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österreichischer Realismus

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Die weltpolitische Situation ist gegenwärtig' dadurch gekennzeichnet, daß die beiden Partner im großen Ringen neue Gewichte in die Waagschale werfen. Dadurch entstehen Ueberraschungsmomente, heikle Situationen und eben jene Labilität des Spielfeldes, die im Fernen und Nahen Osten, in Korea und etwa Ostdeutschland täglich drastisch und oft tragisch sichtbar wird.

In eben diesem Moment hat die österreichische Bundesregierung das Wort ergriffen in einer denkwürdigen Sitzung des Nationalrates. „Namens der Bundesregierung gab Bundeskanzler Ing. Raab eine Erklärung ab, die mit ruhiger Sachlichkeit und Würde der Auffassung unseres Landes und Volkes Ausdruck verlieh.“ Dieser Kommentar des Zentralorgans der Sozialistischen Partei Oesterreichs unterstreicht nicht nur die Einhelligkeit der beiden Regierungsparteien in der Existenzfrage Nr. 1 für Oesterreich — Spekulanten hüben und drüben wollten bereits von tiefklaffenden Gegensätzen hier wissen —, sondern trägt objektiv dem Sachverhalt Rechnung: Unverwirrt von trügerischen Hoffnungen, denen sich so gerne die Zweckoptimisten hingeben, weil sie die Last ernster Geschäfte scheuen, und unverwirrt von Aengsten, unter deren Nebelschleiern die Zweckpessimisten ihre dunklen Geschäfte betreiben, hat der Bundeskanzler die Stellung Oesterreichs zur Sowjetunion umrissen. In einer Klarheit und Nüchternheit, die nichts zu wünschen übrigläßt.

Diese Regierungserklärung würde aber mißverstanden werden, wenn man dies eine nicht im Auge behält: Jeder Satz in ihr wendet sich implicite an alle Besatzungsmächte, obgleich, aus gegebenem Anlaß, der Kanzler unsere Beziehungen zur Sowjetunion als Exempel zur Beleuchtung der Freiheiten und Unfreiheiten Oesterreichs heute, im Juni 1953, wählte.

Es tut gut, den Hintergrund dieser Rede nicht zu vergessen: es sind die sechs Jahre harter Erfahrungen im Umgang mit dem sowjetischen Besatzungselement. Jahre der Enttäuschungen, aber auch Jahre, in denen es der Regierung Ing. Figl gelang, in langwierigen Auseinandersetzungen hier und dort positive Abschlüsse zu erzielen. Die österreichische Regierung lernte hier aus eigenem die sowjetische Weltmacht als Verhandlungspartner kennen, sie hatte es daher nicht nötig, von anderen Seiten her, etwa aus den Schlagworten und Schlagschatten einer sogenannten öffentlichen Meinung des „Westens“ und aus den Gazetten anderer Hemisphären, sich informieren zu lassen. Auf Grund dieser politischen Erfahrung im täglichen Umgang mit den Repräsentanten der Sowjetmacht ergab sich für uns folgende Prämisse: Hier konnte und kann es nicht darum gehen, gefühlsame Appelle an das „Weltgewissen“ zu richten (Appelle, zu denen Politiker besonders dann geneigt sind, wenn sie mit konkreten Vorschlägen und Arbeitsplänen zu Ende sind). Hier war es auch nicht am Platze, weltanschauliche Fragen aufzuwerfen und den metaphyysischen Abgrund ins Objektiv zu nehmen, der den gläubigen Christen und den gläubigen dialektischen Materialisten trennt. Hier, im österreichischen Parlament, in Wien, dem Schauplatz so vieler

mißglückter Versuche, mit der Sowjetunion in positive Besprechungen einzutreten, war aber sehr wohl der Ort gegeben, an deren wohlverstandenes eigenes Interesse sich zu wenden. Denn das hatten eben sieben Jahre österreichische Erfahrungen ergeben, und das ist die reale Basis der Regierungserklärung vom 18. Juni 1953: Die Repräsentanten der Sowjetunion stellen “überall dort ein aufmerksames, offenes Ohr zur Verfügung, wo offen über ihre Interessen gesprochen wird.

Der Bundeskanzler unterstrich deshalb bei jedem einzelnen Punkt seiner Anerkennungen und seiner Wünsche und Forderungen dieses wohlverstandene sowjetische Interesse. Beispiel Demarkationslinie: „Dies war nur eine überflüssige Last und hat die sowjetischen Besatzungstruppen bloß unpopulär gemacht.“ Beispiel Militärgerichtsbarkeit: „Derartige Maßnahmen machen eine Besatzungsmacht unpopulär, und es ist eigentlich unverständlich, wenn man an dieser Uebung festhält. Nichts ist so geeignet, eine Besatzungsmacht in Mißkredit zu bringen wie gerade ein derartiges Vorgehen.“ Beispiel Zensur („eine weitere Einrichtung, die für ein Kulturvolk entwürdigend ist“): „Und welchen Zweck hat denn diese Zensur? Genau so wie man durch all die Jahre auch ohne Dokumente über die Demarkationslinie kommen konnte, genau so — ich verrate damit kein Geheimnis — gibt es Mittel und Wege, die Zensur zu umgehen. Wer also etwas Verfängliches schreiben will, der tut es heute schon. Es wäre höchste Zeit, wenn der Alliierte-Rat sich neuerlich mit der Frage der Abschaffung der Zensur befassen würde, und es würde in der ganzen Welt als weiteres Zeichen der Entspannung gewertet werden, wenn ein einstimmiger Beschluß auf Abschaffung zustande käme.“ Beispiel USIA-Läden: „Der materielle Gewinn dieser Läden kann für das große, an Naturschätzen und Industrie so reiche Sowjetrußland doch kaum eine Rolle spielen. Für uns bedeutet aber die Existenz dieser Läden eine schwere Schädigung unserer Staatsfinanzen und auch eine schwere Schädigung unserer Kaufleute und Gewerbetreibenden. Eine Schließung dieser Läden wäre ein großer Propagandaerfolg der Sowjetunion, den wir ihr neidlos gönnen würden, es wäre ein Beweis für das Verständnis der wirtschaftlichen Schwierigkeiten unseres Staates, der noch immer an den Kosten des Wiederaufbaues schwer zu tragen hat.“

Als Vertreter des österreichischen Volkes mußte der Bundeskanzler eine „große Zahl von Wünschen und Beschwerden“ vorbringen. Er verband diese aber mit der Anerkennung der „Gesten der Sowjetregierung und ihres Hochkommissars in Oesterreich“. „Die Sowjetunion hat auf österreichischem Gebiet eine Reihe von Taten gesetzt, die erkennen lassen, daß sidi. nunmehr bessere Voraussetzungen für normale Beziehungen anbahnen.“ . „Ich bin der Meinung, daß man einem Menschen, der einem die Hand entgegenstreckt, mit gutem Willen entgegenkommen und mit ihm eine sachliche Auseinandersetzung führen soll. Der gute Wille muß bei jedem Menschen angenommen werden, weil nur so sachliche Lösungen erzielt werden können.“ .

Dieser eine Satz enthält, ohne viel große

klingende Worte, ein österreichisches Bekenntnis zu europäischem Humanismus („der gute Wille muß bei jedem Menschen angenommen werden“), zu römisch-katholischem Vertragsglauben (der sich stärkt, gerade weil er weiß, wie viele Verträge gebrochen werden!), zu österreichischem Realismus (sachlich bleiben, sachlich sich auseinandersetzen).

Er bildet deshalb auch den Auftakt zur Vorbringung der „Wünsche und Beschwerden“ des österreichischen Volkes, die in der Rechtsforderung gipfeln: Gebt uns den Staatsvertrag! Der Abschluß des Staatsvertrages „würde augenblicklich eine Atmosphäre des Friedens und des Vertrauens auf der ganzen Welt schaffen.- Möge doch n i e-m a n d befürchten, daß er durch die Unterzeichnung dieses Vertrages einen Prestigeverlust erleidet. Anerkennung des Rechtes ist immer ein Beweis der Stärke und nur der Schwache besteht auf Unrecht, weil es zu seinem angeblichen Vorteil gereicht. Kein Oesterreicher, ich glaube, auch niemand auf der ganzen Welt würde es als Zeichen der Schwäche auslegen, wenn man einem zivilisieren Volk Freiheit und Souveränität gibt, wie man es in feierlichen Erklärungen versprochen hat“.

Die Regierungserklärung enthält dann noch in ihrem Schlußteil das wichtige Bekenntnis: „Wir sind überzeugt, daß wir zwischen den beiden großen Mächtegruppen unsere guten Mittlerdienste erfüllen können.“

Das wird von einem Volke dokumentiert, das sich heute jeglicher Illusionen entschlägt, in einem Lande, in dem man in den letzten 15 Jahren weit mehr das Fürchten als das

Hoffen lernen konnte; im Wien des „Dritten Mannes“. Die Ennsgrenze, übrigens bereits die alte karolingische Grenze gegen die Awaren, ist gefallen. W.ir möchten sie gerne als ein Symbol ansehen. Als ein Zeichen dafür, daß nur der mit den Sowjets als Partner verhandeln kann, der selbst seine Angstgrenze überschritten hat; und sich dann jenseits der Schatten seiner eng-persönlichen • Perspektiven wagt, in das freie Feld zur sachlichen ernsten Begegnung zu stellen.

Oesterreichischer Realismus! Zu ihm gehört auch dies: Das Wissen, daß wir nicht allein da sind auf der Welt. Daß es nur dann zu redlichen Geschäften in und um Oesterreich kommen wird, wenn es auch andernorts geschieht. An der großen Weltfront, in allen Randzonen, in denen Ost und West sich unmittelbar gegenüberstehen. Das wissen wir. Aber eben deshalb hat unsere Regierung es zeitgemäß erachtet, nicht unzeitgemäße Bemerkungen zu machen, sondern ein Zeichen zu geben. Dafür, daß wir bereit sind, uns allen zu redlichen Geschäften zur Verfügung zu stellen, so man uns endlich unsere Freiheit und Selbständigkeit gibt.

Es wird an den Weltmächten liegen: Ob sie die österreichische Regierungserklärung zu einem Blinkfeuer stempeln, zu einem Leuchtfeuer, das zu politischer Vernunft, zu Friedens- und Vertragswillen mahnt in dieser langen Nebelnacht verworrener internationaler Beziehungen (auch als solches wäre seine dokumentarische Bedeutung für Europa groß genug), oder ob sie es annimmt. Als eine Einladung zu eigenen Taten.

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