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Digital In Arbeit

Geschichte vom Gewalttäter

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bleiben und sogar die Tür hinter mir zumachen, wenn ich wollte. Dieser erste Schritt aus Elend und Enge war mir wie ein Fest, und ich feierte es damit, daß ich mir eine neue Lampe kaufte für meinen Schreibtisch, mit dem schon erwähnten weißlichen Schirm. Auf diesen Schirm, so dachte ich, sollte A. D. etwas zeichnen. Er zeichnete ja seine Briefe eher als daß er sie schrieb, mit Tusche und feiner Feder zeichnete er Figuren, Landschaften, Symbole, ich las sie ab, und sie gingen mir zu Herzen als Sprache der Liebe in der Sprache der Kunst.

Und nun wollte ich eben diese Sprache der Liebe und Kunst als Zeichnung auf dem hellen Lampenschirm, durch den mir das Licht leuchten sollte, wenn ich nachts arbeitete und schrieb, denn in jenen Jahren konnte ich nur in der Nacht arbeiten und schreiben, denn über Tag mußte ich ja den Haushalt führen, kochen, einkaufen, kehren, waschen, putzen, den Garten jäten und immer so fort. Ich dachte: Wenn das Licht hinter dem Schirm leuchtet, wird es durch die Zeichnung ein ganz feines Schattengitter in den Raum streuen, und dieses Schattengitter wird auch über das Papier spielen, auf dem ich schreibe, ad über mein Gesicht und meine Hände, und wenn ich aufschaue, werde ich die Zeichnung sehen, von hinten durchleuchtet wie ein bemaltes Glas, und sie wird mir Tröstliches zustrahlen, auch Ernstes, Beharrliches, ein Versprechen und eine Lebensbotschaft.

So war es dann auch: A. D. zeichnete auf dem Lampenschirm, er zeichnete zwei Gestalten, einen Mann und eine Frau; der Mann ist ein Sämann und schreitet mit sicherem Schritt über die aufgebrochene Erde; die Frau steht still zwischen den schon sprießenden Pflanzen und hebt die hütenden Hände. Ich war damals etwas verwundert über die ruhige Selbstverständlichkeit dieser Motive, ich hatte mir etwas Dramatischeres, Ungebärdigeres erwartet. Aber ich merkte allmählich, daß so etwas nicht am Platz gewesen wäre auf dieser, jedermann sichtbar aufgestellten Lampe, und daß die Dauer nicht von der aufgeregten Empfindung, sondern von der ruhig inein-anderwebenden Gemeinsamkeit geleistet wird. So schien dann dieses Doppelbild auch viele Jahre auf meinen Schreibtisch und schien auf meine Arbeit und in den Raum, in dem ich lebte, fast unsichtbare Schattenspiele streuend über Wände, Schränke, Bücherrücken, eine immer gegenwärtige Ermutigung, ein leises Wispern hebender Gegenwart.

Das Weihnachtsfest soll auch dazu dienen, die zu Unrecht Vergessenen wieder ins Gedächtnis zu rufen. In diesem Sinne möchte die FURCHE an Max Meli und an die Neuauflage seiner Novellen in der Reihe „Wiederentdeckt“ des Grazer Styria-Verlages erinnern.

Es war längst finster geworden, die Bogenlampe beschien über die Anlage der Haltestelle hinaus einen trüben Kreis von winterlicher Leblosigkeit; einiges von schwarzen Bäumen und Zaunwerk zeigte sich mit dünnem Schnee armselig verziert.

Das Signal kehrte klappernd in die Station ein, da kamen sie angerückt, die Gendarmen mit dem Holzknecht. Sie hatten die Bajonette aufgepflanzt, ihm waren die Hände nach vorn geschlossen, sein Gesicht war noch von mächtiger Erregung dunkel gerötet und zerwühlt, es war, als ob alle Gewalt aus seinen Armen und seinem gewölbten Brustkasten dorthin gezogen hätte und zu einer gräßlichen Entladung aus den hervorquellenden und blutunterlaufenen Augen drängte. Etwas davon mochte vielleicht auch dem Genuß geistiger Getränke zuzuschreiben sein; jedenfalls, jetzt hatten sie ihn, den Gewalttäter, und jetzt wurde er keinem mehr gefährlich.

Er hatte schon mit ihnen zu tun gehabt. Diesmal würde der Umstand, daß er vorbestraft war, die Sache verschlimmern. Es war Samstag, nach der Lohnauszahlung, da waren einige von den Holzknechten ins Gasthaus eingefallen, dort saßen Bauernburschen, und man trank, rauchte und redete. Es ging über ein Mädel her, von dem freilich alle wußten, daß es nichts wert war. Sie hatte sich mit mehr als einem eingelassen. Sie war sehr jung, sie hatte jenes eine ganz Bestimmte, eine besondere Art von Blühen in ihrem Wesen, das brachte einem das Blut zum Sieden. Das hatte sie, dem war kaum zu entgehen. Ein Kind hatte sie bisher nicht bekommen. Und davon sprachen die Burschen, und es fehlte nicht an großem Gelächter und Spott, daß, wenn sie zu einem Kind käme, ein lebhafter Streit, wer dafür zahlen dürfte, entbrennen würde. Dem Holzknecht drang das Blut zu Kopf, und dann ging die Sache schnell vor sich. Der ältere Sohn vom Besitzer Umscha-den lag mit einem Messerstich auf dem Boden und wimmerte, der jüngere brach unter einem Faustschlag zusammen, die übrigen, darunter auch seine Freunde, die ihn zu bändigen trachteten, hielt der Rasende in Schach, bis zuletzt die Gendarmerie kam. Jetzt wars wieder aus für diesmal. Sie hatten ihn nach einer Stunde aus dem Gemeindearrest geholt, um ihn dem Bezirksgericht einzuliefern. Er war keineswegs ernüchtert

Der späte Zug schlich in die Station. Die Gendarmen strebten dem rückwärtigen Waggon zu, wohin sie der Schaffner wies, und nötigten den Häftling dorthin, die Schwellen und der Schotter klangen unter ihren Tritten. Sie faßten ihn unter den Ar-

men und halfen ihm die Stufen hinauf. Es war ein spärlich beleuchteter Wagen älterer Art, sie ließen sich gleich am Eingang nieder, und der Zug setzte sich langsam in Bewegung.

Der eine von den Gendarmen zündete eine Zigarette an. Im nächsten Bankabteü saß nur ein Fahrgast, ein älterer Bauersmann, der seine Pfeife rauchte; der erhob sich halb und lugte herüber. Nach einer Zeit wollte er sich vergewissern, was er da vorn gesehen, und erhob sich nochmals. Dann saß er wieder eine Zeit still, stand aber endlich auf und sagte unwillig im Vorübergehen: „Daher setzen mit dem Lumpen? Zu ehrlichen Leuten? Was wäre das für eine neue Weis?“ und ging hinaus. Die Wagen waren untereinander mit Stegen verbunden. Es schallte, da er die Tür öffnete, für einen Augenblick das stärkere Getöse des Zuges herein, denn auf der einen Seite der Strecke war unter der Waldlehne eine Mauer und die Fahrt ging schneller. Der eine Gendarm sagte hinter dem Mann drein: „Aber gehn S', für die eine Station!“ Dann lachten die beiden ein •wenig. Der geraucht hatte, langte seinem Kameraden eine Zigarette heraus: „Ja so! Du hast ja nix!“ und neigte ihm den Kopf zu, um ihm Feuer zu geben. Indem die Atemzüge das kleine Glimmen entfachten, ersah der Gefangene den Augenblick. Ein Fußtritt öffnete die Tür, der Bauer hatte sie nachlässig geschlossen, sie war nicht zugeschnappt. Schon stand er auf der Plattform, eine blitzschnelle Ausschau und Überlegung, zwei Tritte abwärts, und der Mann kollerte den Abhang hinunter, ein kleines Bündel über die dünne Schneedecke, die er mitschürfte. Das sahen die fluchenden Gendarmen noch, und schon nahm ihnen eine Baumgruppe am Rain und eine Wendung der Strecke die Sicht.

Das Geräusch des Zuges war längst verklungen, der Mann lag noch still. Dann begann er sich zu rühren und mit dem Körper zu arbeiten. Er war in einem Acker gelandet, die Furchen lagen voll Schnee. Er stemmte den Kopf an die gefrorene Erde, arbeitete die Knie herauf und brachte sich auf die Beine. Dabei überlegte er. Wohin konnte er gehen? Der beste Freund, den sein erster Gedanke suchte, einer, der ihm die Ketten abnahm und ihm in ein Versteck half, der hauste in einer Arbeitsbaracke; das war auf dem anderen Flußufer, fast bis zur Station mußte er zurückgehen und dann schauen, wie er über die Brücke und durch das Dorf kam. Entmutigt dachte er an den weiten Weg. Ein dumpfer Schmerz saß ihm im Kopf, Arme und Beine waren geprellt In

einem Hof auf halber Berghöhe war seine Schwester Magd. Der in solchem Zustande zu kommen, war eine schwere Sache. Und hier war der Berg gegen die Bahnstrecke langhin aufgemauert; es gab Durchlässe für die Wildbäche und daneben wohl irgendwelche Steige, aber wie kam er dort hinauf, auf glattem, steuern Boden, mit gefesselten Händen? Dennoch, es blieb kaum etwas anderes übrig, wenn er weder in der Richtung zur Station noch zur Kreisstadt gehen wollte; und das beides wollte er gewiß nicht,

Sein Gesicht war an einzelnen Stellen naß, und die brannten ihn; er hatte sich im Sturz die Haut aufgerissen, er versuchte sich an seinem Rock an der Schulter abzutrocknen. Doch das war nicht wichtig, er mußte nur weiter und aus dem Acker fort, auf dem schwer zu gehen war. Er fiel immer wieder hin und arbeitete sich fluchend und zähneknirschend auf. Wenn er nur einem begegnete, der ihm die Ketten abnahm! Das war alles, dann bekamen sie ihn nicht so bald. Auf der Straße träfe er wohl ir-gendwen an, auch zur Nachtzeit. Aber ob sich der gerade dazu bereit fand? Und ob er es auch konnte, ein Werkzeug dazu hatte und nicht eher zu fürchten war? Und wenn er zu einem Bauernhof hinschlich und darum bat? Drüben war schwach eine weiße Fläche über dem Gewirr dunkler Obstbäume zu sehen. Das war das Dach eines Bauernhofes. Nein, man konnte dorthin nicht gehen; sie würden es nicht tun.

Der schwere Gang auf dem Acker war überwunden, der Entsprungene hatte einen Fahrweg unter den Füßen. Er schritt aus und hielt die Hände an den Leib und an den Rock, damit die Ketten nicht so laut riefen; weniger, um sich in der großen, weiten Stille zu verhehlen, als aus Unwillen, daß er es hören mußte. Auf einmal sah er in einiger Entfernung vor sich ein Licht. Er konnte noch nicht unterscheiden, ob es aus einem Fenster drang oder was es sonst für eine Bewandtnis damit hatte, und es war mit einem Male eine Gewißheit in ihm: daß es zu seinem Weg gehörte und daß ihm dort die Ketten abgenommen würden. Er mußte sich sagen, daß eigentlich nichts war, was zu dieser Zuversicht berechtigte; aber er wollte dabei bleiben und hätte irgendeinen Grund für sein unversehens gehobenes Gefühl nicht anzugeben gewußt.

Indem er auf dem Fahrweg in der Richtung des Lichtes ging, bemerkte er, daß hier schon Leute gegangen waren; ihre Fußstapfen kamen von der anderen Seite des Ackers, und es war zu vermuten, daß das Vorhandensein des Lichtes mit ihnen zusammenhing. Der Himmel war freier geworden, die schweren, schwarzen Massen der Berge zeichneten sich deutlich dagegen ab, ein Stern stand darüber, der dünkte ihn hell und groß. Bald vermochte er zu unterscheiden: es war kein Bauernhof, auf den er zuschritt, es war wohl nur ein Kleinhäusler; er erinnerte sich nicht, hier jemals ein Gebäude bemerkt zu haben, oder hatte er es bloß nicht beachtet? Der Mann hielt nun an sich und ging langsam und vorsichtig. Wo das Licht herkam, das war der Stall des Kleinhäuslers, und der Schein drang aus der Stalltür, die nur zugelehnt gewesen sein mochte und sich dann doch geöffnet hatte. Es waren Menschen in dem Raum, der Flüchtling hörte es, ohne daß sie gesprochen hätten. Er näherte sich mit äußerster Behutsamkeit und suchte in den Stall zu spähen, ohne daß er in den Schein trat. Er sah: es war ein Paar da, ein junges Weib und ein Mann mit braunem Bart; sie hatten im ersten Abteil des Stalles die leere Krippe hervorgerückt, sie stand frei. Und sie hatten sie mit blankem Stroh gefüllt und ein Leinentüchlein darüber gebreitet, und darauf lag sorgfältig eingehüllt, ein neugeborenes Kindlein. Der Flüchtling betrachtete das junge Weib; es saß an der Krippe, vielleicht auf einer niederen Futterkiste oder Truhe, worauf auch ein Mantel und ein Rucksack abgelegt

waren. Ihr Gesicht unter dem geteilten Scheitel, den kein Tuch bedeckte, war sanft und klar, es stand kein Kampf und keine Sorge darin, nur ein unbewußter Frieden, aus dem auch all ihre Bewegungen kamen; sie hatte eben geprüft, ob die kleinen Händchen auch nicht zu kalt wären, und wärmte sie ein wenig in den ihren, dann sah sie zu ihrem Gefährten auf und führte ein Töpfchen zu trinken, das er ihr reichte, an den Mund, er hatte vielleicht eben gemolken.

Das Kindlein schhef mit erhobenen Fäustlein; es lag in einem starken Licht, von dem nicht zu sagen gewesen wäre, woher es kam. Der Spähende dachte darüber auch nicht weiter nach, er blickte nur auf das Kind; er sah die Fäustlein geballt, die doch nicht mehr Kraft haben konnten als Rosenblätter, und ihm schien immer gewisser, als ob dieses schlafversunkene und kleinwinzige Gesichtchen ihm etwas zu sagen hätte, was freilich mit Worten nicht auszudrücken wäre; und das Gefühl, daß das Kindlein ihm solche Aufmerksamkeit erwiese, ohne ihn zu sehen, reizte ihn zur Lustigkeit, und er hätte am liebsten behaglich herausgelacht; jedenfalls ging etwas wie ein Antworten durch seinen ganzen Körper, so daß sein Stehen ein bißchen unsicher wurde und seine Ketten klirrten. Da flog es wie eine Wolke über das schlafende Gesichtchen; eine Falte grub sich an der Nasenwurzel ein und die geballten Händchen zitterten leise. Fast schien es, als ob es aus dem Schlaf weinen würde; allein dann wich die Spannung, das Gesichtchen glättete sich, und um die geschlossenen, Augen und über die Stirne hin wurde es groß wie von Verheißung. Das sah der entsprungene Mann wohl, aber auch dem jungen Weib war es nicht entgangen. Es machte besorgt eine Bewegung des Horchens, aber der Mann wies beruhigend rückwärts, wo über . der Bretterwand für einen Augenblick das Haupt eines Rindes und eines Esels sichtbar wurden, die sich nach der ungewohnten Gesellschaft hereinwandten und dabei die Stallketten, an denen sie festgemacht waren, klingen ließen. Der Mann kraulte beiden Tieren den Kopf.

Der Lauscher aber kam wie aus großer Entfernung wieder in die wirkliche Lage zurück, in der er sich seit wenigen Stunden befand, und da erschrak er. Jetzt begriff er, was er getan hatte, und daß es alles Unsinn war und weit von der Vorstellung, die er von sich selber hatte, und was er im Leben wollte. Und da stand er nun in Ketten, und so sind die Handlungen der Menschen. Da hatte er Dinge getan, die mußten nun wieder ungeschehen gemacht werden, so wie man das eben kann; das lag nun als das Nächste vor ihm, er mußte ein Stück Lebensweg wieder zurück und mußte dann wieder anfangen. Er hätte laut aufstöhnen mögen; aber er durfte doch die Leute nicht damit, und schon gar nicht mit seinem Gesicht, das gewiß blutberonnen war, oder mit seinen Ketten erschrecken. Und dennoch: das Gefühl, das ihn hierher gezogen, es würde ihm hier jemand die Ketten abnehmen - seltsam, es blieb in unverminderter Stärke in ihm, er fühlte sich in nichts enttäuscht, und er hätte doch nicht sagen können, woher das kam.

Und so machte er sich leise los, drückte die Hände mit den Ketten fest an sich und ging. Ging, so wie viele auf Erden gehen. Und doch war es in ihm auch hellerund klarer, als es in vielen ist.

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