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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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EINE ETWAS SELTSAME WÜRDIGUNG des „Tages der Fahne" hatte sich die ansonsten so achtbare „Tiroler Tageszeitung" ausgedacht. In ihrer Ausgabe vom 27. Oktober berichtet sie zwar auf Seite 3 in aller Form über die in Innsbruck abgehobenen Feierlichkeiten, Sie zählt Namen von erschienenen Honoratioren auf, sie schildert die Vereidigung der Jungmänner auf die rofweißrofen Farben in allen Einzelheiten. So weit, so gut. Das führende Innsbrucker Blatt widmet ferner auch dem Festakt auf akademischem Boden einen ausführlichen Bericht. Dort forderte der Vorsitzende der österreichischen Hochschülerschaft Innsbruck, Paul Ladurner — ganz im Sinne einer Stellungnahme der „Furche", — statt eines „halben Staatsfeierfages" einen ganzen österreichischen Nationalfeiertag. „Wir wollen einen eindeutigen, vollwertigen Nationalfeiertag. Oesterreich muß uns so viel wert sein.” So weit noch besser. Doch welches Bild ziert groß über drei Spalten die erste Seite besagter Nummer? Eine Ehrung der Fahne Oesterreichs? Neini Die Bilder bewährter Patrioten, die mit dem Einsatz ihres Lebens mitgeholfen haben, daß über unserem Land heute wieder Rofweifjrot weht? Wo denken Sie hin! Behäbig lächelnd präsentiert sich hier ausgerechnet an jenem Tag einer der Erzfeinde eines freien Oesterreichs, der ehemalige Kommandeur der Leibstandarte „Adolf Hitler”, Sepp Dietrich, im Kreise einer „Gemeinschaft der Ritterkreuzträger”. Gedankenlosigkeit? Absicht? Auf jeden Fall aber ein böser Schnitzer dieses ansonsten so achtbaren Tiroler Blattes.

DIE ENTSCHEIDUNG UBER DIE KOMMENDE WELTAUSSTELLUNG, die für diese Woche erwartet wurde, ist nicht gefallen. Das in Paris vereinigte Bureau International des Expositions konnte sich nicht entschließen, schon jetzt seine Wahl zu treffen und vertagte sich auf den 5. März 1960. Oesterreich, dessen Kandidatur vom Regierungsbeauftragfen Präsident Ingenieur Mautner Markhof persönlich vorgetragen wurde, muß daher seine Erwartungen bis zu dem neuen Termin zurücksfellen. Der Antrag Oesterreichs wurde in Paris mit Sympathie aufgenommen und wäre ohne Zweifel erledigt worden, wenn nicht Kanada auf der Vertagung bestanden hätte, um seinerseits Unterlagen für eine geplante Weltausstellung vorzulegen. Die Vereinigten Staaten, nach dem Rücktritt Frankreichs der stärkste Konkurrent Oesterreichs, sind in dem Bureau International des Expositions derzeit nicht vertreten. Die Wartefrist gibt ihnen nun die Möglichkeit, dem Verein 'belžutrėfen, wie auch andere Nationen nun genügend Zeit haben, um ihrerseits Anträge zu stellen. Dennoch sind die Chancen Oesterreichs gut, da, wie es sich in der Pariser Sitzung gezeigt hat, zahlreiche europäische Staaten, darunter Deutschland, die Schweiz und Frankreich, wohl für den österreichischen Antrag stimmen werden.

ÄRGERNIS PAPENI Ein führendes Blatt des westdeutschen Katholizismus, der „Rheinische Merkur", nimmt in einem vielbeachteten Leitartikel aus der Feder seines Chefredakteurs Otto B. Roegele unter dem Titel „Ein Aergernis" Stellung zu der Meldung, daß Papst Johannes XXIII. Franz von Papen die ihm von Pius XI. verliehene Würde eines „Weltlichen Geheimkämmerers" wiedergewährfe. Diese Verleihung sei „als eine kapitale Fehlentscheidung" anzusehen: „Sie bedeutet einen Schlag ins Gesicht jener aufrechten und opferbereiten deutschen Katholiken, die 1933 die Absetzung, die Entehrung, die Armut, die Gefangenschaft, ja den Tod einem Dienst in dem verbrecherischen Regime, zumal an prominenter Stelle, vorgezogen haben." Der „Rheinische Merkur" verweist in diesem Zusammenhang auch in Berufung auf „keinen Geringeren als Friedrich Funder”, auf das gefährliche Ränkespiel Papens in Wien und berührt im Schlußfeil dieses Aufsatzes ein größeres Moment: „Es (nämlich dieses Aergernis) gibt auch Anlaß zu nüchterner Prüfung der Frage, inwieweit das höfische Wesen um den Papst mit seinen unvermeidlichen, zum Teil skurrilen Aemtern und Titeln, Gepflogenheiten und Umständlichkeiten, Koferien und Indiskretionen überhaupt noch dem heutigen Selbstverständnis der katholischen Kirche entspricht." Nun, wir meinen, daß gerade diese persönliche Entscheidung „Johannes des Guten", wie der Heilige Vater Johannes XXIII. in diesem Artikel genannt wird, nach zwei Seiten hin zu betrachten ist, wobei jede Vermischung gefährlich ist. Sie ist einmal zu sehen als ein persönlicher Akt des Heiligen Vaters für den ihm seif Konstantinopel bekannten, jetzt achtzigjährigen Franz von Papen; als ein Akt, aus dem keine kirchenpolitischen und vor allem keine politischen Konsequenzen in Deutschland gezogen werden sollten. Das ist nämlich die andere Seite: dieser päpstliche Gnadenakt, der Person des Herrn von Papen gewährt, rehabilitiert weder dessen Politik noch seine politische Tätigkeit. Gerade deshalb ist sie für Katholiken in unseren Zonen und darüber hinaus so lehrreich, richtig verstanden: wir müssen dem Heiligen Vater einen freien Raum zugesfehen, in dem er Akte setzt, die sehr gegen unsere eigene politische Arbeit und Ueberzeugung gehen. Schon das deutsche Zentrum hat sich in der Blüte seiner Jahre etwa mit Pupst Leo XIII.

auseinandergesetzf, als dieser es in einem besonderen Falle für Bismarck gewinnen wollte. Der Katholik muß in seinem Lande und in seiner geschichtlichen Stunde ein hohes Maß politischer Verantwortung selbst fragen: er soll und darf dabei nicht jeweils eine päpstliche Deckung oder Bestätigung für seine eigene Entscheidung suchen. Das Drama des deutschen Katholizismus um 1933 hängt nicht zuletzt mit einem überspannten Autoritätsglauben zusammen: man wartete allzulange auf Weisungen von „oben" und erlag dann jenen Führern, die in Wirklichkeit Verführer waren: wie eben einem Franz von Papen. Damals wie heute ist nicht Rom anzu klagen, sondern an die eigene Brust zu klopfen und sich an die nähere Adresse, hier der deutschen Kirche, zu wenden: in eben diesem Sinne verdient der Fall Papen, Anlaß zu weiterer Gewissenserforschung zu werden,

ALARM FÜR DIE FAMILIE. Auch in Oesterreich verdient die Denkschrift des westdeutschen Familienministeriums, die Minister Würmeling, einer der tapfersten Streiter der CDU, zum Urheber hat, hohe Beachtung. Ihre Veröffentlichung unterbleibt leider auf Weisung des Bonner Kanzlers, da man in ihr eine Anklage gegen die bisherige Familienpolifik der Bundesregierung erblickt. Das Leitmotiv dieses Memorandums ist: „Heute ist die kinderlose Ehe die wirtschaftlich stärkste.” Ein großer Teil der Familie mit durchschnittlichem Einkommen und mittlerer Kinderzahl verfüge über Einkünfte, die nicht höher lägen als die für ein Existenzminimum berechneten Sätze der öffentlichen Fürsorge, In den höheren Einkommensschichten werde die Familie mit mehreren Kindern weitgehend vom Lebensstandard ihrer Schichf ausgeschlossen. Diese reich mit Zahlenmaterial versehene Denkschrift, die unter der Hand wohl zu besorgen sein dürfte, wäre mit der österreichischen Realität zu vergleichen. Um die Oeffentlichkeit weiterhin darüber aufzuklären, in wessen Händen faktisch über das Schicksal unserer Familien und damit über die Zukunft unseres Volkes entschieden wird, sind noch zusätzliche Erhebungen dringend notwendig: über die Zahl der unversorgten Kinder unserer Abgeordneten, Regierungsmitglieder und führenden Funktionären der großen Infer- essenverbände. Vielleicht würde diese Untersuchung sehr bald klarstellen, daß sich die Mehrzahl unserer Verantwortlichen persönlich in keiner Weise von dieser Lebensfrage betroffen weiß. Woraus dann von allen jenen, die in Worf "üh'd TÖT'für "die Familie kämpfen wollen, “die Folgerungen zu ziehen wären.

DIBELIUS UND MITZENHEIM. Die Spaltung Deutschlands geht mitten durch den deutschen Protestantismus hindurch. Diese für alle Christen schmerzliche Tatsache wurde eben wieder offenbar an den konträren politischen Kundgebungen zweier Führer des deutschen Protestantismus. DDr. Otto Dibelius, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschlands und Bischof von Berlin-Brandenburg mit dem Sitz in West-Berlin, bestreitet in einer eben erschienenen Schrift, die dem Landesbischof von Hannover, Hanns Liljj, gewidmet isf, der DDR, im theologischen Sinne, „Obrigkeit" zu sein, und möchte die evangelischen Christen von ihrer Gehorsamspflicht diesem totalitären Regime gegenüber entbinden. D. Moritz Mitzenheim, Bischof von Thüringen, ältester evangelischer Bischof mit Wohnsitz in der DDR, und daher beauftragter Sprecher der Ostkirchen bei Verhandlungen mit Vertretern der DDR, sprach in seiner Grußrede auf dem offiziellen Staatsakt zum 10. Geburtstag der DDR von „unserem Staat”. Man kann diesen hier offen sichtbar gewordenen Gegensatz nicht mit zwei Stichworfen: „roter Moritz’ (ein Spitzname für Bischof Mitzenheim) und „preußisch-blauer Otto" (Bischof Dibelius ist ein treuer Anhänger des preußischen Königshauses) abtun. Die Beratungen der mitteldeutschen Bischöfe in Berlin über diesen Gegensatz wurden streng geheim gehalten. Die evangelische Kirchenleif’jng von Berlin-Brandenburg hat aber offiziell ihren in West-Berlin wohnenden Bischof, Dibelius, mif 16 gegen 1 Stimme desavouiert und isf öffentlich von seiner Stellungnahme abgerückf. Man fürchtet zudem, daß die SED aus seiner Schrift Kapital schlagen wird und ihre Bemühungen zur Trennung der Evangelischen Kirche weiterfreiben wird. Ihre Hetze gegen den „NATO-Bischof” Dibelius ließ bereits seit geraumer Zeit Schlimmes befürchten. Da die Evangelische Kirche Deutschlands die einzige gemeinsame Institution der beiden Deutschland heute ist, würde diese Trennung einen weiteren Schritt zur Abschließung der „Zone" gegen den Westen bedeuten.

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