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Um die Einheit in der evangelischen Kirche Deutschlands

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Es Ist leichter als man glaubt, sich zu hassen. Die Gnade besteht darin, daß man sich vergißt. Wenn aber aller Stolz in uns gestorben wäre, dann wäre die Gnade der Gnaden, sich selbst demütig zu lieben als irgendeinen, wenn auch noch so unwesentlichen Bestandteil der leidenden Glieder Christi.

George Bernanos

Die Kulturpolitik des Dritten Reiches hatte Reformierte, Lutheraner und Unionisten bald nach der „Machtergreifung“ in eine Front zusammengedrängt. Die „Bekenntnis-synode“ der Deutschen Evangelischen Kirche in Barmen vom 29. bis 31. Mai 1934 wurde der Ausgangspunkt gemeinsamer Abwehrmaßnahmen.

Die drei Bekenntnisse verfügten zufolge dieser Verständigung über eine theologisdie Privatfakultät, die „Theologische Schule“ in den Bodelschwinghsdien Anstalten in Bethel-Bielefeld. Dort trafen sich die jungen Theologen aller drei kirdilicher Gemeinschaften zu gemeinsamer Ausbildung durch Dozenten, die zugleich als Pfarrer in der Umgebung tätig waren. Trotz der Verschiedenheit im Bekenntnis, war das einigende Band durch eine „gegenüber dem Säkulum bis zum Martyrium entsddossene Haltung und äußerste Treue zu Christus und den Evangelien“ gebildet. Führende Männer im Abwehrkampf gegen die nationalsozialistischen Machthaber waren vor allem Landesbischof Dr. Marahrens (Hannover); aus dem Berneuchener Kreis, Meiser (Nürnberg), der greise Landesbischof Wurm (Württemberg) und Hans Asmussen (Altona). Ebensp hatte Reinhold von Thadden, der- heutige Vorsitzende der evangelisch-christlichen Studentenbewegung, der Deutschland zur Zeit beim Ökumenischen Kirchenrat in Genf vertritt, schon vor dem Kriege in der Bekennenden Kirdie Deutsdilands eine nahmhafte Stelle eingenommen und später, als deutsdier Befehlshaber in Löwen, durch seine wahrhaft christliche Haltung vielen Belgiern, darunter auch dem internierten katholischen Prälaten van Wayenberg, das Leben gerettet. Er entstammt einer dem Pietismus zugeneigten Familie aus dem ostelbisdien Junkertum. Zu dem geschilderten Führerkreis zählte auch Pastor Niemöller, der wie Thadden aus der altpreußischen Union kam. Ein Mann, der heute großen Respekt in Deutschland und in der ganzen Welt genießt und doch zugleich eine sehr umstrittene Persönlichkeit geworden ist.

Der Untergang des Dritten Reiches beseitigte zunächst die letzten Reste der „Deutschen Christen“ des „Reisbi“, des ehemaligen preußischen Wehrkreispfarrers und sogenannten „Reichsbischofs“ Ludwig Müller. Die Leute, die zugleich mit ihm Führer gespielt, hatten der Generation Adolf v.Harnacks angehört. Als Kinder des Liberalismus machte diesen eine „Korrektur“ ihres evangelischen Bekenntnisses im- Sinne der „deutsdien Erneuerung“ wenig Schwierigkeiten. Ebenso hatten die jungen Theologen, die sich zu den „Deutschen Christen“ bekann-•ten, frühzeitig das Ende ihrer „Kirche“ vorbereiten geholfen, indem sie bereits zur Zeit der Machtergreifung im Parteikader der NSDAP ihre wahre „Glaubensgemeinschaft“ entdeduen.

Doch der staatliche Zusammenbruch ging auch am großen Blodc der bekenntnistreuen Kirche nicht ohne Einwirkung vorüber. Seitdem der Druck durch das kirchenfeindliche System gewichen ist, machen sich innerhalb der evangelischen Christenheit Deutschlands Tendenzen bemerkbar, die keinesfalls allein mit der Bezeichnung einer neuerdings zunehmenden Aufspaltung abgetan werden dürfen. Die einzelnen konfessionellen

Gruppen streben nadi einer Vertiefung im Sinne ihres besonderen Bekenntnisses, womit aber auch zunächst eine gewisse Bedrohung der Einheit der EKD (Evangelischen Kirche Deutschlands) gegeben erscheint. Angesichts einer bevorstehenden Synode der Deutschen Evangelischen Kirche, die sich mit der Frage der künftigen Stellung der einzelnen Bekenntnisse zueinander befassen wird, werden heute Stimmen laut, deren Betrachtung es ermöglicht, diese neuesten Bestrebungen zu beurteilen. Betrachtet man die Kirchenverfassung vom Jahre 1891, die die Reinheit der einzelnen Bekenntnisse unangetastet ließ, als weise und richtig, so wird dagegen jene, die von der Synode 1931 beschlossen, aber niemals sanktioniert wurde, abgelehnt, weil sie Unionstendenzen aufwies und auf eine „Verwischung und Einebnung der Bekenntnisse“ gerichtet war. Es wird von der künftigen Kirchenverfassung verlangt, daß sie das Augsburger und das Helvetische Bekenntnis nicht bloß als „aus Pietät mitgeschleppte Traditionselemehte“ behandle. Hans Asmussen, der führende Mann der Bekennenden Kirche im Rat der EKD, zu-gleidi Leiter der Kirchenkanzlei, unterstreicht es in einem Lagebericht als einen charakteristischen Zug des Liberalismus, für Lehrfragen kein Verständnis haben; seine Überwindung im Gefolge des ersten Weltkrieges bringe es mit sich, daß die Bekenntnisse wieder ernst genommen würden. Freilich trete dadurch der Unterschied zwischen Reformierten und Lutheranern wieder bewußter in Erscheinung; daraus erwachse jedoch keineswegs die, Forderung, das verstaubte Rüstzeug des 16. und 17. Jahrhunderts wieder anzulegen. Die „Theologische Erklärung von Barmen“ sei zwar noch nicht überall durchgedrungen, aber sie sei ein Anfang auf dem Wege zur „Betonung der Gemeinsamkeiten“. „Die neutestamentliche Theologie der letzten Jahrhunderte lehrt uns in großer Übereinstimmung, das heilige Abendmahl von einer anderen Sicht her zu schauen, als es Luther und Kalvin geschaut haben. Der Kampf der Kirche in den zwölf letzten Jahren hat uns, Lutherische, Reformierte und Unierte, so nahe aneinander gebracht, daß wir es nie wieder vergessen können.“ Aber auch „die Bekenntnisse in ihrer Verschiedenheit sind uns wichtig geworden“. Noch sei keine Brücke zwischen beiden Polen gefunden worden; seien die Landeskirchen der Gefahr der Verkrustung und der Abkaspelung in sich selbst ausgesetzt, so sei die Bekennende Kirdie, wie die Kirchenversammlung in Treysa (1945) gezeigt habe, zwar eine Größe, die durch alle anderen Kirchen „hindurchgehe“, aber sie sei „zu sehr fließend, zu sehr verschwommen in ihrem Charakter“. Aber beides seien unbestreitbare Wirklichkeiten. Dieser Widerspruch müsse gesehen werden, denn „Schwärmerei ist die permanente Revolution und die permanente Unordnung“. — In einem „Bund“ der fest in ihrem

Bekenntnis wurzelnden Kirche werde Bekenntnis nicht im Sinne der Kampfstellung des 16. Jahrhunderts als Abgrenzung, als Negation, sondern in erster Linie als Position gesehen! Also in einer pluralistischen Vielheit in der Einheit, sieht Asmussen das in naher Zukunft liegende Ziel.

Von diesem Blickpunkt aus muß auch das Bestreben einer Reihe von lutherischen Kirchen, sich zu einer „Vereinigung Evangelisch-Lutherischer Kirchen Deutschlands“ (VELKD) zusammenzuschließen, betrachtet werden. Der um die Einheit der EKD bemühte Asmussen sieht hierin ein zweifellos ernstes Anliegen. Es kann nicht verwundern, daß dieses Streben auf lebhaften Widerspruch seitens der reformierten Christen in der EKD stößt, zumal die lutherischen Kirchen bereits Entschlüsse gefaßt haben, wie in einem Verfassungsentwurf vom 12. November 1946, die tatsächlich die Befürchtungen um die künftige Einheit der EKD begründen können.

Als leitende Organe der VELKD sind in diesem Verfassungsentwurf die lutherische Bischofskonferenz, der leitende Bischof (der allerdings nur primus inter pares sein soll), die Generalsynode, deren ständiger Ausschuß und die lutherische Kirchenkanzlei vorgesehen. Es ist bezeichnend,- daß der Vorsitzende des Rates der EKD den Weg des Gespräches wählte, um eine Sprengung der EKD durch die Beschlüsse der lutheri-sdien Kirchen zu verhindern. Und ebenso bezeichnend für den heute unter der Mehrheit der evangelischen Christen Deutschlands herrschenden Geist ist das Ergebnis dieser Vorbesprechung, die am 24. Jänner 1947 in Treysa stattfand. Wieder traten dabei die großen Linie zutage: Unionismus und Intoleranz werden in gleicher Weise als der Vergangenheit zugehörig betrachtet. Bei rückhaltloser Treue zum eigenen Bekenntnis wird die „Theologische Erklärung von Barmen“ als verbindlich betrachtet. „Sie ist * kein Unionsbekenntnis, wohl aber ein Zeugnis, das von allen Kirchen heute abgelegt werden muß, die ernstlich christliche Kirche zu sein beanspruchen.“

Erklärlicherweise bezogen hiegegen die Lutheraner Württembergs — sie vereinen ihr Augsburger Bekenntnis mit der Liturgie der Refomiierten — eine ablehnende Stellung. Indem sie die Einheit vor die Eigenheit stellen („Das Wort Gottes im Evangelium ist größer als unsere Antwort im Bekenntnis“), scheinen sie in jene scheinbar rückläufige Bewegung hineingebunden, die in Zukunft dazu nötig sein mag, den Bestrebungen der übrigen lutherischen Landeskirchen die Schärfe zu nehmen. In einer Stellungnahme zum Verfassungsentwurf der VELKD der Württemberger Bekenntnisgemeinschaft am 28. Jänner 1947 kam nicht nur die Sorge um die Einheit der EKD zum Ausdruck, sondern auch die Abneigung gegen Zentralismus und Episkopalismus sowie einen Primas; dieser könne allein seiner ungeheuren Aufgabe nicht gerecht werden, daher sei die Gemeinde nach dem Verfassungsentwurf von ihren Führern getrennt und einer „anonymen Bürokratie“ überantwortet.

Es bleibt abzuwarten, wieweit sich diese Tendenz zur Reinheit in der „A 11 p r e u-ßischen Union“ (Unierte Evangelische Kirche) bernerkbar machen wird. Man darf annehmen, daß gerade in dieser Kirche, die im Jahre 1817 nach einer Durchdringung und Vermischung des lutherischen Katechismus mit dem reformierten von Friedrich Wilhelm III. geschaffen wurde, die Auseinandersetzung besonders schwierig sein wird.

Bei, aller konfessionellen Zerklüftung der evangelischen Kirche im deutschen Sprachgebiet lassen sich somit doch gewisse Gemeinsamkeiten im Geiste mühelos erkennen, die uns, mehr Aufmerksamkeit abnötigen. Die Besinnung auf die Reinheit des Bekenntnisses — die unter anderem dazu führt, daß selbst die Zwinglianer und Barthianer der Schweiz heute daran sind, den Gottesdienst aus der Zeit Martin Luthers wiedereinzuführen, während die jungevangelischen „Michaelsbrüder“ in ihrer gottesdienstlichen Gestaltung in deutscher Sprache bereits in die liturgische Formenwelt der früheren christlichen Jahrhunderte vorgestoßen sind — läßt den Weg und die Zeit ahnen, wo manche Bastionen gefallen sein werden und mit ihnen das Ärgernis des durch Zwietracht zerrissenen ungenähten Rockes des Herrn.

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