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SCHWABINGER INFLATION

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Ein verlockendes Inserat erschien in den „Münchner Neuesten Nachrichten”, als ich verzweifelt nach irgendeinem Verdienst suchte: „Gutaussehende Herren und Damen als Filmstatisten gesucht, solche mit guter Garderobe werden bevorzugt.”

Ich meldete mich, da ich noch ein etwas müdes Abendkleid aus Berlin besaß, und wurde auf das Filmgelände in der Nähe des Schwabinger Friedhofs bestellt, auf eine große, verwilderte Wiese, auf der Gipssäulen, Stufen aus Talmi- Marmor, orientalische Tore und Häuserteile errichtet wurden.

Es war ein glühend heißer Morgen. Eine Wolke von Staub und Schweißgeruch schwebte über der geduldig wartenden Mensohenschlange, die sich schrittweise vorwärtsschob, wenn jemand in der Bretterbude verschwand, über der ein Plakat „Direktion” hing.

Ein Anschlag, überschrieben „Warnung”, verkündete: „Eintritt in das Direktionsgebäude nur nach vorheriger Anmeldung und Aufforderung unter Vorweis der Anmeldekarte gestattet. Nichtbefolgung hat sofortige Abweisung zur Folge.”

Der Staub und die Hitze wurden immer unerträglicher. Statisten, die Arbeit bekommen hatten, kamen rasch aus der Bude, Abgelehnte zögernd, als hofften sie, zurückgerufen zu werden. Endlich wurde ich in das Direktionszimmer gelassen, einen kahlen Raum, in dem ein monströser goldener Schreibtisch stand, hinter dem ein dicker schwarzhaariger Mann saß.

Er erklärte mir, daß man zunächst einmal „Bettler und Bettlerinnen” suchte: „Der Film heißt ,Nathan der Weise”, wird ganz groß aufgezogen.” Danach werde man ein „elegantes Salonstück” filmen. Ich glaube, es hieß „Der letzte Ball der Gräfin Lora”.

Der Dicke erklärte, wir bekämen Nesseltücher zum Drapieren und Sandalen. Die Sandalen und die Nesseltücher gehörten der Filmgesellschaft, für die wir morgens Einsatz zahlen müßten, den wir bei der „Entlohnung” wiederbekämen.

Auf dem Zettel stand, daß ich mich um sieben Uhr morgens auf dem Filmgelände einzufinden hätte. Tageslohn: 1000 Mark. Es war wenig, denn die Mark hatte Schwindsuciht.

Als ich aus der Direktionsbude kam, trat eine Frau auf mich zu, die wie eine alte Schauspielerin gekleidet war, stark geschminkt, aufgeputzt, mit funkelndem Schmuck an mageren Armen und dürrem Hals. „Ich gebe Ihnen ein Paar Strümpfe für den Zettel und ein Stück Seife”, sagte sie flehend und hielt mir ein kleines Paket hin.

Ich sagte, daß ich meine Zimmermiete noch nicht bezahlt hätte.

„Aber sie sind jung, und in meinem Alter (hat man nur selten Chancen.”

Später sah ich sie, sehr eindrucksvoll, als Bettlerin ge- wandet, neben einer Gipssäule hocken.

Ich war noch nie so früh aufgestanden. Die Straßen waren leer wie Dorfstraßen, als ich am nächsten Morgen auf das Gelände fuhr. Männer und Frauen mußten sich in Schuppen umziehen, wurden in Nesseltücher drapiert, die Burnusse darstellen sollten. Die Männer bekamen dicke schwarze Wollbärte umgehängt, Augenbrauen wurden nachgezogen, Augen blau umrandet, Gesichter mit weißem Puder bedeckt.

Dann standen wir in der glühenden Sonne und warteten auf das „Los, los, wir fangen an” des Regisseurs. Schweiß misohte sich mit der dicken Puderschiohte. Wir sahen wie verschmierte, müde Clowns aus.

Werner Krauß spielte den Nathan. Er trug einen herrlichen weißen Burnus aus schwerer Seide, köstliche neue Sandalen und sah frisch und kühl aus, wenn er aus seinem Garderobewagen gerufen wurde und, ohne die Statisten zu beachten, von Friseur und Garderobier begleitet, seinen Platz einnahm.

Ein paar armselige Kamele, die irgendwie den Krieg überlebt hatten, waren auf das Gelände gebracht worden. Hin und wieder stießen sie einen qualvollen Schrei aus, der wie ein Seufzer klang. Der Wärter war ein Mann mit grausamem Gesicht und kleinen, bösartigen Augen. Die Spuren seines eisenbeschlagenen Stockes waren deutlich auf dem mottenzerfressenen Rücken der Tiere zu sehen. Das Kamel, das Krauß besteigen sollte, ließ ihn nicht in die Nähe kommen, es stieß feindliche Protestrufe aus, bleckte die Zähne, stand auf, wenn er aufsitzen wollte. Schließlich wurde das arme Geschöpf, nachdem es sich gesetzt hatte, von kräftigen Fäusten am Boden gehalten. Krauß näherte sich von hinten, raffte sein Gewand, setzte zum Sprung an, schwang sich in den Sattel. Er trug nur seinen Burnus auf dem bloßen Körper.

Ich hatte Werner Krauß auf einer Gesellschaft gesehen, bei der die Hausfrau, Gattin eines Großindustriellen, Prominente eingeladen hatte: Reinhardt und die Thimig, den Bariton Schwarz, die Eysoldt, Paul Wegener, die häßlich-schöne Tilla Durieux. Ich sprach ihn auf den Abend hin an. Er beisann sich erst darauf, als ich ihn an ein Detail erinnerte, das nur ein Teilnehmer wissen konnte. Man hatte, lange nach Mitternacht, einen Redchstagsabgeordneten und eine Schauspielerin eng umschlungen unter dem Kalten-Büffet- Tisch gefunden. Krauß lächelte huldvoll, verscheuchte den Regisseur, der die Belästigung des großen Mannes von einer armseligen Statistin verhindern wollte, zog mich in seinen komfortablen Wohnwagen, in dem eine Platte mit belegten Broten stand — Herrlichkeiten, die ich nur noch dem Namen nach kannte —, und schenkte mir Sekt ein.

Als Statisten für die „berittene Beduinentruppe” gesucht wurden, meldete ich mich zum Erstaunen des Regisseurs. Das bedeutete Extraverdienst, denn unsere täglich ausgezahlten Gagen reichten gerade nur, um eine Mahlzeit am Abend in der Kantine zu kaufen. Ich bekam einen Turban auf, einen schwarzen Wollbart umgehängt und einen Schießprügel aus Holz. Mein Pferd, ein armer müder Gaul, bockte, als man ihm einen Araberschweif an seinen Schwanzstummel band. Der Regisseur war erstaunt, daß ich nicht abgeworfen wurde. Als ich ihm sagte, ich sei früher viel geritten, sagte er bloß: „Geh, hör mir schon auf, warst wohl früher beim Zirkus. Mir brauchst du nichts vorzulügen.”

Es war gut, wieder einmal auf einem Pferd zu sitzen, wenn auch nur auf der armseligen Rosanante, die beim Vorübergaloppieren an der Kamera ihren Araberschweif verlor. Jahre später sah ich den Film in einem obskuren Kino. Es war ein fürchterliches Machwerk.

In der Kantine aß ich jetzt etwas teuerere Gerichte, bis das entwertete Geld wieder nur zu Suppe und Kartoffelgemüse ausreichte. Eine Erbsensuppe mit viel Wasser und wenig Erbsen kostete später 1000 Mark, als meine Tagesgage 5000 Mark betrug.

Nachdem die Aufnahmen zu Nathan beendet waren, erklärte mir der Direktor, man beabsichtige nun den „vornehmen Gesellschaftsfilm” zu drehen. Falls ich vornehme Garderobe besäße, könnte ich in der ersten Reihe, nahe der Kamera, bei den Gesellschaftsszenen beschäftigt werden. Und fügte hinzu: „Gutaussehende Fräuleins haben überhaupt gute Aussichten”, wobei er mich bedeutungsvoll anstarrte.

Mit einem alten grünen Regenmantel über dem guten Kleid, das durch Spitzenkragen und künstlichen Blumenstrauß etwas aufgefrischt war, fuhr ich jeden Morgen in das Filmgelände. Der Regisseur erklärte mir, daß ich „vornehmer” Gast auf dem gräflichen Ball sei, der , heiter plaudert, wenn er nicht tanzt, und sich mit seinem Kavalier lebhaft unterhält”.

Der Ballsaal im Grafensohloß war ein weißgekalkter Schuppen, in dessen Mitte ein kümmerlicher Kristallleuchter von kahlen Balken hing. Ein buntes Durcheinander von Stühlen stand an den Wänden. Wir vornehmen „Extras” mußten auf Sofas sitzen. Ich bekam als Requisit meiner Vornehmheit eine unwahrscheinlich große Perlenkette um den Hals, eine Aigrette am Samtband und ein „Diadem” ins Haar gesteckt.

Es war gut, daß es ein Stummfilm war, denn die vornehmen Gäste plauderten im Giesinger Dialekt und murmelten „Halt’s Maul, schiab net so”. Eine ältere Statistin, die eine Herzogin mimen sollte, zitierte Götz von Berlichingen, als ein ,,Nur-Gast” sie aus Versehen anstieß.

Ein kleines Orchester hockte auf dem drapierten Podium, die Bierkrüge diskret vor der Kamera verborgen. Mein Partner war ein breitschultriger Mann, den der geliehene Frack eng umspannte.

Der Regisseur belehrte uns, daß wir zusammen in den Saal aintreten, die hohe Gastgeberin begrüßen und uns dann in Sichtweite auf das Sofa für prominente Gäste setzen müßten, um dort angeregt zu plaudern. Die hohe Wirtin, der ich die feuchte Hand schütteln mußte, roch nach Zwiebeln und glitzerte juwelenbehängt wie ein Weihnachtsbaum.

Diese Szene mußte noch einmal gefilmt werden, weil mein gräflicher Partner mir nach der zeremoniellen Begrüßung die mächtige Pranke auf das Gesäß legte, um mich zu meinem Platz zu geleiten. Dazu sagte er: „Geh weida, geh ma, geh ma, Oiti.”

Der Regisseur brüllte: ..Sö. dös tuat ma net.”

Mein Partner stieß einen Pfiff aus und schrie zurück: „Wos woaß scho a solchener wie du, du Stritzi.”

Zum Tanz legte er mir erst sein großes Taschentuch auf den Rücken mit der Bemerkung: „Weil i soviel an die Händ schwitzen tua.”

Meine Tanten sagten bloß: „Auch das noch, wie kannst du bloß, du mußt sofort damit aufhören, es gehört sich nicht.” Mein Vater schrieb, sie hätten zu ihrer Betrübnis gehört,daß ich zum Film gegangen sei. Dies bedeute einen neuen Skandal. Es gäbe doch andere Berufe für ein anständiges junges Mädchen. Dieser neue Affront setzte meinem Benehmen die Krone auf. Ich antwortete kurz, all dies sei auf seine Heirat zurückzuführen. loh verdiente mir meinen Unterhalt, so gut es eben ging, seitdem er mir mein Taschengeld entzogen hatte. Der alte Herr in Berlin, die bigotte alte Dame mit ihrer chronischen Entrüstung waren Gestalten aus einem Buch geworden, das ich fortgelegt hatte.

Meine Arbeit bei der Filmgesellschaft war mit der Fertigstellung des Gesellschaftsfilmes beendet, aber man versprach, mich wieder zu bestellen, wenn man mich brauchte. Ich hatte auf dem Filmgelände einen Journalisten getroffen, der mir erzählte, ein Freund beabsichtige eine Filmzedtung zu gründea Sie sollte auf Deutsch, Französisch und Englisch erscheinen, da jetzt so viele ausländische Valutamillionäre nach München kämen, die nicht nur Filme, sondern auch allerlei andere Gegenstände kaufen wollten. Er sicherte mir ein gutes, der Geldentwertung laufend angepaßtes Gehalt zu. Ich nahm an.

Der Redakteur war ein Ungar serbischer Abstammung, sehr elegant, sehr parfümiert, sehr von sich eingenommen. Die Redaktion bestand aus zwei Zimmern in Schwabing. An der Eingangstür hing ein großes Schild: Internationale Filmzeitung. Das Personal bestand aus einer Sekretärin und einem Hilfsmädchen, das blaß und verweint aussah.

Die erste Spalte, in deutscher Sprache, wurde vom Redakteur verfaßt. Ich mußte sie und die Inserate ins Englische und Französische übersetzen. Der Absatz war gering, obwohl wir die Zeitung ausländischen Filmleuten gratis ins Hotel lieferten. Die angeblichen Filmmagnaten — wenn sie überhaupt Filmleute waren und sich nicht nur dafür aus- gaben — schienen wenig Interesse an deutschen Filmen zu haben. Um das Blatt in Schwung zu bringen, beschlossen Redakteur und Journalist, nach mysteriösen Beratungen im anderen Zimmer, außer Anzeigen für Filme, Antiquitäten und „Verschiedenes” eine Rubrik für Anschluß-Suohende mit der Überschrift „Einsame Herzen” zu bringen.

Ich weiß nicht, wie sich diese Rubrik auswirkte, da sie von den beiden Herren verwaltet wurde. Ich glaube nicht, daß man sie oft in Anspruch nahm, denn die professionellen Valutenjägerinnen fingen die Valutenmillionäre schon am Bahnihof ab oder lauerten ihnen in den Hotels auf.

In der Redaktion erschienen zuweilen tragische Gestalten,

die davon gehört hatten, daß Ausländer „Antiquitäten” kaufen wollten. Sie brachten häßliche kleine Andenken, von denen sie sich trennen mußten, aber auch schönes altes Silber und Schmuck. Ich mußte immer wieder erklären, daß wir Verkäufe nicht vermitteln könnten, sondern Anfragen und Angebote nur weiterleiten würden. Zuweilen wurden Inserate aufgegeben, in denen wertvolle Familienstücke zum Verkauf angeboten wurden. Einmal erschien ein angetrunkener Amerikaner und fragte, ob wir wirklich garantiert „altes Zeug” hätten, und als gerade eine verhärmt aussehende Frau mit einer sorgsam eingewickelten Vase erschien, reichte er ihr herablassend, wie ein Almosen, einen Dollar. Als er gegangen war, sagte sie leise: „Echt Meißen.”

Die erwarteten Geschäftsverbindungen zu ausländischen Filmgesellschaften kamen nicht zustande, obschon ich die Inhaltsangaben neuer deutscher Filme so verlockend wie möglich verfaßte. Die Qualität der Nachkriegsfilme blieb noch weit hinter französischen und amerikanischen Filmen zurück.

Es wurde immer schwieriger, irgendwie durchzukommen, als man mit zehn-, dann mit hunderttausend, schließlich mit Millionen rechnete, die doch nur den Wert einer Mark besaßen. Sogar Franz Blei, der sich stets geschickt in allen Lebenslagen behauptete, erschien eines Tages und fragte salbungsvoll, ob ich einen Käufer für einen französischen Stich wisse. Da gerade wieder ein Ausländer unbestimmter Herkunft anwesend war, der „etwas Altes” suchte, zeigte ich ihm den Stich, er besah ihn, fragte, ob er wirklich „very old” seii, und zahlte fünf Dollar an Bleti, der hocherfreut erklärte, jetzt könne er sich endlich neue Schuhe kaufen.

Die Sekretärin seufzte zuweilen und erklärte, sie sähe noch schwärzer als schwarz: ,,s’ Gschäft geht net.” Ich spürte eine gewisse Zurückhaltung bei der Auszahlung meines Gehaltes, die jetzt wöchentlich erfolgte und trotz den nominellen Riesensummen kaum zum Nötigsten reichte.

Blei hatte eines Tages in unserem Stammcafe erklärt, er werde mir am kommenden Montag eine Biedermeier-Tasse bringen, die ich dem nächsten besten Valutenmillionär verkaufen solle. Aber als er am Montag mit der wie eine Reliquie verhüllten Tasse erschien, fand er außer mir, der Sekretärin, der Reinmachefrau und der kleinen Bürohilfe auch den erbosten Hauswirt vor einem Zettel an der WToh- nungstür: „Die internationale Filmzeitung wurde mit sofortiger Wirkung eingestellt. Die Direktion.”

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