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Herr B. geht in den Ruhestand

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Es scheint zu den besonderen Eigentümlichkeiten unserer Tage zu gehören, daß äußere Umstände innerlich völlig ungeeignete und unvorbereitete Menschen in ein abenteuerliches Leben zu zwingen vermögen, seßhafte und in den engen Grenzen ihres Daseins zufriedene Menschen, die nun plötzlich, wider ihre Natur, ins Abenteuer geworfen, sich mit den untauglichen Mitteln der Unbegabten zu retten versuchen oder untergehen. Menschen, denen nicht die Möglichkeit der Entscheidung gegeben wurde, die, hinein- gestoßen in den Strom der Gehetzten und Vertriebenen, als reine Opfer angesehen werden können oder solche, die aus eigenem Antrieb, woher immer auch dieser seine Begründung nehmen mag, die Unsicherheit der Flucht ins Unbekannte ihrer lieben und gewohnten Sicherheit vorziehen mögen oder jene, welche aus Angst, eben diese Sicherheit zu verlieren, lieber völlig auf diese verzichten und — vielleicht bloß einem Gefühl d,es ersten Schreckens, einer Panikstimmung unterliegend, ein neues Leben versuchen, dem sie meist nicht gewachsen sind.

Es mag wohl die kleine Geschichte, die hier erzählt werden soll, geeignet erscheinen, für das eingangs Angedeutete als Beispiel zu dienen und als solches erwähnenswert sein, wenn auch das, was Herr Beutelmoser erlebt hat, gewiß weder eine besondere Ausnahme sein noch eine größere Bedeutung haben dürfte, als viele Tausende ähnlicher und vielleicht betrüblicherer Schicksale.

Et fiatte nie das, “fraä man gute Nerven nennt, der Herr B. — Vielleicht, weil er als Junggeselle zuviel Zeit für sich erübrigte. Schon in den friedlichen und ruhigen Tagen, wenn er mit seinen Freunden beim abendlichen Tarock in einem kleinen Wiener Vorstadtcafe saß, konnte ihn eine falsch ausgespielte Karte in übergroße Aufregung versetzen. Er liebte sehr eine gewisse Ordnung, war ein ehrenwerter und braver Mann mit Idealen und erfüllt von einer treuen Liebe zu dem Lande, in dem er geboren worden und in dem seine Familie seit vielen Generationen gelebt hatte. Es waren kleine Leute gewesen, die aber, ohne allzuviel Sorgen, als eben jenen, die der Alltag bringt, ihr stilles und anständiges Leben geführt hatten. Es lebte in Herrn B. auch noch jene gewisse Großzügigkeit, wie sie den Bewohnern eines Landes zukommt, das viele und verschiedensprachige Völker vereint und von den schneebedeckten Gipfeln der Alpen hinunterreichte bis zu den südlich-heißen Küsten der Adria. Denn die ersten Eindrücke seiner Jugend gab ihm noch das alte und weite Oesterreich, dessen Zerfall er zwar am eigenen Leibe erfahren mußte, das er aber unsichtbar und unbewußt in sich trug, nachdem er längst schon an seine klein gewordene Heimat sich gewöhnt zu haben meinte. — Als Zollbeamter, im Innendienst verwendet, hat Herr B. seine Arbeit immer mit großer Hingabe und Gewissenhaftigkeit versehen. Ohne von irgendwelchem nennenswertem Ehrgeiz erfüllt zu sein, war er bei seinen Vorgesetzten und Kollegen gerne gesehen. Man überging es daher mit leichtem und gutmütigem Spott, der nicht kränken sollte, wenn er manchmal, nur durch kleine und unbedeutende Ursachen. wie etwa einen nicht ganz ordnungsgemäß behandelten Akt oder eine unbeabsichtigte Unordnung auf seinem Schreibtisch, in einen Zustand nervöser Gereiztheit geriet.

Nur einmal hätte es Herrn B. fast seine Stellung gekostet, als er seinem Vorgesetzten, einem aus Deutschböhmen stammenden Hofrat, der sich ihm gegenüber in bösartig-spöttischer Weise über die Regierung und deren von Gestalt etwas kleinen Chef geäußert hatte, das Bündel Akten, statt es fein säuberlich zur Unterschrift vorzulegen, fast an den Kopf warf. Er war kein Kämpfer, der Herr B., und daher meldete er tuch diesen Zusammenstoß mit dem Herrn Hofrat, von dessen Gesinnung man ia allerhand munkelte, nicht der zuständigen Stelle. Nachdem die erste Aufregung vorüber war und sich seine Nerven beruhjgt hatten, wartete er nun in jener verlegenen Defensive, die Menschen vom Schlage des Herrn B, eigentümlich ist, was gegen ihn geschehen werde. Es geschah aber nichts. Denn der Hofrat war klug genug, die Angelegenheit, die sich unter vier Augen abgespielt hatte, nicht weiter zu erwähnen.

So ging alles seinen gewohnten Gang, bis eines unschönen Tages, im März des Jahres 193 8, Herr B. den Staat zertrümmert sah, dem er so gerne gedient hatte… Den ersten Tag ist er dann noch in sein Amt gegangen, wo ihn ein Teil seiner Kollegen höhnisch und der größere Teil ängstlich und bedrückt mit erhobener Hand begrüßten. Gegen Mittag wurden dann alle zu dem Herrn Hofrat gerufen, der sie, als Herr der Situation, in eine schon längst bereitgehaltene Parteiuniform gekleidet, mit dem nun üblichen Gruße empfing. Herr B. hatte seine Hände fest in den Hosentaschen verkrampft, einerseits um nicht den ihm verhaßten Gruß leisten zu müssen — wozu ihn eine angeborene Beamtenfolgsamkeit leicht hätte zwingen können —, anderseits aber auch, um das Zittern seiner Hände zu verbergen, das ihn, den von ohnmächtiger Wut und tiefem Leid Erfüllten, überfallen hatte. Er hörte nur unklar, von fernher, wie der Hofrat von dem gerechten Gericht sprach, das alle jene treffen werde, die sich zu Knechten der nun erledigten Regierung hergegeben hätten.

Am selben Abend ist Herr B., mit seiner geringen Barschaft in der Brusttasche, über die Grenze gegangen. Ein früherer Kollege, der gerade an jenem Orte seinen Dienst yc ąh und innerlich treu geblieben war, hat ihn auf Seiten- pfaden über die tschechische Grenze gebracht.

Und nun begann für Herrn B., den ordnungsliebenden und an die pünktliche Tageseinteilung gewohnten Beamten, ein Leben, ungewiß, ungenau und voll Unruhe. Erst ging es noch einigermaßen, da er, wie fast jeder Bewohner seiner Heimatstadt, in Böhmen Verwandte hatte. Bei denen wohnte er eine Zeitlang. Immer hoffend, bald wieder in seine befreite Heimat zurückkehren zu können. Leicht scheint das Leben bei den Verwandten für ihn ja nicht gewesen zu sein, wie man aus Briefen, die er damals an einen seiner Freunde schrieb, entnehmen konnte. Denn politische Gegensätze innerhalb der Familie brachten täglich Unfrieden und Streit. So kam es, daß er eines Tages seinen Rucksack packte, kurz Abschied nahm und weiterwanderte. In Prag fand er bei einem Komitee einige Hilfe. Nebst einer kleinen Unterstützung, die ihm ein ganz bescheidenes Leben ermöglichte, bekam er auch Adressen anderer Flüchtlingsaktionen in den verschiedenen Ländern. Er schrieb nun unzählige Briefe. Die Postmarken für diese Korrespondenz bekam er von hilfsbereiten Menschen geschenkt oder er sparte sich das Geld von seinen kärglichen Mahlzeiten ab. In einem kleinen ungeheizten Mansardenstübchen eines Hauses der Prager Altstadt hatte man ihm ein Quartier zugewiesen. Aber immer noch hoffte er, daß ein Weiterwandern nicht notwendig sein werde, und träumte davon, bald wieder in seinem geliebten Amtszimmer sitzen zu können, und daß all das, was sein Land und ihn so schwer getroffen hatte, wie ein böser Alptraum vorübergehen werde. Auf viele seiner Briefe bekam er auch Antworten. Meist brachten sie neue Adressen, manchmal auch Hinweise auf die ihm wohlbekannten Schwierigkeiten der Unterbringung von Flüchtlingen im allgemeinen und im besonderen. Vereinzelt auch gewisse Hoffnungen, die aber, mit vorsichtigen Klauseln versehen, eigentlich doch nicht recht als Hoffnungen angesprochen werden konnten. Seine etwas fadenscheinig gewordene Bekleidung war er mit viel Geschick bemüht, in Ordnung zu halten, und wenn er, die Hände am Rücken, mit kleinen, bedächtigen Schritten durch die Anlagen ging, so hätte man ihn für einen frühzeitig in den Ruhestand getretenen Re?m -en halten können, wie ja nicht wenige •lie Gärten der c -adt bevölkerten, über we’che die milde Sonue des Vorfrühlings schien. Bald ein Jahr war nun schon seit seiner Flucht vergangen. Oft stand er auch auf einer der vielen Brücken und sah in das Wasser der Moldau. Das beruhige ihn — so schrieb er in einem der Briefe an seinen Freund — und erwecke die Erinnerung an die Zeiten seiner Kindheit, an das Scbreber- gartenhäuschen, das seine Eltern sich am Ufer der Alten Donau gezimmert hatten. Donau… Er war für solche Worte sehr empfindlich geworden. Die kreisten dann in seinem Kopf herum, daß ihm ganz schwindlig wurde. Das wird wohl so etwas wie Heimweh gewesen sein.

Dann kamen wieder Tage der Unsicherheit und man riet ihm, das Land bald zu verlassen, da man nicht wissen könne, was die nächste Zeit bringe. Aber — wohin sollte er denn? — Immer neue Briefe schrieb er, füllte Fragebogen um Fragebogen aus, fein säuberlich in seiner braven Beamtenschrift, die aber doch schon ein wenig zittrig geworden war, und — wartete, wartete…

Eines Tages traf er im Vorzimmer des Hilfskomitees eine Dame. Sie war gleich ihm aus Wien geflohen, um nun hier auf die Weiterreise nach England zu warten. Von ihr bekam er eine Adresse in Polen. Wiederum schrieb er einen jener Briefe, deren Inhalt sich fast immer gleichblieb und in etwas trockenem Amtsstil seine Lage darlegte. Einige Tage darauf bekam er Antwort: er könne kommen und für unbeschränkte Zeit auf dem Landgut, das der Schreiberin des Briefes gehörte, leben. Wenn er dem Verwalter ein wenig bei der Führung der Bücher behilflich sein wolle, so wäre es recht.

Erst konnte er sich über diese gute Nachricht nicht recht freuen, so erregt war er. Immer wieder mußte er den Brief lesen. Die Brillengläser waren angelaufen, da die Aufregung ihm den Schweiß aus den Poren trieb. Vielleicht aber waren es auch Tränen.

Drei Tage nach seiner Abreise nach Polen erfolgte der deutsche Einmarsch in Prag.

Für ihn aber, der auf dem polnischen Landsitz freundlich aufgenommen worden war, kamen nun schöne, friedliche Tage. Der Verwalter des Gutes hatte ihm in die Schreibstube einen Tisch stellen lassen und war bemüht, ihn ein wenig mit der polnischen Sprache vertraut zu machen. Ansonsten aber vertiefte sich Herr B. in alte Kassenbücher, revidierte Seite für Seite die längst schon abgeschlossenen und überholten Eintragungen und war glücklich. All sein gewohntes Arbeitszeug hatte er in der Schreibstube vorgefunden und fein säuberlich auf seinem Tisch geordnet: Papier aller Art, Federn und passende Stiele, Tinten, schwarze und rote, Federmesser, Radiergummi, Lineale, eine Löschwiege und sogar einige Stampiglien. Er soll damals schon ein wenig wunderlich gewesen sein.

Als er einmal gerade einen dickeren und einen dünneren Strich unter die Endsumme einer Rechnung gezogen hatte, geschah es, daß die ersten deutschen Flieger über der Ortschaft und dem Schlosse ihre Bomben abwarfen. Denn der Krieg und der Einfall derer, die Herrn B. aus seiner Heimat vertrieben hatten, war plötzlich, über Nacht, gekommen.

Und als alles zur Flucht sich rüstete, da verpackte er mit zitternden Händen all das ihm so liebe Arbeitszeug in seinen Rucksack, ja selbst die altmodische Löschwiege wollte er nicht zurücklassen, als würden diese Talismane ihn beschützen. — Mit Wagen, Bahn und auch viel zu Fuß trieb er nun mit dem immer größer werdenden und immer von neuem weitergehetzten Strom der Flüchtlinge durch das zerstörte Land. Ein Bart war ihm gewachsen, sein Gewand zerschlissen und beschmutzt. Nach langen Irrfahrten gelang es ihm, über die Grenze nach Rumänien zu entkommen. Halb verhungert, die Füße wundgelaufen, auf seinem schmerzlich gekrümmten Rücken aber immer noch den Rucksack mit dem sorgsam bewahrten Inhalt. Wie er dann, nach kurzer Ruhepause, auf einem durch das Schwarze Meer nach Istanbul fahrenden Dampfer geraten war, ist nicht bekannt. Man erzählte bloß, daß Herr B. in Istanbul ausgeschifft wurde. Er soll damals nicht mehr viel gesprochen haben. In einer alten Baracke, mit anderen Flüchtlingen einquartiert, hat er selbst in der Nacht sich von seinem Rucksack nicht trennen wollen. Manchmal soll man ihn noch auf der Galatabrücke gesehen haben, den Rücken eebeugt. in das Wasser des Bosporus starrend. — Mag sein, daß er dann wieder von seiner Kinderzeit an der Donau träumte . ..

Eines Morgens hat man seine Leiche gefunden, zusammengesunken bei den Trümmern eines verfallenen Hauses, vor sich, auf einem Balken ausgebreitet all seine Schreibutensilien und einen Bogen altes, zerknittertes Papier. Auf diesem stand in zittriger, kaum mehr leserlicher Schrift: „Endesgefertigter hat mit bestem Wissen und Gewissen seine Pflicht getan und bittet ergebenst, ihn in den Ruhestand versetzen zu wollen…”

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