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Randhemerkungen zur woche

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DER KANZLERBESUCH IN PARIS in den sonnenbestrahlten letzten Septembertagen wurde in der europäischen Oefientlichkeit allgemein lebhalt kommentiert, und es war viellach der Meinung Ausdruck verliehen worden, daß Oesterreich hiermit eine diplomatische Offensive begonnen hatte, um sich seinem außenpolitischen Hauptziel, der Wiedererlangung der vollen staatlichen Souveränität, nunmehr aul neuen Wegen zu nähern. Die „Neue Züricher Zeitung“ sprach in diesem Zusammenhang von einer möglichen „Revision“ der auswärtigen Politik Oesterreichs, und „he Hönde“ iragt ebenfalls in einem Leitartikel, ob der Kanzler „die Vorteile einer eventuellen österreichischen Neutralität“ wohl schon einsieht? Diese Zeitung siefit die Rechtfertigung der Pariser Reise in einer Vorbereitung zu einem angeblich vorgesehenen Moskau-Besuch. „Frankreich ist mehr als irgendeine andere Macht imstande, den österreichischen Standpunkt zu verstehen und bei den Alliierten zu unterstützen.“ Das überraschende Moment lag aber nicht in diesen manchmal etwas überspitzt formulierten Pressekommenlaren und noch weniger darin, daß der österreichische Bundeskanzler, dessen wohltuend Ireundliche und durchaus „zivile“ Erscheinung vor dem EhrenSpalier der martialisch dreinschauenden „Republikanischen Garde“ auiiällt, mit seinen Mitarbeitern bei der Regierung jener Großmacht einen Besuch abstattet, deren europäische Schlüsselstellung bestimmt die größte Beachtung verdient. Der, zumindest hierzulande völlig unerwartete, Akzent kam von militärischer Seite, in erster Linie durch den Artikel des früheren französischen Hochkommissärs General Bethouart in der Pariser Zeitung „Le Figaro“ unter dem alarmierenden Titel „Gefahr über Oesterreich“. Was ver-anlaßte diesen Freund unseres Landes, an den man sich bei uns gerne und Ireundschaltlich erinnert, zu diesem Alarmrui? Er warnt vor einer Verringerung der Besatzungstruppen in den westlichen Teilen Oesterreichs, da er aus einem „strategischen Vakuum“ nicht bloß für das Land selbst, sondern für die atlantische Verteidigung im Mittelmeergebiet sowie in Westeuropa Gefahren ableitet. Nun, seine übrigens auch brillant geschriebene strategische Argumentierung wäre kaum von der Hand zu weisen. Sie hat nur eine Schwäche: eine Politik, die ihre Argumente von der Strategie herleiht, führt zu Erstarrung, zu Konservierung und wird obendrein noch gerne mit den eigenen Waffen geschlagen, dann nämlich, wenn die Voraussetzungen jener Strategie plötzlich eine Aendetung erfahren. Daraul im „Atomzeitalter“ besonders hinzuweisen, erübrigt sich. Es ist gewiß ein ernster Schritt, wenn von einer Division aul diesem oder jenem militärischen Stützpunkt bloß ein Bataillon zurückbleibt. Aber diesen Schritt zu machen, müßte sich wohl auch iür den Strategen lohnen, wenn er damit eine Atmosphäre der Beruhigung und eine Klärung der Lage schafft und es so dem potentiellen Gegner ermöglicht, auch seinerseits mit ähnlichen Schritten jiu alldem beizutragen. Ein Abbau von Truppenbereitschalten setzt den Abbau von angesammeltem Mißtrauen und Furcht voraus, wird man einwenden. Und hier soll sich das Feld zunächst für die Diplomatie öffnen. Aber die Heller der Diplomatie müßten die Militärs sein und nicht etwa umgekehrt! Es ist einigermaßen entmutigend, daß Oesterreich wieder einmal und immer noch Objekt strategischer Planungen und Berechnungen Iremder Generalität ist. Es ist aher erfreulich, daß die hohen Strategen und Generäle nicht „unter uns“ sind, es sei denn, in einem bloß geographischen Sinne!

DIE DISZIPLINARUNTERSUCHUNG GEGEN DEN LEITER DER BUNDESTHEATERVERWALTUNG war während der letzten Woche Gegenstand zahlreicher Pressekommentare und Anlaß zu ungewöhnlichen Demonstrationen, wie Streikandrohung des Staatstheaterpersonals und Verlesung einer Protest-j adresse während einer Opernaujiührung. Unserem Grundsatz entsprechend, in ein schwebendes Verfahren nicht einzugreifen, hat sich „Die Furche“ an diesen Auseinandersetzungen nicht beteiligt. Da der 121 der Dienstpragmatik Mitteilungen über den Inhalt der Verhandlungsakten untersagt, sind die bisher der Oefientlichkeit gegebenen Inlormationen und Kommentare nicht nur ungenau, sondern auch einseilig und ungerecht. Erst nach Bekanntgabe des Ergebnisses der Untersuchung wird die Oefientlichkeit sich ein Urteil bilden können, Entgegen anderslautenden Mitteilungen steht die Frage der künstlerischen Leitung der Bundestheater nicht zur Debatte. *

DAS VERBOT DES GEPLANTEN TREFFENS VON ANGEHÖRIGEN DES EHEMALIGEN PANZERKORPS „GROSSDEUTSCHLAND“ in Linz ist verständlich, und es hätte wohl kaum einer Kampagne in der kommunistischen Presse bedurit, daß sich die Polizeidirektion Linz zu dieser Maßnahme entschloß. Kein Wort gegen das Wiedersehen von Männern, die einmal im Angesicht des Todes Wochen, Monate und Jahre vereint waren; alles Iür eine Erleichterung des Vermißtensuchdienstes. Aber es geht nun wirklich nicht an, auf österreichischem Boden und noch dazu sinnigerweise in Linz (wer es schon vergessen hat, zur Erinnerung: des „Führers“ Schuh und Lieblingsstadt) eine Kundgebung, die mit dem Namen „Großdeutschland“ verquickt ist, ahmhallen. Irgendwo gibt es doch eine Grenze-, auch für jene Oesterreicher, die weder zur „Nazi“- und „Anschluß“-Hysterie neigen noch als Angehörige der KPOe wenig Legitimation für die Rolle der Schildknappen unserer Freiheit haben. Sonst folgt dem Linier „Großdeutschland“-Treffen morgen ein Meering der Leibstandarte „Adolf Hitler“ in Braunau und in iüni, sechs Jahren vielleicht ein Schweigemarsch der Standarte „Otto Planetta“ am Tage des Dolliuß-Mordes von der Siebensterngasse (pardon: Straße der Julikämpfer) zum Bundeskanzleramt (pardon: Reichsstatthalterei)... Die ehemaligen Soldaten des Panzerkorps „Großdeutschlqnd“ Hannen, sicher nichts für den fatalen Namen, es soll sogar gar nicht so wenige unter ihnen geben, die alles andere als stolz aul den Namen ihrer Einheit waren. Allein deren imaginäres Banner auf österreichischem Boden zu entrollen, ist zumindest ■— sagen wir — eine Taktlosigkeit.

GRUNDLAGEN FÜR EINE NEUE ETAPPE DER SOZIALPOLITIK zu schaffen, ist die Aufgabe, die sich das eben gegründete „Insth tut iür Sozialpolitik und Sozialreform“ gestellt hat. Der bisherige Weg ist bekannt: das Erwachen des sozialen Gewissens in konservativen Kreisen, die „Schule Vogelsang“, der Sturmschritt, mit dem die Partei Luegers die Interessen der Randschichten, des „kleinen Mannes“, gegen das Großkapital vorwärtstrug — und ihre Kräfte dabei verzehrte. Dann kam die Sozialdemokratische Partei Viktor Adlers zum Zuge und durch sie die Fortführung der „Arbeiternovelle“. Nun ist auch ihre sozialpolitische Offensive geistig arn Ende. Am Eisernen Vorhang erkennt man deutlich die Grenzen des Marxismus iür den freiheitsliebenden Menschen. Die große Frage: Was nun? Denn daß die Welt, in der wir leben, nicht die beste aller Weifen ist, dürfte eine Binsenweisheit sein, und daß unsere Gesell-schal tsordnung da und dort eine tüchtige Korrektur verträgt, dürfte gerade dem wachen Christen nicht verborgen sein. Sie wissen — und in den Spalten dieses Blattes wurde es mehr als einmal betont —; jetzt, gerade jetzt, ist die große Stunde einer neuen zukunftsweisenden Sozialpolitik aus dem Geist des Christentums. Morgen kann es bereits zu spät sein. Und wir in Oesterreich mußten auch immer mit immer größerer Unruhe ieststellen — und auch dafür war die „Furche“ mehr als einmal eine Warnerin —, wie Monate und Jahre scheinbar ungenützt vorüberstrichen. In der Wahlheimat Vogelsangs war christliche Sozial- und Gesellschaftsreform zu einer Angelegenheit kleiner, untereinander uneiniger Kreise und Gruppen geworden. Kein Wunder, daß sie in der praktischen Politik auch nur spärliche Auswirkungen zeitigen. Die Gründung des „Instituts für Sozialpolitik und Sozialreform“ könnte auf weite Sicht auch hier einen Wandel bringen. Es wäre etwas Großes, eines Tages mit voller Ueberzeugung wieder dieselben Worte schreiben zu können, die Vogelsang am 18. Oktober 1885 im „Vaterland“ schrieb: „Ja, sie bewegt sich wirklich: die große christliche Idee, der Sozialretorm, deren Herauikunll, deren leuchtenden Aulgang .., wir so lange verkündet haben, sie ist mitten unter uns getreten.“

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