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DAHEIM

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,Helmert!* hauchte der blühende Bimbaumast, „Heimatl* glänzte der hohen Sonne Glast, „Heimatl* rauschten die Fichten im Mittags wind, .Heimat!* grüßte lächelnd ein spielendes Kind.

Kennst du mich?* lockte ein Weglein, von Steinen rauh, Und mich?“ frug ein Dach unterm heiteren Himmelblau. „Sieh*, sprach der Bach, „in mir noch dein Angesichtl Der rastlose Quell der Zeiten verlöschte es nichtl* •

„Auf mich trat dein Fuß 1* sorgte still die Schwelle vorm Haus. Die Tür: „Durch mich zogst du in die Fremde hinausl“ „Bist du vor Hunger, Härmen und Heimweh krank, Hier magst du ruhen!* trösteten Tisch und Bank.

Und des Feuers im Herde aufzuckte ein Licht: „Fror dir das Herz im Leibe, verzage nichtl Was immer dich, bitter zu weinen, treibt: Heimat hat rettende Hände! Heimat bleibtl“

Man meint ihn. Aber wer?

Von der Straße her noch einmal der Ruf: „Hallo!-Ist jerhand'hier?“

Er hat sich aufgerichtet.- Dann sagt er:

„Ja, was wollen Sie?“ -

Er wirft die Decke von sich und klettert über die Trümmer. Man soll ihn in Ruhe lassen, denkt er. Doch es zieht ihn zu dieser Stimme hin.

Auf der Straße steht eine Frau; neben ihr ein Kind. Sie tritt zurück,.als hätte sie plötzlich Angst.

Hilflos ist dieses Zurückweichen und es rührt ihn seltsam an. So seltsam, daß er die Worte findet:

„Sie brauchen keine Angst zu haben. Nein, wirklich nicht. Ich bin hier zu Hause. Das heißt: ich war hier zu Hause.“

„Aber —“ sagt die fremde Frau, „aber hier können Sie doch nicht bleiben!“

„Oh, sicherlich kann ich...“

„Es ist verboten--und es ist gefährlich --“

„Gefährlich —? Seit wann fragen wir wieder nach der Gefahr?“ Ein müdes Achselzucken, kaum sichtbar,im Dunkel, doch mitklingend in der Stimme: „Wohin soll ich denn sonst?“

Die Fremde zögert ein wenig.

„Kommen Sie“, sagt sie schließlich, „hier können Sie nicht bleiben. Kommen Sie. Wenn Sie wollen — bei mir in der Küche--—

es ist wenigstens warm und auch Licht haben

wir.

Der Mann sträubt sich.

Er will kein Mitleid, nein, er will nicht, daß man ihn bedaure. — — Doch blitzartig kommen Nächte zurück' in sein Bewußtsein, Nachte, in denen sie durch Rußlands- eisige Weite flohen; in denen sie zu dreißig in einer ärmlichen Bauernstube lagen und glaubten, sich nicht mehr rühren zu können; und wie sie dann doch noch Platz fanden zwischen sich für zehn andere, die aus der eiskalten Nacht kamen.

Ein ähnliches Empfinden wie damals ist in ihm, wo einer dem anderen half, unbewußt, um grausiges chicksal erträglich zu machen.

So geht er mit.

Schweigend und unbeholfen.

Er sitzt in der kleinen, warmen Küche und schweigt.

Dankbar ist er der Fremden, daß sie nicht

fragt.

„Eine Tasse Kaffee!“ sagt die fremde Frau.

„Ach nein — nein--ja, wenn es Ihnen

keine Umstände macht, bitte doch.“ Er ist verwirrt.

Auf das Brot schaut er, das ihm die Frau auf den Teller schneidet und rührt mechanisch in der Tasse.

„Nein“, sagt die Frau wieder, „Zucker haben wir keinen. Leider.“

,„So“, gibt er zur Antwort und unterbricht das Rühren. Er hat gar nicht an Zucker gedacht. Er rührte, weil ein Löffel dabei lag.

Etwas anderes beschäftigt ihn viel zu sehr.

„Warum“, fragt er nach einer Weile, „warum haben Sie mich nicht unten liegen gelassen in der Nacht?“

„Der Kleine hat Sie gesehen.. Und — — und da habe ich an meinen Mann gedacht. Weiß Gott, wo er sein mag, aber vielleicht hilft auch ihm einer in dieser Nacht. Wenn er noch lebt ■--“

Des Mannes wegen — denkt er und spürt eine tiefe Leere sich äuftun in seinem Herzen. Auf ihn wartet niemand. Ihn — liebt ja niemand ... / **

Der Kleine wird zu Bett gebracht. Der Mann streicht über seinen Scheitel, als er eine gute Nacht zu wünschen kommt und ihm ist, als müsse er weinen.

Noch stiller ist es nun. ,

Es ist, als hörte man die Zeit.

Da beginnt er, ohne gefragt zu sein, zu erzählen. Langsam, stockend zuerst, ' heller, lebendiger, als er glückliche Jahre streift, dann zerbirst .seine Stimme, brüchig, in kurzen Sätzen berichtet er vom Ende.

Und schließt: „Hier, da der Rucksack, die Uniform — das ist alles, was ich noch besitze. Geblieben ist nichts — nichts. Wirklich — ich frage mich — woher soll da noch der Mut zum Leben kommen?“

„Fragen Sie nicht woher. Leben Sie!**

„Wofür —? Wozu —?*'

„Haben Sie sich gefragt — in letzter Konsequenz gefragt ■— wofür Sie sterben sollten?“

„Vielleicht ist es leichter zu sterben, als zu leben!“

„Wenn man nicht nach dem Sinn fragt — gewiß! Doch da Sie leben, heißt es so vieles tun, heißt ein Chaos auflösen in friedliches Gleichmaß. Hören Sie — —

Durch die halboffene Türe dingt der hastige A.tero des schlafenden Kindes.

„Hunderttausend Kinder--“ sagte die

Fremde, „und wenn auch nicht das Ihre — hunderttausend Kinder leben. Sollen sie nicht einmal glücklicher sein — als wir? Sie wähnen sich am Ende — und wissen nicht einmal, ob es nicht erst der Anfang war. Leben Sie erst einmal, tun Sie, was der Tag von Ihnen verlangt, dann wird das Leben selbst Ihnen Antwort geben auf Ihre Frage: wofür, wozu?“

Und nach einer Pause des Schweigens sagt sie: „Der Raum, nebenan sieht nicht schön aus, er ist halb zerstört. Man kann zur Not darin wohnen. Wenn Sie wollen, können Sie bleiben. Es wird sie daraus niemand vertreiben. Es ist ein Anfang.“

Im Schweigen steht 'das rastlose Ticken • einer Uhr.

Der Kopf des Mannes ist auf die Brust gesunken. Die Fremde weiß nicht, schläft er?

Doch da beugt er sich tief und aus seiner Stimme klingt es wie verhaltenes Schluchzen.

„Ich danke Ihnen.“

Grau ist seine Uniform und zerschlissen.

Hager sein Gesicht und zerfurcht.

Aus dem Fenster fällt unermüdlich der Lichtschein in das Chaos der Trümmer.

Eine Uhr tickt und der Atem eines Kindes steht laut in der Stille.

Da ist ein Mann heimgekehrt.

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