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Peter Anich, der STERNSUCHER

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20. Portsettang

„Dann ist er mein'Mann“, rief Peter und lachte so laut wie die anderen auch. Bei sich aber dachte er: Wenn sie mich auch zum Unrichtigen führen, der wird mir dann schon weiterhelfen.

Sie hatten indes die Herrengasse erreicht, und Peter erblickte nun ein langgestrecktes Gebäude, das wohl die Hohe Schule sein mochte. Die Burschen wurden auch merklich stiller, und als nun ein älterer Herr, wohl ein Kleriker, aus dem Hause trat, blieben sie zurück. Etliche verdrückten sidi audi rasdi. Der Mann aber trat auf Peter zu 'und fragte ihn scharf, was das1:' Geschrei bedeute und was er mit seinem Buckelkorb in der Herrengasse wünsdie. Die Fastnacht sei doch längst vorbei.

„Das will ich meinen“, sagte Peter, * „daheim blühn bereits die Kirschen, und der Türken ist schon unter der Erde. Aber ich bin auch nicht irgendwelcher Lustbarkeit wegen nach Innsbruck gelaufen, auch nicht, um mich mit den Herrn Studenten zu prügeln, sondern idi will den Herrn von Weinhart sprechen.“

„So, so, den Herrn Professor von Weinhart“, sagte der Mann und blickte das Bäuerlein ungläubig an, „ist Er zu ihm bestellt?“

„Wenn ich ihn nicht sprechen müßte, war ich ja nicht hier“, sagte Peter.

Der andere schüttelte den Kopf, und da die Burschen kicherten und neugierig näherkamen, sagte er rasch: „Er hat sich also selber bestellt. Der Herr Professor empfängt nur gelehrte Leute.“

„Das weiß ich“, sagte Peter, „und ich denke, was ich wissen will, ist audi so eine Wissenschaft.“

„So, so. Er trägt wohl die Bücher gleich in seinem Buckelkorb, oder“, sein Gesicht erhellte sich, „Er will wegen seiner Fischwässer daheim um Rat fragen, dann ist Er sdion auf dem rechten Weg.“

„Fischwässer hab ich keine“, sagte Peter darauf, „aber die Sternkunst ist audi nidit zu verachten.“

„Dann geh Er in den zweiten Stock in das neue Armarium physicum“, rief der Mann rasch und wie einer, der einen verzweifelten Fall loswerden will, „dort frag Er nach dem Professor.“

„Armarium physikum“, sagte Peter und zog andächtig den Hut, verneigte sich und betrat das Haus.

9. Kapitel

Ober einer eisenbeschlagenen Tür des

zweiten Stockwerkes stand in goldgelben Schnörkelbuchstaben „ARMARIUM“. Peter schneuzte sich und klopfte. Es rührte sich nichts. Er klopfte noch einmal und heftiger. Da auch dies Zeichen ohne Antwort blieb, tat er die Tür einen Spalt weit auf und stand vor einer Holztüre. Sein Herz besänftigte sidi wieder. Auch diesmal kam aber auf sein Pochen keine Antwort, so tat er auch diese Türe einen Fußbreit auf und blickte in den Raum. Er sah viele Glassdiränke, Stellagen und Kommoden an/den Wänden, auf den Tischen und über den Fußboden verstreut aber lagen Berge von dickleibigen Büchern und Papieren, audi standen seltsame hölzerne und eiserne Dinge umher, Waagen jeder Größe, Haken und Rollen mit Stricken, wie sie auch daheim auf dem Heuboden einen ähnlichen Aufzug hatten. Nur waren die hiesigen eher wie ein Spielzeug anzusehen. Die Stellagen waren neu und rochen stark nach Ölfarbe. Es sah aus, als sei einer eben erst eingezogen und mit dem Ordnen seiner Habseligkeiten beschäftigt.

Da er nun auf den Zehenspitzen unter den Dingen umging und sehr darauf achtete, daß er mit seinem Korb nichts beschädigte, entdeckte er eine mächtige Kugel, die in einem messingenen Gestell hing und sich, sobald man sie nur ein wenig antupfte, leicht drehen ließ. Kein Zweifel, er stand vor einer Erdkugel, wie sie der Brixnerische Schreibkalender beschrieben hatte, sah er doch inmitten einer noch kaum entwirrbaren Fülle von stärkeren und schwächeren Linien Länder und Städte aufgeschrieben, Österreich und Ungarn und Bayern und Preußen und Frankenland,

ganz winzig auch Tirol. Selbst die Stadt

Innsbruck fand er, wenn sie auch mit freiem Auge kaum sichtbar war, ein Pünktchen wie von einer Fliege hingesetzt. Der Durchmesser von kaum zwei Fuß erschien ihm denn jetzt für eine Erdkugel auch reichlich klein. Auch stand das kostbare Ding mitten in einem Haufen Papier, und eine dicke Staubschicht lag auf dem gelblichen Pergamente. Ich tat das künstliche Werk schon besser in Ehren halten, sagte er zu sich, hätt idi gar so mächtige Fenster daheim und einen so herrlichen Tisch.

Als er sich tüchtig umgesehen hatte, klopfte

er an die nächste Tür, und da er wiederum ohne Antwort blieb, stieß er sie weit auf. Das Zimmer, in das er nun trat, war geräumiger als das verlassene, auch schien es bereits aufgeräumt. Hinter den Glaskästen an den Wänden funkelte und gleißte es, als seien die unzählbaren Instrumente aus purem Golde. Kreise und Winkelmesser umfing sein staunender Blick, Kugeln und Kegeln und seltsame Gebilde von künstlicher Fügung, auch blitzende Gläser und Röhren aus Glas in allen Größen. An dem freien Teil der Wand aber, gegenüber dem Eingange, hing eine Landkarte. Peter hatte in seinem Leben noch keine vor Augen gehabt, doch dieses mit feinsten Stridien und Strichelchen bededue Papier war eine, das wußte er auf der Stelle. Diese Karte erregte seine besondere Aufmerksamkeit, ja sie sagte ihm nun erst recht, daß er nun endlich dort stand, wohin er sidi sein Leben lang gewünscht hatte. Er stellte den Korb auf den Boden und trat ehrfürchtig näher. Den fremden Mann hinter einem Stoß Bücher merkte er erst, als jener sich räusperte, dann freilidi stockte ihm das Herz, und er rührte sich so wenig, wie ein allzu fürwitziges Kaninchen vor der plötzlich auftauchenden Sdinauze eines Jagdhundes erstarrt.

Der nun hinter dem Bücherstoß auf-taudiende Mann war freilich genau.das, was er sich unter einem weitberühmten Professor der Meßkunst vorgestellt hatte. Hager und weißhaarig, von der Last des Wissens gebeugt, hantierte er mit den dickleibigen Schweinslederbänden, aus denen, sobald er einen anrührte, Staubwolken in die schräg einfallende Sonne stiegen wie der Rauch aus einem Dörrofen. Jetzt nahm er einen Packen Büdier und trug ihn zu einer Stellage. Da er dann aber zum Tisch zurückkehrte, schob er die Brille auf die Nasenspitze, beäugte den Eindringling und fragte endlich: „Was will Er?“

Diese Frage klang nicht gerade freundlich, und Peter hantierte eine Weile mit seinem Hut, dann sagte er: „Den Herrn Professor von Weinhart will ich sprechen.“

„Ist nicht da.“ Das war mehr geknurrt als menschlich geredet, Peter hingegen erklang es als eine gar süße Musik. Der knurrige alte Kerl war immerhin nicht der Professor. Der Alte hantierte indes weiter mit seinen Scharteken, trug die Bücher zu den Stellagen und legte sie, sobald eines nicht hineinpaßte, wieder auf den Tisch zurück, putzte dazwischen wiederholt die Brille, schlug auch ab und zu eines der Bücher auf und las ein wenig darin oder entnahm ihm ein Zettelchen und steckte es zerknüllt in die Tasche seines schwarzen Mantels. Er benahm sich in allem just nicht wie einer, der die Bücher so sehr liebt, wie Peter sie an seiner Stelle geliebt hätte.

„Den Professor von Weinhart sucht Er?“ brummte er dann plötzlich.

„Ja“, sagte Peter.

„Er ist nicht da, sag ich, was steht Er nodi herum?“

„Vielleicht kannst du mir verraten, wo ich ihn antreffen kann“, sagte Peter und trat einen Schritt näher. „Ich täte den löblichen Herrn recht sehr darum bitten“, setzte er rasch hinzu, „denn ich muß heut wieder zurück.“

„Heut ist er nicht mehr zu sprechen, sag ich Ihm.“ Der Mann tat jetzt einen Schritt gegen Peter, erblickte den Buckelkorb, stieß wie der Tiger darauf los, packte das zwischen den Stellagen und Büchern immerhin schändliche Ding, wog es einen Augenblick in den Händen und stellte es hart auf den Boden. „Heut nicht mehr!“ schrie er jetzt, „ich sag es Ihm doch schon hundertmall“ Uber den

Korb aber redete er kein Wort, er kehrte

überhaupt sogleidi zu seinen Büchern zurück und tat, als habe der Eindringling das Zimmer bereits verlassen.

Doch Peter verwunderte sich über das Gebaren des immerhin gelehrten Mannes allzusehr, als daß er jetzt von seinem Platz gewichen wäre. „Ist der Herr Professor vielleicht auswärts?“ fragte er nach einer Weile.

„Für Ihn ist er auswärts.“

Nun schwieg Peter, wie einer vor dem Richter schweigt, weil er den Urteilsspruch einfach noch nicht fassen kann. Er verwunderte sich bloß, daß der andere ihn einfach stehen und schweigen ließ und ihn nicht aus der gelehrten Stube verwies. Und da er nun schon ein wenig klarer überlegte, ob er nun am besten irgendwo im Hause einen freundlicheren Menschen aufsuchen sollte oder ob er den brummigen Alten bat, daß er ihn die ungeheuerlichen Dinge in den Schaukästen wenigstens ruhig besichtigen lasse und die Karten und Bücher dazu, während Peter also unsdilüssig stand, tat sich die Tür auf und ein jüngerer sdilanker Mann im Talar trat ein. Er trug einen Packen Papiere unter dem Arm, und zwei junge Leute, wohl Studenten, trugen ihm, der eine ein Kästchen, der andere eine lange schwarze Röhre nach. Der Priester aber blickte nicht nach links und nicht nach rechts und fragte den Weißhaarigen bloß im Vorübergehen: „Hat mich jemand gewünscht?“ *~

„Nein“, sagte der Alte, „es hat niemand nach dem Herrn Professor gefragt.“

Der Professor nickte und trat in das anstoßende Zimmer.' Die beiden Studenten folgten ihm artig. Der Röhrenträger schloß die Tür hinter sich.

Da der erste jähe Zorn noch mehr die Verwunderung über die Antwort des Alten ihn wiederum denken ließ, überlegte Peter, wie er nun dem ungeheuerlichen Alten beikam, ohne daß er ihn niederschlug. Er tat dies freilich schon reichlich erleichtert, ja fast heiter, denn er wußte nun den Professor nebenan und einen jungen, sicherlich weniger mürrischen, ja es schien ihm durchaus edlen Mann. Während Peter dies erwog, öffnete sich die Tür und einer von den beiden Studenten rief den Alten zum Professor. Er blickte dabei den jungen Bauern an, fand abqr wohl nidits daran, daß ein fremder Mensch um diese Stunde, einer mit einem Buckelkorb, da herumstand.

Peter tat einen tiefen Schnaufer und richtete sich auf wie einer, der sich vor einem Schlag geduckt hat. Er tat einen Schritt gegen den Ausgang hin, verhielt aber und trat rasch ans Fenster. Auf der Gasse standen noch seine Begleiter, die Studiosi, etliche hatten sich auch auf dem Eisengeländer niedergelassen. Sie warteten sichtlich auf ihn. Peter trat in das Zimmer zurück, stellte den Korb in eine Ecke und schritt langsam die Stellagen und Glaskästen entlang, bis er zur Landkarte kam. Unterhalb des mächtigen Kartenbildes stand eine sehr verschnörkelte Schrift. Sie war nicht leicht zu lesen, so viel aber brachte er bald heraus, daß es eine Tiroler Landtafel sei und von einem gewissen Burgklehner gefertigt in den Jahren 1608 bis 1611.

Eine gute Weile stand Peter ehrfürchtig staunend vor dem sdiier unergründlichen Gewirr von Stridien und Namen; ungeheuer künstlich war diese Landtafel aufgezeichnet, das ganze Land Tirol samt allen Bergen und Flüssen und Bächen und Ortschaften und Straßen. Sie alle trugen ihre Namen sauber aufgeschrieben, so daß einer auch nicht in die Irre gehen konnte, ja besagter Burgklehner war gewiß ein gewaltiger Meßkünstler gewesen, einer, der schon vor mehr als hundert Jahren gewußt hatte, wie man einen Berg oder einen Turm visierte und auf einem Blatt verzeichnete, und gewiß hatte er ein ganzes Leben an das künstliche Werk darangegeben.

Doch als Peter die Karte nun genugsam bestaunt hatte und den Schweiß von der Stirn wischte, diesen ehrfürchtigen und nicht wenig neidvollen Schweiß, daß es eine solche mächtige und künstliche Karte überhaupt bereits gab, und nun genauer zusah, wo da Innsbruck die Stadt verzeichnet stand, und dann seine Augen den Inn aufwärts spazieren ließ, da ward ihm gleich viel leichter ums

Hera. Wenn nimlich die anderen Tiroler

Landsdiaften so wenig mit der Wirklichkeit übereinstimmten wie die Gegend um Oberperfuß, gar was die Flüsse und Bädie betraf, so hatte jener Burgklehner wohl noch nidit die richtige Meßkunst besessen, wenigstens nicht jene, die Peter selbst im. Schädel trug und nodi mehr im Herzen. Nur die Berge standen halbwegs da, wo sie zu stehen hatten, aber auch sie konnten gleichzeitig für jeden anderen Berg im Lande stehn, so sehr einander ähnlich waren sie gezeichnet, so weit ab von den wirklichen Graten und Gipfeln.

Fortsetzung folgt

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