für die Stern-guckerei dazu.

Er war aber eben über seinen heiteren Gedanken ein wenig eingenickt, als die Mutter vor ihm stand. Ein Mann aus Innsbruck sei draußen und habe einen Brief für ihn.

„Dann ist der Professor schon zurück.“ Immerhin war es seltsam, daß Herr von Weinhart einen Boten schickte.

Es war freilich bloß ein Fuhrmann, der, auf dem Weg nach Stams, die Botschaft mitgenommen hatte. Er wußte auch nichts weiter, als daß er eben den Brief abzugeben habe. Darin aber stand, der Professor müsse ihn allsogleich sprechen, wenn nicht am Montag, das sehe er bei der Erntezeit schon ein, doch am Dienstag früh zur gewohnten Stunde und in der Universität. Er sei frühzeitig heimgekehrt, und die Lage erfordere eine dringende Ausspräche. Kein Wort von der Kaiserin stand darin.

Der Bote erwartete weiter keine Antwort, er war noch zwei Tage auf dem Weg.

„Er hat dir gewiß etwas sehr Wichtiges von derKaiserin zu vermelden“, sagte die Mutter, und die Mutter hatte in der letzten Zeit immer das Beste gesagt.

Peter trug allein die Polster und Decken ins Haus zurück. Dann schritt er eine Weile im Garten auf und ab. Es ging. Auch die arge Müdigkeit verschwand, zumal wenn er den Brief in der Tasche spürte oder gar die Anrede wieder und wieder las: „Mein lieber Peter!“ Nein, es war kein unheilkündender Brief.

Auch die Leni tat, als sie todmüde vom Acker kamen, einen Luftsprung. Nur daß Peter wirklich gleich am nächsten Tag nach Innsbruck laufen wollte, bedrückte sie. Nicht einmal bis Kematen kam er. Sie sah ihn schon mitten auf der Straße zusammensinken und wieder im Fieber liegen; noch Ärgeres sah sie. Der Erhardt wußte auch diesmal Bescheid. Wenn sie selber schon keinen Wagen, kein Pferd hätten, der Schwager in Zirl habe drei Rösser im Stall und ein neues Zeugerl dazu. Und wenn der Schwager keine Zeit oder keinen freien Knecht habe, auch er, der Franz, verstehe sich aufs Kutschieren. Der Peter brauche sich deshalb nicht um den Schnitt sorgen. In den Innsbrucker Läden gäbe es genug Dinge, die er mit der Leni für die Hochzeit besehen und auch kaufen könnte. Ob sie erst im Herbst oder schon jetzt hinkämen, sei doch gleich, gar wenn es wegen der Botschaft der Kaiserin sei. Auch sollte der Professor nur einmal die brave Schwester kennenlernen. Und wie er war, von der Arbeit verschwitzt und müd, ging der Erhardt noch in der Nacht nach Zirl. Erst nach Mitternacht kam er mit dem neuen Wagen zurück. Das Pferd stellten sie unter das mächtige Flugdach. Es war eine himmlisch laue Nacht.

Anderntags vor neun hielt der Wagen beim „Weißen Hirschen“ zu Innsbruck. Sie besprachen, daß sie einander um elf Uhr im Wirtshause treffen wollten. Dann konnten sie noch mitsammen den Professor aufsuchen, falls der Professor Zeit hatte und die Leni sehen wollte, und nachher zu Mittag essen.

„Es wird schon alles gut ablaufen“, sagte Peter. Der Erhardt aber meinte, der Peter brauche sich doch nicht ängstigen, daß der Pater am Ende gleich die Kaiserin mitgebracht habe. So schreckhaft sehe er auf einmal aus.

Das Leichenbittergesicht des alten Christian aber war dann tatsächlich zum Erschrecken. Ein Segen, daß der Professor noch nicht da sei, so begrüßte er den Anichbauern, er könne ihn wenigstens ein wenig vorbereiten. Der Professor sei wütend, nicht auf die Kaiserin, aber auf die ganze Sippschaft bei Hofe. Nicht einmal vorgelassen habe man ihn und auch die Schrift versaut. Einfach versdiwunden sei die Schrift. Unauffindbar! Auch alle anderen Pläne seien schiefgegangen.

Peter hätte ihn um die anderen Pläne kaum weiter befragt. Jetzt betrat aber auch der Pater das Kabinett und nahm ihn gleich mit in seine Stube. „Du weißt ja schon einiges, wie ich sehe“, sagte er. „Aber du brauchst dich deshalb unter uns allen am wenigstens kränken.“

„Ich kränk mich auch nicht“, der breite Sessel war dem Peter freilich willkommen, „ich hab audi gar nicht erwartet, daß die Kaiserin sich um einen Bauern sonderlich bekümmert.“

Und wie sie sich um ihn bekümmert habe! Trotz ihrer Staatsgeschäfte und trotz des Krieges! Er sei wohl nidit vorgelassen worden, aber die Sdirift, das wisse er von einem bekannten Grafen, habe sie nicht einmal, sondern drei- oder viermal durchgelesen und allen möglichen Leuten davon erzählt, leider auch dem Herrn van Swieten. Dieser Mann sei jedoch nicht bloß ihr Leibarzt, sondern auch der Präfekt der Hofbibliothek. Scheinbar, Genaueres habe er leider nicht herausgebracht, habe sie den van Swieten bei der Mahlzeit und vor den anderen Hofleuten ein wenig gehänselt; er habe noch immer in der Bibliothek kein solches Wunderinstrument und verstehe sich zu wenig auf die Dinge und so. Denn bei der nädisten Audienz, das stehe fest, habe van Swieten unter irgendwelchem Vorwand die Schrift an sich genommen, und seither sei sie einfach verschwunden. Dreimal habe sich der kluge Mann verleugnen und ein Reskript ohne Antwort lassen. Bei einiger Ausdauer hätte er freilich den seltsamen Gelehrten schon noch gestellt, aber indes habe er, der Pater, erfahren, daß die Berufungsurkunde für den Freiherrn von Sperges bereits von der Kaiserin unterschrieben sei, und deshalb sei er lieber rasch nach Innsbruck heimgereist. „Man nimmt ihn uns einfach, ohne ihn zu fragen, ohne mich zu fragen, ohne Rücksicht, ob unsere Karte fertig ist oder nicht. Vor eine fix und fertige Tatsadie stellt man mich.“ Der Professor durchmaß die Stube mit mächtigen Schritten. „Neidig sind uns die Herrschaften! Das ganze Tirol täten sie am liebsten gleich nadi Wien versetzen, und dabei schaun sie einen an, als käme man aus Afrika. Muß einer schon einen guten Posten Disziplin im Leibe haben, wenn er da nicht einfadi auf-und davongeht.“

Jetzt stand Herr von Weinhart wieder vor Peter, ganz nahe trat er an ihn heran: „Du mußt mit dem Freiherrn die Karte fertig zeichnen. Deshalb hab ich dich schon heute gerufen. Brauchst nidit gleich sterben, wie du aussiehst!“

„Ich war nur ein paar Wochen krank“, sagte Peter, „das ist vorbei, seit gestern ist es vorbei. Aber deshalb kann ich doch nicht den Freiherrn von Sperges ersetzen. Ich bin kein Landmesser, und ich tat es auch nicht, wenn ich einer war.“

Von einem Ersetzen sei auch keine Rede, sagte Herr von Weinhart — er stand noch immer vor ihm, nur sein Gesicht hatte sich verdüstert —, kein Mensch habe behauptet, der Anich Peter müsse nun die Karte von Tirol machen. Er sei auch rodfroh, wenn allein der mittägige Teil fertig werde, aber dazu fehle noch das Etschtal und das Eisack-tal, vor allem die Gegend von Brixen, Bozen und Meran, also die schönste und für den

Landmesser leichteste Gegend. „Daß du ihm beim Vermessen dieser Täler hilfst, um mehr habe ich dich nicht gebeten. Nur müßt ihr bis Ende November fertig sein. Länger kann man auch im Freien nicht arbeiten, und im Januar ist der Sperges in Wien. Soll ich dem Grafen Enzenberg heute mitteilen: der Anich Peter könnte diese Arbeit wohl leisten, er ist auch der einzige in ganz Tirol, der sie in so kurzer Zeit leisten kann, aber der Anich Peter ist ein Dickschädel, er will einfach nicht. Soll ich das so sagen?“ Der Bauer saß jetzt als ein Häuflein Elend vor ihm. „Ein paar Tage kannst du dich schon noch erholen, wenn du krank warst.“

„Ach Gott“, sagte Peter, „wegen der dummen Krankheit! Aber die Schwester daheim und alles andere auch.“

„Die Leni wird dann eben erst im Fasching heiraten. Dein künftiger Schwager ist in dieser Beziehung vernünftiger als du. Er hat es schon einmal bewiesen.“

„Wenn es dann nur dabei bleibt.“

„Als ob ich nicht wüßte, daß du ein Bauer bist und ein Bauer bleiben willst, als ob ich mich darüber nicht freuen tat, Peter. Aber wenn es in ganz Tirol keinen anderen gibt, kann ich dich doch wenigstens ausleihn.“

„Und die Erdkugel?“

„Ach!“ der Professor lachte laut heraus, „die kannst du auch übers Jahr verfertigen. Auch gibt es schon viele Erdkugeln auf der Welt, aber noch keine gescheite Karte von Tirol. Und ich wett, du magst gar nicht mehr aufhören, wenn du einmal zu diesem Geschäft gerochen hast. Überdies kommt es bei allem auf die Probe an. Wir verstehen uns. Bis zum nächsten Samstag hab ich vielleicht auch Nachricht vom Freiherrn. Er treibt sich irgendwo bei Trient herum.“ Der Professor streckte ihm die Hand entgegen. Peter zögerte eine Weile, dann schlug er ein.

Im Vorraum kam ihm Herr von Weinhart nach. Wenn er sich sehr schwach fühle, könne er diesmal schon einen Wagen beistellen.

„Das braucht es nicht“, sagte Peter, „ich bin mit meinem künftigen Schwager und der Schwester heruntergefahren. Sie kaufen bereits für die Hochzeit ein.“ Er wartete ein wenig, doch der Professor sagte nichts darauf.

Im „Weißen Hirsien“ aber ging es dann doch sehr viel leichter her, als Peter den Weg über befürchtet hatte. Daß er über die Kaiserin nicht mehr erzählen konnte, enttäuschte die beiden wohl mächtig, der neue Auftrag erschien ihnen freilich als eine überreiche Entschädigung, ja es stellte sich heraus, daß diese Arbeit von jeher ihr heimlicher Wunsch gewesen war, und noch mehr, denn sie hatten sich den Peter ja doch nur als einen Feldmesser vorgestellt. Es war auch klar, daß sie die Hochzeit auf den Fasching verschieben mußten, und sie brachten manchen Grund vor, weshalb dies auch vernünftiger und schöner sei, und am Ende gebe es dann im Februar im Anichhaus gar eine Doppelhochzeit, ein Ereignis, das andere Paare ein Jahr und noch länger warten heiße, auch daß der Pater sie dann trauen werde, stand nun fest.

Auf der Heimfahrt aber blieb Peter recht still. Sie dachten, er sei übermüdet, und er war es auch. Viel mehr aber bedrückte ihn' die fordernde Art, mit der ihn Herr von Weinhart diesmal überfallen hatte. Er hatte gewiß nichts Unmögliches von ihm verlangt, auch nichts befohlen oder ihm auch nur sonderlich ins Gewissen geredet, aber anders hatte er gesprochen, wie einer, der da sagt oder denkt: ich hab ein Recht auf dich. Und wenn einer ein Recht hatte, wo war da das Ende? Viele Gründe gegen einen solchen Anspruch gingen ihm durch den Kopf, es war aber keiner darunter, gegen den nicht ein anderer noch gewichtigerer Grund auftrat. Und wenn die beiden dann von der Vroni redeten und vom Fasching und von der Mutter und wie recht sie mit ihren Glücksahnungen habe, er hörte es wohl, er lach.e auch ein wenig dazu, aber es war ihm doch, als redeten sie über ein Fremdes.

(“ortsetzung folgt)

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