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Mein schönstes Weihnachtsgeschenk

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FRITZ HABECK:

Mein schönstes Weihnachtsgeschenk ist Schnee und ein Kind unter dem Christbaum - früher war ich es selbst, später waren es meine Söhne und Töchter, jetzt sind es die Enkel. Leider haben wir heutzutage so selten weiße Weihnachten, in meiner Kindheit, draußen in Neulengbach, lag immer Schnee und er war weiß, strahlend, unberührt, nicht von Abgasen zerfressen wie nun sogar schon in den Dörfern. 1920, als die Inflation begann und das Gehalt meines Vaters nicht langte, kaufte meine Mutter einen Bauernladen, den sie selbst führte. Am Heiligen Abend stand sie bis neun im Geschäft, weil immer noch Kunden kamen, um eine Kleinigkeit für ihre Kinder zu kaufen. Ich war damals vier Jahre alt, erinnere mich aber trotzdem noch heute genau, wie schwer mir das Warten fiel; um sieben ging unser Dienstmädchen mit mir durch den verschneiten Markt spazieren, überall in den Fenstern sah man die geschmückten Bäume, auf denen die Kerzen brannten, und ich bangte, ob mich das Christkind nicht vielleicht vergessen haben könnte. Immer wieder suchte ich den Sternenhimmel ab und hoffte bei jedem helleren Stern das Christkind auf seinem Weg zu mir zu entdecken. Erst um halb zehn war Bescherung und viel gab es damals in der Hungerzeit knapp nach dem Krieg keinesfalls. Phantasie ist besser als jedes gekaufte Spielzeug, und sie hat mir auch später über manches hinweggeholfen. Bezeichnend ist eine Geschichte aus der Weihnachtswoche 1926, die ich im Tagebuch meines Vaters gefunden habe. „Heute ließ Fritz“, schreibt mein Vater, „Gaius Julius Cäsar mit einem Arbeiter durch den Weltraum fliegen. Wie er das macht? Er nimmt meine Lö schwiege und hängt sie an einen dünnen Gummiring. Der Nickelgriff ist Casars Thron und zugleich Cäsar selbst, der Arbeiter unsichtbar, der Motor des merkwürdigen Raumschiffs des Löschpapier. Fritz hält den Gummiring in der Hand und geht mit der nun auf und ab schwebenden Löschwiege durch das Zimmer, erzählt von den Erlebnissen Caesars und seines Arbeiters, landet auf dem Merkur, fliegt zum Saturn und ist im Handumdrehen mitten in einem Nebel außerhalb unserer Milchstraße.“

Kein Problem. Man braucht bloß eine Löschwiege, einen Gummiring, und ein wenig Phantasie.

MILO DOR:

Je teurer die Geschenke, je hektischer die Vorbereitungen, je feierlicher das Fest, desto intensiver muß ich an jenes letzte Kriegsjahr denken und an die Weihnacht in der Zelle, in der ich nicht allein war. Jetzt werde ich aber inmitten des geschäftigen Trubels allein vor dem Weihnachtsbaum stehen und an die anderen denken, die nicht mehr da oder so weit von mir entfernt sind, daß sie in ihrer heutigen Gestalt für mich nicht mehr vorhanden sind.

Die Zelle war beinahe so groß wie eine Bahnhofshalle. Sie diente zur Unterbringung von Häftlingen, die aus verschiedenen Gestapo- und Gerichtsgefängnissen hergebracht worden waren, um von hier aus in die Konzentrationslager abtransportiert zu werden.

In dieser Atmosphäre der Zweifel und der isinnlosen Pflichterfüllung kam Weihnachten 1944. Für uns bedeuteten die Feiertage eine kurze Ruhepause, weil während ihrer Dauer alle Transporte eingestellt waren. Unsere Zelle wurde geschrubbt; gebadet und entlaust, bekamen wir am Weihnachtsabend ein Stück Butter an Stelle der üblichen Margarine. Der kleine, dickliche Wachtmeister, der unser Stockwerk zu beaufsichtigen hatte, ließ sein goldenes Wiener Herz sprechen. Er machte unsere Tür auf und gab uns Zigaretten, die wir ansonsten nur gegen teures, einge-

schmuggeltes Geld oder im Eintausch gegen bessere Wäschestücke von den Hausarbeitern, die ihm unterstanden, bekommen konnten. Der kleine Mann war betrunken, er verteilte einige Schachteln Zigaretten, plauderte eine Stunde lang mit uns und ließ sich zuletzt von uns bedauern, weil er uns bewachen mußte.

Die Nacht, die darauf kam, war die ruhigste des ganzen Jahres. In dieser Nacht versöhnten sich sogar der polnische Baron, der in seinem pelzgefütterten, aber schon etwas schäbig gefütterten Mantel so stolz in unserer Zelle umherging, als bewege er sich durch weitläufige Räume eines alten Schlosses, und der blonde russische Leutnant, der aus seinem Lager bis nach Italien geflohen war, dort ein Jahr bei einem Bergbauern verbracht und dessen Tochter geheiratet hatte, ehe er von der Feldpolizei verhaftet worden war. Der Pole wollte mit keinem Russen sprechen, seitdem die Sowjetarmee offensichtlich mutwillig knapp vor Warschau stehengeblieben war und so den SS-Truppen genügend Zeit gelassen hatte, den polnischen Widerstand niederzuwerfen. Jetzt saß der Baron neben dem Leutnant; sie rauchten gemeinsam eine Zigarette und schworen einander, die Welt zu ändern. Drüben, in der Frauenabteilung, stimmten einige Mädchen „Stille Nacht“ an, und ein kleiner Chor aus unserer Zelle begleitete sie. Es war so schön, daß der dicke Wachtmeister noch einmal zu uns kam, um sich mit tränennassen Augen bei uns zu bedanken. Drei Tage später war alles wieder beim alten.

FRITZ ' HOCHWÄLDER:

Im Dezember 1942, einige Monate nach meiner Entlassung aus dem Arbeitslager, bescherte mir ein günstiger Zufall das schönste Weihnachtsgeschenk meines Lebens: beinahe umsonst konnte ich eine spitzwegi-sche Mansarde über den Dächern des Zürcher Niederdorfes mieten, in einem Haus, dessen Grundmauern aus dem dreizehnten Jahrhundert stammten.

Wenngleich ich damals über keinerlei Hausrat verfügte und lediglich ein schäbiges Köfferchen besaß, vermochte ich das Dachstübchen im Handumdrehen zu möblieren, will heißen: ein beim Trödler erstandener Drahteinsatz, gelagert auf vier Holzscheiten, bildete das Bett; eine ordinäre Kiste, durch einen Leinenüberwurf als solche nicht erkennbar, diente als Tisch, und ein mit billigem Heizmaterial unterhaltenes Kanonenöfchen spendete angenehme Wärme. Da also - Scheitergasse Nr. 6 - hauste und schrieb ich geschlagene sieben Jahre lang, bis sich nach und nach meine wirtschaftliche Lage besserte. Aber die Sehnsucht nach meiner Spitzweg-Mansarde hat mich bis heute nicht verlassen, und hie und da träume ich mich in die kärgliche Behausung meiner späten Jugendjahre zurück.

Von 1945 an kehrte Franz Theodor Csokor immer wieder in der Scheitergasse ein, um eine Lebensart zu preisen, die der seinen völlig entsprach. Er hat später in einem Pro-

grammheft des Burgtheaters die Mansarde liebevoll beschrieben. Auch Erich Kästner erwähnte sie in einem Artikel in der Münchner „Neuen Zeitung“, und allwöchentlich kam Fritz Wotruba aus Zug herüber, fühlte sich wohl inmitten meiner unbekümmerten Armseligkeit, und konstatierte zu verschiedenen Malen: „Du wohnst genau so, wie du bist!“ - Anfang der sechziger Jahre erschien Csokor, der väterliche Freund, an meinem neuen Wohnort. Interessiert sah er sich in der Nobelwohnung um, bewunderte die Vorhänge, die Spannteppiche, den Kühlschrank, die Geschirr- und Salatmaschine, die diabolische Deckenheizung und den übrigen, angeblich unentbehrlichen Zivilisationsplunder, um abschließend nicht ohne Wohlwollen festzustellen: „Ja, ja, das ist der Niedergang!“

Selten habe ich eine treffendere Bemerkung vernommen. Ich erwiderte: „Franzi, du hast ganz recht!“

Dies ist die Geschichte vom schönsten Weihnachtsgeschenk meines bereits ziemlich forgeschrittenen Lebens; und ich weiß: ein schöneres wird mir kaum noch beschieden sein.

ALEXANDER GIESE:

Es muß 1949 gewesen sein. Oder eher: 1948. Meine Frau und ich waren jung verheiratet. Ihr kleiner Sohn war eben fünf Jahre alt, sein Vater war im Krieg gefallen, zum ersten Mal kam er, der bisher auf dem Lande gelebt hatte, zu uns nach Wien. Er sollte Weihnachten mit uns verbringen und überhaupt bei uns bleiben.

Natürlich sorgten wir uns um ein Geschenk für ihn. Ich war arbeitsloser Lehrer und gab Nachhilfestünden. Damit verdiente man damals sehr wenig; es reichte aus, Milch und Brot für den kommenden Tag zu bezahlen. Nun war der fünfjährige Bub da, und lebte mit uns in einem Vorstadtbezirk, in einer Wohnung zu ebener Erde, in Zimmer und Küche. Wir hatten keinen Ofen, und wenn wir einen gehabt hätten, kein Geld für Brennstoff. Wir legten daher einen Ziegel auf das Gasrechaud, der die entstehende Feuchtigkeit an sich ziehen sollte. Das Gas war pauschaliert, also brannten zwei Flammen. Am Weihnachtsabend war es unsere Absicht, dem Buben ein paar Schuhe zu kaufen, und wenn Geld blieb, einen Tannenbaum. Es blieb keines übrig, aber wir hatten die Schuhe erstanden. Zum Einkauf verbrauchten wir viel zuviel Zeit, denn während der Stunden, die wir benötigten, um billige und doch brauchbare Schuhe für den Buben zu suchen und zu kaufen, sollte der Festtagsbraten - ein halbes Kilo Selchfleisch - gar sein. Als wir freudestrahlend, festtagsgestimmt

heimkehrten, fanden wir ein Stück verkohltes Fleisch in einem leeren Topf vor. Kein Baum, kein Essen, nur ein Paar Schuhe für den Buben!

Die Hausbesitzerin, die, wie es sich gehört, im ersten Stock wohnte, herbeigelockt durch Rauch und Gestank, war dann Christkind, Weihnachtsmann und Engel in einer Person. Sie lud meine Frau, den Buben und mich zum Nachtmahl ein. In ihrer Wohnung stand ein geschmückter Baum. Sie tat das, was ihr selbstverständlich erschien. Das Selbstverständliche für sie war für uns ein Wunder.

GERTRUD FUSSENEGGER:

Ich habe in meinem Leben viele schöne, auch notwendige und nützliche, heißersehnte Weihnachtsgeschenke bekommen: Kleider und Küchenmaschinen, einen Plattenspieler und einen Fernsehapparat, eine Goethe-Gesamtausgabe und eine Reise nach Israel. Aber wenn ich nun sagen soll, was mein schönstes Weihnachtsgeschenk war, dann fällt mir etwas Merkwürdiges ein, nämlich ein Beinahe-Nichts, ein Schatten- und Zeichenspiel, laterna magica - und von ihr ausgestrahlte körperlose Gegenwart.

Um zu erklären, worum es dabei ging, muß ich weiter ausholen.

Es war nach dem Krieg, ich lebte damals mit meinem vier Kindern in Hall in Tirol; vier Kinder aus erster, eben erst getrennter Ehe. Auch zwei alte Verwandte waren da, Flüchtlinge aus dem Sudetenland, wir waren zusammengepfercht in einer ganz engen Wohnung und hatten alle zusammen so gut - wie nichts. Seit vier Jahren lebten wir fast nur von der Gnade eines gutherzigen Onkels, der aber auch nicht gerade im Vollen saß, und was er erübrigen konnte von seinen Einkünften: Das waren die Brosamen, von denen wir uns nährten.

Damals tauchte A. D. bei uns auf.

Ich kannte ihn von München her, er war Bildhauer, Kollege und Freund meines geschiedenen Mannes, auch ich hatte mich mit ihm angefreundet, so wie sich Leute eben anfreunden, die immer etwas miteinander zu bereden haben, die meist derselben Meinung sind, die gern miteinander lachen.

Seit kurzem hatte ich gelernt, A. D. mit anderen Augen zu betrachten. Für ihn war es damals zu Weihnachten 49 schon eine ausgemachte Sache, daß wir heiraten würden.

Ich wußte das noch nicht so genau.

Er sah meine Lage, und er schickte mir sofort eine Riesenkiste mit Lebensmitteln, Butter, Selchfleisch, Kaffee, Reis; lauter Dinge, an denen es uns mangelte, teils, weil es sie im Handel erst selten gab, teils, weil wir nicht das Geld hatten sie zu kaufen; dazu tat er eine Tasche für mich, Schuhe für die Kinder und warmes Unterzeug für die zwei Alten.

Die Kiste kam vor Weihnachten, aber sie war noch nicht das Weihnachtsgeschenk.

A. D. fragte in einem Brief an, was ich mir wünsche. Ich antwortete: Sie haben mir ja schon so viel geschickt! Und ich selbst brauche nichts - oder doch? Ja, ich brauche etwas; das allerdings können nur Sie mir schenken.

Ich hatte mir damals eine neue Lampe gekauft mit einem gelblichweißen Pergamentschirm. Der Kauf dieser Lampe war für mich ein großer Augenblick. Eben damals - in jenen Vorweihnachtstagen - hatte die französische Besatzungsfamilie, die seit vier Jahren in unserem Haus wohnte, ihr Quartier verlassen. Ich bekam ein Zimmer frei und damit einen Raum für meine Schreibarbeit; ich mußte nun nicht mehf mit meinen Manuskripten im Hause herumziehen, von einer eisigkalten zugigen Bodenkammer in die Küche und von der Küche in einen Kellerwinkel und wieder zurück, ich konnte jetzt einen Schreibtisch aufstellen und an ihm

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