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Randhemerkungen zur woche

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„AUF KNALL UND FALL“ ist der Leiter eines großen österreichischen Finanzinstitutes von dem Ressortminister aus seiner Stellung abberufen worden. Was ist geschehen? Die Erklärung beschränkt sich auf einige andeutungsweise Wendungen, die auf ein persönliches Moment in einem stattgefundenen Konflikt hinweisen, nicht auf eine Verfehlung in der Führung des Unternehmens seitens des gemaßregelten Mannes, dem ausdrücklich bestätigt wird, daß der Status der bisher von ihm geleiteten Bank, deren einziger Aktionär der Staat ist, „einwandfrei“ ist. In Fachkreisen glaubt man den Anlaß mit gewissen Eigenheiten des Betroffenen in Zusammenhang bringen zu müssen, der mit fachlicher Tüchtigkeit Eigenwilligkeit verbinde und in schwierigen Verhandlungen von seinem Partner — in diesem Falle oft das Finanzministerium — auch Geduld beanspruche. Uns interessiert hier nicht der augenscheinliche persönliche Hintergrund des Konfliktes, vielmehr die Frage, warum hier, ohne daß ein schweres Verschulden vorlag, durch autoritäre Entscheidung eine Justifizieruug auf offenem Markte und nicht eine dem Rechtsempfinden und der Rechtsübung entsprechende Lösung gewählt wurde. Es stünde nicht gut um das freie Menschenrecht und die Würde der Persönlichkeit, wenn Kabinettsjustiz in die ohnehin schon übergroße Macht des Staates inkorporiert würde.

DER ERSTE SCHRITT in Richtung auf das neue Bundesheer ist mit der Verabschiedung des Wehrkompetenzgesetzes durch den Nationalrat getan. Es wird also zunächst kein eigenes Ministerium für Landesverteidigung geben, sondern eine Sektion des Bundeskanzleramtes wird unter der Leitung eines Fachmannes als Amt für Heerwesen konstituiert. Man darf diese Entscheidung begrüßen und — im Gegensatz zu der Rechtsopposition — bei der gegebenen Sachlage als jene Lösung ansehen, die noch am geeignetsten erscheint, parteipolitische Einflußnahmen in die sachliche Gestaltung eines österreichischen Heeres abzuschwächen. Machen wir uns nichts vor: ein Ministerium unter der Führung eines Politikers hätte zweifellos die Erstellung eines Staatssekretariats durch die andere Partei zur Folge gehabt und somit wären wir auch schon mitten drinnen im schönsten Proporzspiel. Nun aber liegt wohl die „politische Oberhoheit“ beim Bundeskanzler und seinem Stellvertreter, allein der Leiter des neuen Amtes kann in Ruhe arbeiten, ohne selbst in die politische Feuerlinie zu treten. Alles wird davon abhängen, ob der Chef dieses Amtes — über die Person dürfte es keinen Zweifel mehr geben — durch Diplomatie und Festigkeit alle Versuche, Parteipolitik in die zu formierenden Kader zu tragen, abzuwehren versteht. Das ist seine „defensive Aufgabe“. Sein positives Operationsziel wird aber darin liegen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß das kommende Heer in seinem Geist und seinem äußeren Aussehen nicht nur dem Namen nach, sondern auch tatsächlich ein österreichisches sein wird. Die „Furche“ hat ihren Lesern versprochen, nachdem sie durch namhafte „Persönlichkeiten einige grundlegende Erwägungen zum kommenden Bundes-hee“ — sie haben ein lebhaftes Echo gefunden — vorgetragen hat, mit der Erörterung von Detailfragen au die Oeffentlichkeit zu treten. Sie wird dieses Versprechen schon in Kürze einlösen.

DIE PROBLEMATIK DER DEUTSCH-ÖSTERREICHISCHEN BEZIEHUNGEN 1945-1955 ist durch die bekannte Aeußerung des Bonner Bundeskanzlers in der Debatte mit Carlo Schmid in einer Weise sichtbar geworden, daß ihre Abklärung nicht mehr im Rahmen personeller Akte und Demonstrationen, sondern nur mehr im hellen Lichte offizieller Verhandlungen und Aussprachen zwischen den beiden Regierungen möglich ist. Wir erachten dies als einen Fortschritt und sehen in diesen offiziellen Aussprachen eine mögliche gute Frucht dieses fragwürdigen Passus, den Oesterreich weder dramatisieren will noch unterschätzen kann. Eine Dramatisierung liegt weder im Interesse Deutschlands noch Oesterreichs (wohl aber im Interesse mancher Kräftegruppen, wie einst zwischen 1918 und 1938). Eine Unterschätzung liegt aber ebenfalls nicht im Interesse beider Partner. Das Wort des Bonner Kanzlers, der als einer der gewiegtesten und berechnendsten europäischen Politiker Reputation erworben hat, kann nicht einfach als Ausfluß einer momentanen frühsommerlichen Erhitzung und der Erregung über die Attacke des sozialistischen Wortführers angesehen werden. Das hieße denn doch, eine Vogel-Strauß-Politik betreiben, mit der keinem der beiden Partner gedient ist. Bonner offizielle und offiziöse Kreise operierten bereits seit Wochen in der Diskussion über das deutsche Eigentum in Oesterreich mit einer fragwürdigen Quelle: mit dem Wort eines französischen Journalisten, der seine Erlebnisse im März 1938 in Wien in den Eindruck zusammenfaßte: Die deutschen Soldaten, die einmarschierten, wurden nur verwundet durch die Blumensträuße des jubelnden österreichischen Volkes. Dieses fragwürdige Bonmot übersieht nicht nur die 70.000 allein in Wien bereits in den „Tagen des Jubels“ im März 1938 verhafteten Personen, sondern verkennt auch total die psychologische Situation dieser Tage: viele Tausende retteten sich in ihrer Angst vor Verfolgung, vor dem schnell aufbrechenden Terror (der sie oft wenige Wochen später dennoch ereilte) einfach hinein in die „jubelnden Massen“, die wieder aus sehr verschiedenen Motiven die „Befreier“ umstanden. Wieviel Elend und rasch enttäuschte Hoffnung, wieviel Misere, wieviel Panik floß doch zusammen im „Begeisterungssturm“ des März 1938! — Ihre verschiedenen Komponenten abzuklären, wird die Aufgabe einer späteren Geschichtsschreibung sein. Gerade deshalb eignet sich dieser Komplex für gefährliche Manipulationen. Aus ihm aber eine juridische Legitimation zur Begründung Staats- und privatrechtlicher Positionen Deutschlands im politischen Handel mit und um Oesterreich zu machen, kann niemals den Grundlagen einer neuen deutschen Europa- und Wettpolitik entsprechen-, es darf demnach gehofft werden, daß, im Sinne der Aeußerun-gen des neuen deutschen Außenministers, beginnende deutsch-österreichische Verhandlungen auf Regierungsebene dem Gespenst die weitere Möglichkeit nehmen, die Beziehungen zwischen Oesterreich und Deutschland zu verun-klären und zu vergiften.

DER POLITISCHE FLÜCHTLING - SOFERN ER NICHT EINEN GLÄNZENDEN NAMEN HAT oder als Sportkanone in der westlichen Welt gebraucht wird — hat heute meist ein schweres Leben vor sich, dessen Meisterung unendliche Geduld, Zähigkeit und Idealismus verlangt. Das weiß man auch in der kommunistischen Heimat, und so hat Prag nun eine „Flüchtlingsaktion“ gestartet, der man das Raffinement nicht absprechen kann. Schon zu Weihnachten 1954 wurde in den Flüchtlingslagern ein Kettenbrief verbreitet, in dem es u. a. hieß: „Wenn wir unser Schicksal überdenken, dann sind wir in diesen Weihnachtstagen mit noch größerer Rührung als sonst mit unseren Gedanken in der Heimat. Und den Worten des Propheten entsprechend, daß Gott uns manche Irrfahrt bereitet, um uns schließlich zu den grünen Wiesen zurück-zvführen, wo wir unsere Herden in Frieden weiden werden, erheben wir unsere Stimme und schließen uns der .Bewegung der Exulanten für die Rückkehr nach Hause' an . . . wir haben schon genug Jahre unseres Lebens vergeudet.. . von Land zu Land dehnt sich die Bewegung aus — sie bedeutet Hoffnung, Ende der Irrfahrt und Heimkehr, zu unseren Gattinnen, zu unseren Eltern und Kindern...“ Im Februar dieses Jahres erschien bereits — aus anonymer Quelle — eine Zeitschrift mit dem Titel „Hepnd“ (den Anfangsbuchstaben des Namens der Bewegung in tschechischer Sprache). Die Zeitschrift enthielt eine Kritik der Tätigkeit bzw. Untätigkeit des „Rates der Freien Tschechoslowakei“ in den USA und vor allem des „American Fund for Czechoslovak Refugees“: es wurden Greuelnachrichten verbreitet, daß nach der Gewährung der Souveränität an Westdeutschland die in deutschen Lagern lebenden tschechischen Flüchtlinge in Lager in der Türkei überführt werden sollen. In der Terminologie des „einfachen Exulanten“ wird pra-g'ammatisch kundgegeben: „Wir wollen nach Hause. Das ist unser Ziel, dafür arbeiten wir, dafür geben wir auch unsere Zeitschrift heraus. Wir wollen euch beim Suchen nach dem einzig wahren Weg helfen — dem Heimweg. Die Zeit, die wir im Exil verbrachten, hat uns gezeigt, daß die Flucht ins Ausland der Irrtum unseres Lebens gewesen ist, für den wir jetzt schwer bezahlen müssen . .. Die Politiker, die uns ins Exil gelockt haben, lassen uns im Sumpfe und in der Arbeitslosigkeit leben, sie haben uns nur für ihre karrieristischen Ziele mißbraucht... Es ist unmöglich, darauf zu warten, daß das Regime in der Heimat durch innere Kräfte gebrochen wird;sich auf eine Krieg zu orientieren, wird illusorisch, da sich der Gedanke der Koexistenz durchsetzt. Für uns Exulanten gibt es nur einen Weg — die Rückkehr nach Hause: die Zeit drängt, das Leben v/artet nicht!“ Die Gegenaktion von der anderen Seite hat nicht auf sich warten lassen, Dr. Jan Papänek, der Vorsitzende des American Fund — der frühere Bot-schafter der Tschechoslowakei bei den Vereintet* Sationen — befand sich vor kurzem auf einer Europareise, wo er neben Verhandlungen mit dem europäischen Direktor des Funds, dem evangelischen Geistlichen B. S. Hrubf u. a., mit Funktionären der Flüchtlingsorganisationen und in den Lagern selbst durch Gespräche mit den Flüchtlingen zur Abklärung der Lage beitrug. Neben einer Ferienaktion für 100 tschechoslowakische Flüchtlingskinder, die nach Norwegen eingeladen wurden, ist es dem American Fund in den letzten Wochen gelungen, den lungenkranken tschechoslowakischen. Major BurUk (einen „Helden der Sowjetunion“ aus dem Krieg) mit seiner Familie nach England zu bringen. Der Krieg um die Seelen der Flüchtlinge ist somit in vollem Gange.

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