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Randhemerkungen zur woche

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ALBERT EINSTEIN HAT IN EINEM BRIEF an einen Lehrer, dem mit der Entlassung gedroht wurde, weil er die Aussage vor einem Senatsausschuß iür die innere Sicherheit verweigert hatte, die amerikanischen Intellektuellen autgelordert, im Sinne Ghandis jede Zusammenarbeit mit dieser „inneren Inquisition“, die den Geist der Verfassung verletzt, zu verweigern. Wenn genügend Leute bereit seien, den ernsten Schritt einer Verweigerung der Aussage vor den Untersuchungsausschüssen zu unternehmen (wolür sie nach dem Gesetz bestraft werden können), werden sie auch Erlolg haben. Im gegenteiligen Fall verdienten die Intellektuellen dieses Landes nichts Besseres als die Sklaverei, für die man sie bestimmt hat. Soweit Einstein mit dieser seiner offenen Kampfansage gegen Mac Carthy. -y Für Europäer scheint sich dieser Fall oft sehr vereinlacht darzustellen: Amerika fühlt und weiß sich bedroht. Es besitzt, nicht erst seit Roosevelts Tagen, eine gewisse linksorientierte Intelligenz, die oft mit dem Kommunismus sympathisierte. Der Verrat der Atombombe und anderer Staatsgeheimnisse sind Tatsachen. Was also ist heute selbstverständlicher als eine strenge Untersuchung aller möglichen Schuldigen? Was Ist selbstverständlicher als das Hochkommen jenes Mannes, der am radikalsten diese Untersuchung und Aufspürung von Staatsfeinden fordert und unternimmt, eben in den auf seine Initiative eingesetzten Untersuchungsausschüssen? — Mac Carthy hatt deshalb auch bei uns nicht wenig Beilall gefunden. So einlach liegen aber die Dinge nicht. Es ist das Verdienst Einsteins, die große Chance des Teufels bei dieser heiklen Sache aufgezeigt zu haben: Unter Berufung auf einen Staatsnotstand werden, wie so oft zuvor in Europa, die staatsbürgerlichen Freiheiten aufgehoben. Eine Welle von Angst und Terror trägt jene neuen Tribunale hoch, die nachgewiesenermaßen mit Einschüchterung, Erpressung, Denunzierung arbeiten. D1 e Säuberungsmaschine ist in Gang. Wer wird sie aufhalten? Schon sind namhafte Professoren, die niemals Kommunisten waren, entlassen worden, weil sie gegen dieses Unter-suchungs System Stellung nahmen. Das ist nun die Stunde der Intellektuellen, der freien geistigen Arbeiter, wenn es jemals eine Stunde dieses Standes, dieses Berufes des Professors, des Bekenners seiner Ueberzeu-gungen gibt: nein zu sagen. Ein „Half zu rufen. — Präsident Trumansagte es in einer seiner letzten Reden: die Demokratie lebt nur so lange, als es möglich ist, seine Stimme als einzelner zu erheben und nicht entrechtet zu werden. Amerika ist durch solche einzelne gewachsen. Noch gibt es diese einzelnen. Sie führen einen Kampf für die Menschenrechte, für die vier Freihelten der Atlantic Charta, dessen Ergebnis morgen und übermorgen jeder europäische Intellektuelle am eigenen Leibe erfahren wird.

KEIN PLAKAT, KEINE ZEITUNGSKAMPAGNE warb in den deutschen Städten iür den „Sudetendeutschen Tag 1953 in Frank-turt am Main.' Die Parole „Für die Freiheit der Heimat“ war bloß in den Ortsgruppen der Landsmannschalt und in ihren Heimatblättern ausgegeben worden, Sie allein genügte, daß unlängst mehr als 300.000 Sudetendeutsche unter materiellen Opfern in die Geburtsstadt des Sudetenlreundes Goethe pilgerten. Es waren keine einheitlichen Gefühle, mit denen man in der Deutschen Bundesrepublik der Tagung entgegensah. Bundesregierung und Regierungsparteien haben trotz verständnisvoller Sympathie Ansprüche der Sudetendeutschen auf ihre Heimat bisher nicht vertreten. Die Besatzungsmächte beargwöhnen in den Heimatvertriebenen der CSR noch immer Wiedererwecker einer gestürzten Aera. Nahestehende Blatter versuchten die Zusam-menkunlt zu ignorieren. Nicht wenige Realpolitiker burteilten die Taktik und Aussicht eines solchen Trellens als negativ. Sie alle sollten Unrecht bekommen: Eine zentraleuropäische Volksgruppe von ehedem dreieinhalb Millionen Kopien, vertrieben, verstreut in viele Länder, kaum oder noch nicht eingeordnet in das westdeutsche Wirtschaltspotential, orgariisatorisch nur zu geringstem Teil erlaßt, durch keirmn Zwang, durch keine Lockerung gelenkt, bekannte sich spontan zum Urrecht aut Heimat und Selbstbestimmung, zu iried-lertigem Verzicht aul jede Vergeltung, zur Einigung mit ihren ehemaligen Bedrängern und zum Aulbau einer europäischen Gemeinschalt.

Nirgends, weder in den Hallen der 15 Heimatgruppen, noch in den überiüllten Trelilokalen der Stadt, gab es irgendwelche Exzesse, nirgends eine verbitterte Miene. Reibungslos ergossen sich die Massen aus 36 So'idemigen wie aus den mehr als 800 Omnibussen und Lastkraltwagen. Reibungslos, trotz stundenlangen Harrens aul die Einweisung, wurden die Massenquartiere, die Zeltlager oder eine Liegewiese unter Ireiem Himmel aufgesucht. Reibungslos vollzog sich Anmarsch, Versammlung, Abmarsch und Heimkehr. Nein, diese Menschen kamen, um einfach da zu sein, wo ihrer Heimatliebe ein Altar errichtet war. Es ist symptomatisch iür die dreitägige Kundgebung, daß sich zu den mit Einhelligkeit autgenommenen politischen Reden der Sprecher Logdman von Auen und Father Reichenberger nur etwa 70.000 auf der Messewiese eingefunden haben, während die übrigen 250.000 ihre Gemütsart durch geselliges Beisammensein demonstrierten, kaum ein paar hundert Zuhörer interessierten sich für die Referate der Arbeiterausschüsse. Menschen solchen Schlags sind keine Gefahr des Friedens, sondern ~r richtig eingesetzt und begeistert — seine Garanten.

DIE OSTDEUTSCHE REGIERUNG hat über Nacht beschlossen, einen beträchtlichen Teil der Sowjetisierungsmaßnahmen in der „Deutschen Demokratischen Republik“ auf dem Papier aufzuheben. Kerker sollen sich öffnen, Privateigentum soll zurückgegeben werden, Schulpläne werden geändert, Flüchtlinge werden zurückgerufen. Den West-Berlinern öffnen sich die Ostberliner Kautläden und Gaststätten. Mit der evangelischen Kirche wurde ein Vertrag abgeschlossen; die Kirchenverfolgung, die hier besonders die „Junge Gemeinde“, die evangelische Bekenntnisjugend, traf, soll eingestellt werden. Ein Komplex von Maßnahmen, Verordnungen, Proklamationen, der heute noch nicht zu durchschauen ist auf seinen faktischen Nährwert und Sinngehalt. Seine Hintergründe sind klar: Die UdSSR wollen so rasch als möglich zu einer Viermächtekonferenz (Amerika, England, Rußland, Frankreich) über Deutschland gelangen, möglichst vor den Bonner Wahlen im Herbst, die auf diese Weise entscheidend beeinflußt werden sollen. Ziel ist hier, offen zugegeben, der Sturz Adenauers, des „eisernen Kanzlers'. Die Errichtung eines Deutschen Bundesstaates, auf den der Osten seine Einflüsse geltend machen kann. Deshalb soll Ostdeutschland ein neues Gesicht erhalten, welches es bündnisfähig und begehrenswert zugleich erscheinen läßt. — Die Besorgnis in Bonn über diese Maßnahmen ist also verständlich und begreiflich. Man fürchtet hier eine Auflösung der westeuropäischen Front gegen den Osten und eine Preisgabe Deutschlands, wobei der Blick mit besonderer Sorge auf Frankreich, England und jetzt auch Italien fällt. Diese Sorgen Bonns sind sehr berechtigt — dennoch hat die Situation vielleicht auch für Bonn ein Gutes; wenn es näm* lieh erkennt, daß eine militärische Defensive das Vakuum nicht füllen kann, das gegeben ist durch den bisherigen Verzicht auf ein konstruktives Durchdenken der ostdeutschen Probleme ohne Scheuklappen. Es ist,-wie wenn sich jetzt der Geist des verstorbenen Schuhmacher aus dem Grabe vernehmen ließe, mit seiner Warnung: Westdeutschland möge den Osten nicht vergessen, und nicht zögern, eigenständige Pläne für diesen Raum zu entwickeln, solange es Zeit ist. Bevor andere Mächte das große Spiel an sich reißen.

DASS KÖNIGIN ELISABETH II. VON ENGLAND den Sowjetbotschafter Malik empfing, um sein Beglaubigungsschreiben entgegenzunehmen, daß dabei Premierminister Sir Winston Churchill mitwirkte, dieser mehr routinemäßige Akt von Staatskanzleien war, sollte man meinen, wenig danach angetan, die Gemüter sonderlich anzuregen. In Moskau, Prag und Budapest aber war man anderer Meinung. Hier brachten die Zeitungen eine lange TASSrMel-dv.ng mit allen Details, wie es auch Tage nachher noch verzeichnet wurde, daß Sir Winston den bei ihm vorsprechenden Botschafter nach, der Unterredung bis zum Wagen begleitete. Wir sind weder für die Bagatellisierung der Weltprobleme, die heute mehr als je vielfältig sind, noch lieben wir künstliche historische ParaHelen. Es ist aber doch bedenklich, daß es im Westen, mit Ausnahme von England, längst in Vergessenheit geraten zu sein scheint, daß im Osten das Prestige stets über alles eingeschätzt wurde. So hat es Hunnenkönig Attila, als er bereits die Bedingungen für Krieg und Frieden nach Willkür vorschreiben konnte, vor ollem auf ein dem der römischen Kaiser gleiches Ansehen abgesehen. Der Kaiser Theo-dosius II. wiederum zahlte Attila ungeheure Summen als Tribut, unterließ es aber niemals, ihn, den Barbarenkönig, auf den Abstand zwischen ihnen beiden aufmerksam zu machen, indem er zu den Unterhandlungen Beamte niederen Ranges (!) delegierte. Attila, darob erzürnt — er wollte Verhandlungen „auf höchster Ebene“ —, drohte mit Krieg. Darauf endlich bequemte sich der Kaiser, hohe römische-Würdenträger an den Hunnenhof zu entsenden. Attila aber überhäufte diese nicht nur mit Gunstbezeigungen, sondern er verzichtete sogar auf seine strategisch wichtigste Eroberung südlich der Donau! Jahre später, 452 n. Chr., wiederholt sich dasselbe in Italien. Der weströmische Kaiser schickt dem nahenden Hunnenheer zwei Senatoren von höchstem Rang und den Papst selbst entgegen. Attila verzichtet, er zieht sich zurück. Wir empfehlen den. Artikel des Berner Ordinarius Prof. Alföldi, erschienen in Wien Anno 1931, dem wir diese Merkwürdigkeiten entlehnten ..., oder man kann auch gleich bei alten Indianerhäuptlingen anfragen ...

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