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Erlebte Offenbarung

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Jetzt wäre er, der Dichter Reinhard Johannes Sorge, gerade fünfundfünfzig Jahre alt, wenn er nicht schon mit vierundzwanzig Jahren ein Opfer des ersten Weltkrieges geworden wäre. Zwischen den beiden Weltkriegen ist sein Name ziemlich vergessen worden, nicht gerade zufällig, denn er gehörte zu jenen, die das verflossene Regime als untragbar bezeichnete: er war ein gläubiger Katholik, ja noch mehr: er war Katholik geworden, er, das Kind streng protestantischer Eltern, er, der glühende Verehrer Nietzsches. Grund genug, ihn zu ächten ...

Sein allzufrüher Tod ließ ihm nur wenig Zeit zum Schaffen, kaum fünf — sechs Jahre. In diese kurze Zeit drängt sich ein Lebenslauf, der zu einem ergreifenden, erlebten Roman nicht eines, sondern zweier Menschen, die das Schicksal nebeneinander stellte, wird. Wir kennen diesen Roman. Sein Beginn fällt in eine Epoche, die dem ersten Weltkrieg knapp voranging ...

Im August 1911 blättert ein junger Mann im Lesesaal des Volkshauses in Jena in den verschiedenen Tagesblättern, dann greift er nach einer der vielen auf dem Lesetisch ausgebreiteten Zeitungen, in dem Augenblick aber tut das auch ein junges Mädchen. Beide lächeln, sie wechseln miteinander einige Worte, später kommt es zu einer regelrechten Konversation und abends verließen sie dann gemeinsam den Lesesaal. Bis ein Uhr nadits gehen sie in den Straßen herum, denn sie haben sidi so viel zu sagen, daß sie damit gar nidit fertig werden können. Er schwärmt für Nietzsche und ist glücklich, jemanden gefunden zu haben, dem er sein Herz ausschütten kann. Am nächsten Tag begrüßt er das Mädchen mit einem unter dem Eindrucke der ersten Begegnung geschriebenen Gedichte.

Ein Jahr später drängt der junge Dichter eine Behörde nach der anderen, um seine Großjährigkeitserklärung zu erlangen, denn er will das Mädchen heiraten. Sein Ansuchen wird abgewiesen, die Verwirklidiung seines

Traumes bleibt einer späteren Zeit vorbehalten ... Bishfn verbringen sie gemeinsam die Abende und die Sonntage ... Sie lesen gemeinsam Shakespeare, Ibsen, Hermann Bang und Maeterlinck, Knut Hamsun und Strindberg. Ihr größtes Interesse wendet sich aber vor allem Strindberg und Dehmel zu. Und natürlich Nietzsche. Die literarische Tätigkeit und die Beschäftigung mit der Literatur nimmt fast seine ganze Zeit -in Anspruch. Rechtsmäßig gehört er noch in die Schulbank, als er sein erstes Drama beendet. Er überlegt nicht lange, reist nach Berlin, um dort sein Manuskript bei einem Verleger einzureichen. Unterwegs macht er die Bekanntschaft eines Künstlers, dessen finanzielle Lage es ihm ermöglicht, die Rolle eines Mäzens zu spielen und er setzte ihm ein Stipendium aus ... Den zwanzigsten Geburtstag feiert der Dichter im Familienkreise seines Mäzens. Als er einige Zeit später in seiner Heimat eintrifft, erreicht ihn ein Brief des Berliner Fischer-Verlages. Darin die Mitteilung: Der Verlag ist mit Freuden bereit, sein Werk herauszubringen und dahin zu wjrkcn, daß es durch die „Freie Bühne“ aufgeführt wird. Im Briefe noch eine Feststellung der Verlagsleitung: Selten hat sidi das Talent eines Dichters schon in seinem ersten Werke in so eindeutiger Weise geoffenbart wie in diesem Falle ...

Die schönen Worte werden durch eine Tat unterstrichen. Der Verlag verpflichtet sich, dem jungen Diditer durdi drei Jahre monatlich 150 Mark zu zahlen als Vorschuß auf sein Ertlingswerk. Es ist ein in Versen gesdiriebenes Drama und trägt den Titel: „Der Bettler“...

Noch aus Berlin schreibt er Susanne — dies ist der Name des Jenaer Mädchens — die charakteristisdien Worte: Immer ist es mein Ziel, zu Dir so gereinigt zurückzukehren, daß idi reiner und innerlicher vor Dir erscheine, als ich bei unserer Trennung war.

Er reist dann an die Nordsee, um sich dort einige Tage der Ruhe zu gönnen. Und in der hier gefundenen Ruhe, in der inneren Vertiefung und den seelischen Kämpfen, ist sein Leben plötzlich an einem Wendepunkte angelangt. Er sdireibt dem Jenaer Mädchen: Mir kommt es so vor, als ob ich jetzt ganz schweigen müßte. Du wirst sehen, daß die Zeit sich nähert, in der Du Dich mir ganz anglcidien wirst. Ganz in der Stille bitte ich Didi: Bereite Dein Herz vor, daß es heilig werde und alles empfange ... Ein ganz großes Gefühl kommt über sein Herz, fast könnte man von einer göttlidien Offenbarung spredien.

Von diesen Gefühlen spradi er nur selten — sdirieb Susanne Er war allein an der See und hatte das Gefühl, daß ihn Nietzsche nicht mehr weiter zu führen vermöge und niemals mehr ihn befriedigen könne. Und er, der sich bisher nodi niemals mit einem Gedanken an Christus und an die Kirche gewendet hat, erkennt plötzlich die christliche Wahrheit — und glaubt an sie. Von diesen Tagen in Norderney an, seit der erlebten Offenbarung, las er moderne Literatur nicht mehr.

Die Bibel ist audi für ihn d a s Buch geworden. Dem Neuen Bund, den Apostelbriefen und vor allem Paulus wendet, sich sein Interesse zu. Er empfindet die Notwendigkeit, seine Rückkehr in die Kirche, das Zurückfinden zum Glauben auch äußerlich zum Ausdruck zu bringen: an Sonntagen geht er in Susannes Gesellschaft in die Kirche.

Seine literarische Tätigkeit bereicherte die deutsdie Literatur um ein neues Werk: Gericht über Zarathustra. Der Titel ist zugleich der in drei Worte komprimierte Inhalt des Werkes. Er nennt ihn eine Vision. In dieser Vision rechnet er mit Nietzsches Philosophie ab.

Noch im September dieses Jahres wird ihm der bedeutendste deutsche Literaturpreis, der Kleist-Preis, zuerkannt. Mit diesem Preise war eine Seereise nach Italien auf einem Dampfer des Norddeutsdien Lloyd verbunden. Bis zum Antritt der Reise arbeitete er fleißig an einem Versdrama, das unter dem Titel „Guntwar“ erschien. Im Jänner 1913 wurde er einundzwanzig Jahre alt und damit großjährig. Nun konnte er das Jenaer Mädchen heiraten, das er schon seit eineinhalb Jahren kannte und liebte. Im nächsten Monat fand die Trauung statt. Ihre Hochzeitsreise führte sie auf dem Dampfer des Norddeutschen Lloyd nach Italien. Die erste Zwischenstation war Antwerpen. Sie besuditen die Stadt, auch die Kathedrale.. Sie war die erste große katholisdie Kirche, die Sorge in seinem Leben besucht hat.

In Rom fühlte er sich am meisten durch die Peterskirche beeindruckt. Er kaufte Büdier, um die Zeremonien und die Messe verstehen und die einzelnen Phasen derselben verfolgen zu können. Seine Frau trug ,einmal in ihre Aufzeichnungen diese Bemerkung ein: „Als ich ihn während einer Messe das erstemal niederknien sah, wußte ich, wohin ihn sein Weg führen wird. Ich bereitete mich vor, ihm folgen zu können. Aber mit keinem Wort maditen wir über die Möglichkeit einer Bekehrung Erwähnung.“ Während der Karwoche wohnen sie täglich der Messe in der Sankt-Peters-Kirche bei. Als sie Rom verließen, ging er noch einmal dorthin, um von ihr „Abschied zu nehmen“. Dann besuchte er einen Pater des Salesianerordens. Das erstemal spradi er damals mit einem kathojischen Priester. Er trug sein Anliegen vor: er möchte zur katholischen Kirche übertreten. Jetzt erlebte er eine große Enttäusdiung. Immer schon hatte er von geradezu gewaltsamen Bekehrungsmethoden katholischer Priester gehört, so daß er sicher war, mit offenen Armen empfangen zu werden. Der Salesianerpater nahm aber Reinhard Johannes Sorges Ankündigung mit ziemlidier Kühle auf und riet ihm, seine Absidit noch einmal zu überlegen, besonders seine Seele neuerlich und gründlich zu erforsdien. Er möge bis Herbst warten. Sollte er auch dann noch den unabänderlichen Wunsch haben, Katholik zu werden, dann solle er wieder nadi Rom kommen.

Der Dichter kehrte mit seiner Frau nach Jena zurück. In dem streng protestantischen Hause der Eltern wurde die Bekehrungsabsicht des Sohnes mit großer Trauer aufgenommen Aber er blieb bei seinem Entsdiluß. Zweimal wöchentlich .besuchte er in Begleitung seiner Frau einen katholischen Priester, der ihnen Unterricht in der katholischen Religion erteilte. Im September wurde dann ihre Rückkehr in die Kirche vollzogen. Bald darauf folgte eine neuerliche Reise nach Rom, wo sie unvergeßliche Tage verbrachten. Von hier kamen sie in die Schweiz, wo sie dann ihren ständigen Wohnsitz aufzuschlagen beabsichtigten. Der Dichter wird ein wahrer Apostel des Katholizismus, in seiner Seele brennt eine tiefe Liebe für den Heiland, die er mit seiner wunderbaren suggestiven Kraft auch in andere zu verpflanzen versucht.

Sorge arbeitet jetzt sehr fleißig. Ein Werk nach dem anderen entsteht. Innerhalb von vierzehn Tagen schreibt er ein großes Drama über König David. Aber auch in seinem apostolischen Wirken wird er nicht müde. Er ist glücklich, wenn er Christus eine neue Seele gewinnen kann. Auch die eigene Familie, vor allem seine Mutter, führt er dem Katholizismus zurück. Er vermag auch auf eine so starke Individualität wie Dehmel eine starke Wirkung auszüben. Dehmel stand damals schon seit 23 Jahren abseits von der Kirche. Und jetzt schreibt er Sorge, daß der Christ in ihm nodi immer lebt. Wenn er sich einer Kirche anschließen würde, so wäre diese sicher die katholische.

Da bricht der erste Weltkrieg aus. Die literarische Arbeit befriedigt den Dichter nicht mehr. Seine Seele wird von einem heimlidien Verlangen erfüllt: ganz Gott zu leben, ihm zu dienen. Das Endziel seines Lebens erblickt er im Mönchstum. Er ist verheiratet, Vater eines Kindes, trotzdem ... Er ist sicher, daß seine Frau bei der Verwirklichung seines Zieles kein Hindernis sein wird. Im Kolleg Mariahilf von Schwyz absolviert er den Philosophiekurs, der dem theologischen vorangehen muß. Aber der Krieg vereitelt seinen Plan. Auch er rückt ein und kommt ins Feld, wo er das Schicksal Hunderttausender früh Gefallener teilt. Nach seinem Tode fand man in seiner Brieftasche ein von ihm verfaßtes Gebet. Darin der Satz: Nur um eine Gnade bitte ich dich, o Herr! Lasse mich lieber sterben, bevor ich sündige ...

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