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Zweimal Österreich

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Der Doppeladler bleibt doch das wahre Symbol Oesterreichs. Auch das der Zweiten Republik, die sich nicht entschließen konnte, ihn wieder in ihr Wappen aufzunehmen. Aber gerade für sie wäre er so charakteristisch!

Was uns zu dieser Vorbemerkung — der Leser hat sicher schon gemerkt, daß sie auf die in der Regel „Proporz“ genannte Zweigleisigkeit in unserem politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben anspielt — veranlaßt? Vor nicht allzu langer Zeit konnten wir an dieser Stelle das im Vorjahr von einem Kreis um den Mitherausgeber von „Wort und Wahrheit“, Dr. Otto Schulmeister, gestaltete historische Sammelwerk „Spectrum Austriae“ vorstellen. Heute sind wir in der Lage, unsere Leser mit einem Buch bekanntzumachen, das im großen und ganzen als ein „linkes“ Gegenstück zu „Spectrum Austriae“ angesprochen werden kann. Freilich gibt es Unterschiede: „Spectrum Austriae“ wollte nur die großen Linien des österreichischen Schicksals aufzeigen. „Unvergängliches Oesterreich“ aber soll, wie schon sein Untertitel sagt, ein „Gang durch die Geschichte von der Urzeit bis zur Gegenwart“ sein. „Spectrum Austriae“ war bewußt auf ein geistig anspruchsvolles, vielleicht sogar ein wenig exklusives Publikum — um den vielfach mißbrauchten Begriff „geistige Elite“ zu vermeiden — angelegt. Das vorliegende Werk will, ohne allzu viele Konzessionen an „populären Geschmack“ zu machen, ein breiteres Publikum erreichen. Der Kreis der Mitarbeiter ist da wie dort keineswegs parteipolitisch punziert, doch läßt sich wohl die Behauptung aufrecht halten, daß wir nach einer von der „Rechten“ angeregten Gewissenserforschung auch die „Linke“ eine historische Zwischenbilanz ziehen bzw. an einer Neufassung des Geschichtsbildes arbeiten lassen sehen. Daß dabei neben bekannten Vertretern einer materialistischen Geschichtsauffassung (Robert Endres) auch liberale Historiker (Richard Charmatz) und Katholiken (Karl Lechner) zu Wort kommen, schwächt unsere These nicht ab. „Spectrum Austriae“ hat es mit umgekehrten Vorzeichen ahnlich gehalten. Eine besondere Note bekommt das vorliegende Buch-noch dadulrcfr, daS ihm Bundespräsident Dr..Adolf:.Schärf,; in “einem“' Vorwort „freundliche Aufnahme in der österreichischen Bevölkerung und viel Einfluß bei der im Gang befindlichen Umformung des Staatsbewußtseins der Oesterreicher“ wünscht.

Was schon bei einer ersten flüchtigen Durchsicht des vorliegenden Werkes auffällt, ist, daß es die österreichische Geschichte als eine untrennbare Einheit auffaßt. Die Welt wurde also nicht, wie von gewisser Seite lange Jahre und Jahrzehnte hindurch glaubhaft zu machen versucht wurde, erst am 12. November 1918 erschaffen und alles, was vorher geschah, war dunkle Vorvergangenheit. Auch auf die zweite Hilfskonstruktion, die Kulturgeschichte in den Vordergrund zu stellen und das politische Geschehen zurückzudrängen, wurde, ohne dabei die erstgenannte zu vernachlässigen, verzichtet. Eine genauere Durchsicht ergibt dann interessante Einzelheiten. Früh- und Römerzeit sowie das Mittelalter bieten wohl kaum „neuralgische Punkte“. Bemerkenswert aber ist, daß die Rolle des Hauses Habsburg für die Geschichte und Geschicke Oesterreichs in ihrer ganzen Tragweite zu erfassen versucht wird. So kommt Robert Endres in dem von ihm verfaßten Kapitel über den Dreißigjährigen Krieg in seinen Betrachtungen zur Niederlage der böhmischen Adelsfronde auf dem „Weißen Berg“ zu bemerkenswerten Feststellungen:

„Hier wurde zum zweitenmal das Donaureich begründet, das sich 300 Jahre ah Ordnungsmacht ersten Ranges in diesem Vielvölkerraum . bewährte . . . Fragen wir nach den tieferen Ursachen des Zusammenbruches, so ergeben sich folgende Tatsachen: Der Aufstand war zu keiner Zeit ein nationaler Freiheitskampf der Tschechen gegen eine verhaßte Fremdherrschaft . . . Ein durch die vorausgehende Entwicklung übermächtig gewordener, zügelloser Adel lehnte sich ohne zureichenden Grund gegen den angestammten Landesherrn, den der Landtag erst vor wenigen Jahren gewählt hatte, auf und berief einen anderen Fürsten auf den Thron . , . Derselbe Adel, der für sich die Glaubensfreiheit forderte, war gegenüber seinen dauern in dieser Frage nicht weniger unduldsam“ (S. 220).

Und über das Ende jenes Reiches, das am „Weißen Berg“ zum zweiten Male gegründet wurde, lesen wir -200 Seiten später:

„Bei mehr rechtzeitiger Einsicht, Voraussicht, Anpassungsfähigkeit aller Verantwortlichen hätte Oesterreich-Ungarn nicht als gestrandetes Schiff zerschellen müssen, sondern dem Orkan trotzen können. Daß es nicht willkürlich .zusammengeheiratet' war, daß es, ungeachtet aller Fehler, Unterlassungen, Kückständigkeiten, einen kulturellen, wirtschaftlirhen, politischen Ordnungsfaktor inmitten Europas darstellte, hat das, was dem

Untergang im Kriegsungewitter folgte, manchem verblendeten Widersacher oder gehässigen Kritiker — allerdings erst zu spät — erkennen lassen“ (S. 420).

Solchen begrüßenswerten Inventuren und Korrekturen steht an anderer Stelle ein zähes Festhalten an den von sozialistischen und liberalen Historikern in gleicher Weise gerne weitergereichten Klischees gegenüber. Das kommt vor allem in religionspolitischen Themen zum Ausdruck, so in den Untersuchungen über die Reformation und Gegenreformation (Endres) und über den Konkordatsstreit im 19. Jahrhundert (Charmatz). Wenig Geneigtheit — die Stunde, bei der freilich für eine Generalbereinigung auch dem Gegner von einst hätte Gerechtigkeit zuteil werden müssen, zu nützen — ist in dem Kapitel über die Erste Republik zu ersehen. Hier drängt sich die offizielle sozialistische Betrachtung des Geschehens zu sehr in den Vordergrund. Ein Mißgriff besonderer Art war zweifellos, daß man einen prononcierten sozialistischen Politiker die Abfassung des Kapitels über “die Wiener Kommunalverwaltung seit 1918 anvertraut hat. Das Ergebnis ist keine geschichtliche Würdigung, die heute zweifelsohne schon geschrieben werden könnte, sondern ein platter Panegyrikus ' und eine parteipolitische Apologie. Genau so gut hätte man den Wortführer einer bestimmten Kunstrichtung das Referat über die österreichische Kunst im 20. Jahrhundert übertragen können. Wohlweislich unterließ man das letztere, versagte sich aber das erstere nicht.

Das vorliegende Buch soll selbstverständlich keine offizielle sozialistische Geschichtsauffassung — so eine gibt es sowenig wie eine offizielle katholische — kodifizieren. Dennoch wird es aber vor allem in den der zweiten Regierungspartei geistig nahestehenden Schichten Aufnahme finden. Daß das von Karl Ziak und seinen Mitarbeitern übrigens graphisch sehr ansprechend gestaltete Werk aber zur selben Zeit wie die Veröffentlichung des neuen Parteiprogramms erschien, erscheint uns mehr als ein Zufall. Geistig regsame Kräfte im österreichischen Sozialismus machen' sidt'airbram; gegenüber dem'auj-der Negatiorr entstarrdenensozialistischen Oesterteichbild' der“ Ersten Republik ein neues, besseres Verhältnis zur unteilbaren Vergangenheit des Vaterlandes zu gewinnen. Daß sie dabei vielfach zunächst die Wege des Liberalismus benützen, entspricht dabei dem Verhalten der Herren von der Parteitheorie. Daß sie ihr beachtenswertes Vorhaben nicht in einem Schwung vorwärtstragen können, hinüber an ein neues Ufer, hat ebenso seine Parallelen in dem Ergebnis der Programmdiskussion.

Das zweite in diesem Sommer vorgelegte Oesterreich-Buch verhält sich zu dem oben besprochenen wie ein Feuilleton zum Leitartikel. Kein Wunder: hat es doch Erich G. Wickenburg, den in der Schule der alten „Frankfurter Zeitung“ gereiften liebenswürdigen Feuilletonisten, zum Verfasser. In einer vom Frankfurter Verlag Heinrich Scheffler herausgegebenen Reihe ähnlicher Publikationen übernahm er die nicht gerade dankbare Aufgabe, auf 168 Seiten einen Querschnitt durch die Geschichte Oesterreichs vom Frührot der Hallstattzeit bis zum Abschluß des österreichischen Staatsvertrages 195 5 in der Hauptsache für ein interessiertes ausländisches Publikum zu geben. Der Georg-Prachner-Verlag stellt das Buch in einer Lizenzausgabe den Lesern in der Heimat vor.

Zu loben ist an dem kleinen Werk der ansprechende Stil des Verfassers, der dem Leser, ohne ihn zu ermüden, aber auch ohne platt zu werden, einen Exkurs in die Geschichte Oesterreichs vermittelt. Schöne sprachliche Bilder prägen sich ein; vor allem die Einleitung ist in einer gehobenen, beinahe schon dichterisch zu nennenden Prosa verfaßt. Der Historiker wird sich, selbst auf die Gefahr, ein Beckmesser gescholten zu werden, dagegen an einer Reihe von Fehlern und Ungenauigkeiten stoßen, aus deren nicht unbeträchtlicher Zahl einige herausgehoben seien: Der Satz „Das Bürgertum wollte sich einem Großdeutschland anschließen“ (S. 130) für das Jahr 1848 ist wohl zu stark von einer beinahe hundert Jahre später gebräuchlichen Terminologie geprägt. Bekanntlich dachten die Großdeutschen des Jahres 1848 an keinerlei „Anschluß“, vielmehr an ein einiges Deutschland unter Habsburgs Führung. Um noch bei 1848 zu verweilen. Nach der Erwähnung der Kanonade Wiens durch die Truppen Windischgrätzs bemerkt Wickenburg: „Es war nicht das erstemal, daß dies Wien “eschah, aber — wie der Februar 1934. und der März 1945 zeigen sollten — auch nicht das letzte-mal, daß ihm dies von eigenen Leuten widerfuhr“ CS. 138). Der März 1945? Wir bitten, unserem Gedächtnis nachzuhelfen. Von welchen eigenen Leuter wurde Wien im März 1945 beschossen? Und das Artillerieduell Russen—Deutsche Wehrmacht erfolgte über die Köpfe der Wiener bekanntlich erst im April dieses Jahres. Weiter: Der ungarische Schneidergeselle Janos Libenyi, der auf Kaiser Franz Joseph ein Attentat verübte, wurde keineswegs, wie vom Autor behauptet, begnadigt (S. 142), sondern justifiziert. Im Jahre 1850, als der Neoabsolutismus im „Kaiserstaat Oesterreich“ in Blüte and, ist es um genau 17 Jahre verfrüht, von einer „österreichisch-ungarischen Monarchie“ zu sprechen und zu schreiben (S. 141). Noch einige Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart: 1918, als das national-liberale Element im politischen Leben Oesterreichs noch eine bedeutende Rolle spielte, konnte von einer „Tendenz zum Zweiparteienstaat“ (S. 160) wohl kaum die Rede sein. 1945: „Bei der ersten Wahl zum Parlament oder, wie man nun sagte, .Nationalrat' “ ... „Ueber dem Parlament steht, als letzte und höchste Instanz gedacht, der .Bundesrat', welcher alle Gesetze der Legislative nachprüfen soll . . .“ (S. 166). Halt, halt: Hier geht die dichterische Freiheit doch zu weit. Der Knoten will sorgsam entwirrt werden. Die Bezeichnung „Nationalrat“ stammt keineswegs aus dem Jahr 1945, sondern 1918. Sie trat auch damals nicht an die Stelle des Wortes „Parlament“, sondern des „Reichsrates“. Als Parlament bezeichnet man in Oesterreich bekanntlich einerseits das Sitzungsgebäude der Volksvertretung, aber auch die Legislative in ihrer Gesamtheit: also Nationalrat und Bundesrat (letzterer gehört auch zur Legislative und steht keineswegs über ihr). Genug der Proben an Flüchtigkeitsfehlern. Die Liste ist leider noch nicht vollständig ...

Bedauerlicher ist es vielleicht noch, daß der Verfasser die bei einem solchen Leitfaden durchaus zulässige Durchsetzung des Textes mit Anekdoten und Randglossen so weit treibt, daß er, statt mit einigen knappen, aber trefflichen Stücken die Bedeutung des Staatsvertrages und Proklamierung der Neutralität als eines Marksteins in der Geschichte des tausendjährigen Oesterreichs zu skizzieren, sich verleiten läßt, als wissenswerte Einzelheit abschließend zu bemerken, daß beim Galasouper in Schönbrunn kaiserliche Porzellane und Eßbestecke verwendet wurden. Schluß. Aus.

Eine kleine Geschichte Oesterreichs? Vielleicht eine zu kleine. Zu viele Histörchen auf Kosten der Historie.

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