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Gruß an Osttirol

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Über meiner Bubenzeit stand oft eine feindselige Wolke. Niemand hieß so wie ich und mancher machte über meinen Taufnamen boshafte Späße. Daß ich ihn vom Großvater hatte, daß dieser Tiroler und 1848 mit fünfzehn Jahren aufgebotener Schwazer Standschütze gewesen war und daß wir seine silberne Medaille mit dem griimweißen Band daheim aufbewahren, was nützte mir dies?

Ein Freund und ich waren in Kärnten und wollten nach Osttirol auf den Hochschober. Lienz bot uns eine schöne, echt tirolische Rast — mit Rotwein in kleinen, ziervollen Fläschchen — und dann ging’s höhenauf durch reiche, kraftgrüne Waldtäler, entlang an springenden, quellhellen Wassern.

Ob wir oben übernachten könnten, fragten wir ein altes Weiblein, das uns entgegenkam. Wohl, wohl, auf der Alm, da hätten sie ein schönes, ein wirklich schönes Heu und darein sei es ein soviel gutes Liegen.

Ober den letzten, zerrissenen Sturmbäumen lag im offenen hellgrünen Plan eine graue Hütte. Die Frau darin überlegte kaum, als wir unser Anliegen vortrugen, aber immerhin, sie fragte, wer wir seien. — Die und die. — Was wir seien? — Lehrer. — Die Frau saß an einer alten Nähmaschine, die ohne Gestell und darum bloß auf den Tisch gesetzt war und deren oberes und einziges Rad sie mit der Hand drehte. Als sie von unserem Stand hörte, hielt sie plötzlich unvermittelt im Nähen inne und sah uns merkwürdig aufmerksam an. Wo wir studiert, wann wir Matura gemacht, ob wir schon eine Anstellung und vielleicht schon die Befähigungsprüfung abgelegt hätten oder ob gar einer von uns schon Hauptschullehrer sei. Wir sahen uns in immer größerem Erstaunen an. Eine Sennin, eine alte Nähmaschine, wie wir noch keiner eine gesehen hatten, hölzerne Zuber und hölzerne Riegel, ringsum Almen und dieses gründliche fachverständige Verhör! Wir hatten der Reihe nach geantwortet und gewiß Vertrauen gewonnen. Ob wir unsere Rucksäcke abtun und einstweilen etwas essen dürften? „Wohl, wohl“ und „Thresle, Mariele“ rief die Frau, „kemmts und machts Platz.“

Da kamen zwei Mädchen herein, ein kleines von fünf, sechs Jahren und ein anmutig großes, das um gut zehn Jahre älter sein mochte. Beide trugen bäuerliche Alltaggewänder mit tirolisch langen Röcken und leicht aufgepufften Ärmelansätzen, beide hatten auf die gleiche Art ihr dichtes dunkles Haar zu einem schönen Zopfkranz geflochten und gelegt und beide waren von herzlicher natürlicher Frische und klarer Sauberkeit.

Sie grüßten uns gastfreundlich und mit höflicher Achtung. Schnell räumten sie etliches Schneiderzubehör und anderes vom Tisch. „Weil ich die Nähmaschine sehe“, sagte mein Freund, „möchte ich fragen, ob es sehr unbescheiden sei, wenn ich um eine kleine Aushilfe bitte“, und er wies eine Naht seiner kurzen Hose, die weit hinauf getrennt war. „Wenn’s sonst nix isch“, sagte die Frau, „selm isch g’schwind g’macht“, und auch die zwei Mädchen lachten still zustimmend und uns bedeutend, daß dies kein großes Anliegen sei und es die Mutter gewiß gern besorgen würde. Wir verschwanden und gleich darauf brachte ich die schadhafte Hose. Mein Freund saß inzwischen draußen unter dem Dach auf einem Holzstoß.

Als wir dann unsere Dosen aufmachten, sah das ältere Mädchen über unseren städtischen Proviant, Schachtelkäse und Salami, gelassen und flüchtig hin, der Kleinen jedoch blieben die Blicke unschuldig haften. „Aber Mariele", verwies sie die Mutter betulich tadelnd, „wer wird denn gar a o schauen!" Da wurden die kleinen begehr- samen Augen gleich wieder brav und züchtig, aber es geschah ihnen leid. Wir schnitten darum jeder ein Stück Salami ab und boten es dem Mariele aufmunternd hin. „Aber die Herren brauchen’s doch selm", wehrte die Frau ab, „und ’s Mariele braucht’s nit!“ Und erst als wir mehrmals versicherten, daß wir genügend mit hätten und es uns wirklich nicht abginge, erst dann sah die Mutter das Mariele mit halber Billigung an. Die aber hob erst ihre kleinen, zier- samen Hände zur kindhaften Bitte und dann nahm sie in erregter Freude das Gebotene an sich.

„So“, sagte die Frau, als wir wieder eingepackt hatten, „jetzt gehn sie noch hinaus zu meinem Mann — da drüben mäht er — und fragen sie ihn halt auch.“

Der Mann stand über einem Hang und schnitt zwischen Steinen und kleinen Erdbuckeln das saftig sprießende Gras heraus, so gewandt, daß es schien, als schmiege sich die Sense wie ein Lebendes behutsam an die kleinste Unebenheit. Mochten die Steine noch so ungünstig liegen und da und dort störische kleine Schwellen und Hügel noch so feindselig gewachsen sein, weich, doch mit sicherem Zug führte er den Schnitt, ohne die schimmernde Schneide zu verletzen. Schön war auch, wenn es steil vor ihm abfiel und er die Sense mit hockend federnden Knien immer tiefer hinunterschwang,

ohne an bildhafter Haltung und festem Stand zu verlieren. Diese schwierige Arbeit nahm sich so sorgsam, sauber und ziervoll aus, daß es uns Niederösterreichern aus dem Weinland nicht sosehr als die gewohnte bäuerliche Verrichtung, sondern eher als achtenswerte Kunstfertigkeit erschien. Kam aber eine Stelle, die Raum bot, dann zog der Mäher kräftige, weite Schwünge darüber hin, daß das Gras rauschend aufsang und sich hinter der Sense in voller, schöner Schwade legte.

Der Mann war freundlich wie die Frau, doch auch er wollte nach Billigkeit wissen, mit wem er es zu tun hätte.

„Na, wenn Sie Lehrer sind", sagte er, „dann werden Sie auch die Kollegen Soundso und Soundso aus Wien kennen.“ Wir kannten sie. Es waren die Obmänner der Lehrersektion des Alpenyereines. Wieder waren wir überrascht.

.Ihre Frau kpnnt sich auch so gut aus in utverem Beruf. Wieso denn?“

„Ja", lachte er, „ich bin Oberlehrer, da drunten in Klein-Eben. Und mein Bub ist Junglehrer wie Sie.“

Wir stellten uns vor und hörten ihn erwidern:

„Alois Lercher.“

Er machte Feierabend und wir erzählten nun in der Hütte, wie wir nicht aus dem Staunen gekommen waren, als man uns so gründlich und mit so viel unerwarteter Sachkenntnis geprüft hatte, und daß wir der Frau Oberlehrer zudem noch eine schadhafte Hose zum Nähen gegeben hätten. Der Oberlehrer wieder erzählte, daß er im eigenen Heimatdorf unterrichte, daß schon die dritte Generation zu ihm in die Schule gehe und er jedes Jahr über Sommer mit seiner Familie und seinen Kühen auf die Alm ziehe und daß er mit keinem Kollegen aus der Stadt tauschen möchte. Er erwies eine so kluge Weltkenntnis und ein so heiteres, anziehendes Wesen, daß wir merklich in seinen Willen gerieten.

Plötzlich hallte draußen ein heller Jauchzer, noch einer, ein .dritter. Das große Mädel horchte auf, nach einer Weile klangen eilige Schritte auf die Hütte zu und dann stand ein gebräunter Bursch in der Tür, über die Schulter eine Joppe geworfen, einen Stock in der Hand. „Ja, Sepp, du bischt’s", sagte der Oberlehrer. Und der Sepp lachte und erzählte, daß er auf einem Zollhausbau an der Grenze Zimmermannsarbeit leiste. Auf seinem Hut hatte er ein reiches Büschel Edelweiß stecken, da nahm er jetzt ab und gab es dem Thresle. Der stieg milde, freudige Röte ins Gesicht. Sie sah auf die schönen Sterne eine Weile beklommen nieder und trug sie dann behend aus dem Raum. Aber die Frau Oberlehrer hatte schon gescholten:

„Aber, grad erseht gholt und glei wieda verschenken, ischt dir denn nit load, Sepp!" Ernstlich tat sic, als könnte sie den Burschen nicht verstehen.

Wir aber mußten erfahren, daß Ordnungsfleiß Weltfremdheit sein kann.

Aus Übereifer und Verblüffung fuhr es uns in die Zunge: „So viel Edelweiß? Man darf, doch nur drei Sterne pflücken!“

Überall sonst wäre dies erfüllte Bergwandererpflicht, gewissenhaftes Natur schützertum gewesen. Hier war es beziehungslos:

„Haha“, lachte der Sepp.

„Wer sagt denn das?“ meinte überrascht der Oberlehrer. Wir waren verblüfft.

„Das Gesetz!"

„Ei du mei liabi Zeit", lachte der Oberlehrer von Herzen, „was es nit für Gesetze gibt!“

Wir Einfältigen. Der Mann stammte aus einer Zeit, die noch mit wenigen Gesetzen ihr Auslangen fand, weil sie reich war an inneren und äußeren Werten, die keiner sichernden Schranke bedurften.

Nur das Thresle, die samtenen Sterne in Händen, hatte mit leiser Unsicherheit auf uns hergesehen, als das vom Verbotensein gefallen war, aber auch nur ein paar Augenblicke lang.

Als sie nun — offenbar aus ihrer Schlafkammer — zurückkam, glomm es stillfroh in ihren dunkelschönen Augen nach. Über Geheiß des Vaters kochte sie dem Sepp, der sich in herzlichem Ansund eifrig dagegen wehrte, ein Milchkoch.

Der Gast war eine liebenswerte Erscheinung wie alles an diesem seltsamen Abend. Nach kraftvoller Burschenart sicher und gelassen, doch immer auch merklich Schüler seines Gastgebers. Selbst hier heroben in diesem urhaften Bereich, darin Tinte und Papier so über alles wenig gölten. Sepp stand zu seinem alten Lehrer, dessen Haar schon silberte, in einem Verhältnis schöner, jungmännlicher Ehrfurcht. Als er mit herzlichem Dank und Gruß ging, sah ihm das Thresle von der Tür au nach. Herzhaft, aber nur so lange, daß das Ungesagte, welches beide verband, gerade erfüllt seirt mochte.

Es war unter diesen Menschen alles wohlgeordnet.

Die Oberlehrerfamilie — absichtlich, der zeichnenden Gegensätze wegen ei dieses Wort gebraucht — aß nicht in der Hütte, sondern davor. Ein zweckvoll in der Bergwiese gelegenes, großes Felsstück war der Tisch, kleinere, zum Teil herangeschaffte Blöcke, waren die Sitze.

Wir wurden eingeladen, Platz zu nehmen. Ein fast feierliches Mahl war es, ein. starkes, nahezu geschichtliches Bild: das herbe, formstrenge Gebet — Tischgebet im riesenhaften Abend der Berge — gebräunte, gesunde, unversehrte Gesichter, bäuerliche Alltagsgewänder, da sparsame Gespräch, die dampfende Milchkochschüssel, Tafel und Gestühl aus Stein, rundum abendgrüne Almwellen, wallender Kräuterruch, an nahen und fernen Rändern mildbrennende oder felsblaue gewaltige Grate, darüber — lautlos, unendlich tief — Abendrot und Himmel.

Die Frau Oberlehrer hatte es sich nicht nehmen lassen, uns schneeweißes Linnen in das Dachheu zu breiten und der gütige Gastherr leuchtete uns fürsorglich mit einer Laterne, bis er wußte, daß wir uns alles zweckvoll gerichtet hätten und diese Nacht wohl gut ruhen würden. Nach herzlichen Wünschen sanken Licht und Schritte aus der kleinen Holztür, über die Leiter zurück ins Dunkel. Stärkend und wohlig ruhte es sich und trotzdem konnten wir nicht gleich einschlafen.

„Die Hose heb ich mir auf“, sagte mein Freund, „denn eine, auf der Alm genäht, von einer Frau Oberlehrer, krieg ich mein Lebtag nimmer."

Vor mir lief ein wechselvoller Kreis: die vermeintliche seltsam weltwissende Sennin, die alte Nähmaschine, das scheubeglückte Thresle, das kindlichbittende Mariele, des kunstvollen Mähers schmiegsame Sense, der junge Zimmermann und sein seltsam beschworener Edelweißbuschen, über allem aber die aufrichtig lachende, die weise Stimme: „Ei, du mei liabi Zeit, was für Gesetze…“

Und dann, dann stellte sich über Dinge und Gestalten eins: Alois Lercher — Alois — Lois — Luis — ja, Tirol!

Mit kindlich heftiger Gewalt beglückte es mich: Wenngleich getrennt, wäre ich doch miteingeschlossen in das Land, in die Menschenart des Großvaters, denn ich trüge ein legitimes Zeichen Ja, mehr noch, es schien mir: dieserart hätte auch ich an dieser starken, urhaft eigenen Welt, an ihrer schönen Kargheit, reichen Ehrwürde und klugen Sitte meinen guten, gerechten Anteil.

Das war eine schöne, tief beschenken de Wanderschaft damals. Seither ist vieles gewesen und ich werde wohl nicht mehr auf den Hochschober gehen. So mögen diese Zeilen ein Blatt sein, welches das schöne, wuchtige, herzgesegnete Land grüßt, dessen Menschen mir später so nahe Freunde wurden, als hätte mich jedes darüber trösten mögen, daß mein Großvater fortging aus den starken, erwählten, prägenden Bergen.

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