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Das Konklave

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In dem großen Roman „Der Kardinal“ des Amerikaners Robinson wird auch das Konklave vom März 1939 geschildert, das Kardinal Pacelli zum Papst wählte. Wir geben im folgenden einen Auszug aus diesem Kapitel, das gleichzeitig in sehr anschaulicher Weise die technische Durchführung eines Konklaves schildert.

Am Morgen des 11. März 1939, als Kardinal Stephen eben zum Flugplatz fahren wollte, erschien ein päpstlicher Kammerherr an der Tür seines Appartements im Hotel. In melancholischer Haltung erstattete er seine Meldung:

„Erhabener Herr, der Heilige Vater, Pius XL, ist in dieser Nacht verschieden. Der Stuhl Petri steht leer. Es ist der Wunsch Kardinal Pacellis, daß Euer Eminenz für das kommende Konklave in Rom bleiben möge.“

Am gleichen Tag noch begann das Zeremoniell der neuntägigen Trauer für den verstorbenen Papst. Während die Leiche Pius XI. auf dem Paradebett lag, wurden täglich Messen gelesen; unaufhörlich erklangen die Litaneien, da hohe Geistliche ständig Wache neben dem Aufgebahrten hielten. Die Regierungsgewalt in Sachen der Kirche wurde in die Hände einer .,Sonderkongregation“ gelegt, welche aus drei älteren Kardinälen unter der Führung Eugenio Pacellis als Camerlengo bestand. Dieses Komitee setzte den Mechanismus zur Einberufung des Konklaves in Bewegung.

Aus allen Winkeln des Erdballs begannen daraufhin die Kardinäle ihre Pilgerfahrt nach Rorm Am Morgen des Tages, an dem das Konklave beginn. wohnten zweiundsechzig wahlberechtigte Kardinäle einer Missa Solemnis bei, welche von Kardinal Pignatelli di Belmonte in der Paulskapelle, der „Gemeindekirche“ des Vatikans, intoniert wurde. Aufmerksam lauschten sie einer ausdrucksvollen, lateinisch gehaltenen Predigt von Monsignore Antonio Bacci, dem Unterstaatssekretär für Briefe an fremdländische Herrscher. Die Nachsicht seiner Hörer erbittend, betonte Monsignore Bacci den feierlichen Ernst des gegebenen Anlasses, den traurigen Zustand der Welt und die schreckliche Verantwortung, welche auf den Wählern eines neuen Papstes liege. Er ermahnte seine Hörer dringlichst, sich vor Augen zu halten, daß der Mann, den sie als Päpstlichen Schlüsselhalter zu wählen im Begriff stünden, der fähigste und frömmste unter ihnen sein müsse.

„Sie müssen sich die Frage vorlegen, hocherhabene Herren“, sagte der Sprecher, „welcher unter ihnen die Festigkeit besitzt, dem neuen Heidentum des Staates Widerstand zu leisten, das sich eben jetzt daran macht, die Welt mit blutiger Gewalt zu verschlingen. Sie müssen ihre Herzen durchforschen, um zu entdecken, wer aus ihrer edlen Bruderschaft durch Wissen, Erfahrung und Gottes Gnade am besten geeignet ist, die Kirche — nein, ach, die Zivilisation selbst über den gefährlichen Engpaß zu führen, der vor uns liegt.“

Monsignore Bacci hielt einen Augenblick inne, um dem Folgenden dadurch mehr Gewicht zu geben. „Sagte ich eben .gefährlichen Engpaß'? Gestatten Sie mir, hocherhabene Herren, ein besser passendes Bild aus dem seemännischen Leben zu wählen. Der Mann, den Sie wählen werden, wird aufgerufen sein, Sankt Peters Barke durch ein Meer zu steuern, das von treibenden Eisschollen unsicher gemacht wird, die gerade jetzt von dem schreckenerregenden Gletscher der Barbarei losbrechen.“

Allzu gesucht im Ausdruck? Vielleicht; als der Redner jetzt aber zu den Schlußworten überleitete, fand Stephen doch, daß Monsignore Baccis Predigt nach Form und Inhalt eine der besten Leistungen sei, die er je vernommen hatte.

Am Nachmittag kamen die Wahlkardinäle wiederum zusammen, diesmal in der Sixtinischen Kapelle — um den üblichen Eid abzulegen in Hinsicht auf ihr Wirken beim kommenden Konklave. Jeder schwor einzeln, daß er das Interesse der Kirche so gut wie nur möglich wahren und keinen noch so zwingenden Gründen gestatten werde, ihn von seinem festen Urteil abirren zu lassen. Danach zogen sie sich „befreiten Geistes und unbeschwerten Gewissens“ (wie Gregor XV. es vorgeschrieben hatte) zu stiller Betrachtung und Gebet in ihre Zellen zurück.

Am gleichen Abend um acht Uhr erklang dreimal gedämpfter Glockenschlag im Innenhof von San Damaso. Schweizer Garden schritten daraufhin durch die teppichbedeckten Korridore des von der Außenwelt durch Einmauerung abgeschnittenen Innern des Konklaves unter den Rufen „Extra omnes“ — alle hinaus. Jetzt suchte eine Abordnung von drei Kardinälen unter der Leitung des hochgewachsenen Camerlengo bei Fackellicht das Konklave nach der Anwesenheit Unbefugter ab. Es wurde niemand gefunden. Woraufhin nun die Aufgabe der offiziellen Schließung der schweren Bronzetür des Konklaves noch zwei Personen oblag. Drei Außenschlösser wurden von Prinz Chigi, Erbmarschall des Konklaves, abgeschlossen, der seinen althergebrachten Eid, den Vatikanpalast während der Wahl eines neuen Papstes zu bewachen, bereits abgelegt hatte. Durch ein Gitter beobachtete der

Camerlengo, wie Prinz Chigi .die schweren äußeren Riegel herumschloß und den Schlüssel dann in eine reichbestickte Tasche versenkte. Hierauf drehte der Camerlengo im Beisein der Kardinäle Glennon und Pignatelli di Belmonte einen Schlüssel um, der die drei inneren Riegel betätigte. Solcherart von innen und außen eingeschlossen, nahmen die Wahlkardinäle eine leichte Abendmahlzeit ein und zogen sich dann in ihre Zellen zu Gebet und Ruhe zurück.

Stephen wurde am nächsten Morgen durch den Ruf einer Wache vor seiner Tür geweckt: „In capellam, Domini“ (zur Kapelle, Herren). Er stand auf, las die Messe an einem der tragbaren Altäre, den man in der Sala Ducale aufgestellt hatte, und rief dann, nach einem leichten Frühstück von Kaffee und Brötchen, Owen Starkey zu sich, damit er ihm beim Anlegen der für das Konklave vorgeschriebenen Gewänder behilflich sei. Er nahm zuerst die violette Soutane, welche mit einem Haken und einer Oese vor der Brust geschlossen wurde, die Schleppe im Rücken gerafft. Darüber kam das Spitzenchorhemd; und auf der Brust, frei zur Schau gestellt, das Brustkreuz als Symbol seiner Macht und Gewalt, einen Papst wählen zu dürfen.

Owen Starkeys Hand zitterte leicht, als er ihm nun noch das Birett reichte; das Zittern verging, als der Kardinal seine Hand ergriff. „Beten Sie für mich. Owen“, sagte Stephen und nahm nun seinen Platz in dem schweigenden Zug ein, der der Sixtinischen Kapelle zustrebte.

Ueber Nacht hatten die Architekten des Vatikans die Kapelle in einen heiligen Wahlraum verwandelt. An beiden Längsseiten des gewölbten Raumes stand eine Reihe Thronsessel, jeder :mit einem Baldachin bedeckt. Vor jedem einzelnen Thron stand ein Pult, mit einer grünen Decke für die Kardinäle, welche von früheren 'Päpsten ernannt worden waren, mit einer violetten für jene, die Pius XI. ernannt hatte. Federhalter, Tintenfässer, Löscher, Siegelwachs und ein kleines Häufchen Wahlzettel waren von den Sekretären auf jedem Pult vorbereitet worden. Auf dem Altar am äußersten Ende der Kapelle stand ein riesiger vergoldeter Kelch, in welchen die wählenden Kardinäle ihre Stimmzettel legen würden. Neben den Altar hatte man einen kleinen Ofen gesetzt, dessen langes Rohr hoch oben durch die Decke geführt war. In diesem Ofen würden nach jedem Wahlgang die Stimmzettel verbrannt werden.

Die älteren Kardinäle, unter denen sich Glennon befand, saßen dem Altar am nächsten. Stephen, der jüngste Wähler, nahm seinen Platz neben der Tür ein. Schräg vor sich, die gegenüberliegende Reihe der Thronsessel überblickend, erkannte Stephen Kardinal Faulhaber aus München, dem es bestimmt war, wegen seines offenen Widerstandes gegen Hitler zu leiden. Neben dem deutschen Kardinal saß Kaspar aus der Tschechoslowakei, dessen Land bereits vom Marschstiefel der Nazi zu Boden getreten worden war. Da war Verdier aus Paris, dessen Miene wie ein abgegriffenes Kontobuch erschien, dessen tragische Eintragungen bald genug bei der Abrechnung seines Landes ins Gewicht fallen sollten. Halben Weges die Sesselreihe hinunter saß Pacelli, nach allgemeiner Uebereinstimmung vor Beginn der Wahl als Erbe der glorreichen Tiara anzusehen, lieber einem purpurgedeckten Schreibpult, fast gegenüber, lächelte ihm das Gesicht Alfeo Querenghis zu.

„Hochwürdigste Herren“, sagte in diesem Augenblick Kardinal Pignatelli di Belmonte, „schreiten wir zur Wahl.“

Stephen betrachtete eingehend den Stimmzettel auf seinem Pult. Es war ein länglicher Streifen Velinpapier, der in drei Teile gegliedert war. Obenan war in lateinischer Sprache eingedruckt:

Ich, Kardinal......

An diese freigelassene Stelle schrieb Stephen seinen Namen. Auf dem Mittelteil erschienen die Worte:

Ich wähle Kardinal......zum Papst.

Stephen wußte, daß beim ersten Wahlgang einige Stimmen nur zur Ehrung bestimmter Persönlichkeiten abgegeben werden würden. Faulhaber aus Bayern und Kaspar aus der Tschechoslowakei würden zweifellos solche Beweise der Hochachtung von vereinzelten der hier versammelten Wähler erhalten. Wie würde Lawrence Glennons Herz überquellen vor Glück, wenn auch nur ein einziger Zettel seinen Namen trüge! Getrieben von einer Liebe, der keine Spur politischer oder nationaler Bedeutung beigemischt war, schrieb Stephen den Namen „Lawrence Glennon“ auf seinen ersten Stimmzettel.

Die unterste Abteilung des Zettels war völlig leer. Hier sollte jeder der Wähler einen Spruch aus der Heiligen Schrift niederschreiben, an dem er zu identifizieren sein würde, sollte seine Stimme gefordert werden oder irgendwie fraglich erscheinen. In diese Stelle schrieb Stephen im Gedenken an die letzten Worte Dennis Fermoyles den vierten Vers aus dem neunzigsten Psalm:

„Tausend Jahre sind vor Dir wie der Tag, der gestern vergangen ist. Und wie eine Nachtwache.“

Er faltete diesen Teil des Zettels rückwärts um und überdeckte mit seinem Umschlag den obersten Teil des Zettels, auf dem sein Name stand, so daß dieser nicht mehr zu sehen war. Nachdem er den Zettel so gesiegelt hatte, wartete er, bis die Reihe an ihn kam, seinen Stimmzettel in den vergoldeten Kelch auf dem Altar zu werfen.

Dem Alter nach geordnet, schritten die Kardinäle einer nach dem andern zum Altar und legten ihre Stimmzettel in den unverdeckten Kelch, unter der Aufsicht dreier Kardinäle, die dort als Wahlleiter fungierten. Nachdem alle Stimmen abgegeben waren, deckte der älteste dieser Wahlleiter eine silberne Patene über den Kelch, nahm ihn auf, schüttelte ihn gtürfdlich durch und stellte ihn wieder auf den Altar zurück. Jetzt entnahm er die Zettel einen nach dem andern der Urne und übergab sie einem zweiten Wahlleiter, der sie, Vorderseite nach oben gekehrt, auf den Altar legte, wobei er sie laut zählte. Unterdessen überzählte der dritte noch einmal die Anzahl der Kardinäle, die anwesend waren. Zweiundsechzig Kardinäle waren im Raum; zweiundsechzig Stimmzettel lagen auf dem Altar. Da beide Summen übereinstimmten, konnte man zur nächsten Phase der Wahl schreiten.

Nachdem die Zettel in einen zweiten Kelch eingesammelt worden waren, trugen die Wahlleiter sie zu einem Tisch in der Mitte der Kapelle. Einzeln wurden die Stimmen nun von dem Aeltesten herausgenommen und der darauf vermerkte Name laut verlesen, der Zettel selbst dann zur Kontrolle seinen beiden Helfern vorgelegt. Während dieses Vorgangs machten die übrigen Kardinäle jeder für sich eine Aufstellung über die auf die einzelnen Kandidaten entfallende Stimmzahl.

Beim ersten Wahlgang erhielt Eugenio Pacelli fünfundddreißig Stimmen, so daß ihm nur sieben an der notwendigen Zweidrittelmehrheit fehlten.

An diesem Punkte der Vorgänge war es auch, daß eines der Mitglieder des Konklaves die größte Ueberraschung seines Lebens erfuhr, Als Lawrence Glennon hörte, wie sein Name vom ältesten Wahlleiter verlesen wurde, fuhr sein Kopf mit einem überraschten Zusammenzucken der Lider hoch. Ein Astronom, der sein eigenes Gesicht von einem fernem Sterne her auf sich niederblicken sähe, hätte nicht bestürzter sein können. In der langen Geschichte des Papsttums war dies das erstemal, daß ein amerikanischer Kardinal eine Stimme erhielt.

Wieder begann ein Wahlgang. Bei der zweiten Prüfung ergaben sich vierzig Stimmen für Kardinal Pacelli — zwei zu wenig für die erforderliche Mehrheit. Nur die Formalität eines dritten Wahlgangs trennte den Camerlengo noch von dem Throne Petri. Nach einer Mittagspause kratzten erneut die Federn über Pergament; zum dritten Male wurden die Stimmzettel in den vergoldeten Kelch gelegt, durchgeschüttelt und ihre Uebereinstimmung von den Wahlleitern geprüft. Als die Zählung für Pacelli zweiundvierzig erreicht hatte — die zur Wahl nötige Anzahl —. bedeckte der Camerlengo sein Gesicht mit den

Händen. Doch die Zählung ging weiter: dreiundvierzig ... vierundvierzig . . . fünfundvierzig — bis eine fast einstimmige Wahl mit einundsechzig Stimmen verkündet werden konnte. Alle Anwesenden außer dem Camerlengo selbst hatten dafür gestimmt, daß Eugenio Pacelli der zwei-hundertzweiundsechzigste Nachfolger Petri sein sollte.

Herbeigerufen, betrat nunmehr der Präfekt der Päpstlichen Zeremonien die Kapelle. Gemeinsam mit seinen Helfern entfernte er die Baldachine über allen Sesseln bis auf den einen, in welchen ein hochgewachsener hagerer Mann sich als Kardinal gesetzt hatte und als Papst daraus aufstehen würde.

Ehe die Wahl in der gehörigen Weise rechtskräftig sein würde, war noch einem feierlichen Brauch zu folgen. Ein Trio der ehrwürdigen Kardinäle — Pignatelli di Belmonte. Glennon und Caccia-Dominici — nahte sich mit tiefem Ernste dem Thronsessel, auf dem Eugenio Pacelli saß. Sie hatten die Pflicht, die traditionelle Frage zu stellen:

„Acceptasne electionem de te canonice factam in Summum Pontificem?“ fragte Pignatelli di Belmonte als Sprecher der drei.

Dem Buchstaben nach übersetzt hieß die Frage: „Nimmst du deine kanonisch vorgenommene Wahl zum Papste an?“ Was aber der betagte Kardinal eigentlich Pacelli fragen wollte, war dies: „Willst du die Bürde des einsamsten, erhabensten und die höchsten Anstrengungen fordernden Amtes dieser Welt auf dich nehmen — willst du geduldig der Lawine langwierigster Kleinarbeit standhalten und dich von diesem Augenblick an bis zu deinem Tode mit der geistigen Führung von vierhundert Millionen Seelen befassen, die zu deiner Leitung aufblicken?“

Andere, denen man die gleiche Frage gestellt, waren schon in Tränen ausgebrochen, hatten gebeten, davon entbunden zu werden, sich geweigert, die niederdrückende Last auf sich zu nehmen. Sichtlich verstört, zögerte auch Pacelli.

„Ich bin dieses Amtes nicht würdig“, sagte er. Dann beugte er sein Haupt und murmelte: „Accepto in crucem“ (Ich nehme es als Kreuz auf mich).

Zum Andenken an den ersten Papst, dessen Namen Christus von Simon auf Petrus umänderte, stellte nun Kardinal Pignatelli di Belmonte die aweite Frage: „Welchen Namen willst du annehmen?“

„Ich möchte Pius genannt werden, weil ich die längste Zeit meines Lebens als Geistlicher unter großen Päpsten dieses Namens verbracht habe.“ Tränen strömten über das hagere Gesicht Pacellis. „Und ganz besonders deswegen, weil ich Pius XI. für so viel persönlich mir erwiesene Güte zu danken habe.“

Um fünf Uhr dreißig verriet ein kleine weiße Rauchwolke, die sich über dem Dach der Sixtini-schen Kapelle erhob, der wartenden Menge auf dem Petersplatz, daß der neue Papst gewählt sei.

Während Pius XII. sich für die Immantatio kurz zurückgezogen hatte, suchte Lawrence Glennon Stephen unter der Menge. „Erhabener

Schurke“, schalt er, „bekennen Sie Ihre böse Tat. Warum haben Sie beim ersten Wahlgang Ihre Stimme für mich abgegeben?“

„Ich?“ Stephen heuchelte Unschuld.

„Wer denn sonst?“ meinte Glennon zärtlich. „Wer sonst würde denn auf solchen Balsam für die Seele eines alten Mannes verfallen? Ich werde nicht lange genug mehr leben, um dies Kompliment zu erwidern“ — Glennon ließ in seinen Freundesworten Prophetisches anklingen —, „aber verlassen Sie sich auf mich, Stephen, andere werden es tun.“

Die Glocken der vierhundert Kirchen Roms, angeführt von II Camponone, dem meisterhaften Elftonglockenspiel Sankt Peters, läuteten eben Angelus, als Kardinal Caccia-Dominioni auf dem Mittelbalkon erschien, von dem aus man den Petersplatz überblickte. Mit Lautsprechern wurde es kundgemacht, in lateinischer Sprache, wie die Ueberlieferung es verlangte:

„Ich verkündige euch eine große Freude. Wir haben einen Papst. Es ist der erhabenste und hochwürdigste Herr Eugenio ...“

Ein ungeheurer Schrei brach aus einer halben Million Kehlen. Jedermann wußte, wer Eugenio war. Die Schreie „Viva il Papa“ übertönten die Glockenklänge. Aber die eigentliche Huldigung ging erst richtig los, als der Papst selbst auf dem Balkon von Sankt Peter erschien, um seinen Segen urbi et orbi zu erteilen. Als der donnernde

Jubel ermattet war, kniete alles schweigend nieder, während der Papst die Stadt und den Erdkreis segnete.

Als Stephen die Hand des Papstes sich zum Segen erheben sah, empfand er die tiefe stille Wahrheit des alten italienischen Wortes: „Der Papst stirbt, der Papst lebt.“ Zweihundertein-undsechzig Träger der dreifachen Papstkrone waren vom irdischen Schauplatz abgetreten, aber das Papsttum selbst — das sich nun in der schlanken, keine Furcht kennenden Gestalt Eugenio Pacellis verkörperte — kannte den Tod nicht und war ewig.

Die Woche zwischen der Wahl und der Krönung eines Papstes ist traditionell eine Zeit der Feste. In den Innenhöfen der großen römischen Paläste flammten die mittelalterlichen Fackeln, wo adelige Gastgeberinnen einander durch den Glanz und die Heiterkeit ihrer Gesellschaften zu übertrumpfen suchten. Dann kam endlich der Tag der Papstkrönung.

Hoch oben in der Kuppel Sankt Peters sandten silberne Trompeten das Echo des päpstlichen Marsches in alle Winde. Siebzigtausend Menschen standen innerhalb der Kirche, eine weitere halbe Million preßten sich draußen auf der Piazza, als der Krönungszug Pius XII. die Mittelpforte der Basilika durchschritt.

Kein äußeres Zeichen von allem Pomp und Gepränge fehlte, der zu dieser Feierlichkeit gehörte. Zuerst kam ein Auditor der Heiligen Rota, welcher ein Kreuz mit Speerspitzen trug, umgeben von sieben Akoluthen aus edlem Geschlecht. Es kamen päpstliche Wachen mit turmhohen schwarzen Bärenmützen und weißen

Breeches, darnach die Kämmerer in Spitzenrüschen und mit breiten Goldketten. Malteserritter kamen in feierlicher Reihe dahergeschrit-ten, ihre schwarzen Mäntel mit den weißen Kreuzen wappenartig geschmückt; hinter ihnen kamen in langsamem Schritt der Festzüge Mönche in Sandalen, bärtige Patriarchen, Mitra tragende Bischöfe und Erzbischöfe in violetter Soutane. Nun erschienen die Fürsten der Kirche: Kardinäle in den königlichen hermelinverzierten Mänteln, die feierlich zu zweit nebeneinander gingen, erst die jüngeren, die ehrwürdigen älteren dann näher der päpstlichen Sedia, welche direkt hinter ihnen folgt. Zwischen den Kardinälen und dem Papst wacht nur eine Gruppe von Herolden und Zepterträgern über der dreifachen Papstkrone, einem Bienenkorb ähnlich, mit kostbaren Steinen übersät und auf einem roten Samtkissen getragen.

Auf den Schultern von zwölf Trägern, welche in karmesinfarbene Damastlivrees gekleidet sind, schwebt die Sedia gestatoria des Papstes über die Menge dahin. Sein Mäntel aus Goldstoff wird am Halse von einer juwelenbesetzten Spange gehalten; über seinem Haupte schwankt ein cremefarbener Baldachin. Auf beiden Seiten schwenken Prälaten die traditionellen Flabelli, herrliche Straußfedernfächer. Während der Sixtinische Chor singt „Tu es Petrus“, macht der Papst unaufhörlich das Zeichen des Kreuzes, die Menge ringsum mit weißbehandschuhten Händen segnend.

An der Kapelle der Allerheiligsten Dreifaltigkeit hielt die Prozession, damit der Papst vom Thron steigen konnte, um das Allerheiligste anzubeten. Wie jeder andere Priester kniete Pius XII. nieder, gesenkten Hauptes im Gebet verharrend. Die Musik war verstummt. Alles wurde zum Schweigen gebracht. Aus dem riesigen Gewölbe des Domes fiel die Stille wie ein Gobelin hernieder über die Menge.

Nachdem er das Gebet in Andacht verrichtet, erhob sich Pius XII. von seinen Knien und war eben daran, seinen Sitz auf dem Thron wieder einzunehmen. Ein Mönch mit dichter Kapuze trat näher. In der einen Hand hielt er einen entzündeten Wachsstock, in der anderen Hand etwas wachsgetränktes Werg. Sich vor Seiner Heiligkeit beugend, brachte der Mönch das Werg der Flamme nahe. Das Feuer brannte einen Augenblick auf und verging dann zu Asche.

„Sic transit gloria mundi“, rief der Mönch.

Als die Prozession im Tempo des feierlichen Rituals an der Statue Petri vorüberzog, wurde der symbolische Akt vom Ende alles Irdischen .noch einmal,vollzogen. l4P„Gjabestne,.hailj;e„?s durch den.weiten Dom: „Sic transit...“

Am Mittelaltar, der allein dem Papst reserviert ist, legte Pius XII. die Gewänder für die feierliche Pontifikalmesse an. Am Schluß der Messe würde er mit der dreifachen Papstkrone gekrönt werden, die Symbol war für die Leidende Kirche, die Kämpfende Kirche und die Triumphierende Kirche.

Fürsten würden sich vor dem Träger dieser Krone neigen; die völlige Rüstung für sein hohes Amt würde ihm gegeben sein; Gottähnlichkeit würde jedes Wort umhüllen, das er fortan sprach. Nur ein Hirn, das sich als frei von jedem persönlichen Hochmut erwiesen hatte, konnte eine so flammende Last auf sich nehmen. Um den Papst der furchtbaren Gefahr, in der er fortan leben würde, stets eingedenk sein zu lassen und ihn zu erinnern, wie aller sterbliche Ruhm schließlich zu Staub und Asche werde, trat der von einer Kapuze verhüllte Mahner noch ein drittes Mal an ihn heran. Wieder traf die Flamme das Werg, wieder erklang die düstere Warnung „Sic transit gloria mundi“.

Die Messe begann. Inmitten seiner fürstlichen Kollegen saß Stephen und sah das immer gleiche Opferritual sich entfalten. Wie in jeder anderen Messe, möge sie in hochgewölbten Tempe'n oder in strohgedeckter Hütte zelebriert werden, stellte der Priester den Leidensweg Christi dar, den dieser gegangen, auf daß die Menschen des ewigen Lebens teilhaftig würden. Als Pius XII. seine Hände nach dem Opferkelch ausstreckte, um in ihm die heilige Wandlung sich vollziehen zu lassen, vereinte sich Stephen in Gedanken mit ihm im Hanc igitur:

„So nimm denn, wir bitten Dich, o Herr, diese Opfergabe Deiner Diener, aber auch Deiner ganzen Familie huldreich auf. Lenke unsere Tage in Deinem Frieden, bewahre uns gütig vor der ewigen Verdammnis und reihe uns ein in die Schar Deiner Auserwählten. Durch Christus, unsern Herrn. Amen.“

Die Pracht allen irdischen Pomps, der eitle Tand des Ruhmes, das Narrenzepter der Macht und' die flüchtigen Schmeichelreden der Menschen — alles, alles würde schwinden wie ein Funke in der Dunkelheit, wie der Tag, der gestern vergangen ist. Aber die Wandlung würde bleiben. Das ewige Meßopfer würde weiter leben, von Priester und Gemeinde gefeiert, die gemeinsam teilhaben an der erhabenen Erfüllung Seines Versprechens: „Siehe, Ich bin bei euch alle Tage, bis ans Ende der Welt.“

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