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Als Zivilist im PoIenlcrieQ

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Im Jänner 1940 erschien in London in englischer Sprache „A civilian in the Polish war“ („Ais Zivilist im Polenkrieg“) von Franz Theodor Csokon die deutsche Ausgabe brachte Albert de Lange in Amsterdam zur selben Zeit. Aus diesem heute längst verschollenen Buch, das in Deutschland und in Österreich völlig unbekannt geblieben ist, stammt das nachfolgende Kapitel, das hier veröffentlicht wird.

Durch hügelige Äcker holpern wir auf Lublin los, das wir in der Dämmerung erreichen. Benzin faßt man dort keines mehr, Gasmasken sind ausverkauft. Die meine, ein Geschenk meines Warschauer Freundes, gebe ich G., dem sie als Familienvater vielleicht wichtiger sein mag. Denn trotz der ohne Maske drohenden Gefahr sträubt sich etwas in mir, die Verwandlung eines Menschenhauptes in ein Rüsseltier mitzumachen.

Wo die Deutschen eigentlich halten, das weiß auch hier niemand genau. Seit Tagen sendet Radio Warschau aus beiden Posten nur Musik, und. ab heute sei es ganz verstummt, was das Gerücht von einer Einnahme der Hauptstadt nährte. Jedenfalls scheinen die Spieße von sieben Heeren nach ihr zu stoßen. Aus der Gegend des nahen Radom höre man Geschützfeuer, wird ins versichert, und im Raum von Kutno entwickle sich eine große Schlacht. Daß die Etappenruhe für Lublin geendet habe, das bestätigte nidit nur der hastige Aufbruch der Regierung gegen Osten; auch die bereits einsetzenden Fliegerangriffe der deutschen Spanienlegionäre täten das, gegen die man sich übrigens ungenügend geschützt fühle.

G. soll bei Freunden, die sechzig Kilometer weiter ostwärts wohnen, Benzin erhalten. Ob ich ihn hier abwarten könne, unverbindlich freilich, bei dem stündlichen Wechsel der Dinge fragt er mich „Selbstverständlich!“ Und vor der Trennung noch ein warmer Dank an ihn, einen von jenen Menschen, die sich uns gerade in entscheidenden Momenten unseres Lebens immer wieder hilfreich nähern, wie entsendet von einer höheren Macht.

Wo aber finde ich Quartier in dieser vollgepfropften Stadt? Ein Kloster der Gesellschaft Jesu siedelt an ihrem Rand; sein linker Flügel dient als Notspital, denn in dem Krankenhaus der Stadt liegen Verwundete sdion in den Korridoren, sagt man mir. Uber den Orden wußte ich Bescheid; eines meiner Dramen, das knapp vor Kriegsbeginn in Holland als Buch erschien, das nun neuerlidi vom Wiener D',nubia-verlag publizierte Drama „Gottes General“, beschäftigte sich mit dem Leben seines Stifters Ignatius von Loyola. So pochte ich nun an die Klostertüre. Leidit wog mein Gepäck, ein Rucksack, eine Aktentasche. Der Pater Minister sei noch in der Stadt, erwiderte man mir, verweist mich an den Chefarzt, der bei den Vätern speist. Den ganzen Tag durch hat er operiert; das Grauen liegt als starre Maske über seinem Gesicht Von einigen Semestern Medizin verstehe ich noch etwas Krankenpflege und mache mich dazu erbötig. Er bittet mich, bei fünf Kopfverletzten zu übernachten, um eine Krankenschwester zu entlasten, die er im ärgsten Zimmer braucht, bei den Geblendeten und den durch Flammenwerfer Verbrannten. „Morgen erwarten wir noch dreihundert Schwerverletzte, und dabei weiß ich nicht, ob man uns nicht morgen evakuiert. Hier —“ und er zeigt eine Türe mit der Tafel „Refektorium“ —, „in einem Speisezimmer muß ich operieren.“ Stöhnen dringt aus einer anderen Türe, das Blaulidit einer Taschenlampe huscht dort auf. „Da bin ich!“ Er drückt meine Hand. „Sie sind nebenan! Fünf Betten, Ihres steht gleich an der Türe. Im dritten Bette liegt der dilimmste Fall. Läuten Sie, wenn er schreit!“ Er geht. Ich strecke mich auf meinem Strohsack aus Ein schweres Män-neratmen füllt den finsteren Raum, die Luft riecht nach Essig und nach Karbol. Ehe ich noch die Augen schließe, versichere ich mich der Klingel, den Taster in Armlänge von meinem Kissen. Wer sind die Menschen neben mir im Dunkel? So stark trotz Wunden atmen, das müssen Bauern-iungen sein! Und vor mir tauchen kleine demütige Hütten auf, wo Frauen jetzt noch wachen an dem Bild der Schwarzen Muttergottes und wo Mütter in die Nacht hinein horchen.

Viele Füße trippeln nun draußen, geflüsterte Befehle treiben sie, wie eine geisterhafte Flucht zieht das vorbei — und dann Gesang! Ich winde mich empor zum Bewußtsein. Bett drei singt mit angenehmer gedämpfter Stimme ein altes Lied, ein Volkslied scheint es mir. Ich bin im Zweifel, ob ich läuten soll. Da endet der Gesang. Und wieder schließt der Schlaf sich über mir wie eine Höhle, aus der man nie mehr weiterwandern möchte. Sirenenwinseln weckt mich aber bald zur Wirklichkeit, zum Krieg. Am Fenster rütteln schon die ersten Explosionen. Jetzt schreit Bett drei, und auch die andern fahren hoch und rufen wirres Zeug. Die Schwester, die auf mein Läuten mit der Spritze kommt, erzählt mir hastig, nachts sei, was von den Kranken sich noch regen konnte, nach Osten abgeschoben worden; mein Zimmer folge heute, Platz für den blutigen Transport, den man erwartet!

Freundlidi begrüßt mich der Pater Minister am Tor des rechten Flügels, der dem Kloster blieb; ein Zimmer habe sich dort für mich gefunden. Erst folge ich ihm in die Hauskapelle. In ihr hält man eine Messe ab, still, ohne Orgel und ohne Gesang, gemäß der Ordensregel, die nichts will zwischen Gott und Mensdi als Inbrunst. Das helle Glöcklein zur Wandlung und das dumpfe Dröhnen aus der Stadt herauf, die unter schwerem Bombenfeuer liegt, bleiben das einzige, was über das Murmeln der Priester hinausdringt. Die Betenden um mich zeigen jene verzückte Andacht, wie sie in Europa vielleicht nur mehr der Pole kennt. Alle knieen. Nur eine Frau liegt auf den Steinen, die Arme ausgestreckt, als wäre 6ie an den Boden gekreuzigt.

Nach dem „Ite, missa est!“ müssen wir noch an der Stiege warten. Denn sdion hat an dem gemeinsamen Tore unten der traurige Einmarsch der Dreihundert begonnen. Gestützt und getragen von den Patres, humpelnd, geblendet, in Tücher vermummt, wandern sie in den Spitalstrakt hinüber, ein gespenstiger Heerzug verstümmelten Menschenfleisches. Ein junger Bauer windet sich auf einer Bahre; vergeblich trachtet er weg über den Verband nach seinem Bein zu blicken, das nicht mehr da ist, und docK schmerzt es noch. Ein anderer, schwarz Brillen über dem blaugedunsenen Antlitz, will sich nicht helfen lassen; als Krücke braucht er sein Gewehr. Und alle haben sie etwas kindlich Hilfloses in den Gesichtern, als warteten sie auf eine Mutter, die sie aus einem finsteren Wald herausführen soll, in den sie sich verirrten ...

Bei den Patres erhalte ich ein Zimmer mit schwarzverklebten Fenstern, die Tags geöffnet sind, und einem frischen Bett. Ein junger Bruder hat mir das Lager gerichtet, nun bringt er noch Wasser und Speisen. Idi will mich dagegen wehren, doch er lächelt sanft: „Es ist nur meine Pflicht.“ Dann läßt er mich allein.

Zu müde, um zu schlafen, lege ich mich hin. Noch einmal raffe ich mich auf, das Fenster zu verriegeln, denn immer näher rückt das wahnsinnige Bombardement der Stadt. Aber dazwischen hallt vom Gange herein zu den seit Jahrhunderten bestimmten Zeiten die „Hora“, die Stunde zur Andadit, die Väter und Brüder in die Hauskapelle ruft. Unberührt bleibt das von der Hölle, die sich die Menschen auf Erden bereiten. Und ins Gedächtnis tritt mir das Gebet, mit dem der Fähnrich Loyala vor Gott die Waffen streckte, die er in Pamp-lona nicht übergeben wollte:

„Empfange, o Herr, und behalte meinen Willen, meine Freiheit und meine Gedanken! Es war dein Gesdienk — nimm es wieder zurück und gib mir dafür deine Gnade und Liebe —, sonst begehre ich nidits. mehr auf Erden ...“

Schon in der Dunkelheit des nächsten Morgens breche ich auf, meinen Platz den aus dem brennenden Warschau eingetroffenen Brüdern zu räumen. Den Pater, der mich dabei gütig betreut, Lehrer an der Lubliner Hochschule, wie ich erfahre, bitte ich nach dem Frühstück, mir den Pater Rektor zu zeigen, dem ich noch danken möchte. Ein weißhaariger gebückter Mann trägt eben ein Tablett mit Tellern und mit Teegläsern zum Wasdien. Er, der hier die demütigsten, niedersten Dienste tut, er ist der Pater Rektor. Er bestimmt einen Bruder, . der mich zur Bahn begleiten soll.

Die Sterne verbleidien. Unheimlich wirkt die Ruhe in den leeren Gassen nach dem Bombardement. Viel ist zerstört, noch steht aber die Kathedrale und ein altes Rathaus von erlauchten Formen. Ich bewundere beides Nie werde ich die Tage hier vergessen, versichere ich dem Bruder zum Abschied. Aus dem Transportwagen des Lastzuges, der mich entführt, sehe ich Kathedrale, Rathaus, Stadttürme, Wälle im dunstigen Morgenlicht langsam verfließen ...

Wenige Stunden später — das erfuhr ich am nächsten Tag — krachten Bomben nieder auf Kathedrale, Stadttürme, Rathaus..,

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