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Bekenntnisse

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den Bruder kennt, besonders beim Schorsch, besonders, bei einer Frau —

Thomas versuchte das für den Brief an seine Frau zu formulieren, wozu sein fluchtartiges Bedürfnis nach ihr schon geworden war, aber es ging nicht.

Zwei Gläser Wein. Eins zum Stehenlassen. Eins zum Herumtragen, zum anderswo vergessen. Wichtig, weil die meisten sitzen. Salzmandeln, Keks. Und überall Wienerischer Ton. Dann kommt's sogar zum Wien in Wien in Düsseldorf:

„Bist du eigentlich ein Sohn vom Maxi oder vom Franzi Khiels?“ Thomas fand sich durch eine plötzliche, dick-schwarze Brille in die nächstliegende Runde gegliedert. „Denn der Josef hat ja nur Madeln, oder?“

Vorname nicht zu eruieren. Hier hieß die Brille bei den Österreichern „Umerl“ und bei den Deutschen, wahrscheinlich aus Aussprachegründen, mangels diesbezüglicher Diminutivbeherrschung, gar „Umu“. Den, der sich derlei ohne die Miene zu verziehen, sagen ließ, kannte Thomas gerade genug; jdoch nicht genügend, um genauer zu wissen woher, außer: eben aus Wien. Auch hinderlich. Jenen gleichfalls „Umerl“ zu nennen, dazu reichte es nicht.

Aber verwandt sind sie wenigstens, so und so. Den verheerenden Wirkungen des Ahnenschwundeiä kommst einfach nicht aus, nicht einmal in Düsseldorf, nicht einmal in parti-bus infldelium. Die Urform des unbenutzbaren „Umu — Umerl“ blieb bei alledem quälend dunkel.

Die Dame des Hauses sandte einen zufriedenen Blick. Thomas beendete das genealogische Intermezzo, wobei der Hausherr, zur rechten Zeit seitlich mit der Frage nach Grund und Ursache des Besuchs in Düsseldorf vorhanden, erlösend half.

Thomas begann von seiner Firma zu erzählen; verschwieg

mühelos, daß es um seinen ersten, wirklich selbstständigen .Auftrag ging, und was das im Grunde bedeutete. * -

■„Ein paar Lizenzen unterbringen, halt“, sagte er, und es klang ihm in den Ohren, als behauptete er damit, er hätte sie schon untergebracht. Um dem dabei sofort und verstärkt wieder einsetzenden Unbehagen auszuweichen, begann er an seinem Brief nach Hause weiterzuschreiben. Hilfe bot, daß darauf der andere von seinem letzten Besuch in Wien erzählte und dazu nur eines gelegentlichen Nicken Thomas', nicht seines Zu'hörens, bedurfte. Der Beginn des Brief stand fest: ,Liebling, es ist leider noch alles offen...'

Hinter dem Brustbein einen kleinen Schmerz empfindend, sah sich Thomas schon im Hotel über seinem Briefpapier sitzen; es half.

Er lockerte sich wieder. Fand sich, Blick nach Blick, besser daran und darein. . . . . .

Sind zweifellos Menschen, die Leut' hier. Gepflegtes Barock allenthalben, auch sonst Geschweiftes, Gerundetes, Gutgepolstertes. Er war damit einverstanden. Freundlich eingewohnte, nicht zu große Räume.

Thomas verlor den Hausherren und bekam von einer im rechten Augenblick dargereichten Servante dafür ein neues Glas Wein zum Herumtragen.

Dann erst wurden neuer Flucht- und Schwerpunkt allmählich erkannt und — fielen sogleich in eins. Er sah die Frau, welche dies bewirkte, erst, als sein Blick ein paarmal zu ihr, die sich in einer Gruppe am Ende des anderen Raumes befand, zurückgekehrt war, wie ein angerührtes Pendel mehrmals über seine Ruhelage hinausschwingt, bevor es anhält und zur Mitte der Erde weist. Auch Thomas stand zunächst ganz still und ausgerichtet, als sein Blick zur Ruhe kam.

Blond war sie, schmal; natürlich blaue Augen; sie hielt ihren Kopf ganz vorzüglich. Herzförmig das Gesicht; da kommt es immer sehr aufs Kinn an; der Mund, wenn er spricht, stark mit dem Sprechen beschäftigt, hat aufwendige

Bewegungen, die man am Lippenrand mit zärtlichem Finger nachziehen sollte; wäre schließlich gar nicht so unmöglich, nicht wahr, jetzt schaut sie her zu mir, mit einem gut bekannten Lächeln; ein herzförmiges Gesicht, mit dem richtigen Kinn dazu und einem solchen Mund ändert natürlich vieles; da stimmt auch die Figur, kannst dich drauf verlassen.

Ich bin im besten Überschwang, dachte Thomas behaglich und schob das Briefschreiben einstweilen beiseite. Er trug sein Weinglas näher und . ließ sich dabei nicht aufhalten.

Sie hieß so und so, aber darauf kam's gar nicht an. Mit ihrem aus deutscher Göttersage stammenden Vornamen konnte er ja auch nichts anfangen; er war nur hinderlich. Aber das Gespräch handelte bald von Musik. Davon verstand er zwar nicht viel. Anfangs befürchtete er natürlich Richard Wagner, das lag nah, aber seine Befürchtungen waren grundlos. Sie fragte ihn nach dem Mahler-Zyklus der letzten Wiener Festwochen, und er dachte sogleich an die Oper, nicht an den Musikvereinssaal. Ein Zusammenstehen im Foyer, roter Logensamt, das Stilleben von Programmheft, langen Abendhandschuhen, Perlmuttglas und Täschchen auf der Logenforüstung, auf die man doch nichts legen soll — widerspruchsloses Bild aus vielen Erinnerungen, immer gleicher, immer anderer Erwartung und der Graphik einer Sektreklame gemischt. Ende der großen Pause; die winzige, zufriedene Müdigkeit des neuerlichen Zurücklehnens im Sessel, der dunkelbraune, satte Ton von tief unten aus der Orchestergrube, und oben das Verblassen des Kronleuchters. Nachher ein Abendessen zu zweit.

Im Konzertsaal verlöschen die Lichter nicht, das ist ein Mangel.

Als sie lachte, spielte er, zunächst überrascht, dennoch gleich mit. „Ich schlaf wirklich manchmal ein“, nickte er und

machte ein schuldbewußtes Gesicht, von dem er wußte, daß es ihm gut stand — dabei passierte ihm ein Einnicken höchstens gelegentlich im Kino.

Die Störung blieb nicht aus, und ihr Mann hatte einen trockenen Händedruck. Pergamentpapier, von irgendwo plötzlich dargereicht. Der unvermittelte Gatte gab sofort sprunghaftes Wissen in kargen Portionen bekannt, denen jegliches Apropos fehlte, fügte hinzu, leider schon gehen zu müssen, und: „Nee, Kindchen, du bleib' nur noch schön!“ Sein Blick sprang aus der Wurzel eines harten Nackens und reichte, von tiefen Lidern niedergehalten, nicht weit hinauf. Er bohrte sich konzentrisch in Thomas' Krawattenknoten, schraubte sich ein, den solcherart Gespießten dahinter im Hals kitzelnd. Im letzten Moment vor dem sonst unausbleiblichen Hustenanfall wurde der scharfe Sehstrahl wieder entfernt.

Ehemännliche Rückensteife. Entschluß; knappe Wendung. Seine Frau kennt's. Nicht einmal um Rückgabe eines entschuldigenden Blicks wird sie bemüht. Auch bei ihr reicht ihm das Hinschauen nur mehr bis zum schlanken Hals.

Thomas versäumte indes seinen Einsatz; eine Salzmandel lang nicht auf der Hut, und schon ist es passiert: wer bringt sie nach Hause, nachher? Dieser da, leider. Dieser da ist ein überflüssiger Mensch, den man bis jetzt noch gar nicht wahrgenommen hatte.

Der Gatte tritt eilig ab. Der von ihm verursachte Schaden bleibt irreparabel. Mit Musik allein war nicht mehr zurechtzukommen, und anderes hinderte die vom entwichenen Ehemann erzeugte Dreisamkeit. Oper und Konzertsaal wurden farblos, dafür aber der überflüssige Mensch, der sein Amt als Delegierter jetzt schon emst zu nehmen müssen glaubte, vorherrschend.

Thomas holte, bis zur Vollgepampftheit Keks essend, wieder seinen Brief hervor: .Liebling, es ist leider alles noch offen —'

Später brachte der überflüssige Mensch, sich nur kurz entschuldigend, den Mantel der ihm Anvertrauten.

Handibussi, aus.

Später sagte die Hausfrau gerne einem Gast, der sich in ihren Augen bewährt hat, daß er unbedingt bald wiederkommen müsse.

Später begleitete Schorsch ihn zum Hotel; verabschiedete sich: „Machst morgen ein Telefon, ja? Vielleicht gehn wir mittagessen?“, schwenkte den Hut weit: Ende.

Aber dann übergab der Portier zusammen mit dem Schlüssel Telegramme und Briefe — alles, was heute früh so mysteriös gefehlt hatte. Auch viele, herrliche, gelbe Telefonzettel des Hotels mit der vorgedruckten Bitte um Rückruf hatten sich angesammelt. Die Wände aus Glas waren, sozusagen hinter Thomas' Rücken, alle zersprungen.

Oben auf seinem Zimmer setzte er sich sogleich ans Tischchen — na also! Ich hab's mir ja gleich gedacht! Ernannte es zum Schreibtisch, machte sich einen neuen Terminplan, prüfte nochmals seine Notizen und Unterlagen, die er aus Wien mitgebracht hatte — er arbeitete gut, eine Überlegsame Stunde lang, die ihn sicher vorwärts brachte, bevor er schlafen ging. Das Briefschreiben erübrigte sich.

Herbst

Ich möchte etwas schreiben über abgefallne Blätter,

wie sie am Ufer der Nacht mit gelbem Echo verglühen.

Ich möchte ein Lied beginnen, das wächst

zu einer Kette, die Grund und Folge verbindet.

Aber der Weg des Blatts verschließt sich in meinen Augen, stirbt hin in dem feuchten Ruch, im weichen Versinken in Dunkelheit vom Winde erschreckt.

Ob ein Dichter hier niederkniet,

um der Ewigkeit Schranken zu heben?

Der Äste Himmelfahrt will ich beschreiben und jede Faser erfassen, darin mein Haupt sich bette, solange des Himmels Blau noch meine Fenster erreicht und der Mond mit gekrümmter Sichel das Blatt vom Apfelbaum trennt.

Versuch einer Beschreibung

Die Rose verblutet im Garten,

fleht um Erbarmen den Herbst.

Die Rose ist wie ein hoher Dom

mühsam erbaut

in Wasser, Sonne und Luft,

mit einem hohen gotischen Turm,

auf dem die Engel,

leicht wie Altweibersommer,

eine rote Glocke bewegen.

Die Rose ist wie ein Morgen der Düfte,

der wie eine Quelle aufbricht

die offene Seite des Herbstes

oder wie eine Harfe, die glitzernd erklingt

mit grüner Saite,

— sie ist die menschliche Stimme des Korns, in dem die Zeit die Reife erreicht. Oder ist sie am Ende Symbol der Vergänglichkeit? Ich vermag es nicht zu beschreiben...

Fragen

Stein erkaltet, zeugend von der Wahrheit, Wahrheit birgt der Menschenlüge Quellen. Warum suchst du dann in Türmen Klarheit über Zeit und Raum, die dir entschnellen?

Wozu weißen Rauches Hände binden, da die Kreide doch dein Bildnis bannt? Wirst du dich als Glocke hoher Türme finden, ob dein Haupt im Astwerk Eingang fand?

Grün umgibt der Siein die Quelle wie ein Gitter, Wind führt dich jahrhundertweit hinaus. Warum also schaust du abends bitter nach den Ufern eines Gestern aus?

Heimat

Ein Stückchen Erde nur und ein paar Häuser und Flüsse... Und dennoch entkommst du nicht und bist so wehrlos vor dem allen.

Jahre,

zum Kranz gebundene Erinnerungen

werden in Klage reifen,

bis unser Herz

das Echo zudeckt

aus des Schweigens

hölzerner Partitur.

Seit einigen Monaten lebt B o n i f a c y Mi a zek in Wien. Er ist 193S in Polen geboren; nach seinen ersten literarischen Veröffentlichungen trat er dem „Klub junger, Autoren“ im Polnischen Schriftstellerverband bei. Er studierte an der Theologischen Hochschule in Sandomierz und wurde iojo Priester. Seinen ersten Gedichtband „Die aufgetane Erde“ konnte er in Paris veröffentlichen und erhielt den Literaturpreis für die beste Gedichtausgabe des. Jahres lg66 in polnischer Sprache. Neben seiner seelsorglichen Tätigkeit und dem Studium der slawischen Literatur arbeitet der junge Pole als Schriftsteller und Redakteur .bei verschiedenen Zeitschriften des In- und Auslandes.

Öffnung der Dunkelheiten

Ich liebe diese Farbe,

diese dunkle, feucht verwachsene

Farbe der Nacht.

Irgendeine Mwsifc der Wiesen schwingt bewegungslos

durch den Himmel. Durch die Gärten flügeln die Tauben zum Nest und silberne Taler aus Tau fallen herab auf die Augen

Erinnerst du dich?

Der Mond geht über einen zerwühlten Kartoffelacker

bis zu den Knien in dürrem Unkraut,

er geht nicht über den Himmel,

er ist so nah, daß du ihn nur zu berühren brauchst

und er löste sich auf wie die heiligen Hirsche.

Er wird tanzen in der Legende des Flusses.

Den Funkengarben entsprießen jetzt leichtere Hände

und die würgende Einsamkeit bräunt sich zur Ehre.

Warm werden die Zungen der Schluchten sein.

Mit der geduldigen Weide erheben sich Fische die Ufer.

Dunkelheit...

ich liebe diese Farbe. . .

Wenn einmal gewaltige Zeit über die Acker zieht, will ich, den Mond in der Hand, den Grund des Dunkels eröffnen, bis die Augen zu schmerzen beginnen.

Aus dem Polnischen übertragen von Rudolf ]. von Jouanne

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