Bischöfe - © APA/AFP (Collage: Rainer Messerklinger)  -  Bischöfe beim Abschluss der ersten Session des II. Vatikanums (Petersdom, 8.12.1962)

Das Konzil: Schnee von gestern oder Quellgrund für morgen?

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Als das II. Vatikanum begann, schrieb der Autor dieses Betrags an der Gregoriana in Rom gerade seine Dissertation. Eine heutige Konzils-Einschätzung eines der großen alten Männer der Theologie.

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Als das II. Vatikanum begann, schrieb der Autor dieses Betrags an der Gregoriana in Rom gerade seine Dissertation. Eine heutige Konzils-Einschätzung eines der großen alten Männer der Theologie.

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Wieso und wozu?

Die Konzilsankündigung durch Johannes XXIII. am Abend des 25. Jänner 1959 provozierte in aller Welt zwei Fragen: Wieso ein Konzil? Und wozu? Wieso: Als Inhaber der absoluten Leitungs- und Lehrgewalt seit 1870 konnte der Papst doch eigenständig alle Maßnahmen zum Wohl der Kirche ergreifen. Antwort: Genau das hatte er eben getan! Aber wozu? Konzilien galten bisher als Feuerwehr der Kirche im ultimativen Einsatz, wenn die Flammen aus dem Dach der Kirche schlugen.

Aber Pius XII. hatte das Haus gut bestellt: Außer dem Widerschein der Sonne leuchtete nichts. Artur Michael Landgraf, Weihbischof im fränkischen Bamberg, exzellenter Kenner der Dogmengeschichte, gab 1957 zu Protokoll: „Gäbe es eine Prophezeiung, dass das Ende der Welt da sei, wenn Frieden in der Kirche herrscht und der Höhepunkt der Theologie erreicht ist, dann wäre es wohl so weit“.
Als am 11. Oktober 1962 die Bischöfe in schier endlosem Zug zur Konzilseröffnung in St. Peter einzogen, war auch diese Frage beantwortet, aber anders als es Landgraf gemeint hatte. Im Mai 1959 hatte das Staatssekretariat von den Bischöfen und Theologischen Fakultäten des Erdkreises Voten für die Agenda der Versammlung erbeten. Sie prasselten wie ein Starkregen auf den Vatikan – heute gesammelt in elf lexikonstarken Bänden. Der Schwerpunkt war überdeutlich: Die pianische Kirchenruhe war die Ruhe eines Friedhofs. Es brodelte in der Kirche. Sonder Zweifel musste das Konzil ein Konzil der Kirche über die Kirche für die Kirche werden.

Was ist Kirche?

Schon in der ersten Arbeitssitzung (13. Oktober) zeigte sich, dass es zwei kontroverse Lager gab: eine überschaubare Minorität (10–20 Prozent) und eine überwältigende Mehrheit. Was sie schied, war das Kirchenbild. Die Minderheit (hauptsächlich Kurienbischöfe) dachte traditionalistisch. Sie ging von der paulinischen Vorstellung der Kirche als Leib Christi aus, reduzierte diese aber bis zur Unkenntlichkeit – wichtig war ihnen lediglich das Haupt: Das war der römische Bischof, der als Stellvertreter (vicarius) des Herrn die Kirche in seinem Namen, mit seiner Voll-Macht führte.

Kirche erscheint als Pyramide, streng vertikal ausgerichtet. Schneidet man (auch ganz oben) die Pyramide durch, bleibt der obere Teil immer noch Pyramide, der untere mitnichten. So konnte man seit dem Vatikanum I sagen, was im Mittelalter die Einzelmeinung eines Augustinus Triumphus (+ 1328) gewesen war: „Papa, qui dici potest Ecclesia“ – zwischen Papst und Kirche steht das mathematische Gleichheitszeichen. Kirche ist Universalkirche mit Filialen (die Ortskirchen, also die Bistümer). Haupttugend der Christgläubigen ist der Gehorsam. Kirche ist wesensmäßig Hierarchie. Die Konzilsaufgabe war kosmetisch: An ewigen Wahrheiten vermag man nichts zu ändern; verständlicher ließen sie sich aber möglicherweise doch ausdrücken.

Die reformbereite Majorität dachte gleichfalls paulinisch, doch sah sie wie der Apostel den Leib als Gesamtheit aller Glieder, deren jedes einzelne für die Integrität und Funktionalität des Organismus gleich lebensförderlich ist. Die Kirche gleicht einem Netz, in dem die Horizontale wichtig ist: Die Knotenpunkte sind mit der Mitte (Rom), aber auch untereinander untrennbar verknüpft.

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