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Streit wegen des Friedens

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Evangelische Geistliche in Deutschland engagieren sich nach dem Geschmack vieler Gläubiger zu sehr für die Friedensbewegung. Es kommt zu Kirchenaustritten.

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Evangelische Geistliche in Deutschland engagieren sich nach dem Geschmack vieler Gläubiger zu sehr für die Friedensbewegung. Es kommt zu Kirchenaustritten.

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Anders als in der katholischen Kirche wurden die Protestanten in der Bundesrepublik von der seit einigen Jahren andauernden Friedensdiskussion voll erfaßt. Während die hierarchisch verfaßte katholische Kirche doch noch im großen und ganzen ein Bild der Einheitlichkeit bietet, kommt es bei der auch im Lehr- und Hirtenamt demokratischer angelegten Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) zu großen Spannungen.

Diese wurden spätestens beim Evangelischen Kirchentag in Hamburg 1981 sichtbar, als die gläubigen Protestanten Helmut Schmidt und Hans Apel (damals Verteidigungsminister) wegen ihrer Sicherheitspolitik angegriffen wurden.

Schmidts und Apeis Kontrahent im evangelischen Bereich der SPD war und ist der aus dem württembergischen Pietismus stammende Erhard Eppler, dessen Kurs in zunehmendem Maße nun von der SPD-Opposition angenommen wird.

Zahlreiche evangelische Pastoren und sonstige Funktionäre, zwar nicht die Mehrheit, jedoch lautstark, verstanden sich immer mehr als aktives Segment der Friedensbewegung. Das Hineintragen aktueller Tagespolitik in die Gottesdienste hat nun zu großer Verunsicherung innerhalb des deutschen Protestantismus geführt.

Mit Recht wird in diesem Zusammenhang immer wieder darauf hingewiesen, daß der deutsche Protestantismus in weiten Teilen den preußisch-kleindeutschen Nationalismus mitgetragen hat. Man denke nur an die Gu- stav-Adolf-Vereine und deren Verbindung zur alldeutschen Bewegung eines Georg Schönerers in Österreich. Auch war der deutsche Protestantismus im Gegensatz zur katholischen Kirche dem Nationalsozialismus weitaus anfälliger.

Nach 1945 hatte man sich mühsam von diesem historischen Ballast befreit und zu einer tages- wie parteipolitischen Distanz gefunden. Nun sei alles wieder aufs Spiel gesetzt, und die evangelische Kirche laufe wiederum Gefahr, sich in eine Richtung zu verstricken, so die Kritiker des Engagements von Pastoren in der Friedensbewegung und bei den Grünen.

„Die politischen Haltungen mancher Pfarrer ändern sich, nicht aber deren Anspruch auf absolute Geltung dessen, was sie jeweils für richtig halten“, so wird die pastorale Situation in vielen Gemeinden treffend umschrieben.

Dieser Trend innerhalb der EKD, sich einseitig in der Friedensdiskussion festzulegen, wobei sich dies einerseits in den Gemeinden, andererseits auf Druck hin auch in höheren Gremien der EKD abzeichnet, bewirkt aber auch Folgen: Austritte aus der Kirche oder innere Emigration.

Bereits Ende 1981 wurde eine Austrittswelle von Bundeswehr- Offizieren bekannt, die offenbar keinen Platz in der Kirche mehr vorfanden. Neuerdings wurde anläßlich der EKD-Synode in Worms, zum Geburtstag des Reformators Anfang November abgehalten, von verstärkten Austritten gesprochen.

Die Synodalin und Alterspräsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses, Ursula Besser (CDU), berichtete, daß im letzten Jahr „eine bemerkenswerte Anzahl“ der 65 CDU-Abgeordneten Berlins ausgetreten ist, weil sie „trotz Mißständen in der Kirche an Gott glauben“. Diese Austritte erfolgten „unter Protest wegen der sehr engen politischen Einlassung der Kirche“.

Eine ähnliche Beobachtung machte der Hamburger Bischof Peter Krusche für seinen Bereich. Deshalb zeigte sich auch der EKD-Ratsvorsitzende Bischof Eduard Lohse, der in der Friedensdiskussion der EKD sehr besonnen agiert, besorgt über die „Qualität“ dieser neuen Austrittswelle. Lohse appellierte in diesem Zusammenhang an die Gemeindemitglieder, sie sollten von ihrem „Priestertum der Gläubigen“ entschiedener Gebrauch machen und Kritik üben, wenn Pastoren oder Kirchenvorstände Alleingänge unternehmen.

Beachtenswert war jedoch die Rede Bundespräsident Karl Carstens am 30. Oktober in Worms zum Beginn der Luther-Feiern. Carstens, der während seiner Amtsführung deutlich an Ansehen gewonnen hat, sprach als evangelischer Christ zu seiner Kirche und seinen Glaubensbrüdern und bat sie, „das Gedenken an Martin Luther auch zum Anlaß einer Selbstprüfung zu nehmen“.

In seiner vielbeachteten Rede warf er seinen Glaubensbrüdern vor, daß sie oft bei den ernsten Fragen weniger sachlich als emotional diskutierten, und daß sie nicht in erster Linie von der christlichen Botschaft sprechen, sondern in Konkurrenz zu Politikern, Soziologen, Psychologen und Sexualwissenschaftlern treten, um das zu wiederholen, was die anderen reden.

„Verdient ein Kindergarten den Namen evangelisch, in dem den Kindern gesagt wird, bald käme der Dritte Weltkrieg, und dann würden alle Menschen einen schrecklichen Tod erleiden, so daß eine Fünfjährige zu Hause ihre Eltern fragt, warum sie sie überhaupt zur Welt gebracht hätten?“ Nach Luther, so Carstens, habe sich in der Politik die Vernunft zu bewähren.

Diese soll verhindern, daß „die Menschen Träumen und Ideologien nachlaufen“. Im Bewußtsein des Gewichtes seines Amtes — nach protestantischer Tradition war ja der Landesherr immer „summus episcopus“ — hat Carstens vor den oberen Repräsentanten der EKD einen deutlichen Akzent gesetzt, der in der gegenwärtigen Lage des Protestantismus durchaus angebracht war.

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