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Aufbau der Wiener Bannmeile

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„Zwisdien den Ruinen der Wiener Bannmeile'' lautete der Titel einer in der „Furche“ im Vorjahr veröffentlichten Schilderung, die von einem eigenartigen Aufbauversuch am Rande der Großstadt berichtete. Dort, in einem von Bomben zerschlagenen Ausläufer der Großstadt, in dem auch Kirdie und Pfarrhaus vom Erdboden verschwunden waren, hatte ein Heimkehrerpriester stillegehalten und zur Verwunderung der umwohnenden Proletarier inmitten der Trümmer mit eigener Hand den Wiederaufbau einer gottesdienstlichen Stätte begonnen.

Damals kam aus dem Leserkreis der „Furche“ 'ein lebhaftes Echo, und viele fühlten sich, ohne darum angeredet worden zu sein, aus ihrem christlichen Gewissen heraus verpflichtet, zu helfen. Und was ist weiter aus dem Versuch geworden? Was hat der Heimkehrer, der sich als Priester auf diesem traurigen Fleck Landes niedergelassen hatte, in der Wüstenei, die es viel-leidit nicht nur physisch war, mit seiner Aufbauarbeit ausgerichtet?

Dieser Frage willen entschloß ich mich zu einem Besuch in der Gemeinde.

Der erste Anblick ist npch immer erschütternd genug, phantastische Ruinen überragen einander, Gebirge von Schutt säumen den Weg, aber dazwischen wird überall schon gearbeitet. Neue Mauern werden aufgezogen, die Dädier geflidtt, selbst die Straßej ist wieder in einem leidlichen Zustand. Da taucht vor mir eine niedere, breite Baracke auf, von einem einfachen Holzkreuz gekrönt: die Pfarrkirche. Also das ist sie, die er damals mit dem Krampen in der Hand als einsamer Arbeiter begonnen hat! Daneben steht ein kleines Holzhaus mit spitzem Dach, das neue Pfarrhaus. Ich trat näher und las die Anschläge an dem Tor, die Gottesdienstordnung, die Ankündigung einer Wallfahrt, die Nachricht von einem Kinderlager, Mitteilungen der Caritas, die kirchliche Wandzeitung, Aufgebote und anderes. Neben mir stand eine Frau, die die Nachricht vom Lager gerade eifrig- studierte.

„Schicken Sie Ihre Kinder auch mit?“ fragte ich.

„Natürlich. Sie lassen mir keine Ruh'. Der Mann würde sie zwar lieber woanders sehen, aber sie selber wollen mit dem Pfarrer gehen. Ich laß ihnen den Willen.“

Ich trat in die Kirche ein. Es ist beileibe kein Dom. Die -Dachkonstruktion liegt frei über dem Raum, die Wände sind schmucklos, die Einrichtung einfach. Der Altar ist schön, ein großer Altartisch aus Holz mit Blumen geschmückt, von einem alten Kreuz überragt. Ich setzte mich auf eine der Heurigenbänke und betrachtete alles. Nadi kurzer Zeit trat eine große Gestalt im Arbeitskittel von vorne herein und richtete etwas am Altar. Dann kniete der Mann vor dem Tabernakel und betete: also der Pfarrer. Als er aufstand, ging ich auf ihn zu.

„Sie haben da allerlei zuwege gebracht. Ich sehe das Ewige Licht brennen, es scheint ein öllicht zu sein. Wo nehmen Sie das her?“

„Das kommt von selber. Leute besorgen es, ich frag sie nicht, woher es kommt. Das Ewige Licht wollen sie sehen.“

„Haben Sie nicht schon bereut, daß Sie in diese Pfarre gegangen sind, in der alles doch eine Plage und Armut ohne Ende ist?

Sie hätten doch nach den Strapazen im Feld Anspruch auf etwas Vorteilhafteres gehabt?“ fragte ich weiter.

„Nein, ich bin gerne hier. Ich habe meine Leute gern und sie lieben mich auch ein wenig. Und was mir die meiste Freude macht, es kommen immer mehr Leute in die Kirdie. Die neuen meistens Arbeiter. Politisch mögen sie stehen, wo sie wollen, um das 'kümmere ich mich nicht; sie halten zu mir, das ist die Hauptsache.“

Zwei junge Leute kamen, der Pfarrer entschuldigte sich, er hätte ihnen die Brautlehre zu halten, ich möge allenfalls warten. Ich sah noch, wie er die beiden in sein Zimmer führte, er stellte einen Teller Obst vor sie hin und begann mit ihnen zu reden. Ich besah indessen den Bau. Ein Maurer arbeitete an den Ziegeln, die von einer eingestürzten Nachbarmauer herumlagen.

„Für Arbeiterwohnungen hat man kein Baumaterial, aber die Pfarrer können sidi neue Häuser leisten“, sprach ich ihn an.

„Erstens ist das kein neues Haus, es ist aus einem Gefangenenlager übertragen worden, und zweitens ist das eine überspielte Platte, mein Lieber“, antwortete er mir abweisend.

„Ist nicht alles andere notwendiger als Kirchen und Pfarrer?“ beharrte ich. Ich wollte ja wissen, wie es hier steht.

„Das hat schon Hitler gesagt. Ich sage: Religion schadet nicht, und daß der Pfarrer nicht auf der Mistgstätten Me%se lesen kann, muß jeder einsehen. Ich beiß dem Herrgott nicht die Zehen ab,' aber zu den Feiertagen gehe ich auch in meine Kirche und die Kinder schicke ich öfter, das heißt, sie gehen eh von selber.“

„Sind Sie früher auch gegangen?“

„Nein.“

„Warum gehen Sie jetzt?“

„Weil mir der Pfarrer sympathisch ist. Erstens ist er ein Hunderter und ich bin auch einer.“

„Was heißt Hunderter?“

„Von der hundertsten Division, Stalingrad. Und dann geht unser Pfarrer überhaupt in Ordnung. Wenn man so wochenlang neben und mit jemandem arbeitet, sieht man allerhand in einem Haus. Was soll ich Ihnen mehr sagen, er geht in Ordnung, das genügt.“

Dann kratzte er an seinen Ziegeln weiter und ich entfernte mich in das naheliegende Gasthaus. Ein Fuhrmann saß mit einem anderen Gast, anscheinend einem Arbeiter, beim Tische. Ich setzte mich zu ihnen und wir jprachen von dem und jenem, schließlich sagte ich:

„Eine neue Kirche habt ihr auch schon?“

Daraus ergab sich ein Gespräch über Kirche und Religion. Sie verglichen, wie es früher war und wie es jetzt ist.

„Die Politik war schlecht“, sagte der Arbeiter. „Die Pfarrer sollen die Nase nicht überall hineinstecken. Wir wollen das nicht. Die Kirche soll nicht Partei sein, sondern über den Parteien stehen.“

Der Fuhrmann, ein intelligenter Mensch, der sich gut auszudrücken wußte, verteidigte nicht übel Seipel.

„Das war der einzige große Mann, den wir in der Republik hatten, und er war ein Pfarrer. Er war halt so. Wir könnten froh sein, wenn wir ihn jetzt hätten, daß er uns aus der Schlamastik herausführt.“

Der andere ging ihm darauf nicht ein.

„Der Seipel ist tot,' einen neuen wollen wir nicht. Schau, wie's mit dem Tiso war. Unser Schwarzer ist gescheit genug, er bringt, keine Politik auf die Kanzel.“

„Wieso er das wisse“, fragte ich, „ob er selber in die Kirche gehe?“

„Das nicht, aber so etwas spricht sich herum.“

„Die Unterschiede bei den Leichen haben sich aufgehört. Einer wird wie der andere begraben. Nicht, daß der Kapitalist von drei Pfarrern eingesegnet wird und der arme Prolet kriegt grad nur einen Spritzer mit dem Weihwasser ins Grab hinein. Der Unsere macht keinen Unterschied, und das wissen wir Arbeiter .zu schätzen.“

Als ich das Brautpaar vorbeigehen sahj zahlte ich- mein Bier und ging' hinüber.

„Ich war drüben im Gasthaus und die Leute haben mir erzählt, daß Sie Kinderfürsorge und Caritas hier haben.“

„Ich mache ke:ne Reklame weder mit der Kinderfürsorge noch mit der Caritas. Wir kümmern uns um Kinder und Arme, weil es Christus getan hat und weil er es von uns verlangt. Wir machen es nicht aus Propaganda. Die Leute spüren das auch und unterscheiden genau. Wir machen alles ganz einfach. Da ist eine hauptberufliche Pfarrhelferin. Sie macht die Kinderstunden, geht mit den Kindern ins Lager, macht Hausbesuche, kümmert sich um die Caritas, orgelt beim Gottesdienst, kurz, packt überall an. Ohne sie bliebe die halbe Arbtit liegen. Außer ihr haben wir noch Helfer und Helferinnen für Kirchensteuer, Kirchenreinigung und anderes. Ich bin voll Zuversicht, obwohl ich die Schwierigkeiten sehe.“

„Ich kann mir wohl denken, wo ^diese liegen.“

„Da ist zunächst das praktische Heidentum, in dem das Volk lebt. Die sittlichen Grundlagen fehlen fast ganz. Die sozialen Verhältnisse sind oft entsetzlich. Die Kinder kennen zum Beispiel den Eigentumsbegriff beinahe nicht mehr. Als ich mit ihnen in das erste Lager ging, gehörte jeder Obstbaum ihnen und die Kühe auf der Weide molken sie aus und tranken die Milch. Sie haben aber auch mehrmals alles verloren. Die Jugendlichen sind verwahrlost, mit fünfzehn Jahren mischen sich schon Burschen und Mädeln, sie sind toll nach dem Kino, Tanz usw. Das ist die Saat, die der Krieg gesät hat und die jetzt aufgeht. Die Eheverhältnisse sind unbeschreiblich. Der Alkoholismus wächst. Diese Litanei könnte man noch lange fortsetzen. Und doch ist es nicht zum Verzweifeln. Das Volk ist arm wie Lazarus, der unter die Räuberfiel. Wirsind da, dieWunden zu heilen, den Geist und das geistige Leben zu wecken, die Frohbotschaft in das Elend hineinzuverkünden. In diesem Sinne ist die Situation nicht neu. Wenn es uns gelingt, das Bild Christi in den Herzen der Menschen wieder aufzurichten, dann haben wir Hoffnung, dann geht es aufwärts.“

„Materielle Sorgen haben Sie wohl auch?“

„Wissen Sie, was das heißt, heute zu bauen? Jedem Stück nachlaufen. Wenn das ganze Kircheninventar neu angeschafft werden muß, das ist schwer. Die Mittel aus der Kirchensteuer genügen nicht. Aber das Volk gibt, ohne die Geduld zu verlieren, und einzelne Wohltäter von auswärts lassen uns nicht im Stich.“

Drei Leute warteten bereits wieder auf den Pfarrer, ich mußte gehen. Weil ich aber noch einige Fragen auf dem Herzen hatte, wandte ich mich an die Wartenden.

Ich erfuhr, daß eine Frühmesse ist und eine Kindermesse. Daß an jeder Messe das Volk mitbetet und mitsingt, daß die Leute es gerne haben, wenn die Meßtexte schön vorgelesen werden. An den Predigten wußten sie zu loben, daß „er kein Theater dabei macht“. Von den Evangelien wollen sie immer den Zusammenhang mit unserem

Leben aufgezeigt bekommen, in der Predigt nichts Niederdrückendes hören, keine Teufelsgeschichten. „Aufrichten, stärken soll er uns.“

Nicht genug wurde die Kindermesse gerühmt, daß die Kinder so gerne kommen, daß sie so gut singen und beten und zur Kommunion gehen.

„Jetzt schleppen sie auch die Drei- und Vierjährigen mit, weil der Pfarrer neulich so eine Geschidite erzählt hat.“

Als ich nach den Jugendlichen, fragte, bekam ich zur Antwort — die Frau sagte es mit anderen Worten —: Es gäbe noch junge Leute, die nach etwas Edlerem und Feinerem Sehnsucht hätten und diese kämen gerne. .

„Wie lange wird die Holzkirche stehenbleiben“, fragte ich Abschied nehmend.

„Bis wir eine neue, gemauerte haben.“

Da wurden der Frau die Augen feucht.

„Das möchte ich noch erleben. Sie wird größer sein müssen als die alte, denn wir sind mehr geworden. Was glauben Sie, wer jetzt aller in die Kirche* geht. Gesichter, die man früher nie gesehen hat!“

Im Herzen froh, ging ich fort. Wenn das Reich Gottes in den Herzen der Menschen wächst, .dann wird sich auch alles andere geben.

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