6691619-1962_41_01.jpg
Digital In Arbeit

IN GEHEILIGTER GEGENWART

Werbung
Werbung
Werbung

ADEST. - Es ist da.

DAS KONZIL ist jetzt Gegenwart geworden, Zeit für uns ganz unmittelbar. Was bislang wie in einem einzigen, sich von Stufe zu Stufe steigernden Advent auf uns zukam, was zu irgendeinem Zeitpunkt der Zukunft unwiderruflich Geschichte, Gewesenes und zur Tradition Gewordenes sein wird, steht uns jetzt gegenüber. Wir stehen unter seinem Zeichen.

DAS MUSS unsere eigene Haltung entscheidend verändern. Was bisher geschah, faßt sich noch hinter jenen 25. Jänner 1959, da Papst Johannes XXIII. seinen Entschluß bekanntgab, ein Konzil einzuberufen, zurückverfolgen, bis in jene geheimnisvolle Stunde, von der der Heilige Vater selbst berichtete, daß er in der Einsamkeit seines Petrus-Amtes von einem unmittelbaren Auftrag heimgesucht wurde, eine solche Kirchenversammlung, vor deren Einberufung mancher seiner Vorgänger zurückgeschreckt war. mancher seiner erfahrenen Ratgeber mit guten Gründen abmahnte, dennoch zu veranstalten. In der Stunde, da Giuseppe Angelo Roncalii das Ergebnis der Papstwahl des 28. Oktober 195 8 mitgeteilt erhielt, formten seine Lippen unwillkürlich das Wort des Propheten Habakuk: „Ich hörte Deinen Ruf, Herr, und ich erzitterte“ (Hab. 3, 2).

Weder der Papst noch irgendein anderer der unzähligen Besorgten, Überoptimistischen, Zweifelnden, Stürmischen, Zynischen. Berechnenden, Betenden, Hoffenden konnte und kann selbst jetzt sagen, wohin diese Stimme endgültig gewiesen hat. Die guten drei, fast vier Jahre der Vorbereitung verliefen zwar nach außen hin in einer programmgemäßen Perfektion und Bravheit wie noch vor kaum einer Versammlung der sturmbewegten Konzilsgeschichte. Aber innerlich hat der Strom doch mehrmals seine Richtung verändert, seinen Fluß verlangsamt oder beschleunigt. Endgültiges war bis zum 11. Oktober dieses Jahres noch nicht geschehen. Das Kirchliche Gesetzbuch sagt ja ausdrücklich, daß selbst ein Konzil im Augenblick des Todes des regierenden Papstes sofort unterbrochen wird und unterbrochen bleibt, bis der neue Papst entscheidet, ob es überhaupt weiter fortgesetzt werden soll. Um wieviel mehr ist dies im Stadium der Vorbereitung möglich.

Das erste Zeichen ist nun erfolgt. Der Herr hat dem heute cinundachtzigjährigen Johannes XXIII. Leben und Gesundheit geschenkt, der Welt den Frieden erhalten, daß dieses Konzil nun auch wirklieh zusammentreten konnte und daß die zu seiner Teilnahme berechtigten Bischöfe aus fast allen Teilen der Erde, ja selbst durch einige Fugen des Eisernen Vorhanges nach Rom zu reisen vermochten. Die, die nicht dabei sein dürfen, die Bischöfe Ostasiens, Litauens, Rumäniens und Albaniens, aber auch jene Bischöfe Böhmens und Ungarns, die in Haft gehalten werden, sind deswegen nicht vergessen, sie sind in der Gebetsgemeinschaft der katholischen Christenheit ebenso gegenwärtig wie alle jene Christen, die ihrem innersten Begehren nach zur einen und heiligen Kirche gehören, auch wenn sie für den Ausdruck dieses Zuammengehörens das Wort noch nicht gefunden haben.

„GOTTES EIGENES KONZIL“ nannte ein deutsches Nachrichtenmagazin, das auch den Christen zuweilen einen in seiner Unverfrorenheit schockierenden Spiegel vorhält, diese Versammlung. Der Unterton von skeptischer Ironie war unüberhörbar Man kann sich über ihn entrüsten. Man kann die Spötter — sie sind heute nicht so offen und robust wie vor dem I. Vaticanum, aber bis weit in unsere eigenen Reihen hinein vorhanden — niederdonnern, man kann sie niederargumentieren mit Zahlen und Daten: Das größte Konzil der Geschichte, die meisten Teilnehmer, die universale Besucherzahl, die beste Vorbereitung, die gründlichste Kommissionsarbeit, die von weltlichen Mächten befreiteste Arbeitsweise. Das alles stimmt zweifellos. Aber das leicht melancholische *Lächeln auf den Gesichtern der vielen Fragenden verschwindet nicht: Was steht hinter all dem? Was sagen diese Zahlen, diese Statistiken? Die römischen Bauten, die wallenden Gewänder flimmerten über den Fernsehschirm; das gütig-väterliche Gesicht des Papstes, die ragenden Prälaten, die asketisch geprägten Profile der Theologen. Aber die Kirche selbst, wo ist sie greifbar? Wo ist die Golddeckung für all das, was jetzt der Umwelt, einer zum Teil naiv, zum Teil widerwillig staunenden Umwelt präsentiert werden soll?

WIR SELBST werden von nun an die Gegenwart dieses Konzils zu repräsentieren haben. Das Zeichen für den Neuen Bund, den Gott mit der gesamten, in Christus zur Erlösung berufenen Menschheit geschlossen hat, ist hoch über dem Jahrhundert aufgerichtet. Die Zeit des unverbindlichen Darübersprechens, des ungezügelten Projektemächens, der Kombinationen und Machinationen ist vorbei. Wir müssen unsere Zuschauerlogen verlassen, in denen nun andere — berufen oder unberufen — Platz nehmen werden, und selbst in die Arena steigen.

Wenn dieses Konzil nach dem ausdrücklichen Willen des Papstes der gesamten Welt Licht und Weg zu friedlichem und menschenwürdigem Zusammenleben weisen soll, dann hängt die Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit aller zu Rom verkündeten Thesen nicht so sehr von der lückenlosen scholastischen Beweisführung als vom ganz persönlichen Zeugnis jedes einzelnen Christen ab.

Wenn sich während dieses Konzils die Bischöfe vieler Länder für eine neue, verwesentlichte Feier des Meßopfers, für die Liturgie in der Landessprache, für die Teilnahme der Altargemeinschaft des Volkes einsetzen werden, dann hängt es von unserer tatsächlichen und hingebenden Gesionwärrigkeit ab, daß nicht jede Verordnung, jede Liturgiereform versandet.

Wenn die Beschlüsse des Konzils noch so viel vom Recht und den Möglichkeiten der Laien in der Kirche künden, dann hängt es immer noch von der wirklichen Bereitschaft der solcherart Berufenen und Bevollmächtigten ab, davon Gebrauch zu machen.

DAS ZEICHEN, das mit diesem Konzil gesetzt ist, kann durch die Christenheit zum Heil erkannt werden, es kann aber auch verfehlt werden. Nur eines ist von diesem 11. Oktober 1962 an nicht mehr möglich bis zum Ende aller Geschichte: Es kann nicht mehr übersehen, vergessen, ungeschehen gemacht werden. Dieses Konzil steht unwiderruflich in der Geschichte, und unsere gesamte christliche Generation wird daran gemessen werden, wie sie sich vor ihm bewährte. Ob sie es gaffend anstaunte und dann wieder in ihren Alltag versank, ob sie es mit überklugem Wissen analysierte, kritisch beurteilte und zum Gegenstand selbstgerechter Spekulationen machte, ob sie versuchte, vor ihm die Augen zu schließen, und seinen Aufbruchsauftrag nicht erkannte, ob sie vor seiner Forderung zu fliehen versuchte, oder ob sie es mit Mauerwerk einzufrieden, mit Hochhäusern und rieuen babylonischen Türmen zu verdecken unternahm. Das alles ist möglich und wird von vielen unter uns — keiner ist da ausgenommen, weder der Bischof noch der geschäftige Organisator, der christliche Staatsmann oder der bürgerliche Alltagspießer — auch in der kommenden Zeit versucht werden. Wir alle werden vor der Wirklichkeit dieses Konzils versagen, in unsere Enge zurück-zukriechen trachten, in das wohlige, schummernde Dunkel der Traditionen, in die erlösende Anonymität einer Masse, die unser Dasein im biologischen Rhythmus zu erlösen verspricht. Wir alle werden während der Wüstenwanderung, zu der dieses Konzil nun aufgebrochen ist, nach den Fleischtöpfen Ägyptens rufen, die wir verlassen haben, nach den Sicherheiten eines problemlosen, undiskutierten Glaubens- und Sittengehorsams, dessen Anordnungen man sich je nachdem zurechtbiegen und auf eigene Faust „anpassen“ konnte.

VIELLEICHT WIRD uns auch insgeheim das Bild des Papstes auf dem überhöhten Thronsessel fehlen, das immerhin etwas Beruhigendes an sich hatte. Einer, der alles am besten weiß, der seine Anordnungen trifft zu jedem nur denkbaren Einzelfall, und der die Kirche regiert wie ein behäbiger, gottlob recht weit entfernter und nur bei Zeremonien sichtbarer Monarch. Auf einem nur leicht erhöhten Sessel wird der Bischof von Rom unter den anderen Bischöfen des Konzils sitzen, wie Petrus in der Versammlung der Apostel. Gewiß werden nach kirchlichem Recht alle Beschlüsse des Konzils erst durch seine Bestätigung gültig. So hielt es die Kirche schon in den frühen Jahrhunderten. Gewiß wird ihm in mancher Auseinandersetzung die keineswegs beneidenswerte Last und Pflicht des „letzten Wortes“ zukommen. Aber das Wort der Bischöfe wird seine volle Gültigkeit und seinen heiligen Nachdruck behalten, auch wenn der eine oder andere unter ihnen wie einst St. Paul dem Petrus „ins Angesicht“ hinein widerstehen wird.

GEGENWART ist diese Kirchenversammlung. Vor ihr gibt es kein Ausweichen in die Vergangenheit mehr. Nicht nur das letzte Konzil der Geschichte, das Vaticanum von 1869/70, hat keinen offiziellen Abschluß gefunden. Auch die neunzehn gültigen Konzile vorher waren keine Ereignisse, die, in sich abgeschlossen, im Herbarium der Geschichte ruhen wie Schlachten .und Heirschertaten verblichener Dynastien. Jedes Konzil ist mit leinem Teil seiner Wirksamkeit — neben einem anderen, zeitbedingten und zeitverfallenen — Gegenwart der Lehre und der 'Frömmigkeit geblieben. Bei jedem Sonntagsgottesdienst wird im Gebet des Credo Nicaea, Konstantinopel, Ephesus und Chalcedon präsent, bei jeder Osterbeichte lebt das vierte Laterankonzil wieder auf, wie in jedem gläubigen Blick auf die Brotsgestalt des wahrhaft gegenwärtigen Herrn. Auch dieses Konzil wird mit seinem offiziellen Abschluß nicht zu Ende sein. Wir setzen in diesen Tagen Wegmarken und Leuchtzeichen für Generationen, die wir noch nicht einmal in den Umrissen erkennen können, i DIE LAST DIESER VERANTWORTUNG, die Gefahr des Versagens ist so groß, daß wir ihr mit noch so viel Mühen, mit noch so viel persönlicher Bereitschaft kaum entgehen können. Die schwerste aller Versuchungen in unseren Tagen harrt ohnedies auch für die, die sich vor all dem, was hier angeführt wurde, gefeit wissen: die große, lähmende Müdigkeit, das Treibenlassen der Resignation, die als vornehmes Verzichten maskierte Feigheit, sich dieser unserer Welt so zu stellen, wie sie ist und wie sie uns in ihrer Gegenwärtigkeit einfordert. Die Kirchenversamm-lung kann ihrer Umwelt und ihrem Jahrhundert nicht entfliehen, sie konnte es auch dann nicht, als mit diesem Zeitalter Schmutz, Grauen und Befleckung in viel reicherem Ausmaß verbunden war als in unseren Tagen, als es galt, unwürdige Päpste abzusetzen, Augiasställe des Klerus auszumisten, • offenkundigen Verfall mit brutalem Namen anzuprangern. Auch wir werden unter der Gegenwart des Konzils dieser inneren Müdigkeit mehr als bisher Herr werden müssen, werden die verborgene Versuchung unserer Zeit, den lähmenden Pessimismus, der un# die Nutzlosigkeit dieses Konzils, das „Eh scho wissen“ des hämischen Beobachters einzuflüstern versucht, als die eigentliche Gefahr zu erkennen haben.

DASS DIE STUNDE des Heilszeichens, die jetzt begonnen hat, auch die Stunde des Satans und der Dämonen sein kann, hat die christliche Welt für einen Augenblick zu ahnen begonnen, als sie die Nachricht vpn einem geplanten Bombenanschlag in der Konzilsaula zu St. Peter erreichte. „Ein Irrer“, so hieß (es sehr bald, und man atmete auf. Aber der Herr selbst hat von den Dämonen gesprochen, deren wir „nur durch Fasten und Gebet“ Herr werden können. Zum Herbstquatember vor dem Konzilsbeginn hat es die Kirche wieder verkünden lassen. Wieder ist der Appell unmittelbar an jeden von uns gerichtet. Mit einer Bußprozession, nicht mit einem Triumphmarsch hat Johannes XXIII. den letzten Tag vor dem Beginn der Versammlung in Rom begehen lassen. Deutlicher konnte es nicht gezeigt werden, was dieses Konzil von uns fordern wird.

Vor vier Jahren erreichte der Ruf zu dieser Versammlung einen einzigen, den neugewählten Papst.

Jetzt ist er an uns alle gerichtet. Und es gibt nur eine Antwort, die jeder einzelne zu geben haben wird, wenn er mit dem Ergebnis dieses Konzils konfrontiert sein wird:

ADSUM. - Ich bin zur Stelle.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung