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Antwort auf Luthers Fragen

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sung der ersten, kurialen Schemata) bestätigten die Erwartungen in hohem Maß.

Was wurde vom Konzil erwartet, was wurde eingelöst?

• „aggiornamento“, die Besinnung auf Sinn und Aufgabe der Kirche in der Welt von heute. Dieser Aspekt des Konzils war wohl überhaupt der faszinierendste, wenn auch schwierigste, und gerade für denProtestantismus aufregendste. Er, der als gegenwartsbezogen und weltoffen galt, sah sich plötzlich überholt, stand fortan unter der Herausforderung, in gleicher Weise sich auf die Probleme der Menschheit heute einzulassen.

• Eine Selbstbestimmung der katholischen Kirche ohne Fremdbestimmung durch die Reformation. Es war das Problem der katholischen Theologie überhaupt und des ökumenischen Gesprächs, daß das letzte große Lehrkonzil, das Tridentinum, katholische Lehre nahezu ausschließlich im Gegensatz der noch dazu weithin falsch verstandenen reformatorischen Lehre definierte. Nun wurde das Konzü nicht nur hervorragend vorbereitet, sondern fand auch unter Einschluß der ökumenischen Beobachter statt. So kann dann auch der französische Lutherforscher Daniel Olivier mit gewissem Recht sagen, erst das II. Vatikanum hätte die Fragen Luthers beantwortet.

• Eine offizielle Legitimierung der Lehrentwicklungen, die in den vorausgehenden Jahrzehnten im Katholizismus und im ökumenischen Gespräch stattgefunden hat. Das beginnt mit der „Emanzipation“ der Theologie vom kirchlichen Lehramt und damit der Beendigung des restriktiven Umgangs mit der Theologie, wie er seit dem Modernistenstreit üblich war, eine Bewegung, die ihre sichtbare Darstellung in der eminenten Rolle der Konzilstheologen fand.

Für das ökumenische Gespräch sind folgende Texte von besonderer Bedeutung:

• Im „Gkumenismusdekret“ werden die „getrennten Brüder“ als Brüder anerkannt, römische Schuld an der Trennung wird eingestanden, die ökumenischen Bemühungen werden als zentrale Aufgabe der Kirche bezeichnet. Vor allem aber: Es wird endgültig von der traditionellen Vorstellung Abschied genommen, Wiedervereinigung der Kirchen wäre nur als Rückkehr der Getrennten denkbar.

• Die Konstitution über „Die göttliche Offenbarung“ überwindet die traditionelle Kontroversfrage, ob Schrift und Tradition, oder nur die Schrift allein Offenbarungsquellen sind und redet dezidiert von dem einen Offenbarungsstrom, was die Kontroversfrage auf einen ganz neuen Boden stellt.

• Die Kirchenkonstitution hat vor allem mit der Definition der Kirche als „Volk Gottes“, der Aufwertung der „Laien“ wie des Episkopates wesentliche Weichen für die Ökumene gestellt.

Die Konzilstexte sind Hoffnungsträger, aber auch interpretationsbedürftig. Vielen Formu-

lierungen haftet der Kompromißcharakter an, sie sind mehrdeutig. Um ein Beispiel zu nennen: Das Ökumenismusdekret unterscheidet zwischen „Kirchen“ und „kirchlichen Gemeinschaften“, wobei mit ersteren die Ostkirchen, mit letzteren die übrigen gemeint sind, was in Spannung zu der Bezeichnung auch der Protestanten als „Brüder“ steht.

So erweist sich die Konzilsgeschichte als offene Geschichte, und die Frage stellt sich, in welchem Geist die Geschichte weitergeht, die Ansätze des Konzils weiterverfolgend oder zurücknehmend. Und: Wer interpretiert die Texte? Das zentrale Lehramt in Rom oder die Weltkirche, wie sie sich im Konzil darstellte, in offener Diskussion?

Bereits die autoritative Interpretation der Kirchenkonstitution zeigt, wie schon auf dem Konzil Weichen gestellt wurden. Der neue Codex Iuris Canonici (CIC) blieb weithin hinter den Erwartungen zurück. Der römische Zentralismus setzt sich energisch durch. In der Auseinandersetzung um die Befreiungstheologie wie um andere regionale Entwicklungen, die legitim sich auf das Konzil berufen, wird die Tendenz deutlich, seine Ansätze zurückzunehmen.

Neuerdings fällt die resolute Feststellung auf, daß nur der Papst das Recht habe, den „Geist“ des Konzils zu definieren. Mehr noch: Positionen, die endgültig durch das Konzil überwunden schienen, werden wieder vorgebracht, etwa, daß die Wiedervereinigung der Kirchen nur als Rückkehr der getrennten Kirchen in den römischen Mutterschoß möglich sei. Es genügt eben nicht, bei Bedarf zu beteuern, das Konzil bleibe verbindlich, wenn immer wieder gegenläufige Tendenzen zum Durchbruch kommen.

Das Zweite Vatikanische Konzil verspricht viel, für die Ökumene wie für die Christenheit überhaupt. Es sind Versprechungen, die von der weiteren Geschichte einzulösen sind. 25 Jahre danach stellt man bedauernd fest, daß die Hoffnungen weniger eingelöst worden sind, als vernünftigerweise erwartet werden konnte.

Der Autor ist evangelischer Pfarrer und Dozent an der Universität Wien.

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