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Wie weit ist Rom von Canterbury ?

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Ordination der Frau hier, Unfehlbarkeit des Papstes dort - dem gut in Gang gekommenen Dialog zwischen Katholiken und An-glikanern mangelt es nicht an noch offenen Fragen.

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Ordination der Frau hier, Unfehlbarkeit des Papstes dort - dem gut in Gang gekommenen Dialog zwischen Katholiken und An-glikanern mangelt es nicht an noch offenen Fragen.

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Seit dem Jahre 1982 befindet sich der anglikanisch/römischkatholische Dialog in einem eigenartigen, wenn auch keineswegs inaktiven Wartezustand. Zwei einschneidende Ereignisse kennzeichneten jenes Jahr: die Veröffentlichung des Abschlußberichtes der Anglikanisch/Römisch-Katholischen Internationalen Kommission (ARCIC) sowie der Besuch von Papst Johannes Paul II. in England, speziell der große ökumenische Gottesdienst mit dem Papst in der Kathedrale von Canterbury, dem Sitz des Primas der Kirche von England und der weltweiten anglikanischen Kirchengemeinschaft.

Während das erste Ereignis unter den bisherigen Weg des Dialoges einen Schlußstrich zog, um den beiden Kirchen den Ertrag 14j ähriger Arbeit zur Stellungnahme vorzulegen, war das zweite darauf angelegt, der neuen Phase der Annäherung einen starken geistlichen Impuls zu geben und die Ziele zu setzen.

Seitdem wird die weitere Entwicklung vor allem an drei Linien ablesbar:

• an der Rezeption des Abschlußberichtes durch die beiden Kir-

chen, die auf anglikanischer Seite wohl mit der Lambeth-Konf erenz 1988 und katholischerseits mit einer verbindlichen Stellungnahme Roms etwa zur gleichen Zeit ihren offiziellen Abschluß finden wird;

• an der Weiterführung des Dialogs durch eine von den beiden Kirchenhäuptern in Canterbury beschlossene zweite internationale Kommission (ARCIC II);

• schließlich an der weiteren Entwicklung innerhalb der beiden Kirchen, speziell hinsichtlich der Frage der Frauenordination auf anglikanischer und hinsichtlich der bischöflichen Kollegialität auf katholischer Seite.

Bedeutsam sind schließlich die Entwicklungen im Gesamtfeld ökumenischer Beziehungen, vor allem in den bilateralen Dialogen beider Kirchen mit anderen christlichen Kirchengemeinschaften.

Der offizielle Dialog der beiden Kirchen ist im Jahre 1966 von Papst Paul VI. und Erzbischof Michael Ramsey von Canterbury bei dessen Besuch in Rom ingang-gesetzt worden. Eine vorbereitende Kommission faßte 1968 ihre Ergebnisse in einer Reihe von Empfehlungen zusammen. Sie entwik-kelte darin das Konzept einer „Einigung in Stadien". Es bedeutete vor allem, eine (wenn auch begrenzte) Sakramentsgemeinschaft beider Kirchen noch vor einer vollen Einigung über Fragen der kirchlichen Autorität in Lehre und Leitung anzustreben. Einer Sakramentsgemeinschaft standen die unterschiedlichen Auffassungen beider Kirchen in der Lehre von der Eucharistie und vom Amt im Wege sowie die darauf fußende Verurteilung der anglikanischen Weihen durch Rom (offiziell ausgesprochen durch die Bulle „Apostolicae Curae" Leos XIII., 1896). Andererseits war klar, daß die Frage des Papstamtes als eines mit Jurisdiktionsprimat und Unfehlbarkeit ausgestatteten zentralen, gesamtkirchlichen Leitungsamtes das eigentliche Problem darstellt, das die beiden Kirchen seit der Zeit Hein-

richs VIII. getrennt hat und ihre volle Einigung bis heute verhindert.

Für die internationale Kommission (ARCIC), die im Jahr 1970 ihre Arbeit aufnahm, ergaben sich daher die Themenkreise Eucharistie und Amt als Voraussetzung einer Sakramentsgemeinschaft sowie die Fragen um die Autorität in der Kirche als Grundlage der vollen Einheit.

Während die Kommission sich in den ersteren Fragenkreisen auf die Fortschritte in der gleichzeitigen gesamtökumenischen Entwicklung stützen konnte und so recht bald zu ausgereiften gemeinsamen Erklärungen gelangte, leistete sie in den Fragen der kirchlichen Autorität ökumenische Pionierarbeit und brauchte dazu eine wesentlich längere Zeit.

Der 1982 veröffentlichte Abschlußbericht umfaßt je eine Erklärung über die Eucharistie und

das Amt, ein grundlegendes Dokument über die Frage der Autorität in der Kirche und ein zweites, das sich mit den speziellen Fragen des Papstamtes auseinandersetzt; dazu eine theologische Einführung über den Grundbegriff kirchlicher Gemeinschaft („koinonia") und Erläuterungen zu den einzelnen Dokumenten.

Die Kommission selbst gibt in ihrem Bericht der Uberzeugung Ausdruck, in allen Punkten eine „substantielle" Einigung erreicht zu haben mit Ausnahme des Unfehlbarkeitsdogmas von 1870. Gleichzeitig mit der Veröffentlichung des Abschlußberichtes erschien jedoch bereits eine detaillierte Stellungnahme der römischen Glaubenskongregation, die darauf abzielte, hochgespannte Erwartungen zu dämpfen und den Anspruch der Kommission auf „substantielle Ubereinstimmung" in Frage zu stellen.

Kardinal Joseph Ratzinger, gerade zum Präfekt dieser Kongregation ernannt, äußerte darüber hinaus in einem eigenen Beitrag in der Internationalen Theologischen Zeitschrift seine Zweifel an der Bereitschaft der Anglikaner, sich wirklich auf eine verbindli-

che Einheit der universalen Kirche mit einem zentralen und bevollmächtigten Leitungsamt einzulassen.

Maßgeblich für die Entscheidung der katholischen Kirche ist letztendlich jedoch nicht die Glaubenskongregation, sondern der Papst zusammen mit dem Kollegium der Bischöfe. Alle nationalen Bischofskonferenzen der katholischen Kirche sind dazu aufgefordert, dem Papst ihre Stellungnahme zum Abschlußbericht vorzulegen. Einige Bischofskonferenzen haben ihre Stellungnahmen jedoch bereits auch der Öffentlichkeit übergeben. Dabei wird deutlich, daß die Bischöfe sich von der Sicht der Glaubenskongregation unabhängig zu machen wissen. Vor allem die in diesem Jahr veröffentlichte, überaus ermutigende Beurteilung des Abschlußberichtes durch die katholischen Bischöfe in England und

Wales dürfte für den weiteren Weg der beiden Kirchen von ausschlaggebender Bedeutung sein.

Hoffnungsvoll war auch das Signal, das im Jahr der Veröffentlichung des Abschlußberichtes Papst Johannes Paul ILpersönlich durch seinen Besuch in der Kathedrale von Canterbury setzte. Der ökumenische Gottesdienst, an dem Vertreter aller christlichen Kirchen in Großbritannien teilnahmen und der Papst zusammen mit dem Erzbischof von Canterbury den Vorsitz führte, war darauf angelegt, die verbindliche Einheit aller Christen und Kirchen im Zeichen und Bekenntnis der Taufe zu bezeugen.

Die anschließend von beiden Kirchenführern unterzeichnete Erklärung will dem weiteren Dialog ihrer Kirchen die Richtung weisen. Beschlossen wurde, eine neue internationale Kommission einzusetzen, die nicht nur die noch verbleibenden Lehrunterschiede aufarbeiten, sondern die konkreten Bedingungen für eine gegenseitige Anerkennung der Ämter und die Herstellung voller Einheit klären soll.

Die neue Kommission (ARCIC II) mit Vertretern der anglikani-

schen und römisch-katholischen Kirche aus allen Teilen der Welt hat ihre Arbeit seitdem aufgenommen mit einer Untersuchung der für reformatorische Theologie srundlegenden Frage nach Rechtfertigung und Heil.

Auch wenn diese Grundfrage im ökumenischen Dialog bereits seit langem als geklärt gilt, beharrten die evangelikalen Gruppen in der anglikanischen Kirche — durchaus zurecht — darauf, daß sie in den offiziellen Dialog der beiden Kirchen eingebracht und dort aufgearbeitet werden muß.

So fruchtbar der bisherige Dialog verlief und so hoffnungsvoll man seine weitere Entwicklung einschätzen darf — den beiden Kirchen sind durch Entwicklungen innerhalb der anglikanischen Kirchengemeinschaft neue Hindernisse erwachsen.

Dazu gehört einmal die zunehmende Bejahung der kirchlichen Wiederverheiratung Geschiedener nach einer als gültig betrachteten, aber unheilbar zerbrochenen ersten Ehe. Dazu gehört vor allem die in einer Reihe von anglikanischen Teilkirchen bereits eingeführte Priesterweihe der Frau. Die anglikanische „Mutterkirche", die Kirche von England, befindet sich noch im Prozeß ihrer Entscheidungsfindung zu dieser Frage, ökumenische Rücksichten haben sie bisher gehindert, einen solchen Schritt, den sie theologisch als möglich betrachtet, auch tatsächlich zu vollziehen.

Immer deutlicher wird schließlich, daß bilaterale Dialoge zwei Kirchen jeweils nur ein Stück weit einander nähern, sie jedoch nicht — sozusagen im Alleingang miteinander — ans Ziel bringen können. Entwicklungen im anglikanisch/römisch-katholischen Dialog sind letztlich nicht ablösbar von denen im bilateralen Dialog beider Kirchen etwa mit den Orthodoxen, den Lutheranern, den Reformierten sowie von den Fortschritten im multilateralen Dialog der Kirchen.

Drei große Fragenkreise scheinen insbesondere einer multilateralen Lösung zu bedürfen: die Versöhnung bischöflicher und nicht-bischöflicher Ämter (für die Anglikaner und Katholiken gemeinsam mit allen bischöflich verfaßten Kirchen letztlich eine gemeinsame Form finden müssen); die Frage der Ordination der Frau; und schließlich die Frage einer ökumenischen Interpretation und Rezeption des Papstamtes. Für das letztere ist schließlich von ausschlaggebender Bedeutung, welchen Entfaltungsraum die Kollegialität der Bischöfe und die legitime Eigenständigkeit und Vielfalt der Ortskirchen innerhalb der römisch-katholischen Kirche in den kommenden Jahrzehnten tatsächlich erhalten.

Die Ergebnisse im anglikanisch/römisch-katholischen Dialog sollten daher nicht an dem Maßstab gemessen werden, wie weit sie zur Herstellung der vollen Einheit zwischen diesen zwei Kirchen allein für sich hinreichen -ein irreales und in dieser Engsich-tigkeit nicht einmal wünschenswertes Ziel; ihren wirklichen Wert erhalten sie als Beiträge zur Wiederherstellung der Einheit des ganzen, unteilbaren Leibes Christi.

Der Autor ist Benediktiner in Trier (Bundesrepublik Deutschland).

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