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Zwischen Hoffen und Bangen

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Dr. Ernst Kolb,

Bundesminister a. D., Universitätsprofessor an der Juridischen Fakultät in Innsbruck:

1. Dem Parlament macht man nicht ungern den Vorwurf, daß es Gesetzesentwürfe einfach unverändert annehme und zu allem ja und amen sage, was ihm die Regierung zur Beschlußfassung vorlegt. Beim Konzil hingegen hat man sich verwundert, daß Vorlagen nach eingehender Besprechung als unzulänglich zurückgewiesen wurden, daß die verschiedenen möglichen Standpunkte sachlich dargelegt und vertreten wurden. Hätte dies vermieden werden sollen, so wäre es am einfachsten gewesen, die gewaltige Versammlung gar nicht einzuberufen. Nachdem sie aber getagt hat, ist es beglückend zu wissen, daß diese Heerschau des Geistes auch wirklich vor Geist gesprüht hat. so daß Funken zu sehen waren und zünden konnten.

Es wirkt befreiend, daß ausgesprochen wurde, was gesagt gehörte. Die Gegenwart ist nicht auf die Verwerfung oder Ablehnung dieser oder jener Lehrmeinung neugierig, sondern auf frohe Botschaft, auf Hinweise, wo das Heil zu finden ist.

Die Sinne sind das Tor der Seele, Sinnfällig sind ebenso die Zeichen und Formen der Liturgie wie Wort und Bild in Buch und Funk, Film und Fernsehen. Darum ist es dem Wesen des sinnenbegabten Menschen angemessen, daß sich die Beschlüsse, mit deren Bestätigung und Verkündung die zweite Session des Konzils zu Ende ging, auf die Liturgie und die modernen Nachrichtenmittel beziehen. Ebenso sinnbildlich ist es, daß Papst Paul VI. bei dieser Gelegenheit ankündigte, daß er die Stätten des Heiles aufsuchen werde, von denen einst die frohe Botschaft ausgegangen ist.

Dr. Erika Weinzierl,

Universitätsdozent für österfälC'Kl- sche Geschichte. Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv:

1. Der bisherige Verlauf des Konzils hat meine Erwartungen zum Teil nicht ganz erfüllt, zum größeren Teil aber weit übertroffen. Enttäuschend wirkten auf mich der zeitweilig etwas schleppende Gang der Verhandlungen, der Eindruck, daß manche und gerade besonders wichtige Schemata zum Zeitpunkt der Vorlage noch nicht genügend durchdacht waren oder über die Meinung der Mehrheit der Kommissionsmitglieder beziehungsweise der Konzilsväter hinweg erstellt wurden und daß die bisherige Diskussion über das Diakonat für eine künftige Zulassung und Wirksamkeit auch verheirateter Diakone nicht allzu ermutigend war. Dagegen haben die volle Redefreiheit der Bischöfe, die Ehrlichkeit und der Ernst der Diskussion, die Fülle und Vielfalt der von manchen Konzilsvätern mit erstaunlicher Aufgeschlossenheit behandelten Probleme, die Zulassung von Laienauditoren, die freizügige Information der zweiten Session und die Geduld und die Richtung der Initiativen beider Päpste meine Hoffnung auf das Ergebnis dieses Konzils sehr gestärkt.

2. Die bisher angenommenen und promulgierten Schemata beziehungsweise Konstitutionen über die Liturgie und die Massenmedien werden — zumindest auf Grund des derzeit bekanntgewordenen Inhalts — meiner Meinung nach für das kirchliche Leben in Österreich keine einschneidenden Veränderungen bringen: Die das Schema über die Liturgie bestimmenden zentralen Gedanken wurden von der österreichischen Liturgischen Bewegung schon seit

Jahrzehnten verbreitet und haben sich in unserem Land auch schon weitgehend durchgesetzt. Die Bedeutung der Massenmedien und fundierter Information hat die Kirche in Österreich im allgemeinen ebenfalls schon seit längerer Zeit erkannt und die entsprechenden Folgerungen daraus gezogen (Kathpreß, Kirchenfunk usw.). Aus der bisherigen Arbeit des Konzils ergibt sich daher für Österreich zunächst wohl vor allem eine Belebung der innerkatholischen Diskussion über wesentliche Fragen, wie zum Beispiel die Kollegialität der Bischöfe, die Regierung der Diözesen, die Position der Laien, den Ökumenismus, das Verhältnis der Katholiken zu den Juden, die religiöse Toleranz und vor allem über die Stellung und das Wirken der Kirche in unserer Zeit. Schon dies allein ist im Interesse der Klärung der Standpunkte sehr zu begrüßen.

Joseph Ernst Mayer,

Pfarrer in Wien-Hetzendorf:

1. Offen gestanden, viele Christen — und auch ich — hatten gedacht, das Konzil würde schneller arbeiten und zu mehr greifbaren Ergebnissen kommen. Wir hatten die gewaltigen Schwierigkeiten des Konzils unterschätzt: die übergroße, schwer zu bewältigende Anzahl der Konzilsväter, die große Verschiedenheit ihrer nationalen, religiösen und theologischen Voraussetzungen und Tendenzen, die sehr hinderlichen Sprachschwierigkeiten. Freilich hätte vieles von Anfang an leichtergemacht werden können, etwa durch eine Simultanübertragung oder durch eine bessere Geschäftsordnung, an die sich auch die Kardinale halten müssen — auch manche Menschlichkeiten, Winkelzüge, Verdächtigungen, Geschäftsordnungstricks hätte man sich lieber weggewünscht.

Aber anderseits hat das Konzil die Erwartungen weit übertroffen. Die weltweite Diskussion über die Reform der Kirche und über ihre geistigen Grundlagen ist ein unschätzbarer Gewinn. Die Auffassungen über Wesen und Wirksamkeit der Kirche werden innerhalb und außerhalb ihrer sichtbaren Gemeinschaft revidiert Das Echo der Konzilsarbeiten in der Öffentlichkeit bestätigt die These von der „geheimen Christianisierung der Welt“ (René Marcic). Die seit Jahrhunderten ge-

forderte Rückführung der Macht der Kurie auf das rechte Maß scheint diesem Konzil nun doch zu gelingen.

2. Die Folgen in Österreich? Nun werden die Liturgischen Kommissionen aller Diözesen und die österreichische Kommission in Salzburg ernst zu arbeiten beginnen müssen. Es wäre schlimm, verließe man sich nur auf die Arbeit der reichsdeutschen Kommission und hätte zu dieser Arbeit nichts beizutragen! Die österreichischen Pfarren müßten zur Kenntnis nehmen, daß der tridenti- nisch-barocke Gottesdienst endgültig vorbei ist und daß sie in einem Nachziehverfahren die Grundlagen für die kommende Gottesdienstreform in den nächsten zehn Jahren legen müssen. Dies geht, gering geschätzt, mehr als die Hälfte der österreichischen Pfarren an.

Die Aufwertung der Massenmedien durch das Konzil stellt die Bedeutung des Kirchenfunks unter stärkere Verantwortung der Priester und Laien. Nur wirklich rundfunkgerechte und fernsehtalentierte Mitarbeiter sollten die Kirche dort repräsentieren. Vielleicht geschieht nun endlich der Durchbruch zur Herausgabe von zeitgerechten Pfarrblättern in allen Stadtpfarren, zur Errichtung von religiösen Informa- tipnszentren, zum Einsatz moderner Werbemittel für die Sache Christi.

Schließlich könnte die kollegiale Ergänzung der Struktur der Kirche auch auf Diözesan- und Pfarrebene fortgesetzt werden, durch ein tätiges Konsistorium und einen Laienbeirat des Bischofs sowie durch die Einrichtung und Verlebendigung des Pfarrausschusses in allen Pfarren.

Dr. Winfried Gruber,

Universitätsprofessor an der Theologischen Fakultät der Universität Graz:

1. Das Konzil hat auf langen und verschlungenen Wegen zum „Volk Gottes“ zurückgefunden. Auf der Suche nach dem gültigen Kirchenbegriff — gültig in dem Sinn, daß er allen heutigen Erfordernissen entsprechen soll — ist das uralte Bild vom „Volk Gottes“ wiederentdeckt worden. Damit ist zwar das seit dem Tridentinum immer mehr in Ansehen gekommene Bild vom „Leib Christi“ nicht überholt — es ist der Kirche wesentlich —, hat aber seinen weiten heilsgeschichtlichen Rahmen bekommen. Alter Bund und Neuer Bund wirken da zusammen, unverlierbar der eine, unaufhebbar der andere. Neu zeigen sich die inneren Bindungen der Kirche: an den Kult, an das Amt, an das Reich Gottes.

Kult und Amt standen bisher schon im Mittelpunkt der Verhandlungen. Dem Volk Gottes wurde sein Anrecht auf eine Volksliturgie feierlich bestätigt: die Liturgiekonstitution des Konzils bedeutet weniger ..Fortschritt“ als vielmehr die erseh"hte Rückkehr zur kultischen Existenz der Kirche, zu dem Volk,

das sich Gott erwählt hat, daß es Ihm „in der Wüste“ ein Opfer darbringe (Ex. 3, 18). Zumindest ist ein erster Schritt mutig getan. — Das Amt soll als Dienst der Liebe verstanden werden, als Vorstehung der Hirten und Väter. Nicht um das formell-rechtliche Verhältnis Primat zum Episkopat geht es — das dürfte die Welt wenig interessieren —, sondern um die Realisierung des Amtes der Väterlichkeit in einem Volk, das Gott als Seine Familie angenommen hat. Hier sind die Bischöfe nicht Stellvertreter des Papstes, sondern gemeinsam mit ihm und geführt von ihm Vertreter des obersten Hirten und Bruders Jesus Christus. Die vielbesprochene und heftig umkämpfte Kollegialität des Bischofsamtes darf nicht an den Grenzen dieses Amtes haltmachen, sondern muß sich als wahre Brüderlichkeit von oben bis unten durchsetzen. Der Geist, in dem wir rufen können: „Abba, Vater!“, möge das Konzil auch in diesem Punkt zur Absage an allen Klerikalismus bewegen und zu den reinen Linien des Anfangs zurückführen.

Volk Gottes ist gesammelt aus vielen Völkern. Die universale Verbundenheit mit allen Menschen ist in dem Erlaß über die Massenmedien ausgesprochen. Es hätte zu einer theologischen Vertiefung des Pluralismus in der Wahrheit führen können. Aber sind wir froh, daß auch das Volk Gottes ein Dokument für das „Recht auf Information“ hat, wie es in allen „Deklarationen der Menschenrechte“ schon seit jeher vorhanden war.

2. An Auswirkungen für Österreich erwarte ich mir in den ökumenischen Belangen viel. Österreich wird vom Konzil an seine geschichtliche Aufgabe erinnert, ein Raum der Ökumene zu sein: Leben und leben lassen! In kirchliche und völkischer Hinsicht, was letztlich auf eines hinauskommt, ist der Dienst an der Einheit der brüderlichste unter allen. Zur Religionsfreiheit, die nicht aus Gleichgültigkeit, sondern aus Achtung kommt, wird der Österreicher zum Segen für die Welt und licht zum Unsegen für sein eigenes Land noch manches beitragen. Das Konzil wird ihn dazu ermutigen.

Dr. Kurt Schubert, Universitätsprofessor an der Philosophischen Fakultät in Wien:

1. Auch die Kirche hat so etwas wie eine unaufgearbeitete Vergangenheit. Das wird am deutlichsten bei ihrem Verhältnis zum Judentum. Schon in frühchristlicher Zeit hat sie den heidnischen Antisemitismus weitgehend übernommen, ja diesem noch theologische Begründung gegeben. So sah sie zum Beispiel in der Zerstörung Jerusalems 70 n. Chr. durch die heidnischen Römer ein Gottesurteil über das Judentum, das seinen Messias verworfen hat (schon Lukas 21, 20 bis 24). Ebenso war auch der große Kirchenvater Augustin davon überzeugt, daß die sündigen Juden mit vollem Recht den nach heidnischen Gesichtspunkten tugendhaften Römern preisgegeben wurden, „damit diejenigen, die mit derartigen Tugenden ausgestattet irdischen Ruhm erstrebten und erlangten, jene besiegten, die auf Grund ihrer großen Mängel den Spender des wahren Ruhmes und des ewigen Reiches getötet und verworfen hatten“ (Civitas Dei 5, 18). Für viele Jahrhunderte galt das Judentum der Kirche nur als Zeuge der Verstocktheit und Sünde. Sie war bestrebt, es entweder im Getto zu konfinie- ren oder so schnell wie möglich der Taufe zuzuführen. Echte religiöse Impulse wurden dem Judentum weitgehend nicht zuerkannt. Die „perfidi Judeie“ waren ein Begriff für die Christenheit. Zu den positiven Folgen der Katastrophe des Nationalsozialismus gehört nicht nur die Gründung des Staates Israel, sondern auch der entschlossene Wille der Kirche, ihr Verhältnis zum Judentum neu zu verstehen. So wie die Kirche heute in den Protestanten die getrennten Brüder sieht, so versteht sie in den Juden Partner im Bunde.

Es ist daher konsequent, daß die jüdische Frage dem Konzil vom Sekretariat für die Einheit der Christen vorgelegt wurde. Unverständlich scheint der Anstoß, den manche Konzilsväter gerade daran genommen haben und das Judentum lieber auf einer Linie mit dem Islam, Buddhismus und anderen Religionen behandelt gesehen hätten. Haben wir doch nur mit dem Judentum und mit gar keiner anderen Religion die Heilige Schrift des Alten Testamentes gemeinsam. Wichtig scheint auch die Feststellung, daß auf Grund unserer Offenbarungsquellen der Antisemitismus, ursprünglich nichts anderes als eine heidnische Reaktion auf den Erwählungsanspruch des Judentums, den ja wir Christen nicht nur voll anerkennen, sondern auch auf uns selbst beziehen, keinerlei Rechtfertigung erfahren kann. Als Folge für die Verkündigung — vor allem der Ereignisse der Passionswoche — ergibt sich daraus, daß ohne Verkürzung der eigenen Botschaft alles getan werden muß, um dem Antisemitismus entgegenzuwirken,

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