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Das Wagnis der Monche

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Als die Konzilsväter Anfang Dezember des vergangenen Jahres nach Abschluß der zweiten Sitzungsperiode des ökumenischen Konzils wieder auseinandergingen, da war bei nicht wenigen unter ihnen ein deutlicher Ausdruck der Enttäuschung zu bemerken. Es schien ihnen, als sei das ursprüngliche spring-quellhaf te, befeuernde Element unter Geröll und Schutt begraben und in dürren Sandwehen erstickt worden. Die Debatten haben sich scheinbar in Einzelheiten verloren, die große Thematik der sich verjüngenden und welterneuernden Kirche schien von kleinfigurigem Rankenwerk tiberlagert, viel Zeit und Kraft nutzlos verstrichen und vertan. Besonders von den Missionsbischöfen konnte man solche Ansichten hören — begreiflich, denn sie hatten weite Wege bis zum Zentrum der katholischen Christenheit zurückgelegt, viele finanzielle Opfer gebracht und ihre Gläubigen in der Zerstreuung, in fremder Umwelt zurückgelassen. Dafür aber waren sie gekommen, beladen mit dem ganzen Gepäck von Erwartungen und Hoffnungen, von Anregungen und Wünschen, das sich in langen und bangen Jahren ihres Hirtenamtes auf ihre Seelen gelegt hatte. In ihnen war nun leibhaftig und in ganz besonderem Sinne auf dem Konzil das anwesend, was als entflammendes und aufrüttelndes Schlagwort seit langem in der Christenheit wie ein Weckruf zu hören gewesen war: die missionarische Kirche. Aber sie kam nicht eigentlich zu Wort, sie fand kein Gehör, sie wurde zur Kirche des Schweigens. Nicht, weil man sie nicht hätte hören wollen oder weil sie selbst keine Stimme gehabt hätte; es lag lediglich an der Tagesordnung des Konzils, auf der das Schema über die Missionen weder während der ersten noch bei der zweiten Sitzungsperiode einen Platz gefunden hatte. Und angesichts, .des noch. unaufgi?arbeiteteQ.. Stoffes “dieser' beiden PeVfoden urid der bereits angekündigten neuen Beratungsgegenstände müssen sich die Bischöfe mit Recht fragen, ob auf der dritten Periode denn Raum und Zeit dafür vorhanden sein wird.

Dabei wäre die Behandlung des Schemas über die Missionen vor allem für die Weckung eines gesamtkirchlichen missionarischen Bewußtseins von höchster Bedeutung. Gewiß ist die Missionstätigkeit bei der römischen Zentralbehörde, der Propaganda Fide, nicht gerade in schlechten Händen; gewiß nimmt das christliche Volk allenthalben und im allgemeinen an der Mission regen und opferbereiten Anteil. Aber alles das bewegt sich mehr oder minder auf eingefahrenen Geleisen,

Nicht als ob die Mission auf dem Konzil völlig stumm geblieben wäre; fast immer, wenn ein Bischof aus den Missionsländern sprach, tat er es bewußt als Vertreter der jungen Kirchen und bemühte sich, die missionarische Dimension in den Gegenstand einzuführen, über den gerade verhandelt wurde. Man könnte eine ganze Reihe von Äußerungen unter diesem Gesichtspunkt zusammenstellen, vor allem solche, die im Zusammenhang mit der Frage des Ökumenismus gemacht wurden, weil sich hier gerade das Problem insofern doppelt deutlich abzeichnet, als die weltweit ausgerichtete Frohbotschaft einerseits an alle Menschen guten Willens zu ergehen hat — an die Ökumene also im Sinne der von Gott mit Erlöserliebe gemeinten Gesamtmenschheit — und anderseits ein solches Unternehmen unglaubhaft wird durch die auf gleichem Missionsfeld miteinander konkurrierenden christlichen Kirchen und Gemeinschaften, deren ökumenische Verständigung somit Voraussetzung wirklich fruchtbaren Zeugnisses vor dem zum Glauben Berufenen wäre. Ökumenismus als Begegnung mit den Getrennten im umfassendsten Sinne ist darum eine genuin missionarische Zielsetzung, die niemanden ausschließt und alle einschließt, auch und besonders diejenigen, die sich bisher aus einer Vielfalt von Gründen dem Hören auf das Wort vom Heil in Christus so völlig verschlossen haben wie etwa die so überaus zahlreichen Anhänger des dem Christentum anderseits gerade in gewisser Hinsicht so nahestehenden Islams.

Indessen mögen die Missionsbischöfe getrost sein; um fruchtbar tätig zu sein, bedürfen nicht so sehr sie des Konzils, als daß das Konzil ihrer und ihres Zeugnisses bedarf. Auch dem ersten Kpnzil, das die Kifch,$9gescl3&ht£ .kennt: dem sogenannten ApostelkonzU, von dem in der Apostelgeschichte, Kapitel 15, berichtet wird, wurden bereits Tatsachen, missionarische Erfolge vorgewiesen, die von der Versammlung unter bestimmten Bedingungen gebilligt wurden, aber die Mission war vor dem Konzil da. So auch jetzt: Das Wirken des apostolischen Geistes ist allenthalben mächtig in Wort und Tat, und es fehlt nur, daß es auf den Leuchter der Allgemeinen Kirchenversammlung gestellt werde, um alle zu erhellen, die im Hause Gottes sind oder den Weg dahin suchen. Von einem solchermaßen geistgewirkten Zeugnis soll hier berichtet werden.

„Toumliline“ heißt „Weißer Stein“ in der Berbersprache. So nannten die Leute von Azrou am Fuße des Mittleren Atlas in Marokko eine helle Schrunde im immergrünen Steineichenwald, der den Hang über ihrer Stadt bedeckt. Jahrhunderte mag diese vage, nichtssagende Ortsbezeichnung von Mund zu Mund gegangen sein, und nichts schien anzuzeigen, daß der Glöckchenklang dieses Namens eines Tages in der Welt jenseits der Berge und Meere bedeutungsvoll widerhallen würde.

Es begann vor zwölf Jahren, und es mag tröstlich sein, zu wissen, daß in so kurzer Zeit eine Botschaft zu all denen kommt, die Ohren haben, zu hören. Gewiß, ein Resonanzboden war schon vorbereitet: Chor-les de Foucauld, vor seiner Bekehrung Forschungsreisender in eben diesem Marokko und später Einsiedler im Herzen der Sahara, war das Samenkorn gewesen, das in die Erde fiel und starb, um in unserer Zeit viele Früchte zu bringen. Seine Weise der Nachfolge Christi hat auch beim Werk von Toumliline Pate gestanden.

Doch die Benediktiner der südfranzösischen Abtei En Calcat konnten noch gar nicht wissen, als sie im Jahre 1951 auf Einladung des Erzbischofs Lefevre von Rabat ihr klösterliches Leben in einer ehemaligen französischen Schule am Berghang in 1600 Meter Höhe begannen, daß hier für die Kirche in Marokko und beispielhaft für die ganze nichtchristliche Welt eine neue Art des Zeugnisses anheben, eine noch unbekannte Dimension der Heilsmitteilung anbrechen würde. Allerdings bewahrte sie ein sicherer Glaubensinstinkt von vornherein von der Gefahr, sich vor den damals schon arg beschädigten Wagen der französischen Protektoratsherrschaft spannen zu lassen. Aber sie konnten doch immerhin mit dem Rückhalt an einer fast eine halbe Million zählenden, vor allem französischen Christenheit rechnen, für die sie und die für sie da sein würde.

Schneller als gedacht, ging indessen die Herrschaft Frankreichs über Marokko zu Ende, und mit dem Entstehen eines islamischen Königreiches wandelte sich auch die Rolle der Kirche und ihrer Einrichtungen im Lande. Spontan aus der Situation heraus, im Hinhören.auf den Anruf des Augenblicks, ergab sich für die Benediktiner von Toumliline die Chance, dem selbständig gewordenen Staatswesen ein Antlitz der Kirche zu zeigen, das bisher verborgen gewesen war. Es blieb ihnen unvergessen, daß sie sich während der Kämpfe, unbekümmert um den Einspruch französischer Militärbehörden, liebevoll der marokkanischen Gefangenen in ihrer Nähe angenommen hatten. Als sie gar anfingen, zahlreiche eitern- und heimatlose Kinder aus der Umgebung bei sich aufzunehmen, zu kleiden, zu ernähren, zu erziehen, ohne auch nur im mindesten den Versuch zu machen, sie ihrem Glauben und ihrer Vorstellungswelt zu entfremden, als sie eine Krankenstation für ambulante Behandlung und andere soziale Einrichtungen für die Bevölkerung schufen und sich keiner Not verschlossen zeigten, da war ein Bann gebrochen, und die erstaunten Berber begannen einander zuzuflüstern: „Das da sind wahre Moslems (Gläubige).“

Den im Lande ansässigen Christen war nicht ganz wohl dabei. Viele von ihnen sahen darin einen Abfall von der missionarischen Sendung der Kirche, die sie mit der kolonisatorischen Aufgabe Frankreichs in eins zu setzen gewohnt waren. Aber den Mönchen stand der Bischof zur Seite, der immer wieder in Hirtenschreiben auf die notwendige „Unterscheidung des Christlichen“ hinwies und eine neue Form der Begegnung zwischen Christentum und Islam jenseits eines neuzeitlichen Kreuzzugsklimas heraufdämmern sah. Allmählich wurde das Kloster Toumliline zu einem Treffpunkt der Welten; zahlreiche Gäste kamen; für Studenten — Marokkaner und Franzosen — wurde ein eigenes Gelände zur Verfügung gestellt, wo sie sich in Ruhe und Einsamkeit auf ihre Examina vorbereiten und von einer erstaunlich reichhaltigen Bibliothek Gebrauch machen konnten. Die Großzügigkeit dieses dienenden Daseins für andere wurde zu einer unüberhörbaren Sprache christlicher Verkündigung für die wache Elite eines Volkes auf der Suche nach sich selbst.

Was aber Toumliline seinen ganz besonderen Rang verlieh, waren die internationalen Sommerseminare, die sich aus kleinsten Anfängen entfalteten und Jahr für Jahr junge Mensqh|eft aus Europa, dem Mittleren Osten, Afrika und Amerika zusammenführte: Christen, Moslems, Juden und Heiden. Ein solcher Vorort der Begegnung getrennter geistiger Welten ist von nicht hoch genug zu schätzender Bedeutung. Hier wurden in systematischen Vorträgen und freien Arbeitskreisen sorgfältig vorbereitete Fragen der Erziehung und des Unterrichts, der Familienordnung und des Staatsaufbaus, der Beziehung zwischen Rassen, Kulturen und Religionen, zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Technik und Humanismus erörtert und mehr durch Zusammenleben im Schatten der betenden Mönchsgemeinde als durch programmatische Lösungen einer Klärung nähergebracht.

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