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Das Urteil wird jetzt vollstreckt...

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Sooft ich heute bei Ausrichtung meines Dienstes im Parterre des E-Traktes an der niedrigen und schmalen Zellentür Nr. 40 vorübergehe, stehe ich einen kurzen Augenblick stille. Den Augen aller anderen unsichtbar, leuchtet dort für mich oberhalb der Türschwelle in goldenen Lettern das Wort des Herrn aus der Bergpredigt auf: „Gehet ein durch die enge Pforte. Denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis abführet, und ihrer sind viele, die darauf wandeln. Und die Pforte ist enge und der Weg ist schmal, der zum Leben führet; und wenige sind ihrer, die ihn finden."

Hanns Georg Heintschel-H einegg hat hier die letzte Etappe seiner vier Jahre, vier Monate und zwölf Tage währenden Gefangenschaft zugebracht. Am 23. Juli 1940 wurde er mit anderen führenden Mitgliedern der Oester- reichischen Freiheitsbewegung verhaftet. Bis 5. Oktober wurde der junge österreichische Dichter und Theologiestudent auf der Roßauer Lände der polizeilichen Voruntersuchung unterworfen. Dann wird er dem Landesgericht überstellt. Der Weg bis zur Hauptverhandlung vor dem Volksgerichtshof in Wien am 22. und 23. Februar 1944, bei der das Todesurteil gefällt wird, ist endlos weit. Auf diesem Wege liegen seine Leidensstationen: Anrath, ein Zuchthaus, nicht weit von der holländischen Grenze, und Krefeld, dann nochmals Anrath, und schließlich wieder Wien.

Die Persönlichkeit des jungen katholischen Theologiestudenten und österreichischen Dichters Hanns Georg von Heintschel-Heinegg soll dem Leser durch einen Blick in die Einleitung der von seinem Freund herausgegebenen Gedichtsammlung „Vermächtnis“ nahegebracht werden. Wir erfahren, daß Hanns Georg von Heintschel- Heinegg am 5. September 1919 auf Schloß Kneschitz im Böhmerwald geboren wurde. In schöner Sprache läßt Engerth die Entwicklung des Knaben zum Manne an uns vorüberziehen. Wir nehmen teil daran, wie der Gymnasiast des Theresianums Wien mit seiner historischen Bedeutung’, mit seiner Kunst und Kultur erlebt, wie sich in dem Häusermeer die Sehnsucht nach den Tagen seiner frühen Kindheit, nach dem Rauschen der großen Wälder, nach Wiese und Acker, nach der breiten Treppe des väterlichen Hauses im Schloß zu Kneschitz, in der Frage an die Großstadt äußert:

Kannst du denn Heimat sein Uns armer Schar, Mit deinem Herz von Stein Und Staub im Haar?

und wie sich dann doch wieder der schönheitsdurstige Sinn des Heranreifenden der bunten Welt des Wiener Barocks erschließt, wie der Siebzehnjährige sich mit seinem gleichaltrigen Freund in der Begeisterung für Meisterwerke der Dichtkunst, für die ganze reiche Welt der „Loris“-Poesie, für Rilke und Stefan George, sich findet. Wir geben Engerth das Wort: „Zugleich mit diesen Beschäftigungen reift in ihm der Entschluß, Priester zu werden, Gott am Altar zu dienen und den leidenden Mitmenschen seine Gnaden zu vermitteln. Dieser Entschluß wird im schmerzlichen Ringen mit manch anderem Wunsch, mit mancher Lockung und den Anfechtungen der eigenen Schwachheit durchgesetzt. Am 2. Oktober 1937 tritt er in das ehrwürdige Canisianum in Innsbruck ein."

Zelle E-40. „Gehet ein durch die enge Pforte ... !" Als ich sie das erste Mal am Donnerstag, den 20. April 1944, betrat, stand ich drei jungen Männern gegenüber: Der eine war Hanns Georg von Heintschel-Heinegg, der zweite Ignaz Kühmayer, Kaplan, geboren am 9. Juni 1912 in Groß-Strodau, und der dritte Josef Christoph, katholischer Theologiestudent, geboren am 4. März 1921 in Wien. Irgendwie hatten sie erfahren, daß ich jedem Gefangenen, der es haben wollte, ohne Unterschied des religiösen Bekenntnisses, der Weltanschauung und der politischen Gesinnung zur Verfügung stand. Sie sahen mich zum ersten Male. Ihre Augen waren weit aufgetan. Ich spürte es beinahe körperlich, wie sie mich mit ihren Blicken abtasteten. Mein Gruß „Grüß Gott!“ kam als dreifaches Echo zurück Schon nach wenigen Minuten fanden wir zueinander als „die Unbekannten und doch bekannt" (Kor. 6, 9).

Es entwickelte sich einerseits zwischen den „drei Männern im Feuerofen" und mir, anderseits zwischen mir und ihren Angehörigen ein lebhafter Verkehr. Abwechselnd erschienen in meiner Wohnung die Mutter des Hanns Georg, Frau Betty von Heintschel-Heinegg — übrigens meine Glaubensgenossin —, die Schwester des Kaplans, Fräulein Maria Kühmayer, und der Vater des lieben Josef, und legten allerlei zur Kostaufbesserung für ihre Sorgenkinder in meine Hände. Zwischendurch wurden auch schriftliche Grüße ausgetauscht zum Beweis dafür, daß die Liebe auch durch verschlossene Kerkertüren noch immer einen Weg weiß, und bei der Vermittlung begehrter Literatur wurde auch Zufuhr geistiger Nahrung nicht vergessen. Selbstverständlich nahmen unsere Gespräche in der Zelle Nr. 40 mitunter auch einen Flug zur Höhe, und neu gestärkt konnte man dann wieder das Grau des armseligen Daseins im Alltag er tragen. Zu den schönsten Stunden aber zählten in der Zelle 40 jene Begegnungen, bei denen wir über alle konfessionellen Schranken hinweg unsere Zusammengehörigkeit nach den Worten des gemeinsamen Meisters (Joh. 13, 34f) erleben durften: „Ein neu Gebot gebe Ich euch, daß ihr euch untereinander liebet, wie Ich euch geliebt habe, auf daß auch ihr einander lieb habt. Dabei wird jedermann erkennen, daß ihr Meine Jünger seid, so ihr Liebe untereinander habt.“

Ignaz Kühmayer und Josef Christoph sind dem Tode entronnen. Christoph wurde am Samstag, den 29. Juli 1944, begnadigt. Kühmayer hat in seinem Buche „Auferstehung" seine abenteuerliche Flucht auf dem Todesmarsch nach Stein kurz vor dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft geschildert. Hein- tschel von Heinegg aber mußte für seine Ueber- zeugung sterben — sterben in zwei Etappen. Er ging am 10. Mai 1944 den vermeintlichen und am 5. Dezember 1944 den wirklichen Weg zum Tode. Der Leidenskelch der Todeserwartung in den letzten Stunden vor der Hinrichtung wurde ihm zweimal gereicht.

Der vermeintliche Weg des Todes

Als die Welt in der Blütenpracht des Frühlings prangte, am 10. Mai 1944, wurden um 9 Uhr die für 18 Uhr zum Sterben bestimmten Häftlinge aus ihren Zellen geholt und auf die Armensünderzellen aufgeteilt. Unter ihnen war diesmal auch Hanns Georg Heintschel-Heinegg. Schnell nahm er von seinen Freunden in der Zelle Nr. 40 Abschied. Wenige Minuten später hörte er in der Armensünderzelle die Worte des

Staatsanwaltes: „Sie wurden wegen Vorbereitung zum Hochverrat und Landesverrat zum Tode durch das Fallbeil verurteilt. Eine Begnadigung ist nicht erfolgt, das Urteil wird heute um 18 Uhr in diesem Hause vollstreckt.“ Die gleiche Eröffnung wird auch seinen Mitgefangenen gemacht, unter denen sich keiner befindet, den er kennt. Von seinem Freunde und Mitarbeiter Roman Karl Scholz, einem jungen Chorherrn vom Stift Klosterneuburg, der mir zum Andenken einen Band seiner Gedichte verehrte, und gleichfalls am selben Tage, am 10. Mai 1944, in den Trakt der Armensünderzellen gebracht worden war und dann auch tatsächlich in den Abendstunden enthauptet wurde, blieb Heintschel-Heinegg auch an diesem Tage noch getrennt. Obwohl am Tage einer Vollstreckung jede Verabredungsgefahr unmöglich geworden war, achtete man streng darauf, daß

„Komplicen“ auch am letzten Tage ihres Lebens voneinander getrennt blieben. Diese ebenso sinnlose wie herzlose Bestimmung des Strafvollzuges bedeutete insoferne noch eine im Strafrecht aller Kulturstaaten verbotene Verschärfung der Todesstrafe, als alte Freunde und Gesinnungsgenossen mit der ungestillten Sehnsucht nach' einem letzten Wiedersehen im Herzen sterben mußten. Desgleichen war ja auch ein Abschiednehmen von den Angehörigen unmöglich gemacht, da die Hinrichtungstermine jedermann gegenüber geheimgehalten wurden. Und da durfte ich denn wieder als Vermittler von letzten Grüßen dienen, die ich von Zelle zu Zelle trug. Als ich bei diesen Botengängen auch zu Roman Scholz kam, hatte er seinen Sessel ganz dicht an die Wand unterhalb der Oberlichte gerückt und sein Gesicht den Sonnenstrahlen zugewendet, die durch dieses hochgebaute Gitterfenster in die Zelle fielen. Er entschuldigte sein Sitzenbleiben mit der Bemerkung, daß er, solange es noch möglich sei, das. Licht der Sonnu genießen wolle. Heintschel-Heinegg durchlitt diesen schweren Tag des 10. Mai mit unglaublicher Fassung und Würde. Ich mußte wohl auch in anderen Zellen meinen Dienst tun, aber den größten Teil des Tages verbrachte ich bei ihm. Als ich wieder einmal seine Zelle betrat, hatte er ein von mir mitgebrachtes Neues Testament aufgeschlagen vor sich und berichtete mir, er habe seinen Schicksalsgenossen während meiner Abwesenheit die Abschiedsrede Jesu aus dem Johannesevangelium vorgelesen. Wie Heintschel- Heinegg jede Gabe Gottes zur Aufgabe wurde zur heiligen Verpflichtung an die anderen, so wurde ihm auch sein eigenes Sterben noch zur Pflicht, mit dem Bekenntnis seines Glaubens die Fahne Jesu Christi hochzuhalten und sie selbst noch an der Stätte des Grauens und des Todes aufzurichten als das Zeichen eines Sieges, der die Welt überwunden hat. Die Ewigkeit wird es einstens offenbar machen, was er durch seine Haltung und durch sein Vorbild an diesem 10. Mai 1944 seinen Mitgefangenen gewesen ist urid gegeben hat.

Schlag 18 Uhr begann die Exekution. Sie holten einen nach dem anderen. Schließlich blieb Heintschel-Heinegg als letzter zurück. Er konnte es nicht verstehen, warum man ihn schon bei der Fesselung übergangen hatte. Da trat ein Beamter ein und eröffnete ihm: „Sie gehen wieder in Ihre Zelle zurück. Ihre Urteilsvollstreckung findet heute nicht statt.“ Einen Moment lang hielt sich Heintschel-Heinegg an der Tischkante fest. Dann lispelten seine Lippen: „Nein, so was!“ Auch ich war momentan sprachlos. Dann aber riß uns ein Kommandoruf aus unseren Träumen. Heintschel-Heinegg wurde abgeführt. Ich konnte ihm noch rasch und kräftig die Hände schütteln.

Wie seine völlig unerwartete Rückkehr in die Zelle Nr. 40 auf seine beiden Freunde Kühmayer und Christoph wirkte, die um diese Stunde gerade die Sterbegebete für ihren Kameraden begonnen hatten, ist in Kühmayers Buch „Auferstehung" nachzulesen.

Der Todesgang

Credo in deum, patrem omnipotentem, crea- torem coeli et terrae . ..

Unzählige Male ist es schon von den Gläubigen gesprochen worden, das Apostolicum, das Glaubensbekenntnis der Christenheit, seit den Tagen seiner ersten Fassung. Bis zirka 140 nach Christi läßt sich sein Vorläufer, das Symbolům Romanům, zurückverfolgen, als dessen Erweiterung das Apostolicum seit dem 6. Jahrhundert nachweisbar ist. Auch die Aufspaltung der Christenheit in verschiedentliche Konfessionen hat die gemeinsame Plattform des Credo nicht zertrümmern können. Seit mehr als 1500 Jahren ist das Credo das Echo der Kirche auf den Tauf- und Missionsbefehl ihres Herrn: „Gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes!“, es verbindet Taufstein und Grabstein des Christen von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, jede christliche Gemeinde in Stadt und Dorf schließt sich in gottesdienstlicher Stunde durch dieses wesentliche Stück der Liturgie mit der ganzen Christenheit auf Erden zusammen, ich selbst habe es unzählige Male gesprochen und unzählige Male gehört: als es aber der junge österreichische Dichter und Theologiestudent Hanns Georg von Heintschel-Heinegg am 5. Dezember 1944 im Grauen Hause zu Wien auf seinem letzten Wege zu beten begann, da war mir, der ich, in Vertretung des katholischen Seelsorgers, dem die Begleitung verwehrt war, dicht an seiner Seite schritt, dieses alte Credo der Christenheit plötzlich ein völlig neuer Klang, eine völlig neue Botschaft, eine Offenbarung von völliger Einzigartigkeit und Einmaligkeit.

Die Zeit, die das Sprechen des Bekenntnisses erforderte, entsprach derselben Zeit, die zur Zurücklegung des Weges von der Armensünderzelle bis zur Richtstätte erforderlich war. Al ich die traurige Eskorte mit dem Anbruch dieser unvergeßlichen Dezembernacht in dem spärlich beleuchteten eiskalten Ganggewölbe de Landesgerichtes in Bewegung setzte, öffnete der junge Dichter und Jünger Christi zum letzten Male seine Lippen. Ich dachte, er wolle mit mir reden, und neigte mein Ohr zu ihm. Er aber prach: „Credo in deum, patrem omnipotentem ..Die Hände am Rücken gefesselt, über den bis zum Gürtel entblößten Oberkörper den Sträflingsrock lose übergeworfen, ging Hein- tschel-Heinegg dem Tod entgegen. Wie hat er doch wenige Tage zuvor seinem Freunde geschrieben? „Wieder haben einige von uns die dunkle Pforte des Todes überschritten, in jener klaren Wachheit und harten Bewußtheit, die so ganz entgegengesetzt zum Schlafe ist, welchen man fälschlich des Todes Bruder genannt hat — in jener überwachen Bewußtheit, die wohl nur diesem Tode eigen ist.“

Nun war die Reihe an ihm.

Und wirklich: In völlig klarer Wachheit betete sein Geist „creatorem coeli et terrae“. Aber die Wachheit seines Bewußtseins war nicht mehr auf uns gerichtet. Für ihn gab es jetzt keinen Blick mehi tür seine Umwelt, kein Gespräch mehr mit mir oder den ihn führenden Wachebeamten, die Blickrichtung seiner Augen ging über uns hinweg in eine weite Ferne. „ ... et in Jesum Christum, filium ejus unicum, dominum nostrum ...' Auf seinen Zügen lag nicht der Ausdruck der Todesangst, sondern eher der einer großen Erwartung, und der bis aufs äußerste angespannte Geist konzentrierte sich auf das lateinisch gesprochene Credo. „ ... cruzifixus, tnortuus et sepultus, descendit ad inferna . .Es gab auch kein persönliches Abschiedswort mehr, keinen Gruß an geliebte Menschen mehr, den mir so manch anderer noch in der letzten Minute auftrug, alles das war schon vorher in der Zelle erledigt worden. Jetzt schritt nur noch ein Mensch neben mir her, der schon drüben war, noch ehe ihn der körperliche Tod von den Qualen seiner jahrelangen Gefangenschaft erlöste. „ ... credo in spiritum sanctum

Jetzt öffnen sich die beiden schwarzen Flügel der eisernen Türe, hinter der der Tisch der Richter stand, vor die der Verurteilte zum letzten Male zu treten hatte. Nach üblichem Zeremoniell fragte ihn der Vorsitzende: „Wie heißen Sie?“ „ .. . sanctam ecclesiam catholicam ..." betete der Gefragte weiter, ohne die Umwelt zu beachten. „Sie wurden wegen Hochverrates zum Tode verurteilt." „ . . . remissionem pecca-

torum ..korrespondierte das Gebet des Gefesselten mit den Worten des Richters. „Das Urteil wird jetzt vollstreckt.“

Die Henker ergreifen ihn, führen ihn hinter den Vorhang, der den Hinrichtungsraum vom Gerichtszimmer trennt. Jetzt legen sie ihn auf sein hölzernes Sterbebett. Da ruft er noch einmal laut und deutlich: „ ... carnis resurrectionem et vitam aeternam!“ Das Amen erstickt im dumpfen Aufschlag des niedersausenden Fallbeils.

Soll dieser Schlag des Todes das Letzte sein? Kann er das Letzte sein? Das Letzte im Leben eines Hanns Georg von Heintschel-Heinegg? Das Letzte im Leben all derer, die seines Opfers Weggenossen waren? Das Letzte in deinem und meinem Leben?

Aus seiner Vollendung in der Ewigkeit gibt uns der tapfere Zeuge Jesu Christi und große Oesterreicher Hanns Georg von Heintschel- Heinegg in seinem Liede „Sedes Caritatis“ die Antwort:

Es ist kein Thron so nah an uns gerückt Als der der Liebe. Aller Menschen Sorgen Gehn hier zur Ruh’. Gesegnet, wem genügt,

Zu wissen, daß er ewiglich geborgen.

In stiller Demut schweigt mein preisend Wort, Denn Stille ziemt, wem Gott das Herz entbrennt. In ferner Sehnsucht nach dem heil’gen Ort Ruft mich die Andacht hin zum Sakrament.

(Ein Schlußwort folgt)

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