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Digital In Arbeit

„Du bist subversiv eindeutig linkslastig"

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Es geht ihm nach einer ernsten Erkrankung schon besser, doch Bischof Kräutler, als Festreferent der Salzburger Hochschulwochen ausgeladen, kommt nicht zu den geplanten Vorträgen nach Österreich. Aber ein Buch über seine Arbeit in Brasilien erscheint.

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Es geht ihm nach einer ernsten Erkrankung schon besser, doch Bischof Kräutler, als Festreferent der Salzburger Hochschulwochen ausgeladen, kommt nicht zu den geplanten Vorträgen nach Österreich. Aber ein Buch über seine Arbeit in Brasilien erscheint.

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Gegen elf Uhr nachts lichten wir in Vitoria die Anker. Die Reise bis nach Porto de Moz sollte diesmal beinahe zehn Stunden dauern. Ein Unwetter zieht auf, der Fluß wirft hohe Wellen. An Schlaf ist kaum zu denken, denn die Hängematte wird zu einer schwindelerregenden Schaukel. Immer wieder hat man das Gefühl, daß die „Säo Gaspar" in ein Loch fällt.

Kurz vor Morgengrauen erlebe ich dann „live" den Fünften Satz von Beethovens „Pastorale": „Frohe und dankbare Erinnerungen nach dem Sturm". Der Wind läßt nach, die Wogen beruhigen sich, die Wolken lösen sich auf. Schlaftrunken sitze ich an der Reeling und döse vor mich hin. Auf einmal überwältigt mich der Zauber des Sonnenaufganges am Xingu. Dieses wunderbare Naturschauspiel läßt alle Müdigkeit vergessen.

Ein dunkles, samtenes Rot beginnt erst scheu und zaghaft den schwarzen Horizont zu tönen. Von Augenblick zu Augenblick stärker, ausdrucksvoller, bezwingt das Rot entschlossen und schonungslos die gespenstische Finsternis. Der Glanz der Sterne wird immer fahler, bis er ganz erlischt. Die zarte Röte wird zu warmer Glut und geht dann langsam in ein zauberhaftes Orange über. Die Schwärze der Nacht zerrinnt endgültig mit dem ersten Sonnenstrahl. Unzählige Strahlen folgen, erleuchten und erwärmen die Erde, verjagen die feuchten Nebel, die über dem Urwald schweben, beleben Herz und Sinn noch schlaftrunkener Menschen. Feuerrot erhebt sich die Sonne über den Horizont, immer blendender wird ihr Schein und heller wird die Welt.

Ein neuer Tag bricht an, läßt Leben neu erwachen und Menschen nach ewig neuen Wegen der Erfüllung ihrer Wünsche suchen. Bald umfängt die Sonne majestätisch Wälder und Felder, Städte und Dörfer, Hügel und sumpfige Niederungen, taucht Flüsse und Bäche in gleißendes Silber, spiegelt sich wider in den nie endenden Wassern von Meeren und Seen.

In meinen Ohren klingt jenes bezaubernde Präludium, mit dem Joseph Haydn in seinem Oratorium „Die Schöpfung" das Rezitativ des Uriel einleitet: „Im vollen Glanz steiget jetzt die Sonne strahlend auf..." Jeden Morgen wiederholt sich dieses Schau-

spiel der Natur. Und jeden Morgen, solange es die Welt gibt, wird dieses Erlebnis als Wunder erfahren.

Ich bete mein Brevier, den Lobpreis Gottes am Morgen. Die Schöpfung ist das erste Buch Gottes, sagt Augustinus. Die Bibel ist das zweite. Sie wurde geschrieben, um uns den Blick des Glaubens zu schärfen und die Schöpfung, den Menschen und seine Mitwelt als herrliche Offenbarung eines unendlich liebenden Gottes zu verstehen, der uns allen zugleich Vater und Mutter ist. Ich bin in großer Sorge, wie lange das noch so sein wird. Denn mir ist bewußt, daß heute der Mensch die Natur gewaltsam bedroht.

Blutsaugende Vampire

Ich sitze jetzt in einem Zimmer des Pfarrhauses von Porto de Moz. Das Haus ist ganz neu, das alte mußte abgerissen werden, da es beinahe in sich selbst zusammengefallen war. Mit finanzieller Unterstützung aus der Schweiz hat sich unser Generalvikar, Pater Fritz Tschol C.PP.S.- er ist ein Naturgenie von Architekt -, ans Werk gemacht. Es ist ihm wieder einmal gelungen, ein funktionelles Pfarrhaus und gleichzeitig ein gemütliches Heim für das Pfarrteam zu bauen.

Im Jahre 1966 verbrachte ich die ersten Weihnachten in Porto de Moz, im alten Pfarrhaus. Es schaudert mich immer noch, wenn ich an die vielen Fledermäuse und Vampire denke, die in allen Räumen und Zimmern fast zur Einrichtung gehörten. Nach der Christmette legte ich mich gegen zwei Uhr früh in die Hängematte. Ich spannte das Moskitonetz auf, aber nicht um mich vor Gelsen und Stechmücken zu

schützen, sondern um Fledermäuse und Vampire abzuhalten. Dom demente, der zu dieser Zeit Bischof vom Xingu war, fand beim Aufwachen hier einmal eine Blutlache unter seiner Hängematte vor. Ein Vampir mit spitzen Zähnen hatte den schlafenden Bischof in der Nacht gebissen. Dem wollte ich vorbeugen.

Aber ich konnte dennoch nicht schlafen. Auf einmal ging ein Wolkenbruch über Porto de Moz nieder. Durch das schadhafte Dach prasselte der Regen unbarmherzig auf meine Hängematte. Ich suchte in allen Zimmern und Gängen nach einer geeigneten Schlafstelle und mußte schließlich aufgeben. Im ganzen Haus tropfte es und ich konnte keine trockene Stelle

finden. Über zwei Stunden lang stand ich mit eingerollter Hängematte schläfrig an eine Wand gelehnt und wartete auf das Ende des Regens. Ich fühlte mich elend. Es war ja Weihnachten. So dachte ich an die Geburt Jesu im Stall zu Betlehem. Jesus kam arm auf die Welt. Ob das Dach über der Krippe auch undicht war?

Es ist sehr schwül. Die Nacht über hat es geregnet, darum ist es so feuchtheiß. Meine Gedanken gehen an die Transamazönica, in die Agrovila „Duque de Caxias" in der Nähe von Mediciländia. Dort wird die Gemeinde von einer reaktionären Gruppe von Großgrundbesitzern bedroht, die nicht vor Gewalt zurückschreckt. Besonders bedrückt mich die Tatsache, daß ich hier in Porto de Moz absolut keine Möglichkeit habe, irgendetwas zu veranlassen oder zu tun. Der Bürgermeister von Mediciländia will, daß ich Pater Oscar ersuche, eine längst vorbereitete Eucharistiefeier abzusagen. Ich sehe aber nicht ein, warum eine Weihnachtsmesse ausfallen soll. Zudem kann ich mit Pater Oscar keine Verbindung aufnehmen. Er ist irgendwo im Busch, an einer Nebenstraße. Der Bürgermeister fürchtet eine Auseinandersetzung, die mitunter blutig ausgehen könnte. Einige Leute hätten sich bereits bewaffnet. Ein Wahnsinn!

„Jeder Indio ist einer zuviel!"

Wieder einmal ein Großangriff gegen die Kirche. Den Großgrundbesitzern ist diese Kirche, auf der Seite der Armen, ein Dorn im Auge und hinderlich. Dabei war ich ja vor einigen Tagen noch an diesem Ort. Ich versuchte den Standpunkt der Kirche nach den richtungsweisenden Konferenzen von Medellfn und Puebla zu erklären. Auf alle Fragen bin ich eingegangen und habe mich heiser geredet. Scheinbar hat alles nichts genützt.

Bei meiner Ankunft in der Agrovila „Duque de Caxias" war die Gemeinde bereits in der Kirche versammelt, die mit viel Opfer und Schweiß erbaut worden war. Nach der üblichen Begrüßung wollte ich mit der Eucharistiefeier beginnen. Da tippt mir eine Frau auf die Schulter und bittet um etwas Geduld. Ein Herr wünsche mich unbedingt noch vor der Messe zu spre-

chen. Als ich diesen angekündigten Herrn zu Gesicht bekam, war mir klar, daß er seine Frau vorgeschickt hatte, um das Gespräch einzufädeln.

Der Mann, ein Vertreter der Uni-äo Democrätica Ruralista, des Verbandes der Großgrundbesitzer, nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Die große Zuhörerschar kommt ihm sichtlich gelegen, um dem Bischof endlich seine Meinung zu sagen. „Die Kirche, der Bischof auf Seiten der Armen, was heißt das

schon?" schrie er in die Menge. „Warum verteidigt der Bischof die Indianer? Jeder Indio ist einer zuviel! Die Indianer arbeiten nicht, produzieren nichts und stehen dem Fortschritt im Weg! Und da kommt ein Bischof und setzt sich ein, damit ihnen fruchtbares Land überlassen wird, samt den Bodenschätzen in diesem Gebiet! Mit diesen ungenützten Reichtümern könnte Brasilien einen Großteil seiner Auslandsschulden begleichen! Bischof, wie kannst du, der du selbst Brasilianer geworden bist, mit deiner Indio-Verteidigung gegen brasilianische Interessen sein?" Mit einer zynischen Frage setzt der Mann seine Anklagen fort: „Geht es dir wirklich um die Armen oder verfolgst du ande-

re Ziele? Du willst doch die bestehende Ordnung stürzen! Du bist subversiv, eindeutig linkslastig!" schreit er mich an. „Du förderst eine Revolution des Lumpenproletariats und kümmerst dich um dieses faule Pack, das nichts hat, weil es lieber Schnaps säuft als zu arbeiten!" Ich ersuche ihn, einen etwas ruhigeren Ton zu wählen und mir gerade ins Gesicht zu schauen. „Glauben Sie wirklich, diese Leute hier haben ihre Schwielen an den Händen vom Schnapssaufen?"

Ob ich auf der Seite der Armen stehe? Ich erinnere ihn an meine Festnahme durch die Militärpolizei, weil ich ausgebeutete, verzweifelte Zuk-kerrohrbauern und ihre Familien verteidigte, denen durch neun Monate hindurch die abgelieferte Ernte nicht bezahlt wurde. Ich erinnere ihn an den „Unfall", der mir beinahe das Leben kostete und Pater Salvatore Deiana tötete. „Sie wissen genau: es war kein Unfall!" sage ich ihm. „Bis heute spüre ich die Folgen dieses Anschlages. Meine Backenknochen wurden mit Metallfäden zusammengefügt!" Bei diesen Worten zuckte er zusammen und schaute unverwandt in eine Ecke. Bis zum Schluß dieses Auftrittes würdigte er mich keines weiteren Blickes.

Die Gemeinde ist aufgebracht. Männer gestikulieren. Frauen weinen. Kinder bekommen Angst und kuscheln zu ihren Eltern. Auf einmal tritt die Mutter

dieses Mannes vor, kniet händeringend vor ihn hin und bittet ihren Sohn um „Unserer Lieben Frau von Apare-cida" willen, endlich aufzuhören, den Bischof so zu attackieren. Er schiebt die alte, weinend flehende Mutter weg wie ein Holzgestell, murmelt noch etwas Unverständliches und sucht das Weite, den breitrandigen Hut tief ins Gesicht gedrückt.

In Österreich wird dieser Tage ein Film ausgestrahlt, der hier am Xingu gedreht wurde. Szenen von meiner Festnahme und dem „Unfall" werden jetzt gezeigt. Dabei entsteht vielleicht der Eindruck, dies alles seien bereits vergangene Ereignisse. Aber es ist Gegenwart! Warum das alles?

Beim Kreuz an der Unfallstätte auf der Transamazönica wurde ich vor laufender Kamera gefragt, ob ich nicht doch nach Österreich zurückwolle. Meine Aufgabe habe ich hier zu erfüllen, aber ich sehne mich dennoch nach einem ruhigeren, nicht so aufreibenden Leben. Warum ist die Situation so konfliktreich? Warum all diese, sich immer wiederholenden Herausforderungen? Ich bin kein Held! Oft und oft habe ich Angst! Wie lange hält man so etwas überhaupt aus? Meine Gedanken gehen unwillkürlich in meine Heimat. Mama ist im Spital und ich weiß, daß ihr der Film sehr naheging. Sie hat recht, wenn sie meint, ich hätte furchtbares Heimweh.

Alle sind überlastet

Immer wieder sage ich zu mir selbst: „Du mußt durchhalten, stark sein! Gott gibt dir die nötige Kraft und läßt dich nicht allein!" Josue aus dem Alten Testament kommt mir in den Sinn. Als er die Nachfolge des Mose antrat, sprach Gott zu ihm: „Sei mutig und entschlossen, zage nicht und zittere nicht! Denn der Herr, dein Gott, ist mit dir in allem, was du unternimmst." (Jos 1,9) Der Apostel Paulus war in Korinth und hatte wieder allerhand einzustecken von seinen eigenen Landsleuten, die sich ihm widersetzten und ihn wohl auspfiffen. Er war angeschlagen, so richtig „down". Da aber, gerade in diesem schrecklichen Tief, erscheint ihm der Herr und sagt: „Fürchte dich nicht, rede weiter und schweige nicht! Ich bin mit dir, und keiner wird dir fürderhin ein Leid antun." (Apg 18,9) Ich frage mich allerdings: Hatte Paulus nach dieser Erscheinung nichts mehr zu erleiden? Es ist erst das 18. Kapitel der Apostelgeschichte. Bis zum 28. Kapitel ist noch ein langer Weg! Die Apostelgeschichte hört sehr abrupt auf. Das Römische Martyrologium berichtet, daß Paulus vor den Mauern Roms enthauptet wurde. Wie geht das zusammen: „Keiner wird dir fürderhin ein Leid antun"? Vielleicht ist es so, daß Paulus von nun an spürte, daß alles Leid ertragbar wird, wenn jemand da ist, der mit ihm ist und mitleidet! Paulus weiß, der Herr ist da. „Er ist in unserer Mitte!" antworten die Leute in unseren Gemeinden auf den liturgischen Gruß des Priesters: „Der Herr sei mit euch!".

Nicht nur die Probleme mit den Großgrundbesitzern bedrücken mich. Meine liebe Not habe ich auch auf der Personalebene. Wir sind viel zu wenig Priester, Ordensleute und Pastoralarbeiterinnen. Alle sind überlastet. Jeder jammert auf seine Art. Dies funktioniert nicht, jenes könnte besser sein. Pater Sergio liegt in einem Krankenhaus in Italien. Ein halber Lungenflügel mußte ihm entfernt werden. Wird er je an den Xingu zurückkommen? Am Telefon sagte er mir, er fühle sich so, wie wenn ein Traktor über seinen Brustkasten gefahren wäre. Drei andere Priester sind für sechs Monate zum „Auftanken" im Ausland. Die Kongregation, der sie angehören, fordert von jedem nach fünf Jahren Einsatz ein halbes Jahr Entspannung und Studium. An sich finde ich das gut und wichtig, aber Pfarren bleiben eben monatelang ohne Priester.

Vorabdruck aus: MEIN LEBEN IST WIEDER AMAZONAS. Von Erwin Kräutler. Otto Müller Verlag, Salzburg 1992.160 Seiten, öS 220,-.

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