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Die Heilige Nacht in einem kroatischen Bauernhaus des Burgenlandes

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Wer denkt nicht gerne zurück an die schönsten Tage seiner Kindheit und Jugend, und zu diesen gehören gewiß die großen Festtage, vor allem Ostern, Fronleichnam, der Kirtag und am meisten Weihnachten und Neujahr. Die burgenländischen Kroaten sind ja als sehr gläubige Katholiken und als besondere Marienverehrer bekannt, das waren sie schon in ihrer alten Heimat.

Aber Weihnachten ist ein besonderes Ereignis. Im Burgenland hat man meistens das Glück, zu dieser Zeit durch tiefen Schnee zu waten, und je kälter es draußen vor der Tür ist, desto mehr rückt man in den mittlerweile zentralgeheizten Stuben zusammen. Der Weihnachtsbaum, in einigen kroatischen Dörfern auch Krt-Stinglj oder Kriskindlj genannt, glitzert trotz aller technischen Errungenschaften noch immer vom hellen und flackernden Schein des Kerzenlichtes. Unter dem schön geschmückten und mit Süßigkeiten vollbeladenen Silbertannenbaum steht nach alter Tradition noch immer der zu Barbara in einem kleinen Teller gesäte Roggen, in dessen Mitte man ein umgestülptes Trinkglas gestellt hat, damit es am Heiligen Abend durch eine dicke Kerze ersetzt wird. Die wird dann vor dem gemeinsamen Gebet, zu dem sich die gesamte Familie um den Christbaum versammelt hat, angezündet.

Vor dem nicht mehr mit in Stanniol und auch Zeitungspapier gewickelten harten Brotrindenstük-ken, sondern mit kostbaren und vor allem auch teuren Rumfläsch-chen, Schokobananen und Bre-« zeln behangenen wunderschönen und sündteuren Christbaum—unter dem auf einem weißen Tischtuch recht bescheiden ausgebreitet ein Häuflein Kukuruz, ein paar Erdäpfel, ein Häuflein Stroh und ein paar Körner Gerste, Weizen, Roggen und mancherorts auch Hafer liegen, sofern man noch selbst Bauer ist oder solchen in der engeren Verwandtschaft hat— betet majka (Großmutter) ein, zwei oder auch drei Rosenkranzlängen. Die Kinder der Kinder, schon sehnsüchtig auf die Bescherung wartend, kennen nicht die besorgten Gedanken ihrer Eltern, die wissen, daß sie nach dem langen Gebet — dem noch eine stattliche Anzahl von kroatischen Weihnachtsliedern aus dem Gebetbuch Krüh nebeski folgt — wieder Großvaters alte Leier über die kargen und doch so viel schöneren Weihnachten vor und nach dem Krieg anhören und verständnisvoll nicken müssen, um nur ja nicht den ohnehin so zarten Weihnachtsfrieden zu stören.

Bevor man sich aber noch vielsagend zunickt, ahnend, daß das Unausbleibliche bald kommen würde, spielt der schon etwas aufmüpfig gewordene Enkel noch einige Strophen von „Tiha noc“ (Stille Nacht) und tfastiri stante se ...“ (Ihr Hirten erhebt euch) auf dem etwas verstimmten Klavier. Aber majka ist zu Tränen gerührt, und es kommt richtige Weihnachtsstimmung auf, nach dem auch die letzte Kerze am Baum angezündet ist.

Jetzt kommt die Bescherung. In vielem gleicht sie der vom vorigen Jahr und der der vorangegangenen Jahre. Otac (Großvater) bekam wieder ein neues Paar langer Unterhosen, ein neues und warmes Flanellhemd sowie ein Paar dicker grüner Socken. Für majka liegt ein wunderschönes, mit färbigen Äpfeln besticktes hrvatski rubac (kroatisches Kopftuch) sowie neue Bücher unter dem Kri-stinglj. Den „GradiSce Kalendar“ (Das burgenländischkroatische Jahrbuch) schenken ihr die Kinder alljährlich mit dem stillen Hintergedanken, sie möge den Enkeln doch ab und zu eine Geschichte daraus vorlesen, auch wenn sie all die kroatischen Ausdrücke und Worte noch nicht kennen.

Am meisten freuen sich otac und majka natürlich mit den Enkeln. Von Playmobil bis Masters, von Barbie-Puppen bis zum Puppenhaus, all dies scheint das Christkind Moli Jezus herangeschleppt zu haben. Dabei scheint es sich besonders auch seiner kroatischen Kinder erinnert zu haben, denn — na so was, auch das gibt es? — „Nasa maJa Anica“, das kroatische Mal- und Reimbuch, liegt auch unter dem Baum.

Wo ist denn nur otac hin? Etwas besorgt sieht man sich an. Ist er etwa beleidigt, weil er das ängstlich ahnende Nicken seiner Kinder bemerkt hatte, die fürchteten, wieder einmal die alte Leier aus vergangenen Zeiten zu hören?

Bogu hvala, Gott sei Dank, man hört schon seine schlürfenden Schritte — die Hüftgelenksoperation scheint er ja gut überstanden zu haben —, in der Hand trägt er ein Schäufelchen mit glühender Kohle. Trotz Zentralheizung haben otac und majka in der Küche noch einen alten §poret (Sparherd) stehen, denn wer weiß, was noch alles kommen kann, und dann wird uns auch der stari spo-ret wärmen, pflegt otac immer, die Unbekümmertheit der Jungen belächelnd, zu sagen.

Aus diesem sporet hatte er die glühenden Kohlen entnommen, mit denen er und majka nun kadit gehen. Sie streut Weihrauch auf die Glut, nimmt die Flasche mit Weihwasser und fängt beim ehemaligen hajnsic (Kornkammer) an, diesen mit Weihwasser zu besprengen, während otac die Kohlenschaufel mit der weihrauchenden Glut ebenfalls kurz hineinhält. Freilich stehen jetzt im hajnsic zwei große Autos, man hat ihn ja auch vor Jahren schon zu einer Garage umfunktioniert. In den konjska i kravska stala (Pferde-und Kuhstall) wird dieses Zeremoniell weitergeführt. Hier stehen zwei riesengroße 110 PS starke Traktoren, ein fünfschariger Pflug und ein auf fünf Meter ausfahrbares Kombinationsgerät.

So geht es weiter bis zur svinjs-ka stala. Schweine hält sich otac noch, auch wenn er ab und zu beim Verkauf jedem Schwein „einen Hunderter auf den Hintern kleben muß“, um sie überhaupt verkaufen zu können.

Uber die lopa (den Schupfen) und den skadanj (den Stadl) geht es über das guvno wieder zurück in die Wohnräume, wo die bereits fröstelnde majka von wohliger Wärme und vom angenehmen Duft der auf der Sparherdplatte aufgelegten brutzelnden Apfelschalen empfangen wird.

So ganz kann man otac nun doch nicht übergehen, und darum bitten ihn die Kinder bis zur Mette, anstelle vor dem Fernsehschirm zu hocken, doch aus seiner Jugend zu erzählen und wie damals Bozic (Weihnachten) gefeiert wurde.

Plötzlich wird otac in seiner Erzählung jäh unterbrochen. Draußen klopft es an der lesa, am großen und schweren Haustor. Es sind die Nachbarn mit Kind und Kegel. Sie sind gekommen, Blazin Bozic, frohe Weihnachten zu wünschen, und ,J?ohvaljen budi Jezus Kristus“ (Gelobt sei Jesus Christus).

Es war der Tag, an dem wir satt wurden

Aus den Erinnerungen eines alten Zigeuner-Ehepaares

Von HEINZ STURM

Es hat zu regnen aufgehört, als ich von der Hauptstraße abbiege, den Weg hinauf zum Wald. Ich fahre zu zwei alten Zigeunern, wegen eines Interviews. Und: Es soll sehr schwierig sein, wurde mir gesagt. Ich bleibe stehen und frage einen Einheimischen nach dem Weg.

„Mit dem Auto zehn Minuten“, meint er. „Zu den Zigeunern wollen Sie? Da müssen Sie aufpassen — Sie wissen eh ...“

Am Rande der Wiese steht das kleine weiße Haus. Ein kahler Vorplatz. Rauch steigt aus dem Schornstein. Hinten ein kleiner Verschlag, als Stall benützt. Und ein Gemüsegarten, abgeerntet.

Die beiden scheinen auf mich gewartet zu haben. An der Wand, neben der Schwarzwälderuhr, hängt eine Geige. Es ist merkwürdig still.

Sie sind weit über achtzig, die beiden, und sie sind einander ähnlich. Die Falten in ihren Gesichtern haben nicht die Weichheit des Alters: es sind tiefe Kerben. Leise beginnt die Frau zu reden: „Meine Eltern, die waren Ziegelarbeiter. Die sind herumgezogen wie die anderen. Das war früher so. Da waren Ziegelöfen, wenn Sie sich vielleicht erinnern. Heute macht's die Maschine — die Fabriken —, aber früher, da hat man es mit der Hand machen müssen. Ja, und mein Vater, der ist als Ziegelarbeiter aufgewachsen, und da sind wir herumgezogen. Wo sie mehr bezahlt haben, ist der Vater hingegangen. Und so war's auch mit der Schule — einmal dort, einmal da. Ich war nicht in der Schule, und deshalb kann ich nicht lesen und nicht schreiben — aber verstehen tu' ich alles.“ Der Mann neben ihr steht auf. Dann setzt er sich wieder. So als suche er etwas.

„Weihnachten war der einzige Tag im Jahr, wo wir genug bekommen haben“, spricht sie weiter. „Zuerst haben die Kleinen gegessen, dann die größeren Kinder, dann der Vater und die Mutter. Es war der Tag, an dem wir satt wurden. Dann sind wir in die Kirche gegangen, da war es schon finster.

Wir haben eine eigene Bank gehabt — das Zigeunerbankerl hat es geheißen. Da hat sich niemand anderer, hingesetzt. Wenn wir gekommen sind, sind alle weggedrückt. Die Mutter hat meistens geweint. Das war damals so. Da war noch der Kaiser da, die Monarchie.“ Weihnachten 1915.

Sie redet weiter. Ohne Emotionen. Mit ruhiger gleichmäßiger Stimme. „Es wird bald schneien“, sagt der Mann. „Und ich hab so gerne musiziert. Aber jetzt, die Hände, die wollen nicht mehr.“

Die Frau redet mit leiser Stimme weiter:

„Ich kann mich nicht erinnern, wie alt ich damals war. Aber eines weiß ich noch, daß eines schönen Tages die Fahnen aufgestellt wurden. Und die Kinder haben nicht mehr in die Schule gehen dürfen. Da haben sie mich abgeholt und ins Lager gebracht. Nach Lackenbach. Ich hab' niemandem etwas sagen können — die haben mich einfach abgeholt. Dort war das Zigeunerlager. Ganze Familien

.waren da. Ich war allein. Nach einiger Zeit, ich weiß nicht, wie lang das war, haben sie Transporte zusammengestellt und ich bin nach Ravensbrück gekommen. Dort war ich in einer Fliegerfabrik und hab' arbeiten müssen. Zwölf Stunden. Jeden Tag. Aber das haben alle machen müssen — viele sind dabei gestorben. 1945 haben sie uns dann befreit.

Wie ich zurückgekommen bin, habe ich nur mehr meinen Bruder getroffen — der war in Auschwitz. Er ist jetzt erst gestorben, so vor fünf öder sechs Jahren. Den Vater, die Mutter, die Schwestern, die habe ich nicht mehr gesehen. Und meine Kinder auch nicht mehr. Vier waren es. Vier Kinder sind weggekommen von mir. Wie sie mich abgeholt haben ins Lager — da sind sie bei meinen Eltern geblieben. Und mit diesen haben sie sie dann weggebracht Nach Auschwitz, habe ich gehört. Gesehen habe ich sie nie mehr. Wahrscheinlich haben sie sie vernichtet. Irgendwo. Damals ist Schnee gelegen, Weihnachten war. An das kann ich mich noch genau erinnern.“

Weihnachten 1945.

Bei der Rückfahrt schneit es. Es ist Abend geworden. Vor mir die Silhouette des Einheimischen. Ich bleibe stehen, nehme ihn mit. Bis zur Hauptstraße will er. Es ist jener, der mir den Weg gezeigt hat.

„Die leben gut da oben“, meint er. Und: „Die Menschen sind nicht alle gleich, Gott sei Dank. Es gibt solche und solche. Gearbeitet haben die nie. Und wir müssen sie erhalten. Es ist unser Geld, das die verbrauchen. Aber es sind sowieso nur ein paar übriggeblieben ...“

Er schaut zu mir. Ich sage nichts, denke an die alte Frau. An ihre ruhige Art zu reden. „Wissen Sie“, hat sie beim Abschied gemeint, „ein jeder Mensch hat das gleiche Herz, und alle sollen das gleiche Gefühl haben, daß sich jeder mit jedem vertragen kann.“

Die Forststraße wird breiter. Er will aussteigen. „Wofür brauchen wir die eigentlich?“ fragt er.

Er verabschiedet sich und will mir die Hand geben. Weihnachten 1986.

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